TE Vfgh Erkenntnis 2001/11/29 WI-9/00

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Veröffentlicht am 29.11.2001
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Index

L0 Verfassungs- und Organisationsrecht
L0350 Gemeindewahl

Norm

B-VG Art141 Abs1 lita
Stmk GdWO 1960 §1
Stmk GdWO 1960 §81
VfGG §68

Leitsatz

Stattgabe der Anfechtung einer Gemeinderatswahl wegen Rechtswidrigkeit des Beschlusses des Gemeinderates über die Festsetzung der Anzahl der Mitglieder des Gemeinderates; Entscheidung über diese wahlrechtlich bedeutsame Frage ein vor dem Verfassungsgerichtshof im Wege einer Wahlanfechtung bekämpfbarer Teil des Wahlverfahrens; Meldedaten keine zulässige Grundlage der auf Grund der letzten Volkszählung zu ermittelnden und für die Anzahl der Gemeinderatsmitglieder ausschlaggebenden Einwohnerzahl einer Gemeinde

Spruch

Der Wahlanfechtung wird stattgegeben.

Das Verfahren zur Wahl des Gemeinderates der Gemeinde Oberzeiring wird beginnend mit der Beschlussfassung des Gemeinderates über die Anzahl der Gemeinderatsmitglieder vom 16.12.1999 aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. §1 der Gemeindewahlordnung 1960 - GWO, Stmk. LGBl. 1960/6, idF LGBl. 1999/82, - überschrieben ua. mit "Anzahl der Gemeinderäte" - lautet in seinen Abs2 und 3 wie folgt:

"(2) Der Gemeinderat besteht aus 9 Mitgliedern, in Gemeinden mit über 1000 Einwohnern aus 15, in Gemeinden mit über 3000 Einwohnern aus 21, in Gemeinden mit über 5000 Einwohnern aus 25 und in Gemeinden mit über 10.000 Einwohnern aus 31 Mitgliedern.

(3) Die Anzahl der Gemeinderatsmitglieder ist nach dem letzten, dem Tag der Wahlausschreibung vorausgegangenen Volkszählungsergebnis zu ermitteln. Sind seit der letzten Volkszählung nach dem Ergebnis einer amtlichen Ermittlung der Einwohnerzahl solche Änderungen eingetreten, daß sich hieraus eine andere Zusammensetzung des Gemeinderates nach Abs1 ergeben würde, so kann der Gemeinderat die Anzahl der Gemeinderäte nach diesem Ergebnis festsetzen.

..."

Eine idente Bestimmung enthält auch §15 Abs1 und 2 der Steiermärkischen Gemeindeordnung 1967, LGBl. 1967/115, idF LGBl. 1999/82.

1.2. Laut Niederschrift über die Sitzung des Gemeinderates der Gemeinde Oberzeiring (Bezirk Judenburg) am 16.12.1999 wurde unter Punkt 13. der Tagesordnung ein "Antrag, dass sich der künftige Gemeinderat aus 15 Gemeinderäten zusammensetzen soll" behandelt.

Über den Verlauf dieser Sitzung ist in der genannten Niederschrift das Folgende festgehalten: Die Bürgermeisterin berichtet, dass auch vor 5 Jahren auf Grund einer amtlichen Ermittlung der Beschluss gefasst worden sei, dass sich der Gemeinderat aus 15 Gemeinderäten zusammensetzen solle. Daraufhin stellt ein Mitglied des Gemeinderates einen entsprechenden Antrag.

Über diesen wird - mit Stimmenmehrheit - wie folgt Beschluss gefasst:

"Der künftige Gemeinderat soll sich auch in der nächsten Gemeinderatsperiode aus 15 Gemeinderäten zusammensetzen."

Aus den Wahlakten ergibt sich, dass der Gemeinderat dabei von 1.005 Einwohnern "amtlich ermittelt nach Melderegister - keine Personenstandsaufnahme" ausging; dies bei einer Wohnbevölkerung von 991 Einwohnern nach dem Volkszählungsergebnis 1991.

