Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes
Hon-Prof. Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Scheuch und Wolfgang Neumeier als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Ing. I***** H*****, EDV- und Hochfrequenztechniker, ***** vertreten durch ***** Rechtsanwalt *****, wider die beklagte Partei M***** T*****, Kaufmann, ***** wegen S 940.575,96 brutto und S 27.797,50 netto sA abzüglich S 28.000,-- netto, infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19. Juli 1991, GZ 33 Ra 53/91-16, womit der Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluß des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 24. April 1991, GZ 20 Cga 94/90-13, zurückgewiesen wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Prozeßgericht erster Instanz wird aufgetragen, im Sinne des § 6 a ZPO eine Entscheidung des Pflegschaftsgericthes darüber einzuholen, ob auch die gegenständliche Klageführung vom Wirkungskreis der Sachwalterschaft umfaßt ist.
Die Kosten des Rekurs- und des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Mit der vorliegenden Klage begehrt der anwaltlich vertretene Kläger die Zahlung von S 940.575,96 brutto abzüglich S 28.000,-- netto sA an restlichem Gehalt, Überstundenentgelt, Kündigungsentschädigung und Urlaubsentschädigung sowie S 27.797,50 an Barauslagenersatz. Er sei vom 1. März 1989 bis 31. Oktober 1989 beim Beklagten als Angestellter beschäftigt gewesen. Bei einer Arbeitszeit von 30 Stunden pro Woche habe sein vereinbarter Monatsbezug S 30.048,70 brutto betragen. Da er während der Zeit seiner Beschäftigung aber 1.104,5 Mehrarbeitsstunden und 899 Überstunden geleistet habe, erhöhe sich sein Entgelt auf einen monatlichen Gesamtbezug von S 79.319,40 brutto. Davon habe ihm der Beklagte nur einen Teilbetrag von S 28.000 netto gezahlt. Aufgrund des trotz Setzung einer Nachfrist noch immer ausstehenden restlichen Entgelts sei der Kläger vorzeitig aus dem Arbeitsverhältnis ausgetreten, so daß ihm auch die Kündigungsentschädigung und Urlaubsentschädigung zustehen.
Das Erstgericht stellte die Klage dem Klagevertreter unter Hinweis auf die beim Bezirksgericht I***** geführte Sachwalterschaft zur Verbesserung binnen 4 Wochen durch Vorlage einer pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung bzw. Zustimmung des Sachwalters zurück. Der Kläger erstattete daraufhin eine Äußerung, in der er das Bestehen einer Sachwalterschaft bestritt und im übrigen erklärte, daß die streitgegenständliche Angelegenheit auch bei Vorliegen einer Sachwalterschaft ohnehin in den eigenen Wirkungsbereich des Klägers falle. Nach Einholung einer Stellungnahme des Pflegschaftsgerichtes, wonach für den Kläger ein Sachwalter zur Besorgung aller Angelegenheiten bestellt worden sei und einer Äußerung des Sachwalters, daß er die Klageführung nicht genehmige, wies das Erstgericht die Klage zurück.
Das Rekursgericht wies den gegen diesen Beschluß gerichteten Rekurs des Klägers - im Sinne einer bestätigenden Sachentscheidung - zurück. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß es dem Prozeßgericht seit dem Inkrafttreten des Sachwaltergesetzes verwehrt sei, selbst die Prozeßfähigkeit geistig behinderter Personen zu überprüfen. Das Pflegschaftsgericht habe im Sinne des § 6 a ZPO bindend ausgesprochen, daß für den Kläger ein Sachwalter zur Besorgung aller Angelegenheiten bestellt worden sei. Damit erübrige es sich, auf die Rekursausführungen, ob diese Bestellung auch rechtswirksam erfolgt sei, einzugehen. Eines Verbesserungsverfahrens durch Beibringung der Zustimmung des Sachwalters zur Rekurserhebung bedürfe es nicht, da der Kläger weiterhin auf seiner Ansicht beharre, die Genehmigung des Sachwalters sei für die Prozeßführung nicht erforderlich.
Gegen diesen Beschluß richtet sich der Revisionsrekurs des Klägers mit dem sinngemäßen Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens ohne Einholung einer Genehmigung der Klageführung aufgetragen werde. Hilfsweise werden Aufhebungsanträge gestellt.
