TE OGH 1992/1/23 6Ob504/92

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Veröffentlicht am 23.01.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Redl, Dr. Kellner und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*****gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr. Michael Lackner, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei Brigitte K*****, vertreten durch Dr. Andreas Mirecki, Rechtsanwalt in Wien, wegen Räumung einer Mietwohnung, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 3. September 1991, AZ 48 R 543/91 (ON 14), womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom 4. Juni 1991, GZ 5 C 2642/90-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird stattgegeben. Das angefochtene Urteil und das Urteil erster Instanz werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz rückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind Kosten des zu ergänzenden Verfahrens.

Text

Begründung:

Die Klägerin ist eine Verwaltungsgesellschaft; sie wurde von einer Investitionsgesellschaft ermächtigt, Wohnungen, an denen dieser das Wohnungseigentum zusteht, zu vermieten. Die Klägerin vermietete eine dieser Eigentumswohnungen der Beklagten im Sinne der mit 24. Oktober 1985 datierten Vertragsurkunde für die Zeit vom 15. Oktober 1985 bis 30. September 1990. Zu diesem Endtermin sollte das Mietverhältnis nach einer in die Mietvertragsurkunde aufgenommenen ausdrücklichen Regelung automatisch erlöschen, ohne daß es einer Kündigung hätte bedürfen sollen. Vereinbart war eine einmonatige Zinszahlungsperiode.

Die Klägerin erklärte sich gegenüber der Beklagten im Schreiben vom 9. Juni 1989 unter der Voraussetzung der restlosen Zahlung der bis dahin aufgelaufenen Verbindlichkeiten, der weiteren Voraussetzung eines guten Erhaltungszustandes der Wohnung und einer Mietzinsanpassung zu einer befristeten Vertragsverlängerung über den 30. September 1990 hinaus grundsätzlich einverstanden. Zu diesem Zeitpunkt bestand keinerlei Zahlungsrückstand der Beklagten.

Im August 1990 trat die Beklagte auf ein ihr gestelltes Anbot hin in Verhandlungen über einen Kauf der von ihr in Bestand gehaltenen Eigentumswohnung ein. Der von ihr gebotene Kaufpreis wurde zwar als zu niedrig zurückgewiesen, die Verhandlung über den Wohnungskauf deshalb aber nicht endgültig abgebrochen (Beilage D).

Die Klägerin hatte an die Beklagte das mit 9. Juli 1990 datierte Schreiben (Beilage A) gerichtet, dessen Erhalt die Beklagte nicht bestritten hat (AS 20). Darin hatte die Klägerin die Beklagte "schon jetzt vorsorglich darauf aufmerksam" gemacht, "daß das Mietverhältnis seitens der derzeitigen Eigentümerin nicht mehr verlängert wird und somit am 30. September 1990 endet".

Mit dem am 20. September 1990 datierten Schreiben (Beilage C), dessen Erhalt die Beklagte zwar nicht in Abrede stellte, dessen inhaltliche Richtigkeit sie aber bestritt (AS 20), gab die Klägerin unter ausdrücklicher Bezugnahme auf ihr Schreiben vom 9. Juli 1990 der Beklagten "wie vereinbart, den Termin für die Rücknahme der .... Wohneinheit bekannt" und ersuchte sie, "sich als Rücknahmetermin Freitag, den 28. 9. 1990 um 10.00 Uhr vorzumerken".

Zu dem von der Klägerin genannten Termin kam es zu keiner Rückstellung der Mietwohnung.

Die Klägerin brachte hierauf am 19. November 1990 gegen die Beklagte die auf Beendigung des Mietverhältnisses gestützte Räumungsklage ein.

Die Beklagte wendete vor allem eine stillschweigende Verlängerung des Bestandvertrages mangels rechtzeitigen Antrages auf Erlassung eines Übergabsauftrages oder rechtzeitiger Klage auf Rückstellung der Wohnung ein, überdies Verzicht auf den Endtermin sowie mangelnde Aktivlegitimation der Klägerin.

Das Prozeßgericht erster Instanz wies das Räumungsbegehren ab.

Es erachtete mangels einer zwischen 30. September und 14. Oktober 1990 feststellbaren unzweifelhaften Erklärung der Klägerin, das ursprünglich mit 30. September 1990 befristete Mietverhältnis nicht fortsetzen zu wollen, dieses gemäß der §§ 1114, 1115 ABGB als um eine Zinsperiode von einem Monat und damit die Gesamtvertragszeit über die Fünfjahresfrist des § 29 Abs 1 Z 3 lit b MRG hinaus verlängert.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Dazu sprach es aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Das Berufungsgericht erachtete jeden vor Ablauf der vertraglich festgelegten Bestandzeit auch noch so eindeutig erklärten Willen der Bestandgeberin, das Bestandverhältnis über den bedungenen Zeitpunkt hinaus keinesfalls fortsetzen zu wollen, als unbeachtlich. Es billigte daher die erstrichterliche Auffassung, ohne zur Frage der vom Prozeßgericht erster Instanz überdies verneinten Aktivlegitimation der Klägerin Stellung zu nehmen.

Die Klägerin ficht das bestätigende Berufungsurteil wegen einer nach § 502 Abs 1 ZPO qualifizierten unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit einem auf Klagsstattgebung zielenden Abänderungsantrag und einem hilfsweise gestellten Aufhebungsantrag an.

Die Beklagte strebt die Zurückweisung der Revision mangels Vorliegens der nach § 502 Abs 1 ZPO geforderten Zulässigkeitsvoraussetzung, hilfsweise die Bestätigung der angefochtenen Entscheidung an.

Die Revision ist mit Rücksicht auf die unterschiedliche Wertung von unmittelbar vor dem vereinbarten Endtermin gegen jede Verlängerung des Bestandverhältnisses abgegebenen Erklärungen des Bestandgebers (in MietSlg 2.222/49 einerseits und MietSlg 29.175 andererseits) zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist auch berechtigt.

Die Verlängerung eines auf bestimmte Zeit eingegangenen Bestandverhältnisses im Sinne der §§ 1114 ABGB, 569 ZPO beruht konstruktiv auf der Annahme einer darauf gerichteten schlüssigen Willensübereinstimmung der Vertragsteile. Dabei bewertet das Gesetz im § 1114 ABGB ausschließlich Verhaltensweisen der Vertragsteile nach Ablauf des Endtermins. Das Fortfahren in der vertraglich umschriebenen Nutzung durch den Bestandnehmer wird diesem als Erklärung des Verlängerungswillens zugerechnet, das Ausbleiben eines Protestes dagegen, mit den Worten des Gesetzes ein "Es-dabei-bewenden-lassen", dagegen dem Bestandgeber als entsprechende Willenserklärung.

Diesen gesetzlich typisierten Verhaltensweisen wird allerdings der normierte Erklärungswert durch eine eindeutige gegenteilige Erklärung genommen. Mangels einer solchen bedarf es der prozessualen Vorgänge im Sinne des § 569 ZPO. Diese Bestimmung sagt über die Beachtlichkeit und Wertung einer vor dem vertraglich festgesetzten Endtermin erfolgten Erklärung eines Vertragsteils zur Verlängerung des Bestandvertrages nichts aus.

Die in MietSlg 29.175 vertretene These von der Unbeachtlichkeit jedes vor Ablauf der Bestandzeit erklärten Protestes des Bestandgebers gegen eine etwaige Vertragsverlängerung steht in einem offenen Wertungswiderspruch zur gesetzlichen Regelung des § 567 ZPO. Nach dieser Bestimmung sind befristete Bestandverhältnisse im letzten Halbjahr der vorgesehenen Vertragsdauer ein tauglicher Gegenstand eines Antrages auf Erlassung eines Übergabs- oder Übernahmsauftrages. Damit ist jedenfalls die grundsätzliche Beachtlichkeit eines im Sinne des § 863 Abs 1 ABGB völlig eindeutig auf Verhinderung einer Vertragsverlängerung abzielenden schon vor dem Endtermin gesetzten Verhaltens anerkannt, andererseits aber auch die zeitliche Einschränkung, daß ein allzu lang vor dem Endtermin gesetztes Erklärungsverhalten die erforderliche Reaktion auf ein allfälliges Fortfahren in der vertraglichen Nutzung nach dem Endtermin nicht schon vorweg zu ersetzen vermöchte.

Daraus ist zu folgern:

Auch eine vor dem Endtermin abgegebene eindeutige Erklärung des Bestandgebers, das Bestandverhältnis nicht fortsetzen zu wollen, schließt ein "Bewenden-lassen" im Sinn des § 1114 ABGB aus (so der Sache nach schon MietSlg 2.222/49). Eine solche eindeutige Erklärung liegt nicht nur in einer Verfahrenshandlung nach § 567 ZPO, sondern kann auch außergerichtlich erfolgen. Sie ist aber nur dann beachtlich, wenn sie im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Endtermin des Bestandverhältnisses abgegeben wird. Bei einer mehrjährigen Vertragsdauer mit einmonatigen Zinszahlungsterminen ist eine Erklärung in der letzten Zinsperiode beachtlich.

Die mit dem Schreiben vom 20. September 1990, also bloß 10 Tage vor dem Endtermin, geforderte Übergabe des Bestandgegenstandes ist entgegen der von den Vorinstanzen zugrundegelegten Rechtsansicht nicht schon aus zeitlichen Gründen unerheblich. In dem Schreiben wird eine Abrede über die Bekanntgabe des Übergabstermins behauptet ("wie vereinbart"). Die Beklagte hat die Richtigkeit dieses Schreibens und damit auch die Behauptung einer "Vereinbarung" bestritten. Das schriftliche Begehren der Bestandgeberin auf Rückstellung der Bestandsache ließe zwar an sich an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig. Da der Rückgabezeitpunkt aber für einen zwei Tage vor dem vertraglichen Endtermin gelegenen Tag bekanntgegeben wurde und es über diese Terminfestsetzung eine Vereinbarung gegeben haben soll, bedarf es zur abschließenden Beurteilung des Schreibens vom 20. September 1990 einer näheren Erörterung und gegebenenfalls Feststellung der Umstände, unter denen die Festsetzung des Rückstellungstermines erfolgte und aus welchen Gründen es weder zu diesem Termin noch später zu einer Rückstellung der Wohnung gekommen ist.

Zur Frage der Aktivlegitimation wird zu beachten sein, daß der aus § 1109 ABGB fließende Rückstellungsanspruch jedenfalls aus dem Vertragsverhältnis dem Bestandgeber zukommt, daher der Klägerin, wenn diese die nicht ihr gehörige Eigentumswohnung der Beklagten im eigenen Namen vermietet hatte und bis zum Ablauf der Bestandzeit auch Bestandgeberin geblieben ist.

Gegebenenfalls werden auch über den eingewendeten (schlüssigen) Verzicht auf den Endtermin Feststellungen zu treffen sein.

Zur Behebung der aufgezeigten Feststellungsmängel ist eine Ergänzung des Verfahrens notwendig. Nach Art und Umfang des zu erwartenden Verfahrensaufwandes erscheint diese Verfahrensergänzung in erster Instanz zweckmäßig.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E28386

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:0060OB00504.92.0123.000

Dokumentnummer

JJT_19920123_OGH0002_0060OB00504_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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