1.3.1. Die Steiermärkische Landesregierung schrieb mit Verordnung vom 20.12.1999, LGBl. 1999/107, für den 19.3.2000 die allgemeinen Gemeinderatswahlen für die Gemeinden des Landes Steiermark (mit Ausnahme der Landeshauptstadt Graz) aus. Als Stichtag für die Wahlen wurde der 31.12.1999 festgesetzt.

1.3.2. Die Wahlausschreibung wurde von der Bürgermeisterin der Gemeinde Oberzeiring mit Kundmachung vom 10.1.2000 verlautbart (vgl. §2 Abs2 erster Satz GWO). Die Kundmachung enthielt unter Punkt VI. - entsprechend §1 Abs2 und §2 Abs2 GWO - die Formulierung:

"In der Gemeinde sind 15 Gemeinderäte zu wählen. Laut Gemeinderatsbeschluß vom 16.12.1999".

1.3.3. Laut Kundmachung der Gemeindewahlbehörde vom 21.3.2000 entfielen bei der am 19.3.2000 durchgeführten Wahl des Gemeinderates der Gemeinde Oberzeiring von den 655 abgegebenen und als gültig gewerteten Stimmen auf:

       ÖVP ... 314 Stimmen (7 Mandate),

       SPÖ ...  88 Stimmen (2 Mandate),

       FPÖ ...  40 Stimmen (1 Mandat),

       ULO ... 213 Stimmen (5 Mandate).

1.4.1. Wegen behaupteter Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens brachte der zustellungsbevollmächtigte Vertreter der ÖVP gemäß §81 Abs1 GWO einen schriftlichen Einspruch bei der Landeswahlbehörde ein, der wie folgt begründet war:

"Eine Zuteilung von 15 Gemeinderatsmandaten ist rechtlich nicht gedeckt, da bei der letzten, dem Tag der Wahlausschreibung vorausgegangenen Volkszählung in Oberzeiring nur 991 Einwohner ermittelt wurden. Es sind daher nur 9 Mandate zu vergeben."

1.4.2.1. Diesem Einspruch wurde mit Bescheid der Landeswahlbehörde vom 11.5.2000 keine Folge gegeben. (Der Bescheid wurde dem zustellungsbevollmächtigten Vertreter der ÖVP am 15.5.2000 zugestellt.)

1.4.2.2. Der Bescheid enthält im Wesentlichen die folgende Begründung:

"In beiden gesetzlichen Bestimmungen (§15 GO, §1 Abs2 GWO) ist festgelegt, dass die Anzahl der Gemeinderatsmitglieder nach dem letzten, dem Tag der Wahlausschreibung vorausgegangenen Volkszählungsergebnis zu ermitteln ist. Wenn seit der letzten Volkszählung nach dem Ergebnis einer amtlichen Ermittlung der Einwohnerzahl eine solche Änderung eingetreten ist und sich hieraus eine andere Zusammensetzung des Gemeinderates ergeben würde, kann der Gemeinderat die Anzahl der Gemeinderäte nach diesem Ergebnis festsetzen.

Einen entsprechenden Beschluss hat der Gemeinderat der Marktgemeinde Oberzeiring am 16.12.1999 unter Tagesordnungspunkt 13. gefasst. Grundlage dieses Beschlusses bildeten die Meldedaten, die dem Bürgermeister als Meldebehörde zur Verfügung standen. Nach Ansicht des Gemeinderates stellen diese Daten eine amtliche Ermittlung im Sinne der obzitierten gesetzlichen Bestimmungen dar. Dies im Speziellen deswegen, weil durch Hauptwohnsitzgesetz 1994 der Begriff des 'ordentlichen Wohnsitzes' weggefallen ist. Nunmehr besteht nur mehr die Möglichkeit, in einer Gemeinde den Hauptwohnsitz zu begründen, und können daher die Meldedaten als amtliche Ermittlung gewertet werden.

Die der Landeswahlbehörde untergeordneten Wahlbehörden haben in Vollziehung dieses Gemeinderatsbeschlusses das gesamte Wahlverfahren durchgeführt.

Bei der Prüfung, inwieweit der Landeswahlbehörde eine Möglichkeit zukommt, als 'Aufsichtsbehörde' tätig zu werden, muss §9 Abs4 GWO herangezogen werden. Dieser §9 Abs4 leg. cit. besagt, dass die Landeswahlbehörde die Oberaufsicht über alle anderen Wahlbehörden führt. Im Rahmen dieses Aufsichtsrechtes kann aber die Landeswahlbehörde insbesondere nur rechtswidrige Entscheidungen und Verfügungen der nachgeordneten Wahlbehörden aufheben oder abändern.

