Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Redl, Dr. Kellner und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Martina M*****, geboren am 1. Februar 1973, vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie, 10. Bezirk, infolge Revisionsrekurses der Minderjährigen gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 13. August 1991, GZ 44 R 454, 455/91-128, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Favoriten vom 18. April 1991, GZ 2 P 11/86-119, abgeändert wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Rechtssache wird an das Erstgericht zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.
Text
Begründung:
Der eheliche Vater der Minderjährigen, Ernst M*****, war auf Grund des Beschlusses des Erstgerichtes vom 7. 9. 1990 zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von S 5.900 an seine in Pflege und Erziehung der Mutter stehende Tochter verpflichtet. Mit dem Vorbringen, in die Unterhaltsbemessungsgrundlage sei für die Dauer eines - inzwischen abgelaufenen - Jahres auch eine erhaltene Abfertigung einbezogen worden, er habe im Jänner 1991 lediglich eine Arbeitslosenunterstützung von S 12.915 erhalten und beziehe seit 1. 2. 1991 Sonderunterstützung von monatlich nur S 8.332, er habe auch für seine geschiedene Ehefrau und seinen 1970 geborenen noch nicht selbsterhaltungsfähigen Sohn zu sorgen, begehrte der Vater die Herabsetzung des Unterhaltes auf S 1.650 monatlich.
Der Unterhaltssachwalter sprach sich gegen diesen Antrag insbesondere deshalb aus, weil der Vater seinen Liegenschaftsbesitz weit unter dem Schätzwert an seine Lebensgefährtin verkauft habe und der Erlös zum Unterhalt heranzuziehen sei.
Das Erstgericht stellte fest, daß sich die Minderjährige in Pflege und Erziehung der Mutter befindet, noch die Schule besucht und kein eigenes Einkommen hat. Der Vater strebt seit seiner Kündigung als Außendienstangestellter durch den Arbeitgeber zum 31. 12. 1989 die Pensionierung an. Er erhielt eine Abfertigung in Höhe von 12 Monatsgehältern, welche ab 1. 1. 1991 nicht mehr in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einbezogen werden könne.
Ausgehend von einem Arbeitslosenbezug von S 12.915 im Jänner 1991 und Sonderunterstützung von monatlich S 8.332 ab 1. 2. 1991 und den weiteren Sorgepflichten sei dem Vater für Jänner 1991 nur ein Unterhaltsbeitrag von S 2.200 und danach nur ein solcher von S 1.650 monatlich zumutbar. Der aus dem Verkauf des dem Vater gehörenden Einfamilienhauses erzielte Erlös könne als zusätzlicher Ertrag nicht als Einkommen zur Verwendung für die laufenden Auslagen angesehen werden und sei daher in die Bemessungsgrundlage nicht einzubeziehen.
Das Rekursgericht ermittelte beim Arbeitsamt Versicherungsdienste, daß der Vater ab 1. 1. 1991 für das gesamte Kalenderjahr eine Sonderunterstützung von monatlich S 15.309 erhält. Es gab dem Rekurs der Minderjährigen teilweise Folge, verpflichtete den Vater ab 1. 1. 1991 zu einem monatlichen Unterhaltsbeitrag von S 2.200 und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
Es führte rechtlich aus, ein Unterhaltspflichtiger sei zwar bei einem zur Deckung der angemessenen Bedürfnisse unzureichenden Einkommen dazu verhalten, nicht nur auf die Erträgnisse seines Vermögens, sondern sogar auf dessen Substanz zu greifen. Eine Berücksichtigung auch des Vermögens sei aber im allgemeinen nur insoweit zulässig und geboten, als nicht zumindest ein Durchschnittseinkommen vorhanden sei, um die laufenden Bedürfnisse zu decken und als das Vermögen auch einen ständigen Ertrag abwerfe. Da der Vater über monatliche Einkünfte von rund S 15.300 netto verfüge, ermöglichten diese die Deckung der Bedürfnisse. Wenn auch der der Minderjährigen zuerkannte monatliche Unterhalt den Regeldurchschnittsbedarf vergleichbarer Minderjähriger unterschreite, sei der festgesetzte Unterhaltsbeitrag in der Leistungsfähigkeit des Vaters begründet, so daß die Unterhaltsberechtigte auch die verminderte Leistungsfähigkeit in Kauf nehmen müsse. Eine Heranziehung des Verkaufserlöses des Wohnhauses in M***** sei nicht vorzunehmen, abgesehen davon, daß nach der Aktenlage der Verkaufserlös zur Schuldentilgung verwendet worden sei. Eine Anspannung auf Vermögenserlöse sei nicht vorzunehmen. Der ordentliche Revisionsrekurs sei im Hinblick auf die zitierte Judikatur nicht zuzulassen.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist berechtigt.
