TE OGH 1992/2/11 10ObS21/92

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.02.1992
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Kellner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Franz Köck (Arbeitgeber) und Mag.Karl Dirschmied (Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ilona N*****, vertreten durch Dr.Hans Nemetz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Hilflosenzuschusses infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 4. Oktober 1991, GZ 31 Rs 141/91-16, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 10.April 1991, GZ 11 Cgs 175/90-13, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, der Klägerin ab 30.5.1991 den Hilfslosenzuschuß zu gewähren. Es stellte im wesentlichen fest, daß die am 24.9.1919 geborene Klägerin sich allein an- und ausziehen, sich waschen, die 43 m2 große mittels Gasheizung beheizte Wohnung oberflächlich instandhalten, die kleine Leibwäsche waschen und einfache Speisen zubereiten kann. Zum Einkaufen von Nahrungsmitteln und für die groben Hausarbeiten benötigt die Klägerin jedoch fremde Hilfe.

Daraus folgerte das Erstgericht, die Klägerin sei hilflos im Sinne des § 105 a ASVG: Für eine gründliche Wohnungsreinigung und für die Beförderung der Bettwäsche zur Reinigung sei im Monat ein Zeitaufwand von rund 13 Stunden anzusetzen. Hiezu kämen noch die "eigentlichen Mehrkosten" für die Reinigung der Bettwäsche sowie der Vorhänge, welche der Klägerin 4mal jährlich zugebilligt werden müsse. Zum Einkaufen sei zweimal wöchentlich eine Hilfskraft für je eine Stunde erforderlich. Da die Klägerin aufgrund ihres Magengeschwüres auf die Einhaltung bestimmter Eßgewohnheiten angewiesen sei, könne ihr eine Hilfsperson für die Zubereitung von kompletten Mahlzeiten, zu denen auch Beilagen gehörten, noch ein monatlicher Zeitaufwand von 15 Stunden zugebilligt werden. Unter Zugrundelegung einer Entlohnung von S 80 pro Stunde für eine Hilfskraft ergäben sich leidensbedingte Mehrkosten von S 3.130. Der nach § 273 ZPO geschätzte Mehraufwand der Klägerin übersteige damit im Monatsdurchschnitt den mit rund S 3.000 anzusetzenden Durchschnitt des Mindesthilflosenzuschusses.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das Ersturteil im Sinne einer Klageabweisung ab.

Für die monatliche Wohnungsreinigung könne dem Erstgericht folgend ein Zeitaufwand von 13 Stunden angenommen werden. Es sei aber nicht erforderlich, die Bettwäsche und die Vorhänge gesondert zur Reinigung zu tragen, dies könne ohne weiteres im Zuge der Einkaufsgänge für die Klägerin - dafür sei ein Aufwand von 8 Stunden im Monat zu schätzen - erledigt werden. Für Hilfeleistungen bei der Zubereitung von Mahlzeiten erscheine ein Zeitaufwand von monatlich 10 Stunden angemessen. Insgesamt habe die Klägerin für die Beiziehung einer Hilfskraft einen monatlichen Mehraufwand von etwa S 2.500 zu erwarten. Damit sei aber der monatliche Durchschnitt des Mindesthilflosenzuschusses zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung im Verfahren erster Instanz nicht erreicht, das Klagebegehren sei daher abzuweisen.

Die Revision der Klägerin ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Ein Nichtigkeitsgrund im Sinne des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO liegt nicht vor. Die Gewährung des rechtlichen Gehörs besteht in der Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Zustellung aller wesentlichen Schriftsätze des Gegners, gerichtlichen Verfügungen und Entscheidungen, in der Ladung zu Tagsatzungen und zur mündlichen Verhandlung und in der Anhörung bei der mündlichen Verhandlung. Allen diesen Erfordernissen ist das Erstgericht nachgekommen. Die Klägerin hat auch in der mündlichen Streitverhandlung vom 10.4.1991 ihre persönlichen Verhältnisse und Leidenszustände ausführlich dargelegt. Die medizinischen Sachverständigen haben dazu in Gutachtensergänzungen Stellung genommen. Das Urteil des Berufungsgerichtes wurde der Klägerin ordnungsgemäß zugestellt. Daß diesem keine Rechtsbelehrung angeschlossen war, es stehe der Klägerin frei, die Bestellung eines Verfahrenshelfers zur Erstattung einer Berufungsbeantwortung zu beantragen, stellt keine Verletzung des rechtlichen Gehörs, ja nicht einmal einen relevanten Verfahrensmangel dar, denn eine siegreiche Partei ist nicht genötigt, in der Berufungsmitteilung oder Berufungsverhandlung eine ungünstige Feststellung des erstinstanzlichen Verfahrens zu bekämpfen, wenn sie im Revisionsverfahren diese Feststellungen angreifen will. Dies kann aber nicht dazu führen, daß das Fehlen von für sie günstigen Feststellungen in der Revision gerügt werden kann, wenn sie in erster Instanz keine Behauptungen aufgestellt hat, Neuerungen sind sowohl im Berufungs- als auch im Revisionsverfahren jedenfalls unzulässig. Daß im Zustand der rechten Hand der Klägerin nach der Begutachtung durch die Sachverständigen eine wesentliche Verschlechterung eingetreten sei, die ihr Leistungskalkül weiter einschränke als in den Gutachten festgehalten, hat die Klägerin nicht behauptet. Die Sachverständigen haben in der mündlichen Streitverhandlung vom 10.4.1991 vielmehr zur Frage der Verschlechterung Stellung genommen und erklärt, daß gegenüber dem erstellten Leistungskalkül keine ändernden Umstände gegeben seien.

Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes ist zutreffend.

Die zusätzlichen Kosten, die der Klägerin durch ihren eingeschränkten Gesundheitszustand entstehen, wurden von den Vorinstanzen gemäß § 273 ZPO ermittelt. Nach dieser Gesetzesstelle ist der Betrag nach freier Überzeugung festzusetzen, dabei besteht für das Gericht ein Ermessensspielraum. Ist die Revision, wie hier nach § 46 Abs 4 ASGG, ohne die Beschränkung des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zulässig, dann hat der Oberste Gerichtshof die Entscheidung des Berufungsgerichtes in jeder Richtung, also nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Ermessensüberschreitung oder eines Ermessensmißbrauches zu prüfen. Es besteht dabei aber auch für den Obersten Gerichtshof der sich aus § 273 ZPO ergebende Ermessensbereich. Dies bedeutet, daß er die Entscheidung des Berufungsgerichtes immer dann billigen kann, wenn nicht gewichtige Gründe für deren Unrichtigkeit sprechen (SSV-NF 3/72 ua).

Da für den Umfang der benötigten Hilfe nur der Bereich notwendiger Verrichtungen maßgeblich ist und die Kosten, die auch gesundheitlich nicht eingeschränkte Pensionsbezieher gleichen Alters und gleicher Lebensumstände üblicherweise aufwenden, nicht berücksichtigt werden können, hat das Berufungsgericht zu Recht die "eigentlichen Mehrkosten" für die Reinigung der Vorhänge - welche die Klägerin nach den Feststellungen im übrigen nur zweimal jährlich vornimmt, während das Erstgericht hiefür eine viermalige Reinigung veranschlagt - und der Bettwäsche nicht in den notwendigen Aufwand einbezogen, weil es sich dabei auch nach den Ausführungen in der Revision um die in der Wäscherei anfallenden Kosten handelt.

Die Hilfeleistungen bei der Zubereitung von Mahlzeiten mit einem Zeitaufwand von monatlich 10 Stunden erscheint als äußerst großzügig bemessen: Denn die Klägerin kann einfache Speisen selbst zubereiten und ist, wie der Sachverständige ausführte, nur nicht in der Lage, Gemüse oder Kartoffeln zu schälen, also Speisen zuzubereiten, die eine besondere Fingerfertigkeit erfordern. In diesem Umfang ist der Klägerin aber das Ausweichen auf andere Gemüsesorten oder die Verwendung von Tiefkühlkost und Fertiggerichten zumutbar.

Zur Versicherungspflicht von Hilfspersonen ist darauf zu verweisen, daß diese mit einer als geringfügig anzusehenden Beschäftigung (im Jahre 1990 ein Entgelt von höchstens S 2.658 monatlich) gemäß § 5 Abs 1 Z 2 ASVG von der Vollversicherung ausgenommen sind und lediglich allenfalls der gemäß § 7 Z 3 lit a ASVG bestehenden Teilversicherung in der Unfallversicherung unterliegen (10 Ob S 69/91).

Damit aber erreichen die von der Klägerin aufzuwendenden Kosten für fremde Hilfe im Monatsdurchschnitt noch nicht jenes Ausmaß, das die Zuerkennung eines Hilflosenzuschusses rechtfertigt.

Der Ausspruch über die Revisionskosten beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

Anmerkung

E28178

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:010OBS00021.92.0211.000

Dokumentnummer

JJT_19920211_OGH0002_010OBS00021_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten