Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Mag. Dkfm. Reinhard Keibl (Arbeitgeber) und Erika Hantschel (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Karl G*****, vertreten durch Dr. Michael Drexler, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei PENSIONSVERSICHERUNGSANSTALT DER ARBEITER (Landesstelle Wien), 1092 Wien, Roßauer Lände 3, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Invaliditätspension infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. Juni 1991, GZ 34 Rs 56/91-26, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 13. November 1990, GZ 7 Cgs 144/89-23, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.
Die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger mündlicher Berufungsverhandlung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Revisionskosten sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Mit Bescheid vom 7. 9. 1989 lehnte die beklagte Partei den Antrag des am 30. 10. 1939 geborenen Klägers vom 19. 4. 1989 auf Invaliditätspension mangels Invalidität ab.
Die dagegen rechtzeitig erhobene Klage stützt sich darauf, daß der Kläger seinen erlernten und überwiegend ausgeübten Beruf als Fassader aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben könne.
Die beklagte Partei stellte die überwiegende Ausübung des Maurerberufes außer Streit, bestritt aber, daß der Kläger diesen Beruf nicht mehr ausüben könne und beantragte die Abweisung der Klage.
Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger vom 1. 5. 1989 an eine Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß binnen vier Wochen zu gewähren, ohne eine vorläufige Zahlung anzuordnen.
Nach seinen unbestritten gebliebenen Feststellungen über die Arbeitsfähigkeit des Klägers kann dieser infolge seines seit der Antragstellung bestehenden und nicht wesentlich besserungsfähigen körperlichen und geistigen Zustandes während der normalen Arbeitszeit und mit den üblichen Pausen leichte und mittelschwere körperliche Arbeiten in jeder Körperhaltung sowie geistige Arbeiten leichterer Natur leisten und die Anmarschwege zurücklegen. Das Heben und Tragen von Lasten bis 25 kg ist ihm zumutbar, von Lasten bis 30 kg jedoch nur mehr ganz selten (nach dem ergänzenden Gutachten des SV für Chirurgie in der Tagsatzung vom 4. 9. 1990 einmal pro halbe Stunde, ON 16 AS 41).
Unter Berufung auf das Gutachten des SV für Berufskunde stellte das Erstgericht weiters fest, daß es dem Kläger mit der festgestellten Arbeitsfähigkeit nicht mehr möglich sei, noch Arbeiten als Maurer oder Fassader zu verrichten, und zwar auch nicht auf Großbaustellen, weil bei allen diesen Varianten auch bei teilweiser maschineller Arbeitsunterstützung nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden könne, daß Material von kalkülüberschreitendem Gewicht gehoben und getragen werden müsse. Andere Teilberufe des Maurerberufs, insbesondere der des Betonbauers, hätten die gleichen Leistungserfordernisse und seien daher ebenfalls kalkülüberschreitend. Die Einholung eines von der beklagten Partei beantragten weiteren berufskundlichen Gutachtens erachtete das Erstgericht für entbehrlich, weil es das vorliegende, auf den eigenen Erfahrungen des Sachverständigen über die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt und die beruflichen Erfordernisse im Maurerberuf und seinen Teiltätigkeiten basierenden Gutachten als vollständig und schlüssig ansah.
In rechtlicher Hinsicht beurteilte das Erstgericht den Kläger als invalid iS des § 255 Abs 1 ASVG.
In ihrer Berufung nannte die beklagte Partei zwar nur die Berufungsgründe der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung, bekämpfte jedoch inhaltlich vor allem, daß das Erstgericht auf Grund des insoweit als unrichtig bezeichneten berufskundlichen Gutachtens unrichtigerweise festgestellt hat, de Arbeitsfähigkeit des Klägers reiche für die weitere Tätigkeit innerhalb seiner Berufsgruppe als Maurer nicht aus. In der österreichischen Berufskartei würden nämlich die an einen Maurer gestellten körperlichen Anforderungen mit einer mittleren muskulären Dauerleistung umschrieben, die mit dem Heben, Tragen und Schieben leichterer Lasten verbunden sei. Es sei auch nach dem heutigen Stand der Technik unerklärlich, weshalb die körperliche Beanspruchung im Maurerberuf ein mittleres Maß übersteigen sollte. Diese Ausführungen sind auch dem zwar nicht ausdrücklich, aber inhaltlich geltend gemachten Berufungsgrund der unrichtigen Beweiswürdigung und Tatsachenfeststellung zuzuordnen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung in nichtöffentlicher Sitzung ohne vorangegangene mündliche Verhandlung Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil im klageabweisenden Sinne ab.
