TE OGH 1992/2/19 1Ob7/92

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Veröffentlicht am 19.02.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Schlosser, Dr. Graf und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj. Jacqueline M***** vertreten durch Dr. Thomas Prader und Dr. Werner Goeritz, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei REPUBLIK ÖSTERREICH, vertreten durch die Finanzprokuratur, Singerstraße 17-19, 1010 Wien, wegen S 146.591,-- und Feststellung (S 100.000,--) infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgerichtes vom 10. Dezember 1991, GZ 14 R 222/91-8, womit der Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 9. Oktober 1991, GZ 31 Cg 1029/91-5, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluß des Gerichtes zweiter Instanz wird dahin abgeändert, daß der erstinstanzliche Beschluß wiederhergestellt wird. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 10.882,80 bestimmten