Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Franz Köck (Arbeitgeber) und Mag.Karl Dirschmied (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Jennifer S*****, Kellnerin ***** vertreten durch Dr.Jörg Hobmeier, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (Landesstelle Salzburg), 1200 Wien, Adalbert Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr.Vera Kremslehner, Dr.Josef Milchram und Dr.Anton Ehm, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 8.Oktober 1991, GZ 5 Rs 110/91-24, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 15.Juli 1991, GZ 46 Cgs 176/90-19, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin zog sich bei ihrer Berufsausübung als Zimmermädchen durch Kontaktnahme mit Putzmitteln und ständige Nässeeinwirkung Kontaktallergien und ekzematöse Hautveränderungen an beiden Händen zu. Mit Bescheid der beklagten Partei vom 22.8.1989 wurden diese Erkrankungen von der beklagten Partei als Berufskrankheit im Sinne des § 177 ASVG Anlage 1 lfd.Nr.19 anerkannt. Als Zeitpunkt des Eintrittes des Versicherungsfalles wurde der 7.11.1988 festgestellt. Zugleich wurde der Klägerin für die Folgen der Hauterkrankung ab 8.11.1988 eine vorläufige 20 %-ige Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß zuerkannt.
Seit Aufgabe der Berufstätigkeit als Zimmermädchen (vor Gewährung der 20 %-igen vorläufigen Versehrtenrente) hat die Klägerin nicht mehr als Zimmermädchen oder Reinigungskraft gearbeitet. Vielmehr hat sie mittlerweile diverse Beschäftigungen in Österreich und in der Schweiz im Gastgewerbebereich als Kellnerin durchlaufen und ist auch derzeit als Kellnerin tätig. Ihr Aufgabengebiet als Kellnerin besteht größtenteils aus Servierarbeit, womit weder Nässeeinwirkung noch insbesondere Kontakt mit Putzmitteln verbunden ist. In weit geringerem zeitlichem Ausmaß fallen Arbeiten wie Gläserspülen, das Reinigen von Tischen und der Theke an. Hier findet Putzmittelkontakt und Nässebelastung statt. Die beklagte Partei hat für die Klägerin eingehende Schulungsmaßnahmen unternommen und ihr die Berufsausübung als Rezeptionistin ermöglicht, ein Stellenantritt der Klägerin als Rezeptionistin erfolgte nicht. Zum Zeitpunkt der Aufgabe der schädigenden Erwerbstätigkeit als Zimmermädchen lagen berufsausübungsbedingte Kontaktallergien an beiden Händen samt ekzematöser Veränderungen vor, die einer 20 %-igen Erwerbsminderung der Klägerin, bezogen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt, gleichzuhalten waren. Würde die Klägerin eine Arbeit als Zimmermädchen oder Reinigungskraft wieder aufnehmen, ergäbe sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein Wiederaufleben der Kontaktallergien und ekzematösen Hautveränderungen sowie eine krankheitsbedingte Beeinträchtigung im Sinne einer 20 %-igen Erwerbsminderung, bezogen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt. Der gesundheitliche Zustand der Klägerin im Zuge der Ausübung der Berufstätigkeit als Zimmermädchen/Reinigungskraft ist mit dem Zustand bei Berufsausübung als Kellnerin nicht vergleichbar. Die Klägerin ist nunmehr im wesentlichen ekzemfrei und der Hautzustand insgesamt vergleichsweise zum Zeitpunkt der Gewährung der 20 %-igen vorläufigen Versehrtenrente gebessert. Der derzeitige Hautzustand entspricht, bezogen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt, einer maximal 10 %-igen Erwerbsminderung.
Mit Bescheid vom 25.9.1990 entzog die beklagte Partei die der Klägerin für die Folgen ihrer Berufstätigkeit bislang gewährte vorläufige 20 %-ige Versehrtenrente ab 1.11.1990.
Den letztgenannten Bescheid bekämpfte die Klägerin mit ihrer rechtzeitigen Klage und behauptete hiezu, daß sie die schädigende Erwerbstätigkeit wegen des Krankheitsbildes habe aufgeben müssen und nunmehr als Kellnerin tätig sei. Dabei komme sie mit allergieauslösenden Stoffen nicht mehr in Berührung. Eine Wiederaufnahme der schädigenden Erwerbstätigkeit wäre mit einem neuerlichen Auftreten von Hautekzemen verbunden. Diesfalls entspreche der Zustand einer 20 %-igen Erwerbsminderung.
Dagegen wendete die beklagte Partei im wesentlichen ein, daß die Klägerin am 25.4.1990 eine Tätigkeit als Kellnerin aufgenommen habe, womit Nässekontakte verbunden seien. Daher liege eine Berufskrankheit im obangeführten Sinne nicht mehr vor. Die Klägerin sei als Rezeptionistin vermittelbar gewesen, habe diese Tätigkeit aber nicht aufgenommen. Eine weitere Rentengewährung sei daher nicht gerechtfertigt.
