Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon-Prof.Dr. Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Graf, Dr. Jelinek und Dr. Schinko als weitere Richter in der Pflegschaftssache des am 5. August 1975 geborenen mj. Roman S*****, AMFG-Kursteilnehmer, ***** infolge Revisionsrekurses des Unterhaltssachwalters MAGISTRAT DER LANDESHAUPTSTADT ST.PÖLTEN gegen den Beschluß des Landesgerichtes St.Pölten als Rekursgericht vom 18. September 1991, GZ R 548/91-127, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes St.Pölten vom 2. Juli 1991, GZ 2 P 94/85-118, abgeändert wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß der mit Beschluß des Bezirksgerichtes St.Pölten vom 19.6.1990, 2 P 94/85-111, für die Zeit vom 1.8.1989 bis 31.12.1992 gewährte monatliche Unterhaltsvorschuß ab 1.6.1991 auf S 1.540 herabgesetzt wird.
Text
Begründung:
Mit Beschluß des Erstgerichtes vom 4.4.1990 wurde dem Vater des mj. Roman S***** eine monatliche Unterhaltsverpflichtung von S 2.850 auferlegt.
Am 21.6.1991 teilte der Unterhaltssachwalter dem Pflegschaftsgericht mit, daß der Minderjährige seit 2.5.1991 als Maurerlehrling eine monatliche Lehrlingsentschädigung von S 4.500 beziehe.
Der dem Minderjährigen mit Beschluß vom 19.6.1990 für die Zeit vom 1.8.1989 bis 31.12.1989 gewährte Unterhaltsvorschuß nach den §§ 3, 4 Z 1 UVG von monatlich S 2.850 wurde vom Erstgericht mit Beschluß vom 2.7.1991 mit Ablauf des 31.5.1991 eingestellt. Der Minderjährige sei seit 2.5.1991 als Maurerlehrling beschäftigt und verfüge damit über ein Einkommen, das um mehr als S 1.000 monatlich den Normalbedarf (S 3.570 monatlich) übersteige.
Das Rekursgericht wies den Rekurs des Unterhaltssachwalters, soweit er den Monat Mai 1991 betrifft, als unzulässig zurück, im übrigen gab er ihm teilweise Folge und setzte den Unterhaltsvorschuß auf S 900 monatlich herab; der ordentliche Revisionsrekurs wurde für zulässig erklärt.
Der zurückweisende Teil der Entscheidung wurde damit begründet, daß es dem Unterhaltssachwalter an der erforderlichen Beschwer fehle. Da die Einstellung des Unterhaltsvorschusses erst mit 1.6.1991 erfolgt sei, liege für Mai 1991 kein Nachteil vor, so daß ein Rechtsschutzinteresse nicht gegeben sei.
Im übrigen wurde ausgeführt, nach § 6 Abs 1 UVG dürften Vorschüsse monatlich den Richtsatz für pensionsberechtigte Halbwaisen nach § 293 Abs 1 lit c/bb erster Fall ASVG, vervielfacht mit dem jeweiligen Anpassungsfaktor (§ 108 a ASVG) nicht übersteigen. Ein Einstellungsgrund nach § 20 Abs 1 Z 4 lit a UVG sei in dem Ausmaß anzunehmen, in dem der Richtsatzbetrag durch eigene Einkünfte des Kindes gedeckt sei; der Zweck des UVG sei nicht auf eine völlige Substitution von Unterhaltsleistungen, sondern darauf gerichtet, im wesentlichen im Rahmen bereits festgesetzter Unterhaltsansprüche den Unterhalt von Kindern aus Mitteln der Allgemeinheit und daher auch nur bis zur Höhe des Richtsatzes zu sichern. Auch ein Kind ohne eigene Einkünfte müsse sich mit einem Vorschuß in Richtsatzhöhe begnügen.
Die vom Minderjährigen bezogene Lehrlingsentschädigung könne nicht einseitig nur dem nichtbetreuenden Elternteil zugute kommen. Eine Minderung des Unterhaltsanspruches gemäß § 140 Abs 3 ABGB erfasse also nicht nur den Geldunterhaltsanspruch, sondern auch den in Form der Betreuung nach § 140 Abs 2 ABGB erbrachten Unterhaltsanspruch gegen den obsorgenden Elternteil.
Die Anrechnung habe im Verhältnis von 2 : 1 zugunsten des Geldunterhaltspflichtigen zu erfolgen, weil der geschuldete Betreuungsaufwand für einen Lehrling zweifellos mit erheblich geringerem Geldwert zu veranschlagen sei als der zur Deckung der anderen Bedürfnisse erforderliche Geldbetrag. Nach der Gesamtschau des UVG werde der gesetzliche Unterhalt nur insoweit bevorschußt, als er in Form einer Geldrente zu bezahlen sei.
