TE OGH 1992/1/28 4Ob501/92

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Veröffentlicht am 28.01.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr.Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Gamerith, Dr.Kodek, Dr.Niederreiter und Dr.Redl in der Verlassenschaftssache nach dem am 15.8.1991 verstorbenen Hermann L*****, zuletzt *****, über den Revisionsrekurs der erbserklärten Erben 1. Hermann L*****, Baumeister, ***** 2. Josef L*****, Pensionist, ***** 3. Franz L*****, Landwirtschaftsmeister und gerichtlich beeideter Sachverständiger, ***** 4. Maria Theresia G*****, geb. L*****, Angestellte, ***** alle vertreten durch Dr.Ernst Fasan und andere Rechtsanwälte in Neunkirchen, gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Wiener Neustadt als Rekursgericht vom 25. November 1991, GZ R 533/91-22, womit infolge Rekurses des Rudolf L*****, Bäckermeister, ***** vertreten durch Dr.Helmut Kientzl und Dr.Gerhard Schultschik, Rechtsanwälte in Wiener Neustadt, der Beschluß des Bezirksgerichtes Wiener Neustadt vom 22. Oktober 1991, GZ A 889/91-14, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß der Beschluß des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Text

Begründung:

Hermann L***** (sen.) hatte in seinem Testament vom 25.6.1991 seinen Sohn Rudolf L***** zum Alleinerben eingesetzt und seine weiteren fünf Kinder sowie seine Ehefrau auf den Pflichtteil beschränkt. Mit Schenkungs- und Übergabsvertrag vom 25.7.1991 übergab er die Hälfte der Liegenschaften EZ 792 Grundbuch W***** und EZ 4052 Grundbuch W***** N***** ebenfalls seinem Sohn Rudolf L*****. Hermann L***** sen. ist am 15.8.1991 gestorben.

Rudolf L***** gab zum gesamten Nachlaß seines Vaters auf Grund des erwähnten Testamentes die bedingte Erbserklärung ab. Vier weitere Kinder des Erblassers, nämlich Hermann (jun.), Josef und Franz L***** sowie Maria Theresia G*****, gaben zu je 2/15 des Nachlasses ihres Vaters auf Grund des Gesetzes die bedingte Erbserklärung mit der Begründung ab, daß der Erblasser im Zeitpunkt der Testamentserrichtung testierunfähig gewesen sei. Da er auch im Zeitpunkt der Errichtung des Schenkungs- und Übergabsvertrages geschäftsunfähig gewesen sei, beabsichtigten sie, diesen Vertrag anzufechten und die Übertragung der Liegenschaftshälften an den Nachlaß zu begehren. Sie beantragten daher die Bestellung eines Kurators, welcher verlassenschaftsbehördlich zu ermächtigen sein werde, den Vertrag anzufechten. Diese Maßnahme sei wegen des hohen Schuldenstandes der übergebenen Liegenschaften dringend.

Das Erstgericht nahm die widersprechenden Erbserklärungen des Testamentserben und der gesetzlichen Erben an und bestellte Rechtsanwalt Dr.Martin Sch***** zum Verlassenschaftskurator mit dem eingeschränkten Wirkungskreis der allfälligen Anfechtung des Schenkungs- und Übergabsvertrages vom 25.7.1991. Über den Antrag des Testamentserben auf Einräumung der Besorgung und Verwaltung des Nachlasses hat es bisher nicht entschieden. Gemäß § 78 AußStrG sei, wenn auf Grund widersprechender Erbserklärungen keinem der Erben die Besorgung und Verwaltung des Nachlasses eingeräumt werden kann, ein Verlassenschaftskurator zu bestellen. Im vorliegenden Fall seien möglicherweise dringende Verfügungen zu treffen, weil Rudolf L***** die ihm geschenkten Liegenschaftsanteile an einen gutgläubigen Käufer weiterveräußern könnte. Es sei nicht ausgeschlossen, daß der Erblasser im Zeitpunkt der Vertragserrichtung nicht mehr geschäftsfähig war.

Das Rekursgericht wies den Antrag der gesetzlichen Erben auf Bestellung eines Verlassenschaftskurators zur Anfechtung des Schenkungs- und Übergabsvertrages ab und sprach aus, daß der von der Abänderung betroffene Wert des Streitgegenstandes S 50.000 übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Zur Anfechtung des von einem handlungsunfähigen Erblassers abgeschlossenen Vertrages sei nach dessen Tod nur seine Verlassenschaft, vertreten durch einen Kurator oder einen Erben, dem die Besorgung und Verwaltung des Nachlasses überlassen worden ist, berechtigt. Da mehrere widersprechende Erbserklärungen abgegeben wurden, könne das Gericht die Besorgung und Verwaltung des Nachlasses keinem Erbanwärter überlassen. Solange das Ergebnis des auf Grund der widersprechenden Erbserklärungen voraussichtlich auszutragenden Erbrechtsstreites nicht feststehe, könne die Rechtsstellung der Erbansprecher, welche die Erbserklärungen auf Grund des Gesetzes abgegeben hätten, nicht beurteilt werden. Obsiegten sie im Erbrechtsstreit, dann seien sie gesetzliche Erben; unterlägen sie, dann seien sie Pflichtteilsberechtigte. Als Pflichtteilsberechtigte könnten sie aber die zwischen dem Erblasser und einem Testamentserben zu Lebzeiten abgeschlossenen Verträge nicht als Rechtsnachfolger des Erblassers anfechten, sondern nur Pflichtteilsergänzung verlangen. Solange daher der Erbrechtsstreit nicht entschieden ist, könne keiner der Erbansprecher den ruhenden Nachlaß zur Geltendmachung von Rechten gegenüber anderen Erwerbern für sich in Anspruch nehmen; bis dahin bestehe kein Anspruch des ruhenden Nachlasses auf Einbeziehung eines Vermögensteiles eines Erbansprechers, dessen Erwerb vom Erblasser durch die anderen angefochten wird (JBl 1952, 570). Der Antrag auf Kuratorbestellung sei daher abzuweisen.

