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27 RechtspflegeNorm
B-VG Art83 Abs2Leitsatz
Keine Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und im Recht auf ein faires Verfahren durch Zurückweisung einer Beschwerde gegen die Abweisung eines Ablehnungsantrages betreffend den Kammeranwalt im Disziplinarverfahren gegen einen Rechtsanwalt durch die OBDKSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.1. Gegen den Beschwerdeführer, einen Rechtsanwalt in E., werden vor dem Disziplinarrat der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer (in der Folge: Disziplinarrat) zu Z D 16/98, DV 17/99 und D 53/98 sowie DV 18/99 Disziplinarverfahren geführt, in denen ihm die Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes vorgeworfen werden.
1.2. Am 11. Oktober 1999 fand vor dem Disziplinarrat eine mündliche Verhandlung statt. Der Beschwerdeführer stellte im Rahmen dieser Verhandlung den Antrag auf Ablehnung des Kammeranwalts Dr. W. R. wegen Befangenheit. Diesen Antrag begründete er damit, daß Rechtsanwalt Dr. W. R., der nunmehr als Kammeranwalt einschreite, eine Frau G. L. im Verfahren 4 Cg 128/98f des LG Linz vertreten habe. Am 27. April 1999 habe Frau G. L. den Beschwerdeführer mit ihrer weiteren Vertretung beauftragt. Noch am selben Tag sei dem nunmehrigen Kammeranwalt Dr. W. R. die Beendigung des Vollmachtsverhältnisses mit G. L. bekannt gegeben worden. Trotzdem habe der Kammeranwalt mit Schreiben vom 22. Juni 1999, D 25/99, gegen den Beschwerdeführer Disziplinaranzeige mit der Begründung erstattet, der Beschwerdeführer habe Frau G. L. während seiner (dh. Dris. W. R.) Vertretung und noch bei aufrechter Vollmacht seiner Kanzlei kontaktiert und offensichtlich beraten. Diese Disziplinaranzeige als Rechtsvertreter spreche dafür, daß der Kammeranwalt nicht entsprechend §20 Abs3 DSt 1990 auch die zugunsten des Disziplinarbeschuldigten sprechenden Umstände mit gleicher Sorgfalt zu berücksichtigen in der Lage sei.
1.3. Dieser Antrag auf Ablehnung des Kammeranwaltes wurde vom Disziplinarrat mit einem in der Disziplinarverhandlung vom 11. Oktober 1999 mündlich verkündeten und begründeten Beschluß als unbegründet abgewiesen.
1.4. Der Beschwerdeführer hat in der mündlichen Verhandlung vom 11. Oktober 1999 und mit Schreiben vom 18. November 1999 eine Ausfertigung des den Ablehnungsantrag abweisenden Beschlusses beantragt. Am 23. November 1999 wurde ihm das Verhandlungsprotokoll zugestellt. Der Beschwerdeführer erhielt ein Schreiben des Vorsitzenden des Disziplinarrates, in dem ihm dieser mitteilte:
"In dieser Angelegenheit habe ich die Kammerkanzlei ersucht, Ihnen eine Abschrift des Verhandlungsprotokolles vom 11. Oktober 1999 zuzusenden. Zu ihrem Ablehnungsantrag nehme ich wie folgt Stellung:
Gemäß §26 Abs5 letzter Satz DSt entscheidet nach Beginn der mündlichen Verhandlung der erkennende Senat durch Beschluß, gegen den ein abgesondertes Rechtsmittel nicht zulässig ist. Gemäß §77 DSt ist die StPO sinngemäß anzuwenden. Es ist daher §238 StPO heranzuziehen. Der Senat hat in sinngemäßer Anwendung dieser Bestimmung sofort entschieden und gemäß Absatz 2 die Entscheidungsgründe verkündet und im Protokoll ersichtlich gemacht. Damit ist dem Gesetz Genüge getan. Die Entscheidung könnte nur innerhalb einer Berufung im Rahmen der Verfahrensrüge angefochten werden. Es besteht daher meines Erachtens kein Anspruch auf Beschlußausfertigung".
1.5. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Beschluß des Disziplinarrates, mit dem sein Ablehnungsantrag abgewiesen wurde, Beschwerde an die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (in der Folge: OBDK).
