TE OGH 1991/10/8 10ObS244/91

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Veröffentlicht am 08.10.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Josef Fellner (Arbeitgeber) und Anton Korntheurer (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Johann E*****, ohne Beschäftigung, ***** vertreten durch Dr. Stefan Gloß und Dr. Hans Pucher, Rechtsanwälte in St. Pölten, wider die beklagte Partei PENSIONSVERSICHERUNGSANSTALT DER ARBEITER, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. 4. 1991, GZ 31 Rs 63/91-38, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 21. Dezember 1990, GZ 32 Cgs 280/89-35, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid der beklagten PENSIONSVERSICHERUNGSANSTALT DER ARBEITER vom 16. November 1987 wurde der Antrag des Klägers vom 2. Juli 1987 auf Zuerkennung einer Invaliditätspension abgelehnt. Das Erstgericht wies das dagegen auf Gewährung der Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1. August 1987 gerichtete Klagebegehren ab. Es stelle fest, daß der am 7. Juli 1944 geborene Kläger noch leichte, halbzeitig auch mittelschwere Arbeiten während der üblichen Arbeitszeit mit den üblichen Pausen verrichten kann. Nicht zumutbar sind ihm Arbeiten mit häufigem Bücken und Hocken und Arbeiten mit Treppen- oder Leitersteigen. Jede Stunde muß der Kläger Gelegenheit haben, für zwei bis drei Minuten seine Position zu verändern, um die Wirbelsäule zu entlasten. Die Anmarschwege sind nicht eingeschränkt; die Feinmotorik ist erhalten.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, daß der Kläger, der in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag überwiegend die Tätigkeit eines Zeitungszustellers ausgeübt habe und dessen Invalidität daher nach § 255 Abs 3 ASVG zu beurteilen sei, auf Grund seines medizinischen Leistungskalküls noch eine Reihe von auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Tätigkeiten ausüben könne wie zum Beispiel jene eines Portiers. Er sei daher nicht invalid im Sinne des für ihn maßgeblichen Invaliditätsbegriffes des § 255 Abs 3 ASVG.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Das Erstgericht habe zwar keine ausdrückliche Feststellung darüber getroffen, welche berufliche Tätigkeit der Kläger in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag überwiegend ausgeübt habe. Es sei aber dem Vorbringen des Klägers gefolgt und davon ausgegangen, daß er während der letzten 15 Jahren vor dem Stichtag insgesamt 13 1/2 Jahre den Beruf eines Zeitungszustellers ausgeübt habe. Dieser Umstand werde in der Berufung nochmals ausdrücklich bestätigt. Aus diesem Grund sei der Kläger durch die Unterlassung einer diesbezüglichen ausdrücklichen Feststellung nicht beschwert. Entscheidend für das Vorliegen eines angelernten Berufes im Sinne des § 255 Abs 2 ASVG sei eine Tätigkeit, die es erfordere, durch praktische Arbeit jene qualifizierten Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwerben, welche denen in einem erlernten Beruf gleichzuhalten seien. Das Erfordernis qualifizierter Kenntnisse und Fähigkeiten erfülle der Absolvent einer Berufsausbildung dadurch, daß er alle diese für die praktische Arbeit notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten im Rahmen der Ausbildung erworben habe, der praktische Arbeiter hingegen dadurch, daß er jene notwendigen qualifizierten Kenntnisse und Fähigkeiten vollwertig erworben habe, wie sie bei praktischer Ausübung der Berufstätigkeit tatsächlich verlangt würden. Bei der Tätigkeit eines Zeitungszustellers könne von einem angelernten Beruf in diesem Sinne nicht die Rede sein. Das Erstgericht habe daher die Frage der Invalidität des Klägers zutreffend nach § 255 Abs 3 ASVG gelöst.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen vom Kläger erhobene Revision ist nicht berechtigt. Die Rechtsausführungen des Revisionswerbers beschäftigen sich ausschließlich mit der Frage des Berufsschutzes als angelernter Zeitungszusteller. Er vertritt die Ansicht, daß er im Rahmen seiner langjährigen praktischen Tätigkeit jene Kenntnisse und Fähigkeiten erworben habe, die ein anderer Arbeitnehmer in einem erlernten Beruf mit gleichen geistigen und körperlichen Fähigkeiten während desselben Zeitraumes erwerben könne.

