Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 20.November 1991 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, Dr. Hörburger, Dr. Massauer sowie Dr. Markel als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Aigner als Schriftführerin in der Strafsache gegen Oswald M***** ua wegen des Verbrechens der betrügerischen Krida nach den §§ 156 Abs. 1 und 2, 161 Abs. 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 14.Mai 1991, AZ 8 Bs 142/91, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Kodek, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:
Spruch
Der Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Beschwerdegericht vom 14.Mai 1991, 8 Bs 142/91 (GZ 34 Vr 1598/87-71 des Landesgerichtes Innsbruck), verletzt das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 34 Abs. 2 (iVm dem § 50) und 39 Abs. 1 GebAG.
Dieser Beschluß wird aufgehoben und dem Oberlandesgericht Innsbruck die neuerliche Entscheidung über die Beschwerde des Beschuldigten aufgetragen.
Unabhängig von der endgültigen Gebührenfestsetzung ist die allenfalls entstehende Kostenersatzpflicht des Beschuldigten Oswald M***** insoferne mit 569.754 S begrenzt.
Text
Gründe:
Im Strafverfahren AZ 34 Vr 1598/87 des Landesgerichtes Innsbruck gegen Oswald M***** wegen des § 159 Abs. 1 StGB ("allenfalls" auch § 114 ASVG) wurde mit Beschluß des Untersuchungsrichters vom 20. Mai 1987 (AS 4 g/I) Dipl.Vw.Dr. Gustav ADOLF zum Buchsachverständigen bestellt und beauftragt, ein Gutachten im Sinne des Antrages der Staatsanwaltschaft zu erstatten. Diese Vorerhebungen mündeten in der weiteren Folge in eine Voruntersuchung wegen des § 156 Abs. 1 und 2 StGB in einem mit dem ursprünglichen Verfahren verbundenen Strafverfahren (ON 20, AZ 34 Vr 3384/87, AS 2). Dem Sachverständigen wurde in der Folge die Erstellung eines Gutachtens betreffend die Konten des Verdächtigen und die Geschäftsunterlagen der "neuen Firma" aufgetragen (AS 3 a in ON 20). Das Gutachten langte am 17. Dezember 1990 bei Gericht ein (ON 56).
Der Sachverständige verzeichnete insgesamt 1,353.330,84 S an Gebühren (ON 57), wovon er 100.000 S in zwei Teilbeträgen schon als Vorschuß erhalten hatte. Nach Einholung einer Stellungnahme der Staatsanwaltschaft und nach aufklärenden Äußerungen des Sachverständigen wurde mit Beschluß vom 28.März 1991, GZ 34 Vr 1598/87-67, die Gebühr des Sachverständigen mit insgesamt 1,331.214 S bestimmt, das Mehrbegehren von 40.756 S jedoch abgewiesen. Für Mühewaltung gemäß dem § 34 Abs. 2 iVm mit dem § 50 Abs. 2 GebAG wurden dabei 970.550 S (1.386,5 Stunden zu je 700 S) zugesprochen, wofür der Sachverständige (in einer modifizierten Gebührennote, ON 65) einen Zeitaufwand von
1.403 Stunden geltend gemacht hatte.
Dieser Beschluß blieb seitens der Anklagebehörde und des Sachverständigen unangefochten, der Beschuldigte erhob dagegen Beschwerde (ON 69). Das Oberlandesgericht Innsbruck gab dieser mit Beschluß vom 14.Mai 1991, AZ 8 Bs 142/91 (ON 71), teilweise dahin Folge, daß die Gebühr mit 569.754 S bestimmt und das Mehrbegehren des Sachverständigen abgewiesen wurde.
