TE OGH 1991/11/26 10ObS327/91

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Veröffentlicht am 26.11.1991
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Gerhard Dengscherz (Arbeitnehmer) und Dkfm.Dr. Franz Schulz (Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Elfriede R*****, Angestellte, ***** vertreten durch Mag.Dr. Werner Neuhauser, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei WIENER GEBIETSKRANKENKASSE, 1101 Wien, Wienerbergstraße 15-19, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen S 625,80, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. Mai 1991, GZ 32 Rs 223/90-9, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 10. September 1990, GZ 5 Cgs 512/90-5, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichtes, das im übrigen als unangefochten unberührt bleibt, wird in seinem Punkt 2. dahin abgeändert, daß insoweit das stattgebende Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin die mit S 1.090,56 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 181,76 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist seit 1. Jänner 1973 auf Grund eines Beschäftigungsverhältnisses bei der beklagten Wiener Gebietskrankenkasse krankenversichert. Sie reichte am 2. Mai 1984 und am 11. April 1988 je eine Honorarnote für wahlzahnärztliche Behandlung durch ihren Ehegatten, den Zahnarzt Dr. R*****, einem Nichtvertragsarzt, ein. Sie erhielt von der beklagten Partei Kostenersatz für die Behandlung in der tariflichen Höhe von insgesamt S 9.336,80 inklusive 10 % Umsatzsteuer. Für die in der Zeit vom 2. Juni bis 23. November 1989 durchgeführte Behandlung wurde ein Kostenersatz auf Grund der am 2. Jänner 1990 gestellten Honorarnote von S 521,50 exklusiv 20 % Umsatzsteuer angewiesen, das entspricht 50 % der in der Honorarordnung vorgesehenen Tarifsätze.

Mit Bescheid der beklagten Partei vom 15. Juni 1990 wurde der Antrag der Klägerin auf Gewährung eines höheren Kostenersatzes als S 521,50 zuzüglich 20 % Umsatzsteuer für die in der Zeit vom 2. Juni bis 23. November 1989 in Anspruch genommene wahlzahnärztliche Behandlung abgelehnt. Gleichzeitig wurde die Klägerin verpflichtet, die Hälfte des für 1984 und 1988 erhaltenen Kostenersatzes, also S 4.668,40 (inklusive 10 % Umsatzsteuer) zurückzuzahlen. Der Klägerin gebühre gemäß § 131 Abs. 1 ASVG der Ersatz der Kosten einer anderweitigen Zahnbehandlung in der Höhe des Betrages, der bei Inanspruchnahme eines entsprechenden Vertragspartners des Versicherungsträgers von diesem aufzuwenden gewesen wäre. Gemäß § 41 des zwischen der Ärztekammer für Wien und dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger abgeschlossenen Gesamtvertrages sei in der Sonderregelung für die Vertragszahnärzte unter anderem bestimmt, daß für die Behandlung des Ehegatten, der Kinder, Enkel und Eltern von Vertragsärzten, soweit diese mit dem behandelnden Vertragsarzt im gemeinsamen Haushalt leben, nur 50 v.H. der in der Honorarordnung vorgesehenen Tarifsätze verrechnet werden. Die Klägerin sei die Ehegattin des Wahlarztes Dr. R***** und lebe mit diesem im gemeinsamen Haushalt. Der Klägerin gebühre daher nur ein Kostenersatz in der Hälfte der in der Honorarnote enthaltenen wahlzahnärztlichen Leistungen. Die bereits ausbezahlten vollen Kostenersatzbeträge seien gemäß § 107 Abs. 1 ASVG zurückzufordern.

Das Erstgericht gab der dagegen erhobenen Klage zur Gänze statt. Es erkannte die beklagte Partei schuldig, der Klägerin für die Zeit vom 2. Juni bis 23. November 1989 einen weiteren Kostenersatz von S 625,80 (incl. 20 % Umsatzsteuer) zu bezahlen (Punkt 1. des Urteilsspruches). Weiters stellte es fest, daß die Klägerin nicht verpflichtet ist, der Beklagten die am 11. Mai 1984 und 19. April 1988 erhaltenen Kostenersätze für Zahnbehandlungen rückzuersetzen (Punkt 2. des Urteilsspruches). Der Gesamtvertrag, durch § 341 Abs. 1 ASVG gesetzlich verankert, regle die Beziehung zwischen dem Krankenversicherungsträger und den freiberuflichen Ärzten. Jeder Einzelvertrag mit einem freiberuflich tätigen Arzt habe einen durch den Gesamtvertrag genormten Inhalt. Nur Vertragsärzte seien dem Gesamtvertrag als Normenvertrag unterworfen. Auf Grund des Systems der freien Arztwahl habe die Klägerin einen Wahlfacharzt in Anspruch nehmen können. Der Preis für die freie Wahl sei eben, daß sie dann auf den Kostenersatz verwiesen werde. Wenn die beklagte Partei die Bestimmung des Gesamtvertrages auf die Klägerin und deren Ehegatten anwende, könne dies nur als vertragliche Verpflichtung zu Lasten Dritter iS des § 880 a ABGB verstanden werden, da der Ehegatte der Klägerin kein Vertragsfacharzt sei. Solche Verträge seien grundsätzlich nicht möglich, da die Verpflichtung eines Dritten ohne dessen Zustimmung dem Grundsatz der Privatautonomie widersprechen würde. Das Argument der beklagten Partei, daß die Gattin eines Wahlfacharztes nicht besser gestellt werden könne als unter derselben Voraussetzung die Ehegattin eines Vertragsfacharztes derselben Sparte, sei nicht nachvollziehbar. Der Klägerin sei daher der volle Kostenersatz zu gewähren. Deshalb treffe sie auch keine Rückzahlungsverpflichtung.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei teilweise Folge. Es bestätigte das stattgebende Urteil des Erstgerichtes, soweit es die Nichtverpflichtung der Klägerin zum Rückersatz feststellte. Im Leistungsteil änderte das Berufungsgericht das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß es das Begehren auf Kostenersatz von S 625,80 abwies. Diese Abweisung begründete das Berufungsgericht damit, daß das Recht der freien Arztwahl zu keiner Besserstellung des Versicherten gegenüber jenem führen dürfte, der sich in gleicher Situation eines Vertragsarztes bediene, der zugleich naher Angehöriger mit gemeinsamen Wohnsitz sei.