2.1. Die OBDK wies diese Beschwerde mit Beschluß vom 19. Juni 2000, Z9 Bkd 1/00, als unzulässig zurück.
2.2. In der Begründung führt die OBDK aus:
"(I)m Hinblick darauf, dass dem Disziplinarstatut eine diesbezügliche Regelung nicht zu entnehmen ist, (ist die Frage der Ablehnung des Kammeranwaltes) in sinngemäßer Anwendung der den Staatsanwalt - dessen Funktion mit jener des Kammeranwalts (annähernd) vergleichbar ist (siehe Feil/Wennig, Anwaltsrecht Anm 3 zu §5 DSt) - betreffenden Bestimmungen der StPO zu beantworten. Gemäß §75 StPO können Staatsanwälte aus taxativ angeführten, vorliegend nicht aktuellen Gründen ausgeschlossen sein, deren Ablehnung aus anderen Gründen, etwa wegen nach Ansicht einer Verfahrenspartei anzunehmender Befangenheit ist hingegen gesetzlich nicht vorgesehen. Zu Recht hat demnach der Disziplinarrat der einer gesetzlichen Basis entbehrenden, im Übrigen nach der Aktenlage auch substratslosen "Befangenheitsanzeige" des DB nicht Folge gegeben, wenngleich der Begründungshinweis auf §26 DSt verfehlt war; dort ist das Verfahren geregelt, wenn Ausschließungs- oder Befangenheitsgründe in Bezug auf ein Mitglied des Disziplinarrates vorliegen bzw. behauptet werden. Der Kammeranwalt ist jedoch nicht Mitglied dieses Gremiums.
Das vom Disziplinarrat - im Ergebnis - gesetzeskonform gefällte Zwischenerkenntnis kann - in sinngemäßer Anwendung des §238 Abs1 StPO - mit gesondertem Rechtsmittel nicht bekämpft werden. Die Beschwerde des DB ist daher unzulässig. (...) Die Einwände des DB, dass §238 StPO nicht anwendbar sei und dass die Sorgfaltsverpflichtung des §20 Abs3 DSt iVm §29 Abs2 und 3 DSt ein derartiges Ablehnungsrecht geradezu erfordere, vermögen nicht zu überzeugen."
3. Gegen diesen als Bescheid zu wertenden Beschluß der OBDK richtet sich die vorliegende auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, mit der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein faires Verfahren nach Art6 EMRK sowie auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art83 Abs2 B-VG geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
4. Die OBDK als belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und keine Gegenschrift erstattet.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. In der Beschwerde wurde keine Verfassungswidrigkeit der dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden gesetzlichen Bestimmungen behauptet. Eine solche ist im vorliegenden Verfahren nicht hervorgekommen.
2. Der Beschwerdeführer vertritt die Ansicht, der Bescheid der OBDK verletze ihn in seinem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter. Der Kammeranwalt sei zwar kein entscheidendes Organ, dennoch sei die Teilnahme eines befangenen Kammeranwaltes - dem besondere Rechte im Verfahren zukommen - ebenfalls als Verletzung des Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter zu werten. In seinen Ausführungen unter dem Titel des Art6 EMRK versucht er zu begründen, daß sich aus den Eigenheiten des Disziplinarverfahrens für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter und der besonderen Stellung des Kammeranwaltes ein Recht auf Ablehnung des Kammeranwaltes ergebe. Durch die Abweisung seines Ablehnungsantrages sei der Beschwerdeführer in seinem Recht gemäß Art83 Abs2 B-VG verletzt.
2.1. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird insbesondere dann verletzt, wenn eine an sich zuständige, aber nicht dem Gesetz entsprechend zusammengesetzte Kollegialbehörde entschieden hat (zB VfSlg. 10022/1984, 11350/1987, 13756/1994).
2.2. Wie der Beschwerdeführer selbst erkennt, ist der Kammeranwalt im Disziplinarverfahren nicht das zur Entscheidung zuständige Organ. Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, daß in erster Instanz der Disziplinarrat, in zweiter Instanz die OBDK entschieden hat. Sein Vorbringen ist weder geeignet, eine falsche Zusammensetzung oder die Unzuständigkeit des Disziplinarrates, noch die falsche Zusammensetzung oder die Unzuständigkeit der OBDK aufzuzeigen.
Im übrigen könnte selbst mit dem Vorbringen, daß ein befangenes Organ bei der Erlassung des Bescheides "mitgewirkt" habe, nicht die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter aufgezeigt werden (vgl. VfSlg. 10205/1984, 13976/1994).
2.3. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wäre aber verletzt, wenn die OBDK durch die Zurückweisung der gegen den Beschluß des Disziplinarrates erhobenen Beschwerde zu Unrecht eine Sachentscheidung (über diese Beschwerde) verweigert hätte.
2.4. Dies ist jedoch nicht der Fall.
§26 Abs5 des Disziplinarstatuts für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter 1990 (in der Folge: DSt 1990) bestimmt:
"Über das Vorliegen von Ausschließungs- oder Befangenheitsgründen entscheidet der Präsident des Disziplinarrats. Ist hievon der Präsident des Disziplinarrats selbst betroffen, so entscheidet der Präsident der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission. Gegen diese Entscheidungen ist ein Rechtsmittel nicht zulässig. Nach Beginn der mündlichen Verhandlung entscheidet der erkennende Senat (§30) durch Beschluß, gegen den ein abgesondertes Rechtsmittel nicht zulässig ist".
