Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes HonProf. Dr. Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Graf, Dr. Jelinek und Dr. Schinko als weitere Richter in der Unterbringungssache des am ***** geborenen Hermann K*****, vertreten durch die Patientenanwältin Dr. Marina Thams-Descovich, infolge Revisionsrekurses des ***** Dr. Max P*****, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Rekursgericht vom 8. August 1991, GZ 1 b R 135/91-9, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Hall in Tirol vom 12.Juli 1991, GZ Ub 436/91-5, abgeändert wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Das Erstgericht hat die Unterbringung Hermann K***** gemäß § 3 Unterbringungsgesetz, BGBl.1990/155, für die Dauer von drei Monaten bis zum 12.10.1991 für zulässig erklärt. Hermann K***** befindet sich seit Jahren in stationärer Behandlung im Landesnervenkrankenhaus Hall in Tirol. Es liegt bei ihm ein angeborener Schwachsinn (Oligophrenie) vor. Dem Grade nach handelt es sich um die ausgeprägte Form einer Imbezillität. Er war daher auch nicht schulfähig und es bestand auch nicht die Möglichkeit, ihn in eine Spezialklasse der Sonderschule unterzubringen, die für extrem geistig Behinderte eingerichtet ist. Auf Grund seines Schwachsinns ist seine dauernde Betreuung und Versorgung unerläßlich. Bei Wegfall der Betreuung würde sofort seine Verwahrlosung eintreten. Hermann K***** ist ohne regelmäßige Versorgung und Betreuung nicht lebensfähig. Seine Unterbringung sei somit nach Ansicht des Erstgerichtes gerechtfertigt, zumal es in Tirol auch keine anderen Betreuungs- und Behandlungsalternativen gebe.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Patientenanwaltes Folge. Es sprach aus, daß die weitere Unterbringung Hermann K***** in der geschlossenen Abteilung des Landesnervenkrankenhauses ***** nicht zulässig sei, und erklärte den Revisionsrekurs für zulässig. In seiner Entscheidungsbegründung führte es aus: Erste Voraussetzung für eine Unterbringung in einer geschlossenen Anstalt sei es, daß der Kranke an einer psychischen Krankheit leide und im Zusammenhang damit sein Leben oder seine Gesundheit oder das Leben und die Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährde. Während das Sachwaltergesetz die Begriffe "psychische Krankheit" und "geistige Behinderung" gleichsetze und für beide Fälle die Bestellung eines Sachwalters vorsehe, knüpfe das Unterbringungsgesetz ausschließlich an das Vorliegen einer psychischen Krankheit an. Das Unterbringungsgesetz verfolge das Ziel, den Schutz der Persönlichkeitsrechte psychisch Kranker in geschlossenen Bereichen von Krankenanstalten besser zu gewährleisten. Die geistige Behinderung allein reiche für eine Unterbringung nicht aus, da geistig Behinderte nur dann Aufnahme in einer psychiatrischen Anstalt finden sollten, wenn neben der geistigen Behinderung auch die Symptome einer psychischen Erkrankung auftreten.
Im vorliegenden Falle des Hermann K***** sei davon auszugehen, daß dieser nicht an einer psychischen Krankheit, sondern an einer geistigen Behinderung leide. Dies ergebe sich sowohl aus dem Sachverständigengutachten des Univ-Prof. Dr. P***** als auch aus der zu ON 2 des Aktes erliegenden Stellungnahme des Abteilungsleiters des Landesnervenkrankenhauses *****. Eine Selbstgefährdung auf Grund der Hilflosigkeit des Kranken und die Gefahr der drohenden Verwahrlosung allein seien aber kein Grund für eine Unterbringung in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses.
Gegen den rekursgerichtlichen Beschluß richtet sich der Revisionsrekurs des zuständigen Oberarztes des Landesnervenkrankenhauses ***** als Abteilungsleiters mit dem Antrage auf Abänderung im Sinne der Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof ist gemäß § 28 UbG grundsätzlich zulässig - zur Rekurslegitimation siehe auch § 7 a Abs.1 und 2 KAG; AB 1202 BlgNR 17.GP zu § 4; § 3 Abs.1, 2 und § 6 RV - , er ist aber nicht gerechtfertigt.
Da das UbG keine besonderen Bestimmungen für den Rekurs an den Obersten Gerichtshof enthält, sind diesbezüglich die §§ 13 - 16 AußStrG idF der Erweiterten Wertgrenzen-Novelle 1989, BGBl.343, anzuwenden (AB 1212 BlgNR 17.GP zu § 29; § 18 RV). Gemäß § 14 Abs.1 AußStrG ist gegen den Beschluß des Rekursgerichtes der Revisionsrekurs dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben, weil es zur Frage, ob auch wegen einer geistigen Behinderung die Unterbringung in einer geschlossenen Abteilung möglich ist, bei Erhebung des Rechtsmittels noch keine Rechtsprechung vorlag.
Im Revisionsrekurs wird geltend gemacht, eine sofortige Entlassung des Hermann K***** aus der geschlossenen Abteilung des Landesnervenkrankenhauses wäre von ärztlicher Seite nicht vertretbar. Hermann K***** sei ohne fremde Hilfe und auch ohne regelmäßige ärztliche Betreuung nicht einmal für kurze Zeit lebensfähig und es bestünde außerhalb der geschlossenen Abteilung in ***** keinerlei Möglichkeit einer adäquaten Betreuung, Versorgung und Behandlung des Patienten.