Eine rechtswidrige Entscheidung einer Wahlbehörde kann im gegenständlichen Fall jedoch nicht erblickt werden, da, wie bereits erwähnt, die Entscheidung über die Anzahl der zu wählenden Gemeinderäte im Sinne des §1 Abs3 GWO keiner Wahlbehörde, sondern dem Gemeinderat der betreffenden Gemeinde zukommt. Der Landeswahlbehörde kommt daher keine Kompetenz zu, Entscheidungen eines gewählten Gemeinderates in irgendeiner Form aufzuheben oder abzuändern. In konsequenter Auslegung des §81 Abs4 GWO, wonach die Landeswahlbehörde einem Einspruch nur dann stattzugeben hat, wenn eine behauptete Rechtswidrigkeit eines Wahlverfahrens erwiesen ist, kann von dieser Bestimmung ebenfalls nicht Gebrauch gemacht werden, da, wie bereits festgestellt, es sich um keine Angelegenheit des Wahlverfahrens im eigentlichen Sinne gehandelt hat."

1.5.1.1. Mit ihrer am 9.6.2000 zur Post gegebenen und auf Art141 B-VG gestützten Eingabe focht die ÖVP die Wahl zum Gemeinderat der Gemeinde Oberzeiring beim Verfassungsgerichtshof an und begehrt das Wahlverfahren "von der Mandatsverteilung an, also einschließlich der Mandatsverteilung für nichtig zu erklären und als rechtswidrig zu erklären, in eventu aber die ganze Wahl als nichtig zu erklären und aufzuheben."

1.5.1.2. In der Anfechtungsschrift wird im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

"Gemäß §1 Abs2 GWO 1960 besteht der Gemeinderat in Gemeinden, die weniger als 1000 Einwohner haben, aus 9 Mitgliedern. In Gemeinden mit über 1000 bis 3000 Einwohnern aus 15 Mitgliedern. Eine analoge gesetzliche Regelung findet sich in §15 der Steiermärkischen Gemeindeordnung 1967 idgF. Sowohl in der GWO 1960 wie auch in der Steiermärkischen Gemeindeordnung 1967 ist festgelegt, dass Grundlage für die Ermittlung der Anzahl der Gemeinderatsmitglieder das letzte Volkszählungsergebnis ist, welches dem Tag der Wahlausschreibung vorausging. Ebenso wird in den beiden zitierten gesetzlichen Bestimmungen vorgesehen, dass dann, wenn seit der letzten Volkszählung nach dem Ergebnis einer amtlichen Ermittlung der Einwohnerzahl eine solche Änderung eingetreten ist, dass sich hieraus eine andere Zusammensetzung des Gemeinderates ergeben würde, der Gemeinderat die Anzahl der Gemeinderäte nach diesem Ergebnis festsetzen kann.

Die Marktgemeinde Oberzeiring hat nach dem letzten rechtskräftigen Volkszählungsergebnis aus dem Jahre 1990 insgesamt 991 Einwohner. Der Gemeinderat der Marktgemeinde Oberzeiring hat am 16.12.1999 beschlossen, dass sich der künftige, also am 19. März 2000 zur Wahl anstehende Gemeinderat aus 15 Gemeinderäten zusammensetzen soll. Dieser Beschluss wurde mehrheitlich gefasst. Dementsprechend wurde die Wahlausschreibung für die Gemeinderatswahl 2000 für 15 wählbare Gemeinderäte vorgenommen.

Eine im Sinne des §1 Abs3 letzter Satz GWO 1960 bzw. §15 Abs2 letzter Satz Steiermärkische Gemeindeordnung 1967 vorgesehene amtliche Ermittlung der Einwohnerzahl, die eine von mehr als 1000 (und damit abweichend vom letzten rechtskräftigen Volkszählungsergebnis 1990 mit dem Einwohnerzahlergebnis 991) hervorgebracht hätte, hat nie stattgefunden. Im Ergebnis wurde daher die Zahl der Gemeinderäte rechtswidrigerweise von (richtig) 9 auf (unrichtig) 15 erhöht.

