TE OGH 1991/10/30 1Ob4/91

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Veröffentlicht am 30.10.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann, Dr.Schlosser, Dr.Graf und Dr.Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Hans D*****, vertreten durch Dr.Alfred Boran, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1.) W***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Werner Masser, Dr.Ernst Grossmann, Dr.Eduard Klingsbigl und Dr.Robert Lirsch, Rechtsanwälte in Wien (gegen die das Berufungsverfahren ruht), 2.) Erich S*****, vertreten durch Dr.Georg Zanger, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 19.November 1990, GZ 14 R 170/90-16, womit infolge Berufung der zweitbeklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 21.Mai 1990, GZ 13 Cg 222/89-10, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der zweitbeklagten Partei die mit S 19.069,20 (einschließlich S 3.178,20 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist Chefredakteur und Herausgeber der periodischen Druckschrift "N*****-Zeitung" und bestimmt als solcher die grundlegende Richtung dieses Mediums. Er ist geistiger Führer und Repräsentant dieser Tageszeitung. Die erstbeklagte Partei ist Medieninhaberin der periodischen Druckschrift "t*****", der Zweitbeklagte ist der Urheber der im "t*****"-Heft 8/89 veröffentlichten "t*****-Karikatur", die sich mit österreichischen Printmedien befaßt. Der obere Teil der Karikatur zeigt die beschuhten Füße und einen Teil der Hose eines über dem Boden schwebenden (erhängten) Menschen, dessen Hut und Brille am Boden liegen und an dessen rechten Hosenbein ein Zettel mit der Aufschrift "Pfui Teufel!" befestigt ist. Darunter sind mehrere österreichische periodische Druckschriften in ihrem erkennenbaren Layout dargestellt, darunter auch die "N*****-Zeitung". Diese zeigt auf ihrem Titelblatt unterhalb der in Balkenlettern gedruckten Schlagzeile "Schweinchen: "Mache alles"!!" das Bild (Gesicht) des Klägers mit bis zur Mundpartie herabreichenden Schweinsohren und in der Form eines gedrungenen, einem Schweinekörper ansatzlos aufgesetzten Schweinskopfes.

Diese Karikatur nimmt, soweit sie die "N***** *****-Zeitung" betrifft, auf eine Artikelserie Bezug, die am 23., 24., 25. und 26.4.1989 in der "N*****-Zeitung" gebracht wurde. Diese Artikel beschäftigten sich mit dem Privatleben der des Mordes verdächtigen Krankenschwester des Krankenhauses Lainz Waltraud W*****. Die Ausgabe vom 23.4.1989 brachte auf S 1 deren Bild mit dem darüber befindlichen Text "Mordschwester war Geheimprostitutierte". Auf S 7 dieser Nummer hieß es unter anderem sie habe sich als "Geheimprostitutierte", als "Schweinchen, das alles macht", entpuppt. Diese Veröffentlichungen in der "N*****-Zeitung" entsprachen nicht den Tatsachen.

Der Kläger stützt sein Klagebegehren, die Beklagten seien schuldig, die Behauptung, er sei ein Schweinchen, das alles mache, unterlassen, auf § 1130 Abs 1 ABGB, weil diese Karikatur sowohl eine Beschimpfung im Sinn des § 115 Abs 1 erster Fall StGB, wie auch den Tatbestand der üblen Nachrede gemäß § 111 Abs 1 StGB darstelle, da sie auf die Aussage hinauslaufe, er sei ein Schwein, das alles mache. Er werde damit eines unehrenhaften oder gegen die guten Sitten verstoßenden Verhaltens beschuldigt, das geeignet sei, ihn in der öffentlichen Meinung herabzusetzen.

