Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 5.Dezember 1991 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Reisenleitner, Dr. Lachner, Dr. Rzeszut und Dr. Hager als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Prokisch als Schriftführer, in der Strafsache gegen Dr. Friedrich Wilhelm K***** wegen des Finanzvergehens der teils vollendeten, teils versuchten Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 1 und Abs. 2 lit a sowie § 13 FinStrG über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den im Verfahren AZ 6 b Vr 10.471/85 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien eingehaltenen Vorgang, daß die Erledigung des Antrages des Angeklagten auf stenographische Aufzeichnung aller Aussagen und Vorträge der nächsten Hauptverhandlung und auf Bekanntgabe der hiefür erforderlichen Kosten vor der Hauptverhandlung vom 3. April 1991 unterlassen wurde, sowie gegen den Beschluß des Vorsitzenden des Schöffensenates vom 3.April 1991, GZ 6 b Vr 10.471/85-195, und gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 22.Mai 1991, AZ 25 Bs 186/91, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators Generalanwalt Dr. Hauptmann und des Verteidigers Rechtsanwalt Dr. Lansky zu Recht erkannt:
Spruch
Im Strafverfahren AZ 6 b Vr 10.471/85 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien wurde das Gesetz verletzt
1. durch die Unterlassung der Erledigung des Antrages des Angeklagten auf stenographische Aufzeichnung aller Aussagen und Vorträge der nächsten Hauptverhandlung und des (damit verbundenen) Ersuchens um Bekanntgabe der hiefür erforderlichen Kosten vor Durchführung der Hauptverhandlung am 3.April 1991 in den Bestimmungen der §§ 3, 271 Abs. 4 erster Satz zweiter Fall StPO;
2. durch den in dieser Hauptverhandlung (ON 195) ergangenen Beschluß des Vorsitzenden des Schöffensenates auf Verhängung einer Ordnungsstrafe von 1.000 S über den Angeklagten in der Bestimmung des § 235 zweiter Satz StPO;
3. durch den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 22. Mai 1991, AZ 25 Bs 186/91, womit die auf Aufhebung des zu
2. bezeichneten Beschlusses vom 3.April 1991 im Rahmen der Dienstaufsicht abzielende Beschwerde des Angeklagten zurückgewiesen wurde, in der Bestimmung des § 15 StPO. Gemäß § 292 letzter Satz StPO werden die unter 2. und 3. bezeichneten Beschlüsse aufgehoben und es wird dem Landesgericht für Strafsachen Wien aufgetragen, in Ansehung des unter 1. bezeichneten Antrages (samt dem damit verbundenen Ersuchen) dem Gesetz gemäß zu verfahren.
Text
Gründe:
Gegen den Angeklagten Dr. K***** ist zum AZ 6 b Vr 10.471/85 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien ein Finanzstrafverfahren anhängig.
Mit dem Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 7.März 1991, GZ 15 Os 31/91-6, wurde aufgrund einer vom Generalprokurator erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes festgestellt, daß ein in diesem Verfahren ergangener Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 5.November 1990, mit dem ein nach § 271 Abs. 4 StPO gestellter Antrag des Angeklagten auf Anordnung der stenographischen Aufzeichnung aller Aussagen und Vorträge abgewiesen worden war, das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 3, 271 Abs. 4 StPO verletzt; dem Landesgericht für Strafsachen Wien wurde aufgetragen, dem Gesetz gemäß zu verfahren.
Vor der für 3.April 1991 angeordneten Hauptverhandlung erhielt der Vorsitzende des Schöffensenates am 26.März 1991 vom Leiter des parlamentarischen Stenographendienstes, bei dem er telefonisch angefragt hatte, die Mitteilung, daß aus dienstlichen Erwägungen, nämlich Arbeitsüberlastung, und wegen allfälliger Beispielsfolgen keine "Parlamentsstenographen" für eine gerichtliche Verwendung abgestellt werden können (ON 192 a).