Wenn von den Befürwortern dieser Vorgangsweise auf (das) von der Marktgemeinde Oberzeiring geführte Melderegister nach Meldegesetz verwiesen wird, dann wird übersehen, dass eine amtliche Ermittlung der Einwohnerzahl im Sinne des Gesetzestextes nach GWO bzw. Steiermärkischer Gemeindeordnung nur vom Bund angeordnet werden kann. Die Angelegenheiten des Personenstandswesens sind nämlich nach den bundesverfassungsgesetzlichen Vorgaben (Art10 Abs1 Zif. 7 B-VG) ausschließlich der Kompetenz des Bundes zugeordnet. Zum Zeitpunkt, als die GWO 1960 bzw. die Steiermärkische Gemeindeordnung 1967 vom Steiermärkischen Landtag beschlossen wurde, gab es neben der alle 10 Jahre stattfindenden Volkszählung auch noch die sogenannten Personenstandsaufnahmen. Weil diese Personenstandsaufnahmen 'amtliche Ermittlungen der Einwohnerzahl' waren, wurde auch diese Möglichkeit in §1 Abs3 letzter Satz GWO 1960 bzw. §15 Abs2 letzter Satz Steiermärkische Gemeindeordnung 1967 aufgenommen. Außer der amtlichen Volkszählung gibt es derzeit keine 'amtliche Ermittlung von Einwohnerzahlen', die seinerzeit vorgesehene Personenstandsaufnahme gibt es nicht mehr. Aus diesem Grunde ist die Möglichkeit durch Beschlussfassung des Gemeinderates die gesetzlich vorgegebene Anzahl der Gemeinderatsmandate anlässlich der Ausschreibung einer Gemeinderatswahl zu verändern, nicht mehr gegeben. (Anmerkung zu §15 Abs2 Steirisches Gemeinderecht - Ein Handbuch für die Praxis, Schille-Paier-Hafner) Eine von einer Gemeinde - von sich aus und unter Heranziehung der Meldekartei - vorgenommene Ermittlung der Einwohnerzahl kann allenfalls statistischen Zwecken dienen, sie kann aber niemals das Erfordernis einer amtlichen Ermittlung im Sinne der GWO 1960 bzw. der Steiermärkischen Gemeindeordnung 1967 erfüllen. Diese Einschätzung wird auch dadurch unterstützt, dass die Verwendung des Wortes 'amtlich' überflüssig wäre, wenn ein bloßer Rückgriff auf (das) Melderegister genügen würde. Mit anderen Worten, der Landesgesetzgeber hätte sich im Zusammenhang mit der Beschlussfassung über die GWO 1960 bzw. der Steiermärkischen Gemeindeordnung 1967 die Aufnahme der Wortfolge 'nach dem Ergebnis einer amtlichen Ermittlung der Einwohnerzahl' erspart, wenn jeder einfache Rückgriff auf ein Melderegister genügen soll.

...

Die gegenteilige Rechtsauffassung der Landeswahlbehörde beim Amt der Steiermärkischen Landesregierung im nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid überzeugt nicht. Die Landeswahlbehörde beim Amt der Steiermärkischen Landesregierung meint, sie könne im Rahmen ihres Aufsichtsrechtes gemäß §9 Abs4 GWO 1960 nur rechtswidrige Entscheidungen und Verfügungen der nachgeordneten Wahlbehörden aufheben oder abändern. Ihr - der Landeswahlbehörde - komme aber keine Kompetenz zu, Entscheidungen eines gewählten Gemeinderates (sprich: Beschluss, wonach sich der Gemeinderat aus 15 Gemeinderäten zusammensetzen soll) aufzuheben oder abzuändern. Dabei übersieht die Landeswahlbehörde beim Amt der Steiermärkischen Landesregierung aber, dass die Wahlbehörde gemäß §5 GWO 1960 die ihr aufgrund dieses Gesetzes zukommenden Geschäfte zu besorgen hat. In den Wirkungskreis der Wahlbehörde fällt daher auch die Anwendung des §1 GWO 1960, und zwar mit der Maßgabe, wie dies den obigen Überlegungen entspricht. D.h., die Wahlbehörde hätte, weil es seit der Volkszählung 1990 kein anders lautendes amtliches Einwohnerzahlermittlungsergebnis gibt, die Mandatsverteilung auf der Basis von 9 Mandaten vornehmen müssen. Dass die Wahlbehörde dies im Widerspruch zu §1 GWO 1960 nicht beachtet hat, ist sehr wohl durch die Landeswahlbehörde beim Amt der Steiermärkischen Landesregierung wahrzunehmen."