Zutreffend wird ausgeführt, daß eine einheitliche Judikatur der Rekursgerichte zur Frage der Heranziehung des Vermögens bei der Unterhaltsbemessung in Fällen, bei denen die laufenden Einkünfte nicht einmal den Regelbedarf decken, nicht besteht. Einerseits wurde ausgesprochen, daß für den Kindesunterhalt nicht nur das Einkommen, sondern auch das Vermögen des Unterhaltspflichtigen maßgeblich ist und herangezogen werden muß (so EFSlg 48.867 mwN). Andererseits wiederum wurde die Berücksichtigung auch des Vermögens des Unterhaltspflichtigen auf ständige Erträgnisse oder Fälle eingeschränkt, in denen der Unterhaltspflichtige zur Deckung der Kosten der von ihm gewählten Lebensführung die Substanz seines Vermögens angreift (EFSlg. 50.371) oder die Prüfung der Zumutbarkeit im Einzelfall gefordert (EFSlg. 48.867).
Die Unterhaltsbemessung hat sich an den im § 140 Abs 1 ABGB genannten Faktoren, also vor allem neben den Bedürfnissen des Kindes an der Leistungsfähigkeit des zur Zahlung von Geldunterhalt verpflichteten Elternteiles zu orientieren. Dabei ist, wie der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat, nicht nur das durchschnittliche Arbeitseinkommen oder ein diesem gleichgestelltes Einkommen, sondern auch das Vermögen für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit maßgebend, weil diese Faktoren die Lebensverhältnisse wesentlich bestimmen. Die Eltern müssen daher im Rahmen des Zumutbaren zur Erfüllung ihrer Unterhaltsverpflichtungen auch ihr Vermögen angreifen, soweit die erforderlichen Unterhaltsleistungen nicht aus dem laufenden Einkommen bestritten werden können (SZ 54/52; RZ 1991/44; 5 Ob 576/90; Pichler in Rummel ABGB2 Rz 4 zu § 140).
Bedenkt man, daß der als Mindestbedarf anzusehende Regelbedarf Minderjähriger in der Altersklasse der hier Unterhaltsberechtigten bis 30. 6. 1991 bei S 3.570 lag und ab 1. 7. 1991 S 3.690 monatlich beträgt, kann nicht zweifelhaft sein, daß mit dem vom Rekursgericht angenommenen Unterhaltsbeitrag von S 2.200 die vor allem maßgeblichen Unterhaltsbedürfnisse der Unterhaltsberechtigten nicht annähernd befriedigt werden können. Der Unterhaltsschuldner darf jedoch nicht über seine konkrete Leistungsfähigkeit hinaus zu Unterhaltsleistungen verhalten werden. Es ist daher jeweils nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles zu prüfen, ob und in welchem Umfang die Heranziehung auch eines vorhandenen Vermögensstammes - daß die Erträgnisse eines Vermögens als zusätzliches Einkommen in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen sind, steht außer Frage - zumutbar ist. So wird bei einem Einfamilienhaus, wie es der Unterhaltspflichtige besessen hat, eine Veräußerung dann nicht zumutbar sein, wenn damit der Verlust der Deckung des dringenden eigenen Wohnbedürfnisses des Unterhaltsschuldners droht. Dies ist hier aber offensichtlich nicht der Fall, weil der Unterhaltspflichtige das Wohnhaus aus freien Stücken verkauft und eine andere Wohnmöglichkeit zur Verfügung hat. Eine Belastung durch Hypothekarkredit käme nur in Betracht, wenn dieser in absehbarer Zeit aus vorhandenen Einnahmen zurückgezahlt werden kann. Es könnte allerdings zur Erzielung laufender Einnahmen auch an eine Vermietung gedacht werden.