Am 3.April 1991 gab der Schöffensenatsvorsitzende nach Aufruf der Sache, jedoch "vor Eingehen in die Hauptverhandlung" den Aktenvermerk über dieses Telefonat mit dem Bemerken bekannt, daß "besondere Stenographen" daher nicht zur Verfügung stünden; damit erübrige sich die Bekanntgabe der hiefür erforderlichen Kosten; der Angeklagte werde daran erinnert, daß er im "Mordverfahren" einen gleichartigen Antrag gestellt habe und ihm damals die - dann nicht erlegten - Kosten mit 50.000 S bekanntgegeben worden seien, weshalb er bei entsprechender Ernsthaftigkeit seines Antrages diese Kosten selbst ohne weiteres hätte abschätzen und erlegen können; außerdem stehe in der Person der eingeteilten Schriftführerin eine ohnedies besonders befähigte, seit Jahren insbesondere immer wieder in Finanzstrafverfahren tätige Kraft zur Verfügung; überdies werde die Protokollführung durch die Verwendung eines Tonaufnahmegerätes unterstützt.
Zur Tonaufnahme waren die erforderlichen Vorbereitungen getroffen worden (S 5 f der ON 195).
Sodann wurden die Namen der Schöffen, die noch nicht beeidet worden waren, bekanntgegeben (auf Seite 2 des verwendeten Hauptverhandlungs-Protokollsformulars unterblieb versehentlich eine Streichung der die Beeidigung betreffenden Passage).
Nach einem Antrag auf Verfahrenseinstellung gemäß § 42 StGB brachte der Angeklagte unter Hinweis auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 7.März 1991 vor, die Verfahrensweise des Vorsitzenden sei ungesetzlich, weil § 271 Abs. 4 StPO nicht die Beiziehung von Parlamentsstenographen, sondern nur stenographische Aufzeichnungen vorsehe, die auch von Personen durchgeführt werden könnten, die der österreichische Stenographenverband dem Gericht namhaft mache, und die die entsprechende Staatsprüfung für Stenographen abgelegt haben; der Hinweis auf den Kostenvorschuß von 50.000 S sei gleichfalls ungesetzlich, denn das Strafverfahren beim Kreisgericht Korneuburg habe eine ganz andere Dimension gehabt als das nunmehrige Verfahren. Gestützt auf diese Ausführungen und ein weiteres Vorbringen, wonach die Zusammensetzung des Schöffengerichtes dem § 14 Abs. 1 Geschworenen- und Schöffengesetz 1990 widerspreche, beantragte der Angeklagte die Vertagung der Hauptverhandlung (S 6 ff der ON 195). Außerdem stellte er den Antrag auf Enthebung des nach § 41 Abs. 3 StPO bestellten Verteidigers, wozu er ua ausführte, diesem mangelten "in offenbarer Beschränkung seiner Kanzleitätigkeit auf Zivilsachen die für einen Strafverteidiger erforderlichen Kenntnisse der höchstrichterlichen Judikatur"; es müsse daher befürchtet werden, daß er nicht in der Lage sei, die Verteidigung effizient zu gestalten; er habe zB am 5.November 1990 erklärt, eine Beschwerde nicht für zielführend zu halten. Damit sei bei ihm und auch anderen Personen - nach dem Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls blickte der Angeklagte bei diesen Worten zum Vorsitzenden - mangelnde Kenntnisse der höchstrichterlichen Rechtsprechung bewiesen.
An dieser Stelle unterbrach der Vorsitzende den Angeklagten und ermahnte ihn, offenbar unbegründete Beschuldigungen gegenüber dem Verteidiger und dem Vorsitzenden zu unterlassen.
Der Angeklagte bezog sich daraufhin auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes AZ 14 Os 157/89, behauptete, daß Untüchtigkeit des Verteidigers im Sinn des § 1299 ABGB vorliege und begehrte die Beigebung eines effizienten Verteidigers und zu diesem Zweck die Vertagung der Hauptverhandlung (S 10 f der ON 195).
Hierauf verkündete der Vorsitzende den auf § 235 StPO gestützten Beschluß, daß über den Angeklagten "für die offenbar unbegründete Beschuldigung gegenüber dem Vorsitzenden und dem Verteidiger, mangelnde Rechtskenntnis zu haben", eine Ordnungsstrafe von 1.000 S verhängt wird (S 11 der ON 195).