Das Beschwerdegericht billigte zwar die Meinung des Erstgerichtes, daß die Gebühr wegen der besonderen Schwierigkeit von Befund und Gutachten nach richterlichem Ermessen gemäß dem § 34 Abs. 2 GebAG zu bestimmen sei und hielt den dafür begehrten Stundensatz von 700 S für angemessen. Auch die Richtigkeit des vom Sachverständigen vorgelegten Leistungsverzeichnisses hinsichtlich des zeitlichen Aufwandes an Mühewaltung wurde nicht bezweifelt. Es ging jedoch davon aus, daß die Anwendung richterlichen Ermessens nach dem § 34 Abs. 2 GebAG auch bedeute, daß die Angemessenheit der Zahl der Arbeitsstunden und des dadurch auflaufenden Gebührenanspruches in Relation zum Verfahrensgegenstand geprüft werden müsse. Ein Arbeitsaufwand von 1.386,5 Stunden (173,3 Arbeitstage zu je 8 Stunden) sei unter Berücksichtigung der erteilten Aufträge, der aktenkundigen Schwierigkeiten und der zu bearbeitenden Geschäftsunterlagen und in Anbetracht der Heranziehung von vier qualifizierten Hilfskräften durch 474,5 Stunden bei konzentrierter, ausschließlich auf den Endzweck gerichteter Arbeitsweise nicht notwendig gewesen. Dazu hätten 480 Stunden genügt. Die sich daraus ergebende Gebühr für Mühewaltung (336.000 S) sei im Verhältnis zu vergleichbaren Fällen zwar immer noch ungewöhnlich hoch, aber doch angemessen (AS 94/III).
Rechtliche Beurteilung
Gemäß dem § 50 Abs. 1 GebAG stehen einem Buchsachverständigen als Gebühr für Mühewaltung, für Befund und Gutachten für jede, wenn auch nur begonnene Stunde 304 S zu. Bei der Berechnung der Gebühr ist von den vom Sachverständigen angegebenen Stunden auszugehen, solange deren Unrichtigkeit nicht festgestellt wird (Krammer-Schmidt, GebAG2, ENr. 27 zu § 34, ENr. 24 zu § 38). Dies ergibt sich insbesondere auch aus dem § 34 Abs. 2, erster Satz, GebAG, wonach die Gebühr nach der aufgewendeten Zeit und Mühe nach richterlichem Ermessen zu bestimmen ist.
Das Oberlandesgericht Innsbruck hat die Richtigkeit der Zeitangaben des Sachverständigen und die diesbezüglichen Feststellungen des Erstgerichtes nach dem Wortlaut seiner Entscheidung gar nicht in Zweifel gezogen, sondern lediglich die Notwendigkeit dieses Aufwandes verneint. Hätte der Sachverständige seinen Gebührenanspruch nach dem § 50 Abs. 1 GebAG geltend gemacht, so wäre seine Gebühr für Mühewaltung mit 421.496 S zu bestimmen gewesen. Die tarifmäßige Gebührenbestimmung hätte also jene, die das Oberlandesgericht nach dem § 50 Abs. 2 GebAG vornahm, zum Vorteil des Sachverständigen beträchtlich überstiegen.
Sowohl das Erst- als auch das Rechtsmittelgericht gingen rechtsrichtig davon aus, daß die Aufnahme des Befundes und die Erstattung des Gutachtens besonders schwierig waren, so daß die Gebühr nach richterlichem Ermessen zu bestimmen war (§ 34 Abs. 2 GebAG iVm dem § 50 Abs. 2 GebAG).
Eine Ermessensentscheidung ist an sich der Nachprüfung im Nichtigkeitsverfahren entzogen. Das durch den § 50 Abs. 2 GebAG eingeräumte Ermessen ist jedoch dadurch beschränkt, daß die damit angeordnete Besserstellung des Sachverständigen wegen der schwierigeren und höherwertigen Leistung gegenüber den Durchschnittsfällen des Abs. 1 nicht in eine Schlechterstellung verwandelt werden darf.
Darüber hinaus ist das Beschwerdegericht auch bei Überprüfung des richterlichen Ermessens gehalten, grundlegende Verfahrensvorschriften wie den auch verfassungsrechtlich gesicherten Grundsatz des beiderseitigen Gehörs (Art. 6 MRK) und die Begründungspflicht zu beachten. Die Grundsätze des § 270 Abs. 2 Z 7 und des § 281 Abs. 1 Z 5 StPO gelten dem System der StPO gemäß auch für Beschlüsse (RZ 1972, 168; Mayerhofer-Rieder, StPO3, ENr. 72 bis 76 zu § 270).