Die Beiziehung eines weiteren berufskundlichen Sachverständigen sei nicht erforderlich gewesen, weil die körperlichen und geistigen Anforderungen im Maurerberuf hinlänglich dahin bekannt seien, daß Maurer ihre Arbeiten unter einer mittleren muskulären Dauerleistung verrichten, die mit dem Heben, Tragen und Schieben leichter Lasten verbunden sei. Der Beruf umfasse verschiedene Spezialgebiete, in denen Stein-, Böschungs-, Kanal-, Stollen- und Tunnelmaurer auch schwere Arbeiten zu leisten hätten. Auch Betriebs- und Ofenmaurer würden immer wieder zu schweren körperlichen Tätigkeiten herangezogen. Hingegen sei mit den Tätigkeiten eines Ziegelmaurers, Verputzers oder Fassadenputzers zumindest in größeren Betrieben der Bauwirtschaft keine über ein mittleres Maß hinausgehende körperliche Belastung verbunden. Deshalb könne der Kläger seinen Beruf als Maurer weiterhin ausüben.
Dagegen richtet sich die nicht beantwortete Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit den Anträgen, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinne abzuändern oder es, allenfalls auch das erstgerichtliche Urteil, zwecks Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung aufzuheben.
Rechtliche Beurteilung
Die nach § 46 Abs 3 ASGG auch bei Fehlen der Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässige Revision ist iS des Eventualantrages berechtigt.
Der Revisionswerber macht im wesentlichen geltend, das Berufungsgericht habe die - in der Berufung
bekämpfte - erstgerichtliche Feststellung nicht berücksichtigt, daß er Arbeiten als Maurer und Fassader deshalb nicht mehr verrichten könne, weil bei allen diesen Varianten auch bei maschineller Arbeitsunterstützung das Heben und Tragen von Materialien kalkülüberschreitenden Gewichts nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden könne. Damit führt die Revision inhaltlich den im § 503 Z 2 ZPO bezeichneten Revisionsgrund aus. Wie bereits ausgeführt hat das Erstgericht über die mit dem Maurerberuf verbundenen Arbeitsbelastungen eine förmliche Beweisaufnahme durch einen Sachverständigen für Berufskunde durchgeführt und auf Grund dessen Gutachtens aus in der Beweiswürdigung dargelegten Gründen entscheidungswesentliche Feststellungen getroffen, die in der Berufung bekämpft wurden.
Von diesen ihm offenbar bedenklich erscheinenden erstgerichtlichen Feststellungen hätte das Berufungsgericht nur auf Grund einer dem § 488 ZPO, insbesondere dessen Abs 4 entsprechenden Beweisaufnahme abweichen dürfen.
Das Berufungsverfahren leidet daher an einem wesentlichen Verfahrensmangel iS des § 503 Z 2 ZPO (ähnlich SSV-NF 3/144; 30. 4. 1991 10 Ob S 95/91).
Deshalb war der Revision Folge zu geben, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sozialrechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§§ 496, 499, 510 und 513 ZPO). Sollte das Berufungsgericht von den bekämpften Feststellungen des Erstgerichtes abweichen wollen, wird es wegen der dann nach § 488 ZPO notwendigen Beweisaufnahme gemäß § 492 Abs 2 letzter Satz leg cit eine mündliche Verhandlung anzuordnen haben (Fasching, ZPR2 Rz 1806 ff).
Der Vorbehalt der Entscheidung über den Ersatz der Revisionskosten beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
Anmerkung
E27648European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1991:010OBS00300.91.1022.000Dokumentnummer
JJT_19911022_OGH0002_010OBS00300_9100000_000