Die beklagten Parteien beantragten Abweisung des Klagebegehrens und beriefen sich im wesentlichen auf die im Artikel 17 a StGG (1867) verankerte Kunstfreiheit. Die vom Zweitbeklagten geschaffene, im Wirtschaftsmagazin der erstbeklagten Partei veröffentlichte Karikatur zeihe nicht den Kläger unehrenhaften oder gegen die guten Sitten verstoßenden Verhaltens, sondern prangere unter Verwendung eines der tatsachenwidrigen "Schweinchen-Story" der "N*****-Zeitung" entnommenen Ausdrucks deren Vorgangsweise an, die sinnbildlich den von der Medienlandschaft betroffenen Österreicher zum Erhängen (Rückzug von der Medienlandschaft) bringe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der Kläger sei durch die beschriebene Karikatur in seiner Ehre verletzt worden, diese Verletzung sei auch durch die im Art 17 a StGG gewährleistete Kunstfreiheit nicht zu rechtfertigen, weil durch die Kunst andere gesetzliche Normen nicht verletzt werden dürften.

Wiederholungsgefahr liege schon deshalb vor, weil der Zweitbeklagte eine neuerliche Karikatur "dieser Entscheidung" herstellen oder die Entscheidung kommentieren könnte, was zu einem Wiederaufleben der Beleidigung führen könne.

Das Gericht zweiter Instanz, vor dem das Berufungsverfahren betreffend die erstbeklagte Partei ruht, änderte das Ersturteil in Ansehung des Zweitbeklagten in die Abweisung des Klagebegehrens ab. Die vorliegende Karikatur stelle ein Kunstwerk dar, dem der Schutz des Art 17 a StGG zukomme. Der Karikatur sowie der Satire sei die Tendenz zur Übertreibung inhärent. Die Karikatur könne besondere Freiheiten für sich beanspruchen, die sie erst in die Lage versetzten, ihre Funktion zu erfüllen, nämlich gesellschaftliche und moralische Mißstände in pointierter Kritik aufzuzeigen und vor gesellschaftlichen Fehlentwicklungen zu warnen. Würde sie dieser Freiheiten durch die Forderung nach angepaßter Ausformung beraubt, entzöge man einer durch Jahrhunderte gepflogenen Gattung künstlerischen Schaffens die Existenzgrundlage und brächte damit eine grundlegende menschlich kulturell wertvolle Ausdrucksmöglichkeit zum Verschwinden. Sei die Kunstfreiheit auch keinem besonderen Gesetzesvorbehalt unterstellt, so sei sie doch nicht schrankenlos. Auch der künstlerisch Tätige sei nicht von jeder rechtlichen Verantwortung frei, vielmehr sei ein Ausgleich zwischen der verfassungsrechtlich verbürgten Individualfreiheit und den ihr entgegenstehenden öffentlichen Interessen erforderlich, wobei jedoch grundsätzlich von der - widerlegbaren - Vermutung des Vorranges der Kunst auszugehen sei. Die vom Zweitbeklagten verfaßte Karikatur sei nach der Auffassung des maßgeblichen verständnisvollen Medienempfängers, der bereit sei, sich mit dem Inhalt des Werkes geistig auseinanderzusetzen, als Kritik an der österreichischen Medienlandschaft in Form deren auflagenstärkster und bekanntester Tageszeitungen und Zeitschriften zu erkennen. Fasse man die Überschrift und die mit Schweinsohren und als Schweinskopf verfaßte Abbildung des (Gesichtes des) Klägers als Einheit auf, ergebe sich für den verständnisvollen Medienempfänger der Zusammenhang mit der Kritik der unsachlichen Berichterstattung der "N***** *****-Zeitung" über den angeblich schlüpfrigen Lebenswandel der mordverdächtigen Waltraud W***** zweifellos. Ausschließlich wegen dieser Artikel werde der Kläger als Personifikation der "N*****-Zeitung" mit einem "Schweinchen, das alles mache" verglichen. Damit werde ihm bzw der "N*****-Zeitung" vorgeworfen, nicht dafür zurückzuscheuen, sich das Interesse der Allgemeinheit an der Mordserie im Krankenhaus Lainz und an der des Mordes verdächtigen Krankenschwester zunutze zu machen und unter diesem günstigen Wind eine Artikelserie mit geradezu voyeuristischen Details aus deren angeblichem Privatleben oder Intimleben herauszubringen. Dies wäre selbst dann als zumindest äußerst geschmacklos anzusehen gewesen, wenn der Artikel der Wahrheit entsprochen hätte. Daß der Kläger durch die inkriminierte Darstellung in seiner Ehre verletzt worden sei, könne nicht bezweifelt werden, doch falle die gegen die Kunstfreiheit vorzunehmende Interessenabwägung eindeutig zu seinen Ungunsten aus. Damit fehle es aber an der für die Annahme einer Ehrenbeleidigung erforderlichen Rechtswidrigkeit. Im übrigen wäre aber auch die für das Unterlassungsbegehren jedenfalls erforderliche Wiederholungsgefahr nicht gegeben, weil die vorliegende Karikatur aus einer ganz bestimmten, unwiederholbaren Situation heraus geschaffen worden und die Wiederholung einer gleichen oder ähnlichen Darstellung auszuschließen sei.