In der weiteren Folge wurde die Hauptverhandlung auf unbestimmte Zeit mit der Begründung vertagt, die Heranziehung der anwesenden Schöffen widerspreche einer gesetzmäßigen Zusammensetzung des Schöffengerichtes im Sinn des § 14 Abs. 1 iVm § 13 Abs. 1 Geschworenen- und Schöffengesetz 1990 (S 13 der ON 195).
Parteienvorträge nach § 244 StPO waren bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht gehalten worden.
In der Ausfertigung des Beschlusses über die Verhängung der Ordnungsstrafe wurde deren Verhängung durch den Vorsitzenden - und nicht durch das Schöffengericht - damit begründet, daß es "zu keiner Zusammensetzung des Schöffengerichtes" gekommen sei; derartige Beschuldigungen könnten nicht sanktionslos bleiben, zumal § 235 StPO auch in bezirksgerichtlichen Verfahren gelte.
Die gegen diesen Beschluß erhobene Beschwerde des Angeklagten wurde mit dem Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 22. Mai 1991, AZ 25 Bs 186/91, als unzulässig zurückgewiesen. Das Oberlandesgericht Wien begründete dies damit, daß der ausdrückliche Ausschluß eines Rechtsmittels gegen die in Ausübung der Disziplinargewalt in der Hauptverhandlung ergangenen Beschlüsse (§ 237 Abs. 1 StPO) nicht durch Anrufen der Dienstaufsicht nach § 15 StPO - wie hier geschehen - umgangen werden dürfe.
Rechtliche Beurteilung
Wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend - und entgegen der von der Verteidigung im Gerichtstag vorgetragenen Meinung auch erschöpfend - aufzeigt, stehen die Unterlassung einer Entscheidung über den nach § 271 Abs. 4 StPO gestellten Antrag des Angeklagten vor Durchführung der für den 3.April 1991 anberaumten Hauptverhandlung die Verhängung einer Ordnungsstrafe über den Angeklagten durch den Vorsitzenden des Schöffensenates in dieser Hauptverhandlung und die Zurückweisung der gegen diesen Beschluß erhobenen Beschwerde durch das Oberlandesgericht Wien mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Eine Bekanntgabe der Höhe des Kostenvorschusses für das Honorar eines Stenographen - nach einer dem Obersten Gerichtshof erteilten Auskunft des Sekretariats des österreichischen Stenographenverbandes beträgt es rund 4.500 S pro Stunde - hätte sich dann erübrigt, wenn sich in Ermangelung eines geeigneten, zur Übernahme dieser Aufgabe bereiten Stenographen die faktische Undurchführbarkeit der Vornahme stenographischer Aufzeichnungen aller Aussagen und Vorträge ergeben hätte; die Durchführung einer Hauptverhandlung darf daran - schon aus dem in Art 6 Abs. 1 MRK verankerten Gebot auf Durchführung des Verfahrens innerhalb angemessener Frist - nicht scheitern.
Das Landesgericht für Strafsachen Wien begnügte sich (zu Unrecht; vgl 14 Os 157/89) mit einer Anfrage bloß an den parlamentarischen Stenographendienst, ohne alle realistischerweise in Betracht kommenden Möglichkeiten auszuschöpfen, und unterließ es, über den in Rede stehenden Antrag des Angeklagten vor der Hauptverhandlung vom 3.April 1991 prozeßordnungsgemäß zu entscheiden. Mit einer bloßen "Bekanntgabe" der Mitteilung des Leiters des parlamentarischen Stenographendienstes, einer "Erinnerung" an das "Mordverfahren" und einem Hinweis auf die Fähigkeiten der für die Hauptverhandlung vom 3.April 1991 eingesetzten Schriftführerin wurde der Antrag nicht gesetzmäßig erledigt. Durch das Unterbleiben der gebotenen Beschlußfassung wurde daher das Gesetz verletzt.
Der in der Hauptverhandlung vom 3.April 1991 vom Vorsitzenden des Schöffensenates gefaßte Beschluß auf Verhängung einer Ordnungsstrafe über den Angeklagten verstößt gegen die Bestimmung des § 235 StPO, wonach die Verhängung einer derartigen Ordnungsstrafe dem Gerichtshof zukommt, somit dem Schöffensenat. Nur im bezirksgerichtlichen Verfahren und im Einzelrichterverfahren vor dem Gerichtshof erster Instanz obliegen diese Befugnisse dem Einzelrichter (§ 447 Abs. 1 iVm § 9 Abs. 2 StPO; § 488 Z 4 StPO).
