Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 11.Februar 1992 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, Dr. Friedrich, Dr. Rzeszut und Dr. Hager als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kohout als Schriftführer, in der Strafsache gegen Klement Günter G***** wegen des Verbrechens nach § 12 Abs. 1 und 2 SGG sowie anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 13.Dezember 1990, GZ 8 Vr 2.062/90-62, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Kodek, und des Verteidigers Dr. Lehofer, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen (teilweise Schuldspruch II wegen des Vergehens nach § 16 Abs. 1 SGG, soweit er sich auf den Erwerb und Besitz geringer Mengen Cocains zum Eigenkonsum erstreckt, Schuldspruch III wegen des Vergehens der Zuhälterei nach § 216 Abs. 1 StGB und Teilfreispruch) unberührt bleibt, (teils auch gemäß § 290 Abs. 1 StPO) in den Schuldsprüchen wegen des Verbrechens nach § 12 Abs. 1 und 2 SGG (I 1 bis 3), wegen des Vergehens nach § 16 Abs. 1 SGG, soweit die Überlassung von Cocain an Michaela M***** erfaßt ist (teilweise II) und wegen des Finanzvergehens der gewerbsmäßigen Abgabenhehlerei nach den §§ 37 Abs. 1 lit. a, 38 Abs. 1 lit. a FinStrG (IV) sowie insgesamt im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verworfen.
Auf den kassatorischen Teil dieser Entscheidung werden die Staatsanwaltschaft mit ihrer Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung und der Angeklagte mit seiner Berufung verwiesen.
Text
Gründe:
Der ***** 1956 geborene Klement Günter G***** wurde (I 1 bis 3) des Verbrechens nach § 12 Abs. 1 und 2 SGG, (II) des Vergehens nach § 16 Abs. 1 (vierter, fünfter und sechster Fall) SGG, (III) des Vergehens der Zuhälterei nach § 216 Abs. 1 StGB und (IV) des Finanzvergehens der gewerbsmäßigen Abgabenhehlerei nach §§ 37 Abs. 1 lit. a, 38 Abs. 1 lit. a FinStrG schuldig erkannt. Darnach hat er im Raum Graz I. den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift in einer großen Menge, deren Weitergabe geeignet wäre, in großem Ausmaß eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen entstehen zu lassen, gewerbsmäßig in Verkehr gesetzt, indem er in der Zeit vom Sommer 1988 bis Sommer 1989 jeweils in mehrfachen Vorgängen 1. insgesamt ca. 35 Gramm "Cocain" an Karl Heinz A*****, 2. insgesamt ca. 60 Gramm "Cocain" an Helmut S***** und 3. ca. 50 Gramm "Cocain" an Franz P***** zu Grammpreisen zwischen 1.000 S und 1.500 S verkaufte; II. außer den Fällen der §§ 12 und 14 a SGG den bestehenden Vorschriften zuwider zwischen 1988 und 1989 jeweils geringe Mengen Cocain zum Eigenkonsum erworben und besessen und (teils) zum gemeinsamen Konsum an Michaela M***** überlassen; III. zwischen 1986 und 1989 mit dem Vorsatz, sich aus der gewerbsmäßigen Unzucht einer anderen Person eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, die Prostituierte Michaela M***** ohne eine entsprechende Gegenleistung zur Zahlung von zumindest 500.000 S veranlaßt und dadurch ausgenützt; IV. durch die zu I. beschriebenen strafbaren Handlungen auch Sachen, hinsichtlich deren ein Schmuggel begangen wurde, nämlich in den Jahren 1988 und 1989 (sukzessive) nach Österreich eingeschmuggelte Cocainmengen von insgesamt 150 Gramm, auf die Eingangsabgaben von zusammen 39.315 S entfielen, gewerbsmäßig an sich gebracht und verhandelt.
Das Schöffengericht verhängte über den Angeklagten "gemäß dem § 12 Abs. 2 SGG unter Bedachtnahme auf § 28 StGB" eine (zu einem Teil von 20 Monaten bedingt nachgesehene) Freiheitsstrafe von 30 Monaten und "gemäß dem § 13 Abs. 2, 2.Satz" - gemeint offenbar: SGG - "in Verbindung mit § 37 Abs. 2, § 38 FinStrG unter Berücksichtigung des § 22 FinStrG" eine Geldstrafe in der Höhe von "150 (einhundertfünfzigtausend) Schilling im Nichteinbringungsfalle 5 Monate Ersatzfreiheitsstrafe".
Von zwei weiteren auf das Suchtgiftgesetz gestützten Anklagepunkten wurde der Angeklagte gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Dieses Urteil bekämpfen die Staatsanwaltschaft mit einer auf § 281 Abs. 1 Z 11 StPO gestützten (teils auch zugunsten des Angeklagten ausgeführten), der Angeklagte mit einer auf § 281 Abs. 1 Z 4, 5 und 9 lit. a StPO gegründeten Nichtigkeitsbeschwerde, überdies im Strafausspruch beide Prozeßparteien mit Berufung.