Die ordentliche Revision sei schon deshalb zulässig, weil speziell zu den Kunstformen der Karikatur oder Satire im Konflikt mit privaten Ehrverletzungen höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Die gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revision des Klägers ist nicht berechtigt.

Wie bei der Behandlung der Rechtsrüge zu zeigen sein wird, liegt eine relevante Aktenwidrigkeit des Berufungsurteils nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Rechtliche Beurteilung

Da schon im Hinblick darauf, daß der Zweitbeklagte die beanstandete Karikatur in einem Karikaturenband veröffentlichen könnte, entgegen der vom Berufungsgericht vertretenen Ansicht die Wiederholungsgefahr in der geltend gemachten Richtung einer Verletzung des § 1330 Abs 1 ABGB nicht schon von vornerhein ausgeschlossen werden kann, ist in die Prüfung des Klagsanspruchs im Lichte der vom Beklagten dagegen unter Berufung auf die Kunstfreiheit erhobenen Einwendungen einzutreten; daß auch dem in seiner Ehre Verletzten ein Unterlassungsanspruch zusteht, entspricht Rechtsprechung und Lehre (EvBl 1983/91; Harrer in Schwimann, Rz 4 zu § 1330; Reischauer in Rummel, Rz 4 zu § 1330).

Gemäß Art 17 a StGG 1867 sind das künstlerische Schaffen, die Vermittlung von Kunst sowie deren Lehre frei. Über die Zielsetzungen des Verfassungsgesetzgebers, bei der Schaffung dieser Verfassungsbestimmung (mit dem BGBl 1982/262) und über die der verfassungsrechtlich gewährleisteten Kunstfreiheit im allgemeinen gesetzten Schranken gegenüber anderen Grund- und Freiheitsrechten, so auch gegenüber dem Recht der privaten Ehre, wird vorerst zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidung des erkennenden Senates SZ 61/210 (= EvBl 1989/47 = MR 1989, 15) verwiesen, die zum Fernsehfilm "Der Aufstand" ergangen ist und den österreichischen und deutschen Meinungs- und Rechtsprechungsstand ausführlich darlegt. In der Revision bekämpft der Kläger den Rang der vorliegenden Karikatur als Kunstwerk nicht mehr, sodaß - sonst ohnedies auch zu dieser Beurteilung führende - weitere Erörterungen und Begründungen entbehrlich sind.