Ausgehend vom eingangs dargestellten Sachverhalt erkannte das Erstgericht der Klägerin auch ab 1.11.1990 die Versehrtenrente von 20 % im gesetzlichen Ausmaß als Dauerrente zu. Rechtlich vertrat es die Auffassung, daß im Sinne des § 177 Abs 1 ASVG Anlage 1 lfd.Nr.19 Hauterkrankungen als Berufskrankheiten zu gelten haben, während und solange sie zur Aufgabe der schädigenden Erwerbsarbeit zwingen, wobei keine Einschränkung auf Arbeitsleistungen in bestimmten Unternehmen normiert sei. Die Frage, ob mit dem Wechsel von der die Hauterkrankung bewirkenden Zimmermädchentätigkeit zum Kellnerinnenberuf eine Aufgabe der schädigenden Erwerbstätigkeit eingetreten sei, müsse bejaht werden, weil der von der Klägerin nunmehr ausgeübte Kellnerinnenberuf nicht unter den Begriff der schädigenden Erwerbstätigkeit subsumiert und auch nicht der früheren Berufstätigkeit gleichgesetzt werden könne. Somit sei von einer Aufgabe der schädigenden Erwerbstätigkeit als Zimmermädchen und bislang nicht erfolgter Wiederaufnahme einer schädigenden Erwerbsarbeit auszugehen. Der Klägerin stünde somit die bisherige Versehrtenrente als Dauerrente weiter zu.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil im Sinne einer Abweisung der Klage ab. Es stehe fest, daß die Klägerin derzeit nicht an einer akuten Ausprägung ihrer Hautkrankheit leide. Wegen des im wesentlichen ekzemfreien Hautzustandes betrage die Minderung der Erwerbsfähigkeit - bezogen auf den allgemeinen
Arbeitsmarkt - höchstens 10 vH. Ungeachtet der Frage, ob der nunmehr ausgeübte Kellnerinnenberuf eine Wiederaufnahme des schädigenden Berufes bedeute oder nicht, ergebe sich aus den Feststellungen jedenfalls, daß im Sinne der abstrakten Schadensberechnung, bezogen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt, nur mehr eine unter dem berentungsfähigen Ausmaß liegende Minderung der Erwerbsfähigkeit bestehe. Dies bedeute, daß die Klägerin als Folge einer jedenfalls latend verbliebenen Krankheit zwar in gewissem Umfange vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen bleibe, daß ihr aber doch ein wesentlicher Teil des allgemeinen Arbeitsmarktes noch offen stehe. Insbesondere sei auf den vom Erstgericht ausdrücklich festgestellten Beruf der Rezeptionistin hinzuweisen, der der Klägerin zweifellos zumutbar wäre und bei welchem sie weder Nässeeinwirkung noch Kontakt mit Putzmitteln zu befürchten hätte. Somit lägen nach dem festgestellten Sachverhalt die Voraussetzungen für die Gewährung einer Versehrtenrente auch in Form einer Dauerrente nicht mehr vor, da mittlerweile nicht mehr von einer noch nicht absehbaren Entwicklung der Folgen der Berufskrankheit gesprochen werden könne. Infolge des Institutes der sukzessiven Kompetenz komme dem Gericht die Funktion zu, selbständig den durch die Klage geltend gemachten sozialversicherungsrechtlichen Leistungsanspruch zu prüfen. Demgemäß habe das Erstgericht auch die Kompetenz gehabt, unter Berücksichtigung der Verhältnisse bis zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung selbständig über die Feststellung der Rente als Dauerrente zu befinden (SSV-NF 1/6). Weil aber eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von wenigstens 20 vH nicht vorliege, sei das Klagebegehren abzuweisen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Revisionsgründe der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache gestützte Revision der Klägerin mit dem Antrag auf Aufhebung und Zurückverweisung, hilfsweise Abänderung im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens.
Die beklagte Partei beantragte, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§§ 503 Z 2, 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).
Dem Vorwurf, das Berufungsgericht habe seinem Urteil unter Außerachtlassung des Grundsatzes der Unverwertbarkeit überschießender Beweisergebnisse eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von nur 10 vH zugrunde gelegt, obwohl die beklagte Partei die Entziehung der bisher gewährten Versehrtenrente lediglich mit einer Wiederaufnahme der schädigenden Tätigkeit begründet habe, ist folgendes zu erwidern:
Der angefochtene Bescheid ist keine Neufeststellung der Rente bei einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse im Sinn des § 183 ASVG, sondern die dem Versicherungsträger nach Gewährung einer vorläufigen Versehrtenrente gemäß § 209 Abs 1 ASVG spätestens mit Ablauf des zweijährigen Zeitraumes obliegende Feststellung der Versehrtenrente als Dauerrente; diese Feststellung setzt nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut eine Änderung der Verhältnisse (§ 183 Abs 1) nicht voraus und ist an die Grundlagen für die Berechnung der vorläufigen Rente nicht gebunden. Bei der erstmaligen Feststellung der Dauerrente kann also der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit völlig neu bestimmt werden (SSV-NF 3/18, 3/104 ua), unter Umständen sogar mit Null, was auf eine Entziehung der vorläufigen Rente hinausläuft (vgl MGA ASVG
45. ErgLfg 1037 f Anm 2a zu § 209 mit Hinweis auf eine ältere Entscheidung des OLG Wien; ebenso SSV 6/97, 14/7 ua). Ohne Entscheidung des Versicherungsträgers im Sinne des § 209 Abs 1 ASVG würde die vorläufige Rente in die Funktion einer Dauerrente treten (SZ 60/194; jüngst 14.1.1992 10 Ob S 360/91).