Daraus folge, daß dem im § 6 Abs 1 UVG festgesetzten Richtsatz von S 3.980 das Einkommen des Minderjährigen gegenüberzustellen ei. Wie sich aus den dem Rekurs angeschlossenen Beilagen ergebe, sei das Lehrverhältnis wegen Minderbegabung mit 25.6.1991 aufgelöst worden. Anschließend sei der Minderjährige als Hilfsarbeiter beschäftigt gewesen, dieses Arbeitsverhältnis sei wegen Nichterfüllung der körperlichen Voraussetzungen beendet worden. Für den Zeitraum 1.6.1991 bis 12.7.1991 habe der Minderjährige insgesamt S 6.600 erhalten. Die Änderung der Einkommensverhältnisse könne im Rekursverfahren Berücksichtigung finden, weil sie vor der erstgerichtlichen Beschlußfassung eingetreten sei. Daraus lasse sich ab 1.6.1991 ein Monatseinkommen von S 4.714 errechnen, was (in Ansehung der Geldunterhaltsverpflichtung) ein anrechenbares Einkommen von S 3.143 ergebe. Daraus verbleibe ein Geldunterhaltsdefizit von ca S 900. Da die Lehrlingsentschädigung für Mai 1991 für die Entscheidung irrelevant und das Lehrverhältnis vorzeitig beendet worden sei, brauche auf die weitere Frage, in welchem Ausmaß das Einkommen allenfalls noch um Berufsausbildungskosten zu reduzieren sei, nicht eingegangen werden. Die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses als Hilfsarbeiter zum 12.7.1991 sei nach der erstgerichtlichen Beschlußfassung eingetreten und daher für die Entscheidung unbeachtlich.
Der Revisionsrekurs des Unterhaltssachwalters ist zulässig und berechtigt.
Da gegen den zurückweisenden Teil der Entscheidung des Rekursgerichtes im Revisionsrekurs nichts vorgebracht wird, ist darauf nicht weiter einzugehen.
Rechtliche Beurteilung
Das Rekursgericht hat sich der in den Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs 6 Ob 598/90 und 7 Ob 519/91 vertretenen Ansicht angeschlossen, es dürften, wenn das minderjährige Kind eigene Einkünfte beziehe, Vorschüsse den Unterschiedsbetrag zwischen dem im § 6 Abs 1 UVG genannten Richtsatz und den eigenen Einkünften nicht übersteigen. Soweit der in § 6 Abs 1 UVG genannte Richtsatz durch eigene Einkünfte gedeckt sei, sei ein Einstellungsgrund nach § 20 Abs 1 Z 4 lit a UVG anzunehmen.
Diese Ansicht entspricht aber nicht mehr der herrschenden Judikatur des Obersten Gerichtshofes.
In der Folge hat nämlich der 6.Senat seine frühere Rechtsansicht in der Entscheidung vom 4.7.1991, 6 Ob 584/91, dahin interpretiert, daß die monatlichen Vorschüsse den Unterschiedsbetrag zwischen dem Richtsatz des § 6 Abs 1 UVG und den eigenen Einkünften des Minderjährigen, soweit diese zur Befriedigung der vom Unterhaltsschuldner in Geld abzudeckenden Bedürfnisse heranzuziehen sind, nicht übersteigen dürfen. In dieser Entscheidung wurde der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, daß eigene Einkünfte des unterhaltsberechtigten Kindes gleichrangig auf die von beiden Elternteilen gemeinsam geschuldeten Unterhaltsleistungen anzurechnen seien, Rechnung getragen und es wurde ausgeführt, daß eigene Einkünfte des Minderjährigen auch für die Vorschußgewährung nach dem UVG nur insoweit von Bedeutung seien, als sie zur Befriedigung der durch Geldzahlungen des Unterhaltsschuldners abzudeckenden Unterhaltsbedürfnisse heranzuziehen sind.
Der 4.Senat hat in der Entscheidung vom 8.10.1991, 4 Ob 549/91, die in den Entscheidungen 6 Ob 598/90 und 7 Ob 590/91 geäußerten Rechtsansichten abgelehnt und ausgeführt, die starre Grenze des § 6 UVG lasse sich am ehesten als bloße fiskalische Auszahlungsgrenze erklären, mangels jeglicher Anhaltspunkte im Gesetz sei sie aber nicht als Unterhaltsgrenze zu verstehen. Eigene Einkünfte des Unterhaltsberechtigten minderten auch nicht zwingend den Unterhaltsanspruch, dies vor allem dann nicht, wenn der Unterhaltspflichtige wegen seiner geringen Leistungsfähigkeit bisher nur einen Bruchteil des Bedarfes des Unterhaltsberechtigten decken konnte. Im Regelfall würden aber eigene Einkünfte des Kindes auch eine Verminderung seines Unterhaltsanspruches nach sich ziehen. Bei derartigen Veränderungen habe das Gericht gemäß § 7 Abs 1 Z 1 UVG die Vorschüsse teilweise zu versagen bzw gemäß § 19 Abs 1 UVG (iVm § 7 Abs 1 Z 1 UVG) herabzusetzen. Es seien also nicht die Einkünfte des Minderjährigen von dem bisher als Vorschuß gewährten Betrag einfach abzuziehen, sondern es sei zu ermitteln, mit welchem Betrag die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht unter Bedachtnahme auf die eigenen Einkünfte des Kindes noch bestehe. Dieser Ansicht hat sich auch der 3.Senat in der Entscheidung vom 23.10.1991 (3 Ob 558/91) angeschlossen und ausgeführt, beim sog Titelvorschuß komme gemäß § 20 Abs 1 Z 4 b UVG iVm § 7 Abs 1 Z 1 UVG eine Einstellung der Vorschüsse nicht schon dann in Betracht, wenn das Eigeneinkommen des Kindes den in § 6 Abs 1 UVG genannten Richtsatz überschreite, sondern erst dann, wenn das Eigeneinkommen des Kindes so hoch sei, daß die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht nicht mehr bestehe.