Von der im Sinne der genannten Entscheidung SZ 61/210 zwischen der Kunstfreiheit und der privaten Ehre der mit dem Kunstwerk angegriffenen Person vorzunehmenden Güterabwägung ist zunächst auf die vorliegend zu beurteilende Kunstform der mit der Satire eng verwandten Karikatur näher einzugehen. Das Wesen der Karikatur und der Satire besteht in der bildlichen und/oder wörtlichen Verzerrung und Übertreibung der Wirklichkeit zum Zweck der Geißelung oder Rüge von Mißständen (vgl Würtenberger, Karikat und Satire aus strafrechtlicher Sicht, NJW 1982, 610 ff, 611 mit Nachweisen in Anm 8). Traditionell sind Karikaturen und Satire in ihrer äußeren Darbietung meist frech, frivol oder auch schamlos, somit häufig beleidigend oder herabsetzend. Um sie im Konflikt mit Rechtsverletzungen gegen andere Rechtsträger zu beurteilen, bedarf es zunächst ihrer Entzerrung und damit der Gewinnung des "Aussagekerns", der in erster Linie auf seine Verletzungseignung zu untersuchen ist. Erst dann ist auch die satirsche oder karikaturistische Einkleidung der Aussage darauf hin zu überprüfen, ob sie sich im Rahmen des dieser Kunstform "Erlaubten" hielt oder andere Rechtsgüter, wie etwa die Ehre des Karikierten verletzt hat. Dabei sind an die Beurteilung der Form (der Verfremdung, der Verzerrung) im Sinne der Kunstfreiheit nicht allzu strenge Maßstäbe zu legen, so daß erst die Verletzung des Kerns der menschlichen Ehre, der Menschenwürde oder des gesamten öffentlichen Ansehens einer Person der äußeren Form "Satire oder Karikatur" jedenfalls Grenzen setzen, und nicht schon jede - wenn auch sonst (außerhalb der Beurteilung der Kunstfreiheit) beleidigende Bezeichnung oder Darstellung (Würtenberger aaO 612; derselbe, Satire und Karikatur in der Rechtsprechung, NJW 1983, 1144 ff; EuGRZ 1988, 270; ZUM 1990, 471 ff, 475; OLG Wien in MR 1986, 17).

Dem Berufungsgericht ist beizupflichten, daß der Aussagekern der inkriminierten Karikatur vor allem wegen der Verwendung des von der "N*****-Zeitung" selbst in der angegriffenen Artikelserie gewählten Wortspiels "Schweinchen, mache alles" von dem in der Medienlandschaft stehenden Beobachter als Kritik an der unsachlichen und unrichtigen Berichterstattung der "N*****-Zeitung" über das angeblich anrüchige Privatleben der wegen Mordverdachtes inhaftierten Waltraud W***** verstanden wird, die man im weitesten Sinn als "journalistische Schweinerei" bezeichnen kann. Der Bezeichnung "Schweinerei" wurde vom 4.Senat des Obersten Gerichtshofs im Beschluß vom 9.1.1990, 4 Ob 169/89, die Eignung als unsachliche oder unnötige Herabsetzung der "N*****-Zeitung" unter Hinweis auf deren Berichterstattung aberkannt.

Daß der Kläger als Repräsentant (Chefredakteur und Herausgeber) der "N*****-Zeitung" mit Schweinsohren und nach der erstrichterlichen Feststellung in der gedrungenen Form eines Schweinskopfes mit seinen Gesichtszügen dargestellt wurde, vermag der an sich zweifellos beleidigenden und herabsetzenden Darstellung gegenüber der Freiheit der Kunst in der Form der Karikatur im Rahmen der Abwägung der widerstreitenden Rechtsgüter noch nicht zum Übergewicht zu verhelfen. Diese Darstellung nimmt einerseits bildlich auf den Text "Schweinchen, mache alles" Bezug, erscheint auch keineswegs äußerst aggressiv oder entwürdigend, sondern münzt vielmehr das von der "N*****-Zeitung" zu Unrecht gegen Waltraud W***** verwendete Wortspiel in ätzender Form auch bildlich auf den Kläger als Personifikation der "N*****-Zeitung" um. Der Freiheit der Kunst in Form der kritisierten Karikatur gegen Mißstände in der Medienlandschaft ist daher bei der hier vorzunehmenden Güterabwägung gegenüber der Ehrverletzung des Klägers der Vorrang zu geben. Das mit der äußeren Form der Karikatur gegenüber dem Kläger gesetzte beleidigende Verhalten des Zweitbeklagten ist somit nicht rechtswidrig. Demgemäß bleibt die Revision ohne Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 50, 41 ZPO.

Anmerkung

E27676

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:0010OB00004.91.1030.000

Dokumentnummer

JJT_19911030_OGH0002_0010OB00004_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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