Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Herbert Vesely (Arbeitgeber) und Reinhard Horner (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Franz G*****, Pensionist, ***** vertreten durch Dr. Reinhard Tögl, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei PENSIONSVERSICHERUNGSANSTALT DER ANGESTELLTEN, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Rückforderung eines Überbezuges an Ausgleichszulage (Streitwert S 123.060,70), infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 5. 6. 1991, GZ 7 Rs 45/91-20, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 24. Jänner 1991, GZ 33 Cgs 91/90-13, teilweise aufgehoben wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Rekurskosten bilden weitere Kosten des Verfahrens erster Instanz.
Text
Begründung:
Der am 11. 12. 1923 geborene Kläger bezieht seit September 1979 die Berufsunfähigkeitspension von der beklagten PENSIONSVERSICHERUNGSANSTALT DER ANGESTELLTEN. Mit 1. 3. 1980 wurde ihm eine Ausgleichszulage zuerkannt und dabei der Familienrichtsatz zugrundegelegt. Am 24. 11. 1983 verstarb die Ehegattin des Klägers. Am 29. 11. 1983 übermittelte er der Außenstelle Graz der beklagten Partei einen formularmäßigen Antrag auf "Bestattungskostenzuschuß für die verstorbene Frau", dem er neben der Sterbeurkunde verschiedene Bestattungskostenrechnungen anschloß. Die Außenstelle Graz der beklagten Partei übermittelte diesen Antrag samt Beilagen noch am selben Tag der zuständigen STEIERMÄRKISCHEN GEBIETSKRANKENKASSE, die den Antrag in der Folge erledigte. Am 17. 3. 1990 teilte der Kläger anläßlich der Überprüfung des Ausgleichszulagenbezuges der beklagten Partei mit, daß er seit 24. 11. 1983 verwitwet sei. Daraufhin stellte die beklagte Partei mit dem angefochtenen Bescheid die Ausgleichszulage ab 1. 12. 1983 neu fest; weiters sprach sie aus, daß der Kläger zur Rückzahlung des entstandenen Überbezuges von - nunmehr eingeschränkt - S 123.060,70 verpflichtet sei.
Der Kläger bekämpfte mit rechtzeitiger Klage die Auferlegung der Rückzahlungsverpflichtung mit dem Vorbringen, er habe den Tod seiner Ehegattin ordnungsgemäß gemeldet.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Der Kläger habe den Tod seiner Ehegattin erst am 17. 3. 1990 angezeigt und damit gegen seine Meldepflicht verstoßen. Außerdem hätte ihm der Überbezug auch auffallen müssen.
Das Erstgericht erkannte - vom ursprünglichen Rückforderungsbetrag von S 142.684,40 ausgehend - die beklagte Partei schuldig, gegenüber dem Kläger von der Rückforderung eines Überbezuges von S 110.311,40 Abstand zu nehmen. Das Mehrbegehren hinsichtlich eines weiteren Überbezuges von S 32.373 wies das Erstgericht ab; es erkannte den Kläger schuldig, diesen Betrag in monatlichen aufeinanderfolgenden Teilbeträgen von S 200 beginnend ab 1. 5. 1990 rückzuerstatten. In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, daß der Kläger zwar keine ausdrückliche Meldung des Todes seiner Ehegattin an die beklagte Partei erstattet habe, daß sich die zu meldende Tatsache aber eindeutig aus dem der beklagten Partei am 29. 11. 1983 zugegangenen Antrag auf Bestattungskostenzuschuß samt Sterbeurkunde ergeben habe, so daß dem Kläger auch eine nur leicht fahrlässige Verletzung von Meldepflichten nicht vorzuwerfen sei; auch habe ihm der Überbezug nicht auffallen müssen, da er mit Übersendung der Sterbeunterlagen betreffend seine Ehegattin an die beklagte Partei damit habe rechnen können, daß diese darauf ausreichend Bedacht nehmen werde.
