Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr.Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Gamerith, Dr.Kodek, Dr.Niederreiter und Dr.Redl als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj.Alexander K*****, geboren am 22. September 1976, infolge Revisionsrekurses der Mutter Elisabeth K*****, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgericht vom 30.Oktober 1991, GZ 47 R 590/91-33, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Hietzing vom 12.Juni 1991, GZ 7 P 295/87-30, teilweise abgeändert wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß der dem Unterhaltserhöhungsantrag mit monatlich 850 S für die Zeit vom 18.1.1988 bis 31.12.1988, mit monatlich 1050 S für die Zeit vom 1.1.1989 bis 31.12.1989 und mit monatlich 1350 S ab 1.1.1990 stattgebende Beschluß des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.
Text
Begründung:
Der mj.Alexander entstammt der mit rechtskräftigem Beschluß des Bezirksgerichtes Hietzing vom 18.12.1980, 1 Sch 59/80-6, geschiedenen Ehe der Elisabeth und des Franz K*****. Er befindet sich in der Obsorge der Mutter, in deren Haushalt er betreut wird. Die Mutter bezieht als Kindergärtnerin ein monatliches Nettoeinkommen von 13.500 S (14 x jährlich) und die Familienbeihilfe.
Der Vater ist seit dem 10.7.1981 wieder verheiratet. Der zweiten Ehe entstammt sein am 14.7.1982 geborener Sohn Nico. Die nunmehrige Ehegattin des Vaters ist seit dem Jahr 1988 berufstätig; sie bezieht aus einer Halbtagsbeschäftigung ein monatliches Nettoeinkommen von 7061 S. Der Vater selbst erzielte im Jahre 1988 ein monatliches Durchschnittsnettoeinkommen von 17.401,85 S, 1989 ein solches von 18.566,03 S und 1990 ein solches von 20.181,36 S. Für eine Zahnregulierung des Sohnes Nico laufen seit September 1990 jährlich Nettoaufwendungen von 11.000 S auf, welche von der Krankenkasse nicht refundiert werden.
Der Vater war zuletzt mit Beschluß des Erstgerichtes vom 7.9.1987 zur Leistung eines monatlichen Unterhaltsbetrages für den Sohn Alexander von 2300 S ab 18.8.1987 verpflichtet worden. Dem lagen ein monatliches Durchschnittseinkommen des Vaters von 14.206,50 S und weitere Sorgepflichten für den Sohn Nico und die damals noch nicht berufstätige zweite Ehegattin zugrunde.
Am 18.1.1991 beantragte die Mutter Alexanders unter Bezugnahme auf das gestiegene Einkommen des Vaters und die Berufstätigkeit seiner zweiten Ehegattin rückwirkend ab 18.1.1988 eine Unterhaltserhöhung, und zwar für die Zeit vom 18.1.1988 bis 31.12.1988 auf monatlich 3200 S, für die Zeit vom 1.1.1989 bis 31.12.1989 auf monatlich 3600 S und ab 1.1.1990 auf monatlich 3900 S (ON 18, 24).
Der Vater trat einer Unterhaltserhöhung ab 18.1.1991 auf monatlich 2700 S nicht entgegen, sprach sich aber gegen jede darüber hinausgehende und insbesondere gegen eine rückwirkende Erhöhung aus, da diese im Hinblick auf seine weiteren Sorgepflichten für Kind und Gattin aus zweiter Ehe für ihn geradezu existenzgefährdend wäre; er habe keine Reserven zur Deckung rückwirkend für die Vergangenheit erhöhter Unterhaltsforderungen bilden können. Überdies sei er nunmehr mit den Kosten der Zahnregulierung seines Sohnes Nico belastet; weiters mit monatlichen Rückzahlungsraten von 2150 S für einen Kredit, den er im Jahr 1990 zur Behebung eines Sturmschadens am Dach des seiner zweiten Ehegattin gehörigen Hauses im Burgenland, an welchem seinen Schwiegereltern ein Wohnrecht zustehe, habe aufnehmen müssen.