Während §26 Abs1 und 2 DSt 1990 die persönlichen und materiellen Voraussetzungen für die Berechtigung eines Ablehnungsantrages normieren, regelt das DSt 1990 in §26 Abs5 die prozessuale Behandlung von Ablehnungsanträgen. §26 Abs5 DSt 1990 trifft einerseits die Regelung der Zuständigkeit der für die Entscheidung über "das Vorliegen von Ausschließungs- oder Befangenheitsgründen" berufenen Organe, anderseits ist darin die Unzulässigkeit eines abgesonderten Rechtsmittels gegen solcherart gefällte Entscheidungen vorgesehen. Die Bestimmung unterscheidet nicht danach, gegen welche Person sich ein Ablehnungsantrag richtet und gilt - lege non distinguente - unabhängig davon, ob der Ablehnungsantrag (zB. aufgrund der inhaltlichen oder persönlichen Voraussetzungen) begründet ist oder nicht. Der Verfassungsgerichtshof hat hier nicht darüber zu befinden, ob der Ablehnungsantrag gegen den Kammeranwalt (und damit die vom Disziplinarrat darüber getroffene Sachentscheidung) - inhaltlich - berechtigt ist oder nicht. Für die im Lichte des Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter allein maßgebliche Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung der Berufung mangels Zulässigkeit eines abgesonderten Rechtsmittels trifft das DSt 1990 in prozessualer Hinsicht jedenfalls eine abschließende - auch den vorliegenden Fall eines Beschlusses über die "Ablehnung des Kammeranwaltes" erfassende - Regelung. Die Zurückweisung der Beschwerde gegen den den Ablehnungsantrag abweisenden Beschluß des Disziplinarrates findet ihre gesetzliche Deckung daher in §26 Abs5 DSt 1990 (ohne daß Überlegungen zur subsidiären Anwendbarkeit der StPO gemäß §77 Abs3 DSt 1990 anzustellen wären). Die Zurückweisung der Berufung durch die OBDK erfolgte zu Recht. Die belangte Behörde hat daher eine Sachentscheidung - im Ergebnis - nicht zu Unrecht verweigert. Der Beschwerdeführer ist in seinem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nicht verletzt worden.
3. Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid überdies in seinem Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art6 EMRK verletzt.
3.1. Art6 Abs1 EMRK lautet auszugsweise:
"Jedermann hat Anspruch darauf, daß seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat. (...)"
3.2. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde in der Sache (noch) keine "Entscheidung über die Stichhaltigkeit einer Anklage oder über einen zivilrechtlichen Anspruch", sondern lediglich eine verfahrensrechtliche Erledigung getroffen (vgl. VfSlg. 13681/1994). Wie oben (Pkt. 2.4.) dargetan wurde, ist die belangte Behörde zurecht davon ausgegangen, daß die Entscheidung des Disziplinarrates über den bei ihm gestellten Ablehnungsantrag nicht gesondert anfechtbar ist. Deren allfällige Rechtswidrigkeit kann aber inhaltlich im Wege der Berufung gegen das in der Sache ergehende Disziplinarerkenntnis als Verfahrensmangel geltend gemacht werden. Im Hinblick darauf vermag der Verfassungsgerichtshof nicht zu erkennen, inwiefern der Bescheid der belangten Behörde auf das Disziplinarverfahren eine endgültige Auswirkung haben kann, zumal damit lediglich über die Rechtsmittellegitimation, nicht jedoch über den Ablehnungsantrag in der Sache, abgesprochen wurde. Ob in den gegen den Beschwerdeführer geführten Disziplinarverfahren Verletzungen des Art6 EMRK stattgefunden haben, läßt sich im Wege der Anfechtung der die jeweiligen Disziplinarverfahren in der Sache erledigenden Bescheide beurteilen.
3.3. Der angefochtene Bescheid verletzt den Beschwerdeführer nicht in seinem gemäß Art6 EMRK gewährleisteten Recht.
4. Der Beschwerdeführer wurde sohin aus den in der Beschwerde vorgetragenen Erwägungen weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in Rechten verletzt.
5. Das Beschwerdeverfahren hat auch nicht ergeben, daß dies aus anderen, in der Beschwerde nicht dargelegten Gründen der Fall gewesen wäre. Ob das Gesetz richtig angewendet wurde, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn, wie hier, die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes gemäß Art133 Z4 B-VG nicht zulässig ist (zB VfSlg. 6877/1972, 8309/1978, 8317/1978, 9456/1982, 10565/1985, 11754/1988, 13419/1993).
6. Die Beschwerde war daher abzuweisen.
7. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Rechtsanwälte Disziplinarrecht, fair trialEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2001:B1751.2000Dokumentnummer
JFT_09988873_00B01751_00