Daraus folgt, daß die beklagte Partei weder im angefochtenen Bescheid noch im Verfahren erster Instanz eine zur Verringerung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit führende Besserung des Zustandes der Klägerin behaupten mußte; vielmehr lag der auf Gewährung einer Versehrtenrente von 20 vH der Vollrente als Dauerrente lautenden Klage die Behauptung einer MdE von 20 vH zugrunde, die im Beweisverfahren zu prüfen war und auch geprüft wurde (vgl die ärztlichen Gutachten ON 5, 9 und 13). Der Einwand der Revisionswerberin, der Grad der MdE sei in erster Instanz nicht (ausreichend) erörtert worden, geht daher ins Leere.
Richtig ist, daß die in erster Instanz siegreiche Klägerin nicht gezwungen war, die ihr nachteilige Feststellung einer MdE von nur 10 vH im Berufungsverfahren zu bekämpfen; nach herrschender Lehre (Fasching, Komm IV 71 und ZPR2 Rz 1785) und Rechtsprechung (SZ 26/262, SZ 48/9, SZ 51/137 uva; jüngst 10 Ob S 297/91) konnte sie dies in der Revision nachholen, weil sich erst das Berufungsgericht infolge abweichender rechtlicher Beurteilung auf diese ihr nachteilige Feststellung stützte. Daß die Frage, inwieweit die Erwerbsfähigkeit aus medizinischer Sicht gemindert ist, zum Tatsachenbereich gehört, entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senates (SSV-NF 3/128 uva; zuletzt etwa 10 Ob S 24/91, 10 Ob S 101/91, 10 Ob S 317/91).
In der Revision wird nun die erstgerichtliche Feststellung des Grades der MdE als unrichtig bezeichnet und - unter dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen
Beurteilung - ausgeführt, daß erhebliche Bedenken gegen die Einschätzung der MdE durch die ärztliche Sachverständige bestünden. Diese Bedenken sind aber rein rechtlicher Natur (vgl SSV-NF 1/64 = SZ 60/262), sodaß in ihnen eine Bekämpfung der erstgerichtlichen Beweiswürdigung und Tatsachenfeststellung nicht zu erblicken ist.
Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes ist zutreffend, weshalb auf sie verwiesen werden kann (§ 48 ASGG). Ob sich der Kreis der für die Klägerin noch ausübbaren Berufe seit Gewährung der vorläufigen Rente vergrößert hat, ist insoweit nicht entscheidend, weil - wie oben dargelegt - ein Vergleich mit den Verhältnissen bei Zuerkennung der vorläufigen Rente nicht zu erfolgten hat. Gegen den von den Vorinstanzen angenommenen Grad der MdE bestehen keine Bedenken. Folgt das Gericht einem medizinischen Sachverständigengutachten und legt es dessen Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit seinen Feststellungen zugrunde, so stellt dies einen Akt der irrevisiblen Beweiswürdigung dar (SSV-NF 3/19 ua). Diese sogenannte medizinische Minderung der Erwerbsfähigkeit bildet im allgemeinen auch die Grundlage für deren rechtliche Einschätzung, wenn - wie im vorliegenden Fall - ein Abweichen hievon unter besonderen Umständen nicht geboten ist (SSV-NF 1/64 = SZ 60/262; SSV-NF 3/128 uva). Entgegen der Ansicht der Revisionswerberin ist damit auf die eingeschränkten Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt ausreichend Bedacht genommen; die erst 21 Jahre alte Klägerin, die keinen Beruf erlernte, ist auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur von einer kleinen Zahl ansonsten möglicher Tätigkeiten ausgeschlossen, nämlich solchen mit Einwirkungen von Putzmitteln und von Nässe. Die Rechtsansicht der Klägerin, mangels Änderung der Verhältnisse bestehe immer noch eine MdE von 20 vH, läßt das Wesen der erstmaligen Feststellung einer Dauerrente im Sinne des § 209 Abs 1 ASVG außer Acht.
Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.
Anmerkung
E28197European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1992:010OBS00368.91.0211.000Dokumentnummer
JJT_19920211_OGH0002_010OBS00368_9100000_000