Das Erstgericht erhöhte die monatliche Unterhaltsverpflichtung des Vaters für die Zeit vom 18.1.1988 bis 31.12.1988 auf monatlich 3150 S, für die Zeit vom 1.1.1989 bis 31.12.1989 auf monatlich 3350 S und ab 1.1.1990 auf monatlich 3650 S; das darüber hinausgehende Mehrbegehren wurde - mittlerweile rechtskräftig - abgewiesen. Dem Sohn Alexander stehe im Hinblick auf die seit der letzten Unterhaltsfestsetzung ab 1988 eingetretene Erhöhung des Einkommens des Vaters und die seither vorliegende Halbtagsbeschäftigung dessen zweiter Ehegattin auch für die Vergangenheit ein erhöhter Unterhaltsanspruch zu. Die Sorgepflicht des Vaters habe sich gegenüber seiner zweiten Ehegattin auf ein infolge ihres Eigenverdienstes beschränktes Ausmaß vermindert. Unter Berücksichtigung dieser Umstände und des Sonderbedarfs von Nico habe Alexander Anspruch auf Unterhalt in der Höhe von 18 % des anrechenbaren monatlichen Durchschnittsnettoeinkommens des Vaters. Die Kreditbelastung für die Dachreparatur am Haus der Schwiegereltern könne den Unterhaltsanspruch des Sohnes nicht schmälern.
Infolge Rekurses des Vaters setzte das Rekursgericht den Unterhalt für die Zeit vom 18.1.1988 bis 31.12.1989 mit monatlich 2700 S und ab 1.1.1990 mit monatlich 3000 S fest und wies das noch in Rede stehende Mehrbegehren ab; zugleich sprach es aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Zwar sei nach der nunmehr geänderten Rechtsprechung eine Unterhaltserhöhung auch für die Vergangenheit zulässig; auch hätten sich seit 1988 die Verhältnisse in bezug auf die letzte Unterhaltsfestsetzung geändert. Die vom Erstgericht nach der Prozentsatzmethode vorgenommene Unterhaltsfestsetzung müsse aber korrigiert werden, weil sie hier zu einem Ergebnis geführt habe, welches dem Kriterium der Angemessenheit nicht mehr Rechnung trage. Es könne nicht außer Betracht bleiben, welcher Einkommensteil dem Vater nach Abzug seiner gesamten gesetzlichen Unterhaltsverpflichtungen zur Deckung seiner persönlichen Bedürfnisse verbleibt. Auch wenn der Vater seit 1988 ein überdurchschnittliches Monatseinkommen beziehe, führe doch eine nach der Prozentsatzmethode vorgenommene Kontrollrechnung zu dem Ergebnis, daß die gesetzlichen Unterhaltsansprüche der beiden Kinder und der zweiten Ehegattin den Vater so stark belasten, daß ihm nur noch ein Einkommensrest verbliebe, der lediglich eine deutlich unterdurchschnittliche Befriedigung der eigenen Bedürfnisse zulasse. Bei dieser Sachlage müßten sich alle Unterhaltsberechtigten, also auch der Sohn Alexander, entsprechende Abstriche gefallen lassen, so daß sie ihre Bedürfnisse in etwa demselben Umfang decken könnten, wie dies dem Vater mit dem ihm verbleibenden Einkommensrest ermöglicht werde.
