TE Vwgh Erkenntnis 2006/1/17 2002/18/0290

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Veröffentlicht am 17.01.2006
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1997 §27;
FrG 1997 §8;
FrG 1997 §84;
FrG 1997 §94 Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des N, geboren 1976, vertreten durch Dr. Heinz Rindler, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Strauchgasse 1-3, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 1. Oktober 2002, Zl. SD 816/02, betreffend Zurückweisung einer Berufung i.A. der Versagung einer Aufenthaltserlaubnis, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 1. Oktober 2002 wurde die vom Beschwerdeführer, einem nigerianischen Staatsangehörigen, gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien (der Erstbehörde) vom 29. August 2002 - damit war sein Antrag vom 2. Mai 2002 auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck "Student" gemäß § 7 Abs. 4 Z. 1 iVm § 10 Abs. 1 Z. 1 und 3 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, abgewiesen worden - erhobene Berufung gemäß § 94 Abs. 3 "AVG" (offensichtlich gemeint: FrG) als unzulässig zurückgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass gegen die Versagung einer Erstaufenthaltserlaubnis gemäß § 94 Abs. 3 "leg. cit." eine Berufung nur zulässig sei, wenn der Fremde geltend mache, die Aufenthaltserlaubnis zur Fortsetzung bestehenden Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK zu benötigen. In seiner Berufung mache der Beschwerdeführer geltend, dass in Österreich ein namentlich genannter Cousin lebte und die Nichterteilung einer Aufenthaltserlaubnis das Recht des Beschwerdeführers auf Privat- und Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK verletzte.

Mit diesem Vorbringen habe der Beschwerdeführer die Zulässigkeit seiner Berufung nicht begründen können. Zum einen habe er die Behauptung, dass es sich bei der namentlich genannten Person um seinen Cousin handelte, unbelegt gelassen. Vielmehr habe er noch in seiner Stellungnahme vom 8. Juli 2002 angegeben, in Österreich keine Familienangehörigen zu haben. Zum anderen könne bei Personen, die nicht im gemeinsamen Haushalt lebten, nur dann von einem Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK ausgegangen werden, wenn diese Personen zueinander im Verhältnis Eltern zu Kindern oder Ehepartnern stünden. Da der Beschwerdeführer mit dem angeblichen Cousin nicht im gemeinsamen Haushalt lebe (bzw. gelebt habe), mit diesem sohin ein Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK weder gegeben gewesen sei noch sei, könne der Beschwerdeführer den begehrten Aufenthaltstitel auch nicht zur Fortsetzung bestehenden Familienlebens im Sinn des § 94 Abs. 3 "leg. cit." benötigen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts, in eventu Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 94 Abs. 1 FrG entscheidet über Berufungen gegen Bescheide nach diesem Bundesgesetz, sofern nicht anderes bestimmt ist, die Sicherheitsdirektion in letzter Instanz. Nach § 94 Abs. 3 leg. cit. ist gegen die Versagung einer Erstaufenthaltserlaubnis eine Berufung nur zulässig, insoweit der Beschwerdeführer geltend macht, den Aufenthaltstitel zur Fortsetzung bestehenden Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK zu benötigen.

2. Die Beschwerde wendet sich unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien zu § 8 Abs. 2 FrG gegen die Ansicht der belangten Behörde, dass es sich bei der vom Beschwerdeführer beantragten Aufenthaltserlaubnis um eine Erstaufenthaltserlaubnis handle, und bringt vor, dass sich der Beschwerdeführer seit Mai 2000 - also bereits zwei Jahre hindurch bis zur Antragstellung - rechtmäßig auf Grund seiner Stellung als privater Angestellter eines Diplomaten in Österreich aufgehalten habe und es erst mit Beendigung des Dienstverhältnisses notwendig geworden sei, zum Zweck der Fortsetzung seines bisherigen Abendstudiums einen Aufenthaltstitel zu beantragen. Es handle sich daher bei seinem Antrag um einen solchen auf Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels, sodass die Rechtsmittelbeschränkung des § 94 Abs. 3 FrG nicht zur Anwendung komme.