1.5.2. Die im verfassungsgerichtlichen Verfahren zur Erstattung einer Gegenschrift aufgeforderte Landeswahlbehörde legte die Wahlakten vor, gab jedoch - unter Hinweis auf die Begründung ihres Bescheides vom 11.5.2000 - keine Stellungnahme ab.

2. Über die Wahlanfechtung wurde erwogen:

2.1.1. Gemäß Art141 Abs1 lita B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof ua. über die Anfechtung von Wahlen zu den allgemeinen Vertretungskörpern, so auch über die Anfechtung einer Gemeinderatswahl (zB VfSlg. 14.847/1997). Nach Art141 Abs1 zweiter Satz B-VG kann eine solche Anfechtung auf die behauptete Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens gegründet werden.

2.1.2.1. Nach §68 Abs1 VerfGG muss die Wahlanfechtung binnen vier Wochen nach Beendigung des Wahlverfahrens, wenn aber in dem anzuwendenden Wahlgesetz ein Instanzenzug vorgesehen ist, binnen vier Wochen nach Zustellung des in letzter Instanz ergangenen Bescheides eingebracht werden.

2.1.2.2. Ein derartiger, die unmittelbare Anfechtung der Wahl zum Gemeinderat der Gemeinde Oberzeiring beim Verfassungsgerichtshof ausschließender Instanzenzug ist gemäß der Bestimmung des §81 Abs1 GWO vorgesehen: Danach kann eine Wahl ua. wegen behaupteter Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens binnen zwei Wochen - vom Ablauf des ersten Kundmachungstages (des Wahlergebnisses) an gerechnet - vom zustellungsbevollmächtigten Vertreter jeder wahlwerbenden Partei schriftlich mit Einspruch bekämpft werden.

Über den bei der Gemeindewahlbehörde schriftlich zu erhebenden Einspruch entscheidet in erster und letzter Instanz die Landeswahlbehörde (§81 Abs4 und 6 GWO).

2.1.2.3.1. Wie sich aus den Ausführungen zu Punkt 1.4.2.1. ergibt, wurde der vom zustellungsbevollmächtigten Vertreter der ÖVP gemäß §81 GWO wegen Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens ergriffene Einspruch mit Bescheid der Landeswahlbehörde vom 11.5.2000 als unbegründet abgewiesen.

Maßgebender Zeitpunkt für den Beginn des Laufes der vierwöchigen Frist zur Anfechtung der in Rede stehenden Gemeinderatswahl vor dem Verfassungsgerichtshof ist somit der 15.5.2000, das ist der Tag der Zustellung des Bescheides der Landeswahlbehörde an den zustellungsbevollmächtigten Vertreter der ÖVP (sh. schon Pkt. 1.4.2.1.).

2.1.2.3.2. Die am 9.6.2000 zur Post gegebene Wahlanfechtung (sh. Pkt. 1.5.1.1.) wurde darum rechtzeitig eingebracht.

2.1.3. Da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen zutreffen, ist die Wahlanfechtung zulässig.

2.2.1. Nach Art141 Abs1 zweiter Satz B-VG kann die Anfechtung einer Gemeinderatswahl nur auf die behauptete Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens gegründet werden. Es stellt sich daher zunächst die Frage, ob der Beschluss des Gemeinderates über die Festsetzung der Anzahl der Mitglieder des Gemeinderates überhaupt ein Akt des Wahlverfahrens ist, der im Wege einer Wahlanfechtung nach Art141 B-VG bekämpft werden kann.