Wie die Vorinstanzen bereits zutreffend ausgeführt haben, darf gemäß § 3 UbG in einer Anstalt nur untergebracht werden, wer
1. an einer psychischen Krankheit leidet und im Zusammenhang damit sein Leben oder seine Gesundheit oder das Leben oder die Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährdet und
2. nicht in anderer Weise, insbesondere außerhalb einer Anstalt, ausreichend ärztlich behandelt oder betreut werden kann.
Materiellrechtliche Voraussetzung der Unterbringung ist sohin unter anderem das Vorliegen einer psychischen Krankheit. Daß Hermann K***** nicht an einer solchen leidet, steht im vorliegenden Fall fest. Allein schon aus der Wortinterpretation des Gesetzes ergibt sich, daß die Unterbringung des Hermann K***** in einer geschlossenen Abteilung nicht zulässig ist. Eine analoge Anwendung der Bestimmung des § 3 UbG auf den Fall geistiger Behinderung setzte eine Gesetzeslücke voraus. Eine solche liegt nur dann vor, wenn die gesamte geltende Rechtsordnung hinsichtlich des zu beurteilenden Falles eine "planwidrige Unvollständigkeit", d.h. eine nicht gewollte Lücke, erkennen läßt (Bydlinski in Rummel2, Rz 2 zu § 7). Von einer solchen "planwidrigen Unvollständigkeit" kann im vorliegenden Fall aber keine Rede sein. Wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt, war nicht die Fürsorge und der Schutz von aufgrund einer geistigen Behinderung gefährdeten Personen das Ziel des Unterbringungsgesetzes, sondern ausschließlich der Schutz der Persönlichkeitsrechte psychisch Kranker in geschlossenen Bereichen von Krankenanstalten (1202 BlgNR 17.GP 2 f), die nach dem Gesetz auch nur zur Aufnahme psychisch Kranker bestimmt sind und in die geistig Behinderte nur dann Aufnahme finden sollen, wenn neben der geistigen Behinderung auch Sypmtome einer psychischen Erkrankung auftreten (1204 BlgNR 17.GP 1 f). Auch eine verfassungskonforme Auslegung (siehe hiezu Bydlinski, aaO, Rz 21 zu § 6), gebietet, eine Unterbringung in einer geschlossenen Abteilung ausschließlich im Falle einer psychischen Erkrankung zu gestatten. Art.2 Abs.1 Z 5 des Bundesverfassungsgesetzes vom 29.11.1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit (BGBl. Nr.684/1988) bestimmt nämlich, daß die persönliche Freiheit einem Menschen nur dann entzogen werden darf, wenn Grund zur Annahme besteht, daß er wegen einer psychischen Erkrankung sich oder andere gefährdet. Entsprechend dieser Verfassungsbestimmung hat der Justizausschuß auch ausgeführt, daß die Unterbringung aufgrund einer bloßen "Behandlungsbedürftigkeit" ebensowenig zulässig sei wie eine Anhaltung als "Maßnahme der Fürsorge". Der Justizausschuß vertrat die Ansicht, daß diesen Bedürfnissen im Rahmen moderner, leistungsfähiger und ausreichend ausgestatteter psychiatrischer und sozialer Dienste und Einrichtungen Rechnung getragen werden könne, ohne daß in die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen eingegriffen werden müsse (AB 1202 BlgNR 17.GP zu § 3 (§ 2 RV)). Eine analoge Anwendung des Unterbringungsgesetzes auf geistig Behinderte kommt demnach nicht in Frage (7 Ob 586/91, 4 Ob 541/91, 4 Ob 542/91, 8 Ob 587/91).
Wie der Oberste Gerichtshof inzwischen bereits mehrfach ausgesprochen hat (4 Ob 541/91; 4 Ob 542/91; 8 Ob 587/91), kann entgegen der im Revisionsrekurs vertretenen Ansicht diese Entscheidung aber nicht bedeuten, daß der hilflose Patient auf die Straße gestellt und so dem sicheren Verderben preisgegeben werden darf. Die vom Gesetzgeber in Aussicht gestellte (AB 1202 BlgNR 17.GP 3) Regelung der "zivilrechtlichen Voraussetzungen der Aufenthaltsbestimmung für psychisch kranke und behinderte Menschen im Rahmen des Sachwalterrechts", in welcher dem Sachwalter nach § 273 ABGB sowie dem Pflegschaftsgericht weitgehende Überwachungsbefugnisse eingeräumt werden sollen, steht noch aus. Soweit nicht dennoch das Erstgericht im Zuge pflegschaftsbehördlicher Maßnahmen eine anderweitige Betreuung des Behinderten anordnen sollte, müßte der Betroffene, falls er sich in einer Notlage im Sinne des Tiroler Sozialhilfegesetzes, LGBl.1973/105, befindet, den nach diesem Gesetz zuständigen Organen zur Betreuung übergeben werden. Dieses Gesetz sieht ja ausdrücklich auch die Hilfe für pflegebedürftige Personen vor (§ 5 Abs.1 lit.d und Abs.5).
Dem Revisionsrekurs mußte sohin ein Erfolg versagt bleiben.
Anmerkung
E27575European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1991:0080OB00593.91.1010.000Dokumentnummer
JJT_19911010_OGH0002_0080OB00593_9100000_000