3. Gemäß § 8 Abs. 2 leg. cit. ist für die Erteilung der Aufenthaltstitel zwischen Erstniederlassungsbewilligung und weiterer Niederlassungsbewilligung sowie zwischen Erstaufenthaltserlaubnis und weiterer Aufenthaltserlaubnis zu unterscheiden.

Gemäß § 27 leg. cit. benötigen Fremde, für die ein Lichtbildausweis gemäß § 84 ausgestellt worden ist, während der Gültigkeitsdauer dieses Lichtbildausweises zum Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Wiedereinreise in dieses keinen Einreise- oder Aufenthaltstitel.

Gemäß § 84 leg. cit. kann der Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten durch Verordnung für Angehörige jener Personengruppen, die in Österreich auf Grund eines völkerrechtlichen Vertrages oder auf Grund des Bundesgesetzes über die Einräumung von Privilegien und Immunitäten an internationale Organisationen, BGBl. Nr. 677/1977, Privilegien und Immunitäten genießen, zum Zweck der Legitimation Lichtbildausweise vorsehen, aus denen die Identität, die Staatsangehörigkeit und die Funktion des Inhabers zu ersehen sind.

In den von der Beschwerde angesprochenen Materialien zu

§ 8 FrG (RV 685 BlgNR 20. GP, 60) heißt es:

"....

Abs. 2 des Entwurfs normiert die Unterscheidung in Erstaufenthaltstitel und weiterem Aufenthaltstitel (je nachdem entweder Niederlassungsbewilligung oder Aufenthaltserlaubnis). Der Sinn dieser Unterscheidung in Erstaufenthaltstitel und weiterer Aufenthaltstitel liegt darin, dass nur der Fremde, der sich erstmalig in Österreich niederlässt (gleich ob vorübergehend mit Aufenthaltserlaubnis oder auf Dauer mit Niederlassungsbewilligung) einen Erstaufenthaltstitel vor der Einreise vom Ausland aus beantragen muss. Eine Zweckänderung, die auch zu einer Änderung der Art des Aufenthaltstitels führen kann, wird nicht die Erteilung des Erstaufenthaltstitels des anderen Aufenthaltstitels zur Folge haben; es wird ein weiterer Aufenthaltstitel erteilt. Die Unterscheidung ist auch wesentlich, weil es durchaus möglich ist, dass ein Fremder bislang keines Aufenthaltstitels zur Niederlassung oder zum Aufenthalt in Österreich bedurfte (etwa weil er Österreicher oder Asylberechtigter war), aber durch eine Änderung seines Personenstands nunmehr Drittstaatsangehöriger wird. Es erschiene unbillig, diesen Menschen zu einer Antragstellung im Ausland zu verhalten und ihm - der etwa sein ganzes bisheriges Leben rechtmäßig in Österreich niedergelassen war - nunmehr eine Erstniederlassungsbewilligung zu erteilen.

..."

4. Dem in den Verwaltungsakten enthaltenen Antrag des Beschwerdeführers vom 2. Mai 2002 auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist (u.a.) die Kopie eines vom Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten am 9. Mai 2000 mit Gültigkeit bis 3. Mai 2002 ausgestellten, auf den Beschwerdeführer lautenden Lichtbildausweises angeschlossen, der den Beschwerdeführer mit Angabe seiner Staatsangehörigkeit (Nigeria) und seines Geburtsdatums als "Privater Hausangestellter bei S.E. Herrn (...( ao. und bev. Botschafter der Bundesrepublik Nigeria in Österreich" ausweist.

Weiters ist diesem Antrag eine Bestätigung der "International University" in Wien vom 18. März 2002 beigefügt, der zufolge es sich bei dieser Universität um ein seitens des österreichischen Bundesministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur akkreditiertes amerikanisches Privatinstitut handelt und der Beschwerdeführer im akademischen Jahr 2002 (dort) inskribiert war und ein Studium zwecks Abschluss eines "Bachelor of Business Administration (Marketing)-Diploms" absolvierte. Ferner ist in den Verwaltungsakten ein Schreiben der Erstbehörde vom 16. Mai 2002 enthalten, in dem von ihr festgehalten wurde, dass der Beschwerdeführer im Besitz einer am 9. Mai 2000 ausgestellten, bis 3. Mai 2002 gültigen "blauen Legitimationskarte" gewesen sei, beim nigerianischen Botschafter als "privater Hausangestellter" tätig gewesen sei und die Legitimationskarte am 13. Mai 2002 zurückgegeben habe sowie zum gegenwärtigen Zeitpunkt (16. Mai 2002) keine wie immer gearteten Vorrechte bestünden.