Rechtliche Beurteilung
Schon in der teilweise berechtigten Beschwerdeausführung des Angeklagten relevierte Gründe machen eine weitgehende Verfahrenserneuerung unumgänglich:
Die den Faktenkomplex I betreffende Verfahrensrüge (Z 4) wendet sich zwar gegen die Nichterledigung von Beweisanträgen, die ausschließlich schriftlich gestellt wurden (478/II), weshalb sie schon an der grundlegenden Formalvoraussetzung einer entsprechenden Antragstellung in der Hauptverhandlung scheitert. Die dadurch sinngemäß problematisierte Feststellung einer zur Tatbestandsverwirklichung nach § 12 Abs. 1 SGG geeigneten (bei Cocain nach gefestigter Rechtsprechung ab 15 Gramm Reinsubstanz anzunehmenden) tatverfangenen Suchtgiftmenge weist jedoch im Sinn des Vorbringens zur Mängelrüge (Z 5) entscheidungswesentliche Mängel auf. Da die mengenorientierten Tatqualifikationen nach dem Suchtgiftgesetz durchwegs auf den Reingehalt an Suchtgift, nicht aber auf ein durch milieuübliche Vermengungspraktiken erzielbares Mehrquantum abstellen, erweist sich das angefochtene Urteil tatsächlich als in sich widersprüchlich, wenn es im Spruch zu I 1 und 2 vom Verkauf von insgesamt 95 Gramm Cocain ausgeht, während die Begründungspassagen zu diesen Fakten (495 f/I) - denen infolge sinnstörender Verknüpfung von Verantwortungsdetails mit Tatsachenannahmen die Feststellung eines vom Angeklagten in Wien besorgten Ankaufs von 15 Gramm reinem Cocain gar nicht zu entnehmen ist - dazu tendieren, die an Karl Heinz A***** und Helmut S***** verkauften Mengen "gestreckten" Cocains insgesamt der erwähnten Ausgangsmenge von 15 Gramm "Cocain" von (zudem bloß) "sehr guter Qualität" zuzuordnen. Dies umso mehr, als in der Folge (ohne jedwede Einschränkung auf bestimmte Einzelfakten) eine Konzentration an Reinsubstanz im Ausmaß von ca. 20-30 % als "realistisch" konstatiert (499/I) und damit eine Annahme, es handle sich dabei um 15 Gramm reines Cocain, auch nicht etwa als Ergebnis einer Rückrechnung aus der zu I 1 und 2 verkauften Gesamtmenge ausweist (20-30 % von 95 Gramm wären 19-28,5 Gramm). Da das angefochtene Urteil weiters jedwede Feststellungen zu den subjektiven Voraussetzungen einer Zusammenrechnung der auf die Fakten I 1 bis 3 entfallenden Teilmengen - von Anfang an zumindest bedingter Tätervorsatz hinsichtlich des wiederholten Inverkehrsetzens solcher Suchtgiftmengen, die letztlich in ihrer Summe (schrittweise) die (mit einer entsprechenden Gefährdungseignung verbundene) sogenannte Grenzmenge überschreiten (vgl. JUS 1991/653) - vermissen läßt (§§ 281 Abs. 1 Z 3, 9 lit. a, 290 Abs. 1 StPO), erfaßt die entscheidungswesentliche Mangelhaftigkeit des Urteils, welches auch zum Faktum I 3 nicht die Feststellung einer 15 Gramm Reinsubstanz übersteigenden "Cocain"-Menge enthält (20-30 % von 50 Gramm wären 10-15 Gramm), den gesamten Schuldspruch I. Dazu kommt, daß auf die Frage gewerbsmäßiger Tatbegehung - sieht man von der teilweisen Wiedergabe des Gesetzeswortlauts nach § 38 Abs. 1 lit. a FinStrG zu dem (schon wegen untrennbaren Sachzusammenhanges gleichfalls zu kassierenden) Schuldspruch wegen Abgabenhehlerei ab (500 f/II), überhaupt nicht eingegangen wird.
Die Mängelrüge ist aber auch im Recht, soweit sie zum Schuldspruch wegen des Vergehens nach § 16 Abs. 1 SGG hinsichtlich der Überlassung von Cocain an Michaela M***** jedwede tragfähige Grundlage in den Verfahrensergebnissen vermißt. Der Urteilshinweis auf entsprechende sicherheitsbehördliche Angaben der Zeugin M***** (498/II) findet im Akteninhalt keine Deckung. Die Zeugin M***** gab weder im Vorverfahren noch in der Hauptverhandlung an, von dem (auch in diesem Punkt nicht geständigen) Angeklagten Suchtgift erhalten zu haben. Eine dazu gezielte Befragung der Zeugin ist dem Protokoll über die Hauptverhandlung nicht zu entnehmen.