Der Umstand, daß die Schöffen noch nicht beeidet waren, ändert nichts an der Zuständigkeit des Schöffensenates zur Verhängung einer Ordnungsstrafe nach § 235 StPO. Diese Zuständigkeit ist für die Dauer der Hauptverhandlung eingeräumt, wobei die Hauptverhandlung mit dem - hier auch erfolgten - Aufruf der Sache beginnt (§ 239 erster Satz StPO). Da selbst ein unter Beteiligung nicht beeideter Laienrichter geschöpftes Urteil nicht absolut nichtig ist, sondern, wie sich aus § 281 Abs. 1 Z 3 StPO iVm § 240 a StPO ergibt, nur mit relativer Nichtigkeit behaftet ist, die in einem Rechtsmittel geltend gemacht werden müßte und nicht von Amts wegen aufgreifbar wäre, können umsoweniger unter Mitwirkung noch nicht beeideter Laienrichter gefaßte Ordnungsstrafbeschlüsse, die mit der Entscheidung in der Hauptsache nicht zusammenhängen und allenfalls bereits unmittelbar nach Aufruf der Sache erforderlich werden können, als absolut nichtige Akte eines Gerichtes angesehen werden. Von einem Zeitraum, in dem nach Beginn der Hauptverhandlung die Ordnungsstrafgewalt durch den Schöffensenat nicht ausgeübt werden könnte, kann nach dem Gesagten keine Rede sein.
Handelt es sich aber wie vorliegend bei dem allein vom Vorsitzenden des Schöffensenates gefaßten Ordnungsstrafbeschluß um einen nicht nach der Bestimmung des § 235 StPO zustandegekommenen Beschluß, dann findet hierauf auch der Rechtsmittelausschluß des § 237 Abs. 1 StPO keine Anwendung und das Oberlandesgericht Wien bezog sich unzutreffenderweise bei seiner Ablehnung, das Aufsichtsrecht nach § 15 StPO auszuüben, auf diese Bestimmung. Es hätte vielmehr im Rahmen seiner Aufsicht über die Wirksamkeit der Strafgerichte seines Sprengels (§ 15 StPO) den Ordnungsstrafbeschluß des Vorsitzenden des Schöffensenates aufheben müssen, zumal hiemit nicht in eine in Ausübung gesetzlicher Zuständigkeiten getroffene Entscheidung eingegriffen, sondern im Gegenteil ein (unzulässiger) Eingriff in die Befugnisse des Schöffensenates beseitigt worden wäre.
Kann aber - wie vorliegend - im Wege der Beschwerde gemäß § 15 StPO Abhilfe geschaffen werden, so erübrigt sich ein Eingehen auf die vom Verteidiger im Gerichtstag vertretene Rechtsmeinung, es sei in Abkehr von der ständigen Rechtsprechung ein generelles Beschwerderecht gegen Beschlüsse und Verfügungen des Vorsitzenden eines Schöffensenates zuzulassen.
Aus den angeführten Gründen war daher der von der Generalprokuratur erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes Folge zu geben; es waren die von ihr aufgezeigten Gesetzesvrletzungen festzustellen, die bekämpften Beschlüsse des Vorsitzenden des Schöffensenates und des Oberlandesgerichtes Wien aufzuheben und dem Landesgericht für Strafsachen Wien (neuerlich) aufzutragen in Ansehung des vom Angeklagten nach § 271 Abs. 4 StPO gestellten Antrages dem Gesetz gemäß zu verfahren.
Was die Anregung des Verteidigers betrifft, gemäß § 290 Abs. 1 StPO aus Anlaß der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes die Einstellung des gegenständlichen Finanzstrafverfahrens "wegen überlanger Dauer aus dem Grund des § 281 Abs. 1 Z 9 lit b StPO" zu verfügen, so sieht sich der Oberste Gerichtshof schon im Hinblick auf EvBl 1984/138 nicht veranlaßt, auf dieses Vorbringen einzugehen.
Anmerkung
E28504European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1991:0150OS00125.910003.1205.000Dokumentnummer
JJT_19911205_OGH0002_0150OS00125_9100030_000