Dazu vertritt die Landeswahlbehörde in ihrem Bescheid die Auffassung, dass es sich bei der Beschlussfassung des Gemeinderates über die Anzahl der zu wählenden Gemeinderäte nicht um eine "Angelegenheit des Wahlverfahrens im eigentlichen Sinne" handle. Demgegenüber ist der Verfassungsgerichtshof der Auffassung, dass diese Frage zu bejahen ist: Unter "Wahlverfahren" iSd Art141 B-VG bzw. §68 VerfGG sind nämlich sämtliche zur Durchführung der Wahl erforderlichen Phasen des Verfahrens zu verstehen, die zu einem Gesamtbegriff zusammengefasst werden (VfSlg. 15.458/1999 mwH). Im vorliegenden Fall zählt dazu auch die in der GWO geregelte Ermittlung und etwaige Festsetzung der Anzahl der Gemeinderäte . Mit einer solchen Festsetzung wird nämlich die wahlrechtlich bedeutsame Frage entschieden, wie viele Gemeinderäte von den (wahlberechtigten) Gemeindemitgliedern zu wählen sind. Weder von Verfassungs noch von Gesetzes wegen besteht ein Grund zur Annahme, dass das diesbezügliche Vorgehen des Gemeinderates nicht zunächst im administrativen Wahlanfechtungsverfahren von der Landeswahlbehörde und schließlich in einem Verfahren gemäß Art141 B-VG vom Verfassungsgerichtshof auf seine Rechtmäßigkeit hin geprüft werden könnte. Der Umstand, dass nach der GWO der Gemeinderat und nicht eine der in der GWO explizit genannten Wahlbehörden dazu berufen ist, die Anzahl der Gemeinderäte festzusetzen, ändert daran nichts.

Ausgehend davon stellt sich nun die weitere Frage, ob der Beschluss des Gemeinderates über die Festsetzung der Anzahl der (zu wählenden) Gemeinderäte den Bestimmungen des §1 Abs2 und 3 GWO entsprach. Die anfechtende Wählergruppe vertritt dazu in Ansehung des §1 Abs3 GWO die Auffassung, dass es außer der amtlichen Volkszählung derzeit keine amtliche Ermittlung von Einwohnerzahlen gebe; die seinerzeit vorgesehene Personenstandsaufnahme gebe es nicht mehr. Daher sei die Anzahl der Gemeinderäte rechtswidriger Weise von 9 auf 15 erhöht worden.

Diese Rechtswidrigkeitsbehauptung trifft auf Grund der folgenden Überlegungen im Ergebnis zu:

Ausgehend vom Wortlaut des §1 Abs3 GWO bestimmt sich die Anzahl der (zu wählenden) Mitglieder des Gemeinderates grundsätzlich nach der Einwohnerzahl, die sich auf Grund der jeweils letzten Volkszählung ergibt. Nur dann, wenn seit dieser Volkszählung "nach dem Ergebnis einer amtlichen Ermittlung der Einwohnerzahl" solche Änderungen eingetreten sind, dass sich hieraus im Hinblick auf §1 Abs2 GWO eine andere Zusammensetzung des Gemeinderates ergeben würde, ist der Gemeinderat zu einer (abweichenden) Festsetzung der Anzahl der Gemeinderäte auf Basis des Ergebnisses dieser amtlichen Ermittlung ermächtigt. Nichts spricht aber dafür, dass unter dem Begriff der "amtlichen Ermittlung" iSd §1 Abs3 GWO auch die - im Wesentlichen auf der An- bzw. Abmeldung der meldepflichtigen Personen, und eben nicht auf einer "amtlichen Ermittlung", beruhenden (vgl. die §§2 ff. MeldeG) - Meldedaten zu verstehen sein könnten.

2.2.2. Da die solcherart erwiesene Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens ohne Zweifel von Einfluss auf das Wahlergebnis sein konnte, war der Wahlanfechtung stattzugeben und das Verfahren zur Wahl des Gemeinderates der Gemeinde Oberzeiring beginnend mit der Beschlussfassung des Gemeinderates über die Anzahl der Gemeinderatsmitglieder vom 16.12.1999 aufzuheben.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.

Schlagworte

Gemeinderecht, Gemeinderat, Wahlen, Wahlanfechtung administrative

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2001:WI9.2000

Dokumentnummer

JFT_09988871_00W00I09_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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