Das Berufungsgericht hob das Urteil im angefochtenen Umfang auf und verwies die Sozialrechtssache zur Verhandlung und Urteilsfällung an das Prozeßgericht erster Instanz zurück. Es sprach aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Zu dem Rückforderungsbegehren der beklagten Partei führte das Berufungsgericht aus:
Der Ausgleichszulagenbezieher sei verpflichtet, jeden Umstand, der eine Änderung des Richtsatzes bedinge, dem Pensionsversicherungsträger gemäß § 40 ASVG anzuzeigen (§ 298 Abs 1 ASVG). Schon eine leicht fahrlässige Verletzung dieser Pflicht berechtige zur Rückforderung daraus allenfalls resultierender Ausgleichszulagenüberbezüge. Dabei habe der Versicherungsträger das Vorliegen eines Meldepflichtverletzungstatbestandes, der Versicherte seine Schuldlosigkeit daran zu beweisen, wobei er jenen Grad des Fleißes und der Aufmerksamkeit anzuwenden habe, der bei gewöhnlichen Fähigkeiten angewendet zu werden pflege. Die Unkenntnis der gesetzlichen Bestimmungen über Meldepflicht könnte den Meldepflichtigen regelmäßig nicht entschuldigen (SSV-NF 1/69). Das Gesetz gehe also grundsätzlich davon aus, daß der Ausgleichszulagenbezieher seine Meldepflicht kenne. Daß es hier entschuldbar anders gewesen wäre, sei nicht behauptet und auch sonst nicht aktenkundig. Der Kläger habe demnach in Kenntnis seiner Meldepflicht an die für die Erledigung unzuständige beklagte Partei einen Antrag auf Bestattungskostenzuschuß samt beiliegender Sterbeurkunde in der Erwartung gestellt, mit dieser Eingabe auch seiner Anzeigepflicht entsprochen zu haben. Dieser Erwartung habe er bei Anwendung gewöhnlicher Fähigkeiten und Kenntnisse eines Ausgleichszulagenbeziehers nur sein dürfen, wenn er sich darauf verlassen hätte dürfen, daß diese Eingabe (oder eine davon herzustellende Kopie) nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge unter der Annahme üblicher Sorgfalt aller mit der Eingabe befaßten Angestellten der beklagten Partei bei dieser letztlich in die zuständige Abteilung gelangen würde (Pichler in ZAS 1967, 103 ff, besonders 105; vgl. auch SSV 14/31 und JBl 1973, 434 = SSV 12/66). Seit dies objektiv nur als möglich, nicht aber als sicher anzusehen gewesen, dann habe sich der Kläger - stets eine Anzeigeabsicht unterstellt - auch nicht darauf verlassen dürfen. Sein Schreiben sei an die Außenstelle Graz der beklagten Partei gerichtet und schon in der Überschrift als Verlangen nach Bestattungskostenzuschuß (richtig: Bestattungskostenbeitrag nach dem seinerzeitigen § 169 ASVG) gekennzeichnet gewesen. Der Kläger habe sich offensichtlich vor Übersendung der Eingabe nicht darüber informiert, welcher Sozialversicherungsträger für diesen Antrag entscheidungs- und leistungszuständig sei. Er habe damit riskiert, daß die Einbringung beim unzuständigen Sozialversicherungsträger zu einer unverzüglichen Weiterleitung des Antrages an die zuständige Stelle geführt habe (§ 6 Abs 1 AVG). Bei Anlegung des Maßstabes gewöhnlicher Sorgfalt und Aufmerksamkeit sei auch zu unterstellen, daß dem Kläger bekannt gewesen sei, daß die beklagte Partei eine große Zahl von Versicherten zu betreuen habe, was einer vielfach gegliederten Organisation bedürfe (vgl. SSV 14/31). Deshalb werde auch verlangt, daß die Anzeige nach § 298 Abs 1 ASVG in Form einer auf Erfüllung der Meldepflicht abgestellten und daher als solche erkennbaren Mitteilung abgefaßt werde (vgl. JBl 1973, 434 = SSV 12/66). Dem habe die Eingabe des Klägers nicht entsprochen. Die - inhaltlich ungeprüfte - Weiterleitung sei entsprechend dem Gesetz und dem Interesse des Klägers prompt erfolgt; darauf habe der Kläger einen gesetzlichen Anspruch gehabt. Er hätte daher auch damit rechnen müssen, daß entsprechend diesem Gebot gehandelt werden würde. Damit sei es aber nur mehr als möglich anzusehen gewesen, daß die Eingabe etwa zufolge außergewöhnlicher Sorgfalt eines sie behandelnden Angestellten der beklagten Partei in die für die Ausgleichszulagenfeststellung zuständige Abteilung gelangen würde. Schließlich sei nach dem Inhalt der Eingabe samt Beilagen nicht einmal erkennbar gewesen, ob es sich beim Kläger um einen Pensionisten, geschweige denn um einen Ausgleichszulagenbezieher handelte. Die diesbezügliche Klärung wäre erst nach Zuordnung der Eingabe zu einem auszusuchenden Pensionsakt vorzunehmen gewesen. Daß bei der beklagten Partei mit solcher Akribie vorgegangen werden würde, habe der Kläger nicht erwarten dürfen. Er habe daher das Risiko der inhaltlich ungeprüften Weiterleitung seiner Eingabe an den zuständigen Sozialversicherungsträger getragen und sei in einem solchen Fall am Fehlen der Kenntnisnahme der beklagten Partei vom Ableben seiner Ehegattin nicht verschuldensfrei. Die beklagte Partei sei zur Rückforderung des wegen unrichtiger Richtsatzanwendung entstandenen Ausgleichszulagenüberbezuges berechtigt. Eine rechnerische Rekonstruktion des Betrages sei wegen Fehlens entsprechender Feststellungen nicht möglich. Deshalb sei die Rechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen.
Gegen diesen Beschluß richtet sich der Rekurs des Klägers mit dem Antrag in der Sache selbst auf gänzliche Klagsstattgebung zu erkennen.
Die beklagte Partei beantragte, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Der Rekurs ist nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Gegenstand des Rekursverfahrens ist nur die Frage, ob ein Rückforderungstatbestand nach § 107 Abs 1 ASVG vorliegt.