Dem kann nicht gefolgt werden. Ein angelernter Beruf liegt nach § 255 Abs 2 ASVG vor, wenn der Versicherte eine Tätigkeit ausübt, für die es erforderlich ist, durch praktische Arbeit qualifizierte Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwerben, welche jenen in einem erlernten Beruf gleichzuhalten sind. Diese Kenntnisse und Fähigkeiten müssen zwar nicht die eines bestimmten geregelten Lehrberufes sein, allerdings den in einem Lehrberuf erworbenen besonderen Kenntnissen und Fähigkeiten an Umfang und Qualität entsprechen (SSV-NF 1/70, 4/94 uva). Welche solcherart qualifizierten Kenntnisse und Fähigkeiten der Kläger als Zeitungszusteller erworben habe, hat er nicht dargetan. In einem in erster Instanz erstatteten Schriftsatz hat er seine Tätigkeit dahin umschrieben, daß er mit eigenem PKW - auf Kilometergeldbasis - Zeitungen auszuführen hatte und zwar beginnend in der Früh um etwa 2.00 Uhr bis 8.00 Uhr oder von 23.00 Uhr bis 5.00 Uhr früh. Hiebei sei es notwendig gewesen, verschnürte Zeitungspakete an die jeweiligen Trafiken bzw. Geschäfte in den Nachtstunden abzuliefern. Diese Zeitungspakete hätten an den entsprechenden Geschäftsstellen immer versperrt werden müssen. Es sei notwendig gewesen, die Pakete selbst mit der Hand vom PKW zu den Depositionsstellen zu bringen, dabei seien manchmal sehr weite Wege zurückzulegen gewesen. Ein Zeitungspaket habe ein Gewicht von 1 kg bis 10 kg, maximal 15 kg (ON 32, in der mündlichen Verhandlung vorgetragen ON 33). Von diesem Vorbringen des anwaltlich vertretenen Klägers ist auszugehen, zumal sich die dort geschilderte Berufstätigkeit eines Zeitungszustellers mit den Erfahrungen des täglichen Lebens deckt. Wie der erkennende Senat wiederholt ausgesprochen hat, müssen Anforderungen in weit verbreiteten Berufstätigkeiten, die sich zum Teil unter den Augen der Öffentlichkeit abspielen und deren Anforderungen allgemein bekannt sind, als offenkundig im Sinn des § 269 ZPO gelten, so daß es Feststellungen dazu nicht bedarf (vgl. SSV-NF 2/77, 2/109 ua). Offenkundige Tatsachen sind von den Gerichten in ihren Entscheidungen von Amts wegen zugrundezulegen und müssen nicht einmal behauptet werden (Fasching Kommentar III 265 und ZPR2 Rz 852; JBl 1972, 540; 10 Ob S 219/91). Es ist aber offenkundig, daß für die vom Kläger geschilderte Tätigkeit nur eine kurze Einweisung durch Vorgesetzte erforderlich ist und daß die Anlernzeit je nach Art und Umfang des Unternehmens zwischen wenigen Tagen und einigen Wochen liegt. Danach fehlt aber jeder Anhaltspunkt dafür, daß die Tätigkeit eines Zeitungszustellers solche Kenntnisse und Fähigkeiten erforderte, die denen in einem erlernten Beruf gleichzuhalten sind. Die Tatsache allein, daß der Kläger diesen Beruf lange Jahre hindurch ausübte, ist schon deshalb nicht entscheidend, weil dieser Beruf nach einer kurzen Anlernzeit von einigen Tagen bis wenige Wochen voll ausgeübt werden kann. Zu Unrecht verwahrt sich der Revisionswerber dagegen, den Beruf eines Zeitungszustellers "nicht als adäquate berufliche Tätigkeit, sondern lediglich als Verrichtung von untergeordneten Hilfsdiensten zu verstehen". Ein Zeitungszusteller verrichtet zwar mehr als untergeordnete Hilfsdienste, ohne aber damit die Qualifikation eines angelernten Berufes im Sinne des § 255 Abs 2 ASVG zu erreichen.

Die Voraussetzungen für die Erlangung einer Invaliditätspension nach § 255 Abs 4 ASVG sind nicht zu prüfen, weil der Kläger das 55. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Daß er im Rahmen des § 255 Abs 3 ASVG auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar ist, bedarf angesichts des medizinischen Leistungskalküls keiner näheren Begründung und wird in der Revision auch nicht angezweifelt.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch an den gänzlich unterlegenen Kläger wurden nicht geltend gemacht und sind nach der Aktenlage auch nicht ersichtlich.

Anmerkung

E27638

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:010OBS00244.91.1008.000

Dokumentnummer

JJT_19911008_OGH0002_010OBS00244_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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