Der dagegen erhobene außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter ist gemäß § 14 Abs 1 AußStrG zulässig, weil die angefochtene Entscheidung von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu der hier maßgebenden Frage der Berücksichtigung konkurrierender Unterhaltspflichten abweicht; er ist auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Bei der Unterhaltsbemessung kommt es vor allem auf die Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten an; es ist aber auch die konkrete Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen zu berücksichtigen. Einen Anhaltspunkt dafür, nach welchen Kriterien der Beitrag der Eltern zu ermitteln ist, gibt das Gesetz durch Verknüpfung der Bedürfnisse des Kindes mit den Lebensverhältnissen der Eltern (JBl 1991, 40; RZ 1991/26 und 50). Auch andere gesetzliche Unterhaltspflichten des in Anspruch genommenen Unterhaltsschuldners - mögen sie bereits tituliert sein oder nicht - sind demnach so zu berücksichtigen, daß zunächst zur Wahrung der Gleichmäßigkeit aller im Prinzip gleichberechtigten gesetzlichen Unterhaltsansprüche von der für alle Unterhaltspflichten zur Verfügung stehenden gemeinsamen Unterhaltsbemessungsgrundlage auszugehen ist. Die Beteiligung der konkurrierenden Unterhaltsansprüche an den verfügbaren Unterhaltsmitteln richtet sich dann nach dem Stand der einzelnen Unterhaltsberechtigten (Ehegatte, Eltern, Kindern, Enkelkinder) und - bei gleichem Stand - nach Alter, Bedarf usw. Nur eine solche, auf diese Prinzipien Bedacht nehmende Verteilung der für alle Unterhaltsverpflichtungen insgesamt zur Verfügung stehenden Mittel läßt eine angemessene Teilnahme aller Unterhaltsberchtigten an den Lebensverhältnissen des Unterhaltspflichtigen zu (8 Ob 531/91). In diesem Zusammenhang hat der Oberste Gerichtshof schon wiederholt ausgesprochen, daß die Unterhaltsbemessung nach Prozentsatzkomponenten im Interesse der Gleichbehandlung gleichgelagerter Fälle erfolgen kann und für durchschnittliche Verhältnisse eine brauchbare Handhabe gibt, um den Unterhaltsberechtigten an den Lebensverhältnissen des Unterpflichtigen teilhaben zu lassen (JBl 1991, 40, RZ 1991/26 und 50). Diese Methode trägt auch den Grundsätzen einer angemessenen Berücksichtigung konkurrierender Unterhaltspflichten Rechnung, bestimmt sich doch der Unterhalt von Kindern nach den in der Rechtsprechung entwickelten und vom Schrifttum gebilligten Berechnungsformeln für den Altersbereich von sechs bis 10 Jahren mit rund 18 % und für den Altersbereich von 10 bis 15 Jahren mit rund 20 % des Nettoeinkommens, und zwar mit Abzügen für konkurrierende Unterhaltspflichten von 1 % für jedes Kind unter und von 2 % für jedes Kind über 10 Jahre sowie von 0 % bis 3 % für einen Ehegatten, je nach dessen Eigenverdienst (Pichler in Rummel, ABGB2, Rz 5 a zu § 140; Schlemmer in Schwimann, ABGB I, § 140 Rz 13, 14, jeweils mit weiteren Hinweisen auf die Rechtsprechung). Bei beiderseitigem Einkommen von Ehegatten bestimmt sich der Unterhalt der Ehegattin mit rund 40 % des Nettofamilieneinkommens; bei einer konkurrierenden Sorgepflicht für Kinder ist der genannte Prozentsatz um etwa 4 % pro Kind zu verringern (Pichler aaO Rz 3 a zu § 94; Schwimann in Schwimann aaO § 94 Rz 12 und 15, jeweils mit weiteren Hinweisen auf die Rechtsprechung).
Die Unterhaltsbemessung nach Prozentsatzkomponenten ist aber nicht die einzige Methode, die eine Gleichbehandlung gleichgelagerter Fälle und die angemessene Berücksichtigung konkurrierender Unterhaltspflichten gewährleistet; diese kann vielmehr auch dadurch geschehen, daß jener Teil des durchschnittlichen Nettoeinkommens des Unterhaltsschuldners, der diesem auch im Fall der exekutiven Durchsetzung des Unterhaltstitels (§ 6 LPfG) verbleiben muß, von der Bemessung ausgenommen und damit bloß der der Pfändung unterworfene Bezugsteil entsprechend dem festgestellten Bedarf der Unterhaltsberechtigten auf die miteinander konkurrierenden Unterhaltsberechtigten aufgeteilt wird (RZ 1991/50 unter Berufung auf 6 Ob 563/90). Bei jeglicher Art der Unterhaltsbemessung ist jedoch zu berücksichtigen, daß den Eltern die Einrede einer Gefährdung ihres eigenen angemessenen Unterhaltes (sog "beneficium competentiae"; vgl Pichler aaO Rz 5 zu § 141) nicht zusteht, andererseits aber auch, daß der Unterhaltsschuldner nicht über Gebühr in Anspruch genommen werden darf, weil er sonst in seiner wirtschaftlichen Existenz gefährdet wäre oder an der Erzielung weiteren Einkommens kein Interesse mehr haben könnte (RZ 1991/50).