Die im angefochtenen Urteil enthaltene rechtliche Beurteilung, daß der Kläger einen (der Höhe nach rechnerisch noch näher aufzuklärenden) Überbezug an Ausgleichszulage durch eine Verletzung der Meldevorschriften (§§ 40, 298 Abs 1 ASVG) herbeigeführt hat (§ 107 Abs 1 ASVG), ist zutreffend (§ 48 ASGG).
Ergänzend ist auszuführen:
Aus dem Antrag des Klägers vom 28. 11. 1983 auf Bestattungskostenzuschuß ging zwar hervor, daß seine Ehefrau am 24. 11. 1983 verstorben war; die beklagte Partei, die zur Behandlung dieses Antrages unzuständig war, leitete ihn aber völlig korrekt noch am selben Tag, also "ohne unnötigen Aufschub" an die zuständige Gebietskrankenkasse weiter (§ 6 Abs 1 AVG iVm § 357 Abs 1 ASVG), weshalb er einem für Pensionsfragen des Klägers zuständigen Sachbearbeiter der beklagten Partei nicht zur Kenntnis gelangen konnte. Die Eingabe des Klägers enthielt keinen Hinweis darauf, daß er von der beklagten Partei eine Ausgleichszulage oder auch nur eine Pension beziehe. Zu berücksichtigen ist aber auch, daß die Eingabe ganz offensichtlich gar nicht den Zweck verfolgte, einer Meldepflicht zu entsprechen, daß es mit anderen Worten also gar nicht in der Absicht des Klägers lag, einen Umstand zu melden, der seine Ausgleichszulage reduzieren würde, sondern daß er vielmehr bezweckte, eine zusätzliche Sozialleistung zu erlangen. Unter diesen Umständen kann von einer "gezielten" Meldung, also einer solchen, die als den Pensionsakt des Klägers betreffend zu erkennen war, keine Rede sein. Die Eingabe war aber auch nicht undeutlich in dem Sinn, daß sie die beklagte Partei zu einer Rückfrage verpflichtet hätte. Jeder verständige Betrachter konnte diese Eingabe samt den angeschlossenen Beilagen einzig und allein als Antrag auf Bestattungskostenbeitrag erkennen, für dessen Behandlung allerdings eindeutig die örtlich zuständige Gebietskrankenkasse berufen war.
Gerade deshalb durfte der Kläger nicht darauf vertrauen, daß die beklagte Partei seinen Antrag samt Beilagen als für den Bezug der Ausgleichszulage relevante Meldung erkennen mußte; die unverzügliche Weiterleitung an die zuständige Gebietskrankenkasse ohne vorherige sachliche Prüfung des Begehrens war daher die einzige zu erwartende Reaktion der beklagten Partei. Entgegen der Ansicht des Klägers steht auch nicht fest, daß die beklagte Partei seit 29. 11. 1983 vom Ableben der Ehegattin wußte. Ebenso wie der Sozialversicherungsträger nicht verpflichtet ist dafür zu sorgen, daß ein für den Anspruch auf Ausgleichszulage maßgebender Umstand, der in einem eine andere Person betreffenden Verfahren entsteht oder dort bekannt wird, auch in dem den Ausgleichszulagenempfänger betreffenden Akt aktenkundig gemacht wird (SSV-NF 4/91), besteht auch keine Verpflichtung des Pensionsversicherungsträgers dafür zu sorgen, daß jeder bei ihm einlangende Antrag, zu dessen Erledigung ein anderer Sozialversicherungsträger zuständig ist, vor Weiterleitung an diesen - auch ohne jeglichen diesbezüglichen
Anhaltspunkt - darauf überprüft wird, ob nicht auch bei ihm ein Verfahren anhängig ist, für das die Eingabe von Bedeutung sein könnte. Daß aber der auf einen Bestattungskostenbeitrag Anspruchsberechtigte kein Pensionsempfänger sein mußte, ergab sich eindeutig aus § 170 ASVG. Daher kann nicht davon ausgegangen werden, daß einer maßgeblichen Stelle der beklagten Partei der Tod der Ehegattin rechtzeitig bekannt war.
Da die Rückforderung schon wegen einer Verletzung der Meldevorschriften begründet ist, braucht nicht mehr geprüft zu werden, ob sie nicht auch deshalb zu Recht besteht, weil der Kläger erkennen mußte, daß die Leistung an Ausgleichszulage nach dem Tod seiner Ehegattin nicht mehr in dieser Höhe gebürte, dies vor allem mit Rücksicht auf den erheblichen Unterschied der maßgeblichen Richtsätze nach § 293 Abs 1 lit a sublit aa und bb ASVG, dh der Richtsätze für Alleinstehende und für Verheiratete, die mit dem Ehegatten (der Ehegattin) im gemeinsamen Haushalt leben.
Der Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes beruht auf richtiger rechtlicher Beurteilung der Sache. Dem Rekurs war daher ein Erfolg zu versagen.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
Anmerkung
E26913European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1991:010OBS00273.91.1112.000Dokumentnummer
JJT_19911112_OGH0002_010OBS00273_9100000_000