Ein Eingehen auf das Beschwerdevorbringen zum Schuldspruch (IV) wegen Abgabenhehlerei, dem es hinsichtlich der nach den Angaben des Angeklagten von ihm selbst nach Österreich eingeschmuggelten Cocainmenge von 50 Gramm an rechtlicher Schlüssigkeit und infolge des aufgezeigten Feststellungsmangels zur Annahme einer Gewerbsmäßigkeit auch an der Grundlage für eine gerichtliche Strafbarkeit (§ 53 Abs. 1 lit. a FinStrG) ermangelt, erübrigt sich, weil schon die Urteilsaufhebung zum Faktenkomplex I den Wegfall der Tatsachengrundlage auch dieses Finanzvergehens nach sich zieht.
Hingegen kommt der Beschwerde des Angeklagten keine Berechtigung zu, soweit sie sich gegen den Schuldspruch (III) wegen des Vergehens der Zuhälterei nach § 216 Abs. 1 StGB richtet. Dieses Vergehen begeht, wer mit dem Vorsatz, sich aus der gewerbsmäßigen Unzucht einer anderen Person eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, diese Person ausnützt. Ausnützen liegt vor, wenn der Täter für empfangene Vorteile keine oder nur unverhältnismäßig geringe Gegenleistungen erbringt. Mit dieser Strafbestimmung sollte das Schmarotzertum im Vorfeld der Ausbeutung erfaßt werden (Foregger-Serini-Kodek, StGB4, Erläuterung I zu § 216). Die in diesem Sinn wesentlichen Tatsachenkriterien der angelasteten Tatbestandsverwirklichung nach § 216 Abs. 1 StGB blieben vom Angeklagten insofern unbestritten, als er nach seinen eigenen (durch die tatbetroffene Prostituierte bestätigten) Angaben von Michaela M***** fortlaufend erhebliche Beträge erhielt. Da das Erstgericht die vorgebrachten Erklärungen der über einen Zeitraum von 42 Monaten erstreckten Hingabe von Geldbeträgen in der Gesamthöhe von ca. 500.000 S als freiwillige (teils durch angebliche vermögenswerte Gegenleistungen abgegoltene) Zuwendungen ohnedies in seine Erwägungen miteinbezog und wegen der anfänglich abweichenden Angaben der Zeugin M***** vor der Polizei als unglaubwürdig beurteilte (498, 500/II), erschöpft sich die Mängelrüge in einer ihr verwehrten Bekämpfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung nach Art einer Schuldberufung.
Die diesen Schuldspruch betreffende, anscheinend auf § 216 StGB aF abgestellte Rechtsrüge (Z 9 lit. a) hinwieder ist verfehlt, weil sie eine Tatbestandsverwirklichung nach § 216 Abs. 1 StGB in der geltenden Fassung von dieser Gesetzesbestimmung fremden Kriterien, wie einer Ausbeutung des Schutzobjektes bzw. einer Unfreiwilligkeit der Prostitutionsausübung abhängig macht.
Soweit sich die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen den Schuldspruch wegen Zuhälterei richtet, war sie daher als unbegründet zu verwerfen.
Die im übrigen aus den dargelegten Erwägungen nicht zu umgehende kassatorische Entscheidung erfaßt auch den Strafausspruch, worauf die Staatsanwaltschaft mit ihrer nur dagegen gerichteten Nichtigkeitsbeschwerde ebenso zu verweisen war, wie beide Prozeßparteien mit ihren Berufungen.
Zu den von der Staatsanwaltschaft vorgebrachten rechtlichen Einwänden ist der Vollständigkeit halber festzuhalten, daß beim Ausspruch einer Geld-(Wertersatz-)strafe nach § 13 Abs. 2 SGG die Urteilsgründe auch die entsprechenden Tatsachengrundlagen (hier: Summe der Erlöse aus den abgeurteilten Suchtgiftverkäufen) deutlich (gegebenenfalls durch die Feststellung der als erwiesen angenommenen Mindesthöhe, nicht aber - wie hier - in Form einer als faßbare Berechnungsgrundlage ungeeigneten Spanne zwischen zwei Grenzwerten) darzulegen haben. Als dem Gesetz widerstreitend erweist sich auch die in der zusammenhängenden Zitierung der §§ 37, 38 und 22 FinStrG (Urteilsspruch - S 491) bzw. des § 13 Abs. 2 (SGG) und der §§ 37 Abs. 2, 38 FinStrG
(Urteilsgründe - 501/II) zum Ausdruck kommende erstgerichtliche Rechtsauffassung, die nach dem Suchtgiftgesetz ausgesprochene Wertersatzstrafe sei einer Zusammenziehung mit der Geldstrafe nach § 38 FinStrG zugänglich. Steht doch einem derartigen Vorgehen § 22 Abs. 1 FinStrG ausdrücklich entgegen. Im Fall neuerlicher Aktualität wird im zweiten Rechtsgang darauf Rücksicht zu nehmen sein.
Anmerkung
E27965European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1992:0110OS00121.91.0211.000Dokumentnummer
JJT_19920211_OGH0002_0110OS00121_9100000_000