Das Rekursgericht hat - ausgehend von den erstgerichtlichen Tatsachengrundlagen - nicht dargelegt, von welchen nachvollziehbaren Erwägungen es bei seiner Unterhaltsfestsetzung ausgegangen ist; insbesondere fehlt jede Begründung für die gleichbleibende Unterhaltsfestsetzung der Jahre 1988 und 1989, obwohl sich das Jahresnettoeinkommen des Vaters 1989 bei sonst gleichbleibenden Umständen gegenüber 1988 um rund 6,7 % erhöht hatte. Ebensowenig findet sich eine Aufklärung, wie das Rekursgericht in Ablehnung der Prozentsatzmethode gerade bei monatlichen Beträgen von 2700 S (für 1988 und 1989) und von 3000 S (ab 1.1.1990) bei den wirtschaftlichen Verhältnissen des Vaters zu der Annahme einer gleichmäßigen Befriedigung sämtlicher Unterhaltsberechtigten gelangen konnte. Entgegen seiner Meinung führt nämlich die Unterhaltsfestsetzung des Erstgerichtes keineswegs zu dem Ergebnis, daß dem Vater der nach Abzug aller gesetzlichen Unterhaltspflichten verbleibende Einkommensrest nur noch eine deutlich unterdurchschnittliche Deckung seiner eigenen Bedürfnisse zuläßt; vielmehr hat das Erstgericht auf Grund des Alters des Sohnes Alexander zutreffend erkannt, daß dieser einen Anspruch auf rund 18 % des Nettoeinkommens des Vaters hat (20 % abzüglich je 1 % für die konkurrierenden Unterhaltsansprüche des zweiten Sohnes Nico und der zweiten Ehegattin des Vaters; deren Unterhaltsanspruch ist ja durch ihren Eigenverdienst noch nicht zur Gänze erloschen, sondern er stünde ihr für das Jahr 1988 immer noch im Umfang von monatlich 1250 S (= rund 7 % des monatlichen Nettoeinkommens des Gatten), für 1989 im Umfang von
monatlich 1650 S (= rund 9 %) und ab 1.1.1990 im Umfang von
monatlich 2200 S (= rund 11 %) zu). Demgegenüber sind die
konkurrierenden Unterhaltsansprüche des zweiten Sohnes Nico mit rund 15 % des Nettoeinkommens des Vaters und ab September 1990 im Hinblick auf dessen monatliche Belastung für den Sonderbedarf Zahnregulierungskosten (vgl RZ 1991/25) in der Höhe von rund 917 S mit rund 20 % zu veranschlagen. Dem Vater verbleibt (verblieb) daher unter Berücksichtigung seiner sämtlichen Sorgepflichten monatlich ein Einkommensrest von rund 60 % (10.400 S) im Jahr 1988, von rund 58 % (10.766 S) im Jahr 1989, von rund 56 % (11.280 S) bis einschließlich August 1990 und von rund 51 % (10.380 S) ab 1.9.1990. Diese Beträge liegen - sowohl absolut als auch relativ - weit über denjenigen, die dem Vater selbst im Fall der exekutiven Durchsetzung eines Unterhaltstitels (§ 6 LPfG) verbleiben müßten (vgl Pichler in ÖA 1981, 41). Sie zeigen, daß der Vater keineswegs über Gebühr in Anspruch genommen wird und daß er dadurch in seiner wirtschaftlichen Existenz gefährdet wäre.
In Stattgebung des Revisionsrekurses war somit die Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen.
Anmerkung
E27737European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1992:0040OB00512.92.0128.000Dokumentnummer
JJT_19920128_OGH0002_0040OB00512_9200000_000