Diesen Beschluß bekämpfen die erbserklärten gesetzlichen Erben mit Revisionsrekurs; sie beantragen, den angefochtenen Beschluß dahin abzuändern, daß der Beschluß des Erstgerichtes über die Kuratorbestellung wiederhergestellt werde.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist berechtigt.

Gemäß § 78 AußStrG ist zur Verwaltung von Verlassenschaften, deren Erben gänzlich unbekannt sind, oder die, obgleich sie bekannt sind, von ihrem Erbrecht ungeachtet der Verständigung keinen Gebrauch machen, ein Kurator zu bestellen, worüber das Nähere in §§ 128 und 129 bestimmt wird. Ein Verlassenschaftskurator ist aber - über ein enges Verständnis des Wortlautes des § 78 AußStrG hinaus - nicht nur dann zu bestellen, wenn die Erben "gänzlich unbekannt sind" oder wenn sie keine Erbserklärung abgeben, sondern auch dann, wenn widersprechende Erbserklärungen abgegeben wurden (Knell, Kuratoren 99 f; SZ 19/16 = RZ 1937, 136; SZ 24/161; EvBl 1974/286; SZ 49/149), weil in diesem Fall keinem der erbserklärten Erben die Besorgung und Verwaltung des Nachlasses (§ 145 AußStrG) übertragen werden kann. Zur Vertretung des Nachlasses, sei es für laufende Verwaltungsgeschäfte oder für Prozesse, muß dann ein Verlassenschaftskurator bestellt werden, weil noch nicht feststeht, wer letzten Endes berechtigt ist, den Nachlaß zu vertreten (SZ 19/16 = RZ 1937, 136; SZ 24/161; SZ 49/149). Die gleiche Rechtsfolge ergibt sich auch aus § 127 AußStrG (SZ 24/161).

Der Geschäftskreis des nach § 78 AußStrG bestellten Verlassenschaftskurators umfaßt die Vertretung und Verwaltung des Nachlasses. Wird sein Wirkungskreis - wie hier - im Bestellungsbeschluß eingeschränkt, dann hat er vor allem die in §§ 129 und 145 AußStrG näher genannten Rechte und Pflichten (Knell aaO 104). Der Verlassenschaftskurator ist nicht Vertreter von Beteiligten im Abhandlungsverfahren, sondern der vom Gericht bestellte Vermögensverwalter und Vertreter des ruhenden Nachlasses (Knell aaO 103). Er vertritt nicht die Erben (3 Ob 501/79; SZ 61/239) und hat insbesondere auch nicht die Interessen (einzelner oder aller) erbserklärter Erben zu wahren, wenn er auch - im Ergebnis - durch die Vertretung des Nachlasses materiell für diejenigen handelt, die sich später als die wahren Erben herausstellen. Nur in diesem Sinn vertritt er die "Erben in abstracto", aber nicht bestimmte Erben (Knell aaO).

Die Bestellung eines Verlassenschaftskurators hängt nicht von einem Antrag der Beteiligten ab. Ergibt sich die Notwendigkeit einer Kuratorbestellung, dann ist das Verlassenschaftsgericht jederzeit berufen, das zur Ordnung der Sache Erforderliche von Amts wegen vorzukehren; insbesondere ist es verpflichtet, zur ordnungsgemäßen Verwaltung des Nachlasses das Zweckentsprechende zu verfügen (Knell aaO 101 mwN FN 85; RZ 1978/8 = NZ 1974, 251).

Im vorliegenden Fall hat das Verlassenschaftsgericht den Wirkungskreis des Kurators antragsgemäß auf die allfällige Anfechtung des zwischen dem erbserklärten Testamentserben und dem Erblasser abgeschlossenen Schenkungs- und Übergabsvertrages beschränkt, obwohl nach dem Inhalt der Todfallsaufnahme (siehe den Hinweis in Punkt 19, wonach der Testmantserbe von Sparbüchern des Erblassers ungerechtfertigte Abhebungen vorgenommen haben soll) auch ein größerer Wirkungskreis angebracht sein könnte. Gegenstand des Rechtsmittels ist daher nur die Frage, ob die Bestellung des Verlassenschaftskurators für die erwähnte Vertragsanfechtung zulässig und zweckmäßig war.