Wenn aber der Unterhaltspflichtige die Substanz seines Vermögens angreift, um damit die Kosten der von ihm gewählten Lebensführung zu decken, dann kann dieses Maß der Inanspruchnahme auch als Grundlage für die Bemessung des Unterhaltsanspruches der Kinder dienen. Dabei sind jedenfalls die aus der marktgerechten Veräußerung bei bestmöglicher Veranlagung erzielbaren hypothetischen Erträgnisse aus dem Veräußerungserlös zu berücksichtigen. Sollte damit der Unterhaltsbedarf des Kindes nicht gedeckt werden können, ist auch ein längerfristig aufgeteilter Anteil des Unterhaltsberechtigten am Vermögensstamm zu berücksichtigen. So hat der Oberste Gerichtshof zu 5 Ob 576/90 ausgesprochen, daß die dem Unterhaltspflichtigen aus einem erbrechtlichen Anspruch, wie etwa zur Abfindung der Erb- oder Pflichtteilsansprüche, zufließenden Geldbeträge bei der Beurteilung seiner Kräfte nicht unberücksichtigt bleiben dürfen, sondern es ihm gestatten, seiner Verpflichtung zur Leistung des auch danach zu beurteilenden angemessenen Unterhaltes nachzukommen.
Im vorliegenden Fall liegt aus dem ehelichen Aufteilungsverfahren ein Schätzungsgutachten vom 10. 12. 1990 im Akt, das den Verkehrswert des Einfamilienhauses in M***** mit S 1,860.000 beziffert. Es fällt auf, daß der Unterhaltsverpflichtete die Liegenschaft mehr als zwei Jahre später - inzwischen sind die Grundstücks- und Wohnungspreise gerade in der Umgebung von Wien erheblich gestiegen - nach dem vorgelegten schriftlichen Kaufvertrag um wenig mehr als die Hälfte dieses Schätzwertes, nämlich um eine Million Schilling, an Frau Caroline SCH***** verkauft hat, welche nach den Behauptungen der Mutter und des Unterhaltssachwalters die Lebensgefährtin des Vaters sein soll. Diese hat zum Unterhaltsherabsetzungsantrag des Vaters vom 15. 5. 1989 (ON 93) eine Bestätigung ausgestellt, daß der Unterhaltspflichtige auf ein ihm seit 1988 in Teilbeträgen gewährtes Darlehen von S 180.000 im Jänner 1990 S 120.000 zurückgezahlt habe. Nach dem wenige Monate später abgeschlossenen schriftlichen Kaufvertrag vom 10. 12. 1990 soll der Kaufpreis der Liegenschaft zum größeren Teil mit einer Frau SCH***** angeblich zustehenden - auf der Liegenschaft jedenfalls nicht sichergestellten - Darlehensforderung von S 600.000 (!) aufgerechnet werden und sie sich verpflichten, den Restkaufpreis von S 400.000 zur Rückzahlung von zwei auf der Liegenschaft sichergestellten Darlehen aus den Jahren 1987 und 1988, die im Grundbuchsauszug mit S 240.000 und S 120.000 zuzüglich nur 3 % Zinsen und 3 % Zinseszinsen ausgewiesen sind, zu verwenden. Schließlich ergibt sich aus den im Akt erliegenden Urkunden auch, daß der Unterhaltspflichtige Eigentümer zweier weiterer Baugründe sowie Pächter eines Feriensiedlungsgrundstückes samt einem - inzwischen ebenfalls an Frau SCH*****
verkauften - Mobilheim ist, so daß die Zumutbarkeit der teilweisen Heranziehung von veräußertem Grundvermögen zur Erfüllung der Unterhaltsverpflichtung auch unter diesem Gesichtspunkt beurteilt werden muß.
Im fortgesetzten Verfahren werden daher im Sinne der obigen Ausführungen nicht nur die näheren Umstände des Liegenschaftsverkaufes, des vereinbarten Kaufpreises und dessen Verwendung, sondern auch der mögliche Ertrag aus einem angemessenen Kaufpreiserlös oder einer Vermietung zu ermitteln sein. Erst dann sind die Voraussetzungen für die Ermittlung einer den Umständen des vorliegenden Falles gerecht werdenden Unterhaltsbemessungsgrundlage gegeben. Die bloße Berücksichtigung der monatlichen Sonderunterstützung des Vaters für die Bemessung des Unterhaltes der Minderjährigen kommt entgegen der Ansicht des Rekursgerichtes nicht in Betracht.
Anmerkung
E27774European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1991:0060OB00625.91.1107.000Dokumentnummer
JJT_19911107_OGH0002_0060OB00625_9100000_000