5. Gemäß dem Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen (WDK), BGBl. Nr. 66/1966, dem auch Nigeria angehört (vgl. BGBl. Nr. 237/1970), bezeichnet der Ausdruck "privater Hausangestellter" eine im häuslichen Dienst eines Mitglieds der Mission beschäftigte Person, die nicht Bedienstete des Entsendestaates ist (vgl. Art. 1 lit. h). Einem solchen Hausangestellten stehen - sieht man von hier nicht relevanten Steuerbefreiungen ab - Vorrechte und Immunitäten nur in dem vom Empfangsstaat zugelassenen Umfang zu (vgl. Art. 37 Abs. 4 und Art. 38 Abs. 2; ferner in diesem Zusammenhang Neuhold-Hummer-Schreuer, Österreichisches Handbuch des Völkerrechts 14, (Wien 2004(, Rz 1768-1770).

6. Die belangte Behörde hat sich im angefochtenen Bescheid mit der Frage, ob sich der Beschwerdeführer bereits seit Mai 2000 in Österreich als "privater Hausangestellter" eines hier akkreditierten Missionschefs in Österreich aufgehalten habe, für ihn der in Kopie dem gegenständlichen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis angeschlossene Lichtbildausweis ausgestellt worden sei und es sich bei diesem Ausweis um einen solchen gemäß § 84 FrG gehandelt habe, nicht auseinandergesetzt und diesbezüglich keine Feststellungen getroffen. Solche Feststellungen wären jedoch aus folgenden Gründen erforderlich gewesen:

Sollte für den Beschwerdeführer ein Lichtbildausweis im Sinn des § 84 FrG ausgestellt worden sein, so benötigte er gemäß § 27 leg. cit. während der Gültigkeitsdauer dieses Ausweises für seinen Aufenthalt im Bundesgebiet keinen Einreise- oder Aufenthaltstitel.

Wie sich aus den obzitierten Erläuterungen zur RV betreffend das FrG ergibt, sollen nach der Intention des Fremdengesetzgebers Personen, die rechtmäßig bereits im Bundesgebiet niedergelassen sind oder sich hier aufhalten und bislang hiefür keines Aufenthaltstitels bedurften, nicht dazu verhalten werden, im Fall der Stellung des Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels auszureisen, und handelt es sich bei einem solchen Antrag nicht um einen solchen auf Erteilung eines Erstaufenthaltstitels, sondern um einen Antrag auf Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels. Es ist nun kein Grund dafür zu erkennen, dass nach der Intention des Fremdengesetzgebers diese zur allgemeinen Bestimmung des § 8 FrG angestellten Überlegungen nicht auch in Bezug auf die Rechtsmittelbeschränkung des § 94 Abs. 3 FrG Anwendung finden sollten und der Gesetzgeber in dieser Gesetzesbestimmung von einem anderen Begriffsverständnis hinsichtlich der Unterscheidung zwischen Erstaufenthaltstitel und weiterem Aufenthaltstitel ausgegangen ist.

Sollte daher für den Beschwerdeführer mit dem obgenannten, dem gegenständlichen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in Kopie angeschlossenen Lichtbildausweis ein Ausweis im Sinn des § 84 FrG ausgestellt worden sein, so stünde die von der belangten Behörde getroffene Beurteilung des gegenständlichen Antrages vom 2. Mai 2002 als Antrag auf Erteilung einer Erstaufenthaltserlaubnis und die Zurückweisung der Berufung des Beschwerdeführers mit dem Gesetz nicht in Einklang.

7. Im Hinblick darauf leidet der angefochtene Bescheid an einem wesentlichen Feststellungsmangel, sodass er - ohne dass noch auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen zu werden brauchte - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.

8. Gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG konnte von der beantragten Verhandlung Abstand genommen werden.

9. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 17. Jänner 2006

Schlagworte

Besondere RechtsgebieteAuslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2002180290.X00

Im RIS seit

10.02.2006

Zuletzt aktualisiert am

09.11.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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