Der Revisionsrekurs ist berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Der Kläger wurde mit Beschluß des Bezirksgerichtes I***** wegen Geisteskrankheit beschränkt entmündigt. Ein Ausspruch im Sinne des § 67 Abs 1 letzter Satz EntmO, daß die Wirksamkeit des Beschlusses bis zu seiner Rechtskraft aufgeschoben werde, erfolgte nicht. Das Gericht zweiter Instanz wies den vom Kläger gegen die erstgerichtliche Entscheidung erhobenen Rekurs zurück und gab seinem Widerspruch nicht Folge. Nach Eröffnung des Pflegschaftsverfahrens sprach das Pflegschaftsgericht mit Beschluß vom 19. Juli 1984***** aus, daß der Kläger aufgrund des Art X Z 3 Abs 1 des BG vom 2. Februar 1983 über die Sachwalterschaft für behinderte Personen, BGBl. 1983/136, mit 1. Juli 1984 einer Person gleichsteht, der ein Sachwalter zur Besorgung aller Angelegenheiten nach § 273 Abs 3 Z 3 ABGB bestellt wurde, und daß der bisherige Beistand Sachwalter ist. Zugleich hielt das Pflegschaftsgericht im Sinne der zitierten Übergangsbestimmung fest, daß der Betroffene aber weiterhin die Handlungsfähigkeit eines mündigen Minderjährigen behalte.
Bei dieser Sach- und Rechtslage ist vorerst den Vorinstanzen beizupflichten, daß es nicht Sache des Prozeßgerichtes ist, allfällige Mängel des seinerzeitigen Entmündigungsverfahrens wahrzunehmen, zumal Grundlage der Sachwalterbestellung der Beschluß des Pflegschaftsgerichtes vom 19. Juli 1984 ist. Bei diesem kann aber keine Rede davon sein, daß es sich um einen "absolut unwirksamen Rechtsakt" gehandelt habe (vgl dazu etwa die den Kläger betreffenden Entscheidungen in der Sachwalterschaftssache 7 Ob 729, 730/86; 7 Ob 698, 699/87). Ebenso können die Einwände des Klägers gegen die Person des Sachwalters nicht vom Prozeßgericht, sondern nur von dem die Sachwalterschaft führenden Pflegschaftsgericht geprüft werden (vgl NZ 1986, 231).
Der Revisionsrekurs ist aber insoweit zulässig und beachtlich, als bisher mangels näherer Differenzierung keine Entscheidung des Pflegschaftsgerichtes darüber vorliegt, ob der Kläger zur konkreten Klageführung überhaupt der Zustimmung des Sachwalters bedarf. Die den Kläger betreffende Sachwalterschaft nach § 273 Abs 3 Z 3 ABGB besteht nämlich aufgrund der Übergangsbestimmung des Art X Z 3 Abs 1 des Sachwaltergesetzes, in der ausdrücklich klargestellt ist, daß ein beschränkt Entmündigter die Handlungsfähigkeit eines mündigen Minderjährigen behält (vgl. Gamerith, Drei Jahre Sachwalterrecht, NZ 1988, 61 ff, 65 mit FN 40 a; Gitschthaler, Einzelne Probleme des neuen Sachwalterrechts und der Versuch einer Lösung, ÖJZ 1985, 193 ff, 198). Mündige Minderjährige können sich gemäß § 152 ABGB aber selbständig durch Vertrag zu Dienstleistungen verpflichten und dürfen gemäß § 151 Abs 2 ABGB über ihr Einkommen aus eigenem Erwerb so weit verfügen, als dadurch nicht die Befriedigung ihrer Lebensbedürfnisse gefährdet wird. Demgemäß, da die Prozeßfähigkeit nichts anderes ist als die przessuale Handlungsfähigkeit, sind mündige Minderjährige auch bezüglich des Einkommens aus ihrem Erwerb, soweit dadurch nicht die Befriedigung ihrer Lebensbedürfnisse gefährdet ist, prozeßfähig (vgl. Fasching, ZPR2 Rz 348). Die vorliegende Klage betrifft angeblich vorenthaltenes Erwerbseinkommen.
Nun sind zwar Zweifel im Sinne des § 6 a ZPO grundsätzlich auch bei einer Prozeßpartei möglich, der bereits ein Sachwalter nach § 273 ABGB bestellt wurde (vgl. Steinbauer, Die Handlungsfähigkeit geistig Behinderter nach dem neuen Sachwalterrecht, ÖJZ 1985, 385 ff, 429), doch ist es dem Prozeßgericht auch in diesem Fall verwehrt, die diesbezüglich eingeschränkte Prozeßfähigkeit zu prüfen (vgl. SZ 60/56; RZ 1988/39 ua). Ist es der Ansicht, daß der Wirkungskreis des Sachwalters zu erweitern und damit der anhängig gemachte Rechtsstreit betroffen ist, hat es das Pflegschaftsgericht zu verständigen, das ehestens mitteilen muß, ob sich der Wirkungskreis des Sachwalters auch auf die konkrete Klageführung bezieht. Eine solche Verständigung ist bisher, da die Vorinstanzen bei Vorliegen einer Sachwalterschaft auch von einer Prozeßunfähigkeit schlechthin ausgegangen sind, nicht erfolgt (vgl. auch Pichler in Rummel, ABGB2 I, § 273 Rz 6).
Die Kostenentscheidung ist in § 52 ZPO begründet.
Anmerkung
E26901European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1991:009OBA00239.91.1218.000Dokumentnummer
JJT_19911218_OGH0002_009OBA00239_9100000_000