Zur Anfechtung eines von einem handlungsunfähigen Erblassers abgeschlossenen Vertrages ist nach seinem Tod nur seine Verlassenschaft, vertreten durch einen Kurator, legitimiert (NZ 1971, 45). Entgegen der Ansicht des Rekursgerichtes ist der (strittige) Anfechtungsanspruch, zu dessen Durchsetzung das Erstgericht den Verlassenschaftskurator bestellt hat, schon mit dem Abschluß des Schenkungs- und Übergabsvertrages entstanden und infolge des Ablebens des Geschenkgebers von seinem Nachlaß geltend zu machen. Die Entscheidung JBl 1972, 570, auf welche das Rekursgericht seine abweichende Meinung stützt, hatte einen anderen Sachverhalt betroffen: Gegenstand dieser Entscheidung war nicht die Prüfung der Zulässigkeit der Kuratorbestellung für eine Anfechtungsklage (im Verfahren außer Streitsachen), sondern die Prüfung der Zulässigkeit der vom Kurator beantragten einstweiligen Verfügung, welche dort ohne Anfechtung des zwischen dem Erblasser und der Testamentserbin abgeschlossenen Schenkungsvertrages darauf gerichtet war, der Erbin die Veräußerung und Belastung der in ihr grundbücherliches Eigentum übergegangenen Liegenschaften zu verbieten. Der in JBl 1952, 570 ausgesprochene Rechtssatz, daß kein Erbprätendent den ruhenden Nachlaß für sich zur Geltendmachung und Durchsetzung von Rechten gegenüber der anderen Erbengruppe in Anspruch nehmen könne, solange der Erbrechtsstreit nicht entschieden ist, trifft auf den vorliegenden Sachverhalt nicht zu, weil der strittige Anspruch kein Anspruch "einer Erbengruppe" gegen die "andere", sondern ein - vom Vermögen des Erben verschiedener - Anspruch des ruhenden Nachlasses ist. Der Nachlaß ist nämlich vor der Einantwortung nicht als Vermögen der Erben anzusehen; diese stehen vielmehr dem Nachlaß, selbst wenn ihnen dessen Verwaltung und Benützung übertragen wurde, als einem ihnen fremden Vermögen gegenüber (Weiß in Klang2 III 135, 141; SZ 48/96; EvBl 1986/11 ua; vgl zur Rechtspersönlichkeit des ruhenden Nachlasses Kralik-Ehrenzweig, Erbrecht3, 26 f). Der (strittige) Anspruch auf Anfechtung des Schenkungs- und Übergabsvertrages zwischen den Testamentserben und dem Erblasser ist daher bereits entstanden; sein Bestehen hängt nicht von der Beendigung des Erbrechtsstreites zwischen den konkurrierenden Erbprätendenten ab. Zu seiner Geltendmachung kann daher ein Verlassenschaftskurator bestellt werden.

Eine andere Frage ist es, ob die (derzeitige) Verfolgung dieses Anspruches zweckmäßig ist, könnte sie sich doch dadurch erübrigen, daß die strittigen Liegenschaftshälften dem Testamentserben als Vertragspartner des anzufechtenden Schenkungs- und Übergabsvertrages auch bei erfolgreicher Anfechtung auf Grund seiner Erbenstellung zufallen. Ob die Kuratorstellung wegen bestimmter Vertretungshandlungen erforderlich ist, entscheidet das Verlassenschaftsgericht nach seinem pflichtgemäßen Ermessen (Knell aaO 98; Weiß in Klang2 III 128). Dabei ist nicht auf das Interesse einzelner Erbansprecher, sondern auch das objektive Interesse des ruhenden Nachlasses abzustellen, welcher, wie bereits ausgeführt, vor der Einantwortung noch nicht Vermögen der Erben ist. Besteht die Gefahr, daß der Anspruch des ruhenden Nachlasses später nicht mehr durchgesetzt werden kann, dann ist die Bestellung eines Verlassenschaftskurators zur Durchsetzung eines Anfechtungsanspruches auch dann zweckmäßig, wenn sich diese Maßnahme bei einem bestimmten Ausgang des Erbrechtsstreites rückblickend als überflüssig erweisen könnte.

Nach dem Inhalt der Todfallsaufnahme besteht der Verdacht, daß der Erblasser in den letzten Monaten vor seinem Tod nicht mehr handlungsfähig (testierfähig) war. Wegen des Schuldenstandes des Geschenknehmers und Erben ist auch die Gefahr, daß er die Liegenschafthälften veräußert und damit dem Zugriff des Nachlasses entzieht, nicht von der Hand zu weisen, zumal er nach dem Inhalt der Todfallsaufnahme auch über Sparguthaben des Erblassers unberechtigt verfügt haben soll. Die Kuratorbestellung durch das Erstgericht war daher nach pflichtgemäßen Ermessen geboten. Der erstgerichtliche Beschluß ist deshalb wiederherzustellen.

Anmerkung

E27738

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:0040OB00501.92.0128.000

Dokumentnummer

JJT_19920128_OGH0002_0040OB00501_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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