Die Gebühren wurden hier nach dem § 34 Abs. 2 GebAG nach richterlichem Ermessen bestimmt, bei dessen Ausübung wohl auf die Interessen der Rechtspflege Bedacht zu nehmen ist, womit der Gesetzgeber eine gewisse Beschränkung der Gebührenhöhe nach oben bezweckt. Andererseits ist jedoch eine weitgehende Annäherung an die Einkünfte anzustreben, die der Sachverständige für eine gleichartige oder ähnliche Tätigkeit im außergerichtlichen Erwerbsleben üblicherweise bezieht (Erläuterungen zur RV, mitgeteilt bei Krammer-Schmidt, aaO, Anm. 4 zu § 34). Lediglich in den Fällen der pauschalierten Gebührenbestimmung beschränkt sich das Ermessen nicht nur auf die Höhe des Gebührensatzes, sondern auch auf den zuzubilligenden Zeitaufwand. Dies kommt aber dann nicht in Betracht, wenn, wie im vorliegenden Fall, die gemäß dem § 34 Abs. 2, letzter Satz, GebAG heranzuziehende Gebührenordnung (§ 1 der AHR der Kammer der Wirtschaftstreuhänder, Kammeramtsblatt 1986, 1; siehe Krammer-Schmidt, aaO, Anm. 12 b zu § 34) eine Zeitgebühr vorsieht. In diesem Fall ist das Ausmaß der bei der Mühewaltung aufgewendeten Zeit eine Tatfrage, für deren Beantwortung grundsätzlich von den Angaben des Sachverständigen auszugehen ist (neuerlich Krammer-Schmidt, aaO, ENr. 27 zu § 34, ENr. 24 zu § 38; OLG Linz vom 2.August 1989, 13 R 46/89, in SV 1990/4, 24 ff). Ist dies wegen des besonderen Ausmaßes der verzeichneten Stunden bedenklich, so ist das Gericht zur Nachprüfung verpflichtet. Im Sinne des jedes Gerichtsverfahren beherrschenden und für das vorliegende Verfahren auch aus dem § 39 Abs. 1, dritter Satz, GebAG hervorleuchtenden Grundsatzes des beiderseitigen Gehörs ist hiebei auch der Sachverständige zu hören. Seine Angaben können nur durch begründete Tatsachenfeststellungen widerlegt werden.
Die vom Beschwerdegericht zwar abstrakt, aber nicht konkret begründete Abweichung von den erstinstanzlichen Feststellungen unter Zugrundelegung eines bloß geschätzten, gegenüber den Angaben des Sachverständigen, dem dazu keine Gelegenheit zur Äußerung geboten wurde, um nahezu 2/3 verminderten Zeitaufwandes verletzt diesen Grundsatz. Darüber hinaus stellt eine bloß auf richterlicher Einschätzung beruhende und an nicht näher bezeichneten "vergleichbaren Fällen" orientierte Bestimmung des Zeitaufwandes keine mängelfreie Begründung im Sinne des § 281 Abs. 1 Z 5 StPO dar, weil es sich dabei letztlich um eine Scheinbegründung handelt, bei der ein Zeitaufwand normativ festgesetzt, nicht aber der tatsächliche Aufwand ermittelt wird. Die Befugnis des Gerichtes, den (tatsächlichen) Zeitaufwand des Sachverständigen dann nicht zu honorieren, wenn er überflüssig erscheint, besteht nach den Bestimmungen des GebAG nur, wenn der Sachverständige den ihm erteilten Auftrag überschritten hat (§ 25 Abs. 1 GebAG).
Hat das Oberlandesgericht Innsbruck, wie es nach dem Wortlaut der Beschwerdeentscheidung den Anschein hat, die Richtigkeit der Zeitangaben des Sachverständigen nicht bezweifelt, stand ihm deren Kürzung nicht zu. Sind aber seine Ausführungen dahin zu verstehen, daß die Richtigkeit dieser Zeitangaben in Frage gestellt wird, dann wäre es verhalten gewesen, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und dem Erstgericht die abermalige Entscheidung nach zweckdienlicher Überprüfung dieser Zeitangaben unter neuerlicher Vernehmung des Sachverständigen aufzutragen.
Der im Spruch angeführte Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck verletzt daher das Gesetz in den im Spruch zitierten Bestimmungen des Gebührenanspruchsgesetzes. Diese Gesetzesverletzung wirkte sich zum Vorteil des Beschuldigten, jedoch zum Nachteil des Sachverständigen aus. Aus diesem Grund war der berechtigten Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes konkrete Wirkung zuzuerkennen, jedoch zugleich sicherzustellen, daß sich daraus keine nachteiligen Auswirkungen für den Beschuldigten ergeben können.
Anmerkung
E27009European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1991:0130OS00112.91.1120.000Dokumentnummer
JJT_19911120_OGH0002_0130OS00112_9100000_000