Auch der erkennende Senat hat im Ergebnis ebenfalls schon mehrfach dieselbe Ansicht vertreten (8 Ob 550/90; 8 Ob 504/91) und er hält an dieser Auffassung auch diesmal fest.
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung (JBl 1991, 41; 3 Ob 547/90; 6 Ob 570/90; 8 Ob 504/91 uva) und Lehre (Pichler in Rummel2, Rz 11 a zu § 140), daß auch die Lehrlingsentschädigung unter jene Einkünfte fällt, die nach § 140 Abs 3 ABGB zu berücksichtigen sind. Sie ist, soferne sie nicht als Ausgleich für berufsbedingten Mehraufwand außer Betracht bleibt, Eigeneinkommen des Kindes.
Eigene Einkünfte des Unterhaltsberechtigten dürfen nicht zu einer einseitigen Entlastung nur des Geldunterhaltspflichtigen (und nicht auch des anderen Elternteiles) führen, sie sind vielmehr auf die von beiden Elternteilen gemeinsam geschuldeten Unterhaltsleistungen anzurechnen (6 Ob 624/90; 3 Ob 547/90; 5 Ob 513/91). In der Entscheidung 6 Ob 624/90 wurde ausführlich dargelegt, daß es im Falle bloß teilweiser Selbsterhaltungsfähigkeit darauf ankommt, die Quote des nicht gedeckten Gesamtunterhaltsbedarfes zu ermitteln; sodann ist der nicht durch Naturalleistungen gedeckte Unterhaltsbedarf festzustellen und mit der vorgenannten Quote zu multiplizieren. Daraus errechnet sich der Anspruch auf Geldunterhalt, soweit er in der Leistungsfähigkeit des Geldunterhaltspflichtigen Deckung findet. Dieser Ansicht hat sich auch der 5.Senat in der Entscheidung 5 Ob 513/91 angeschlossen und sie wird auch vom erkennenden Senat geteilt.
Nach herrschender Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ist die zur Unterhaltsbefreiung des nicht betreuenden Elternteiles führende Selbsterhaltungsfähigkeit eines Kindes bei einfachen Lebensverhältnissen unter Berücksichtigung des Umstandes, daß außer dem Geldunterhalt auch noch die Betreuung benötigt wird, erst bei einem Eigeneinkommen anzunehmen, das dem Richtsatz für die Gewährung von Ausgleichszulagen nach § 293 Abs 1 lit a/bb und lit b ASVG (ab 1.1.1991 S 6.000 14mal jährlich, daher im Monatsdurchschnitt S 7.000) entspricht (1 Ob 594/90; 2 Ob 534/91; 3 Ob 558/91; 4 Ob 511/91; 5 Ob 513/91; 6 Ob 570/90; 8 Ob 504/91).
Im vorliegenden Fall stehen dem Minderjährigen nach den unbekämpfbaren Feststellungen des Rekursgerichtes S 4.714 pro Monat zur Deckung der Unterhaltsbedürfnisse zur Verfügung; geht man von Unterhaltsbedürfnissen im Gegenwert von S 7.000 aus, so verbleibt ein nicht durch Eigeneinkommen gedeckter Unterhaltsbedarf von S 2.286 (rund 33 % des Gesamtbedarfes), der durch Geldunterhalt und Betreuungsleistungen abzudecken ist. Wie schon in der Entscheidung 5 Ob 513/91 ausgeführt wurde, ist der geschuldete Betreuungsaufwand für einen 16jährigen Minderjährigen mit erheblich geringerem Geldwert zu veranschlagen als der zur Deckung der anderen Bedürfnisse erforderliche Geldbetrag. Ohne Verletzung der Rechte des Geldunterhaltspflichtigen kann von einem Verhältnis von 2 : 1 zu seinen Lasten ausgegangen werden. Unter diesen Prämissen errechnet sich unter Anwendung der in der Entscheidung 6 Ob 624/90 dargelegten Grundsätze ein Geldunterhalt von S 1.540 (7.000 x 2 x 33: 3 x 100).
Es war daher dem Revisionsrekurs teilweise Folge zu geben und der Unterhaltsvorschuß in dieser Höhe festzulegen.
Anmerkung
E28095European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1992:0080OB00649.91.0116.000Dokumentnummer
JJT_19920116_OGH0002_0080OB00649_9100000_000