Die dagegen von der Klägerin erhobene Revision ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Versicherte ist nicht gehalten, sich nur von Vertragsärzten behandeln zu lassen; er kann auch einen Wahlarzt in Anspruch nehmen, d.h. einen Arzt, der keinen Einzelvertrag mit dem Krankenversicherungsträger abgeschlossen hat. Der Versicherte ist dem Wahlarzt auf Grund des Behandlungsvertrages zur Zahlung des Honorars verpflichtet, hat aber gegen den Krankenversicherungsträger Anspruch auf Ersatz jener Kosten, die bei der Behandlung durch einen Vertragsarzt aufzuwenden gewesen wären (§ 131 Abs. 1 ASVG; ebenso § 37 Abs. 5 der Satzung der beklagten Partei, insoweit der verbindlichen Mustersatzung entsprechend; vgl. auch Binder in Tomandl SV-System

4. ErgLfg. 213 f; Selb in Tomandl aaO 610; Grillberger, Österreichisches Sozialrecht 38 f). Der Grundgedanke dieser Regelung ist es, daß der Krankenversicherungsträger nicht mit höheren (aber auch nicht mit niedrigeren) Kosten belastet sein soll, als wenn der Versicherte einen Vertragsarzt in Anspruch genommen hätte. Die Klägerin hätte sich nun zweifellos statt durch ihren Ehegatten (einen Wahlarzt) durch einen Vertragszahnarzt der beklagten Partei behandeln lassen können. In einem solchen Fall wäre von der beklagten Partei der der Höhe nach unbestrittene volle Betrag von S 1.043,-- zuzüglich 20 % Umsatzsteuer aufzuwenden gewesen. Da die Klägerin nicht die Ehegattin oder sonstige Angehörige eines solchen Vertragszahnarztes gewesen wäre, hätte sich die beklagte Partei diesem gegenüber auch nicht auf die vertragliche Sonderregelung berufen können, wonach ein Vertragsarzt im Fall der Behandlung unter anderem des Ehegatten dem Krankenversicherungsträger nur 50 v.H. der in der Honorarordnung vorgesehenen Tarifsätze verrechnen wird. Entscheidend ist nun, welches Honorar die Klägerin bei Inanspruchnahme eines Wahlarztes aufzuwenden hatte. Die beklagte Partei macht keine Norm geltend, nach der ein Zahnarzt verpflichtet wäre, seine Ehegattin zu einem geringeren Honorar zu behandeln als andere Partienten. Zwar ist unter der im § 90 ABGB aufgezählten Pflicht der Ehegatten zum wechselseitigen Beistand jede nach den Umständen zu erwartende Hilfe und Unterstützung zwischen den Partnern zu verstehen, sowohl materielle wie immaterielle (vgl. Schwimann im ABGB-Praxiskommentar Band 1, 107 Rz 9 zu § 90;

Gschnitzer/Faistenberger, Österreichisches Familienrecht2 69). Die kostenlose Zahnbehandlung einer krankenversicherten Gattin, die ebenso gut von jedem anderen Zahnarzt als dem Gatten geleistet werden konnte, wird jedoch von der ehelichen Beistandspflicht nicht umfaßt. Die beklagte Partei beruft sich ausschließlich auf die mit Vertragszahnärzten bestehenden vertraglichen Regelungen, die jedoch weder für die Klägerin, noch für ihren Ehegatten als behandelnden Wahlzahnarzt Geltung beanspruchen können. Die Klägerin wird durch die hier vertretene Lösung auch keineswegs bessergestellt: Sowohl eine Behandlung durch einen Vertragszahnarzt wie eine Behandlung durch einen Wahlzahnarzt mit anschließendem Kostenerstattungsanspruch ist im Ergebnis nur die Inanspruchnahme der gesetzlichen Leistungen aus der Krankenversicherung. Daß sich Vertragsärzte gegenüber der beklagten Partei verpflichtet haben, im Falle der Behandlung etwa der Ehegattin sich mit dem halben Honorar zu begnügen, kann der Klägerin nicht entgegengehalten werden, weil sie - wie bereits in der Klage zutreffend dargelegt - nicht einen Vertragsarzt in Anspruch nehmen konnte, der zugleich ihr Ehegatte war.

In Stattgebung der Revision war daher das erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs. 1 Z 2 lit. a ASGG.

Anmerkung

E26914

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1991:010OBS00327.91.1126.000

Dokumentnummer

JJT_19911126_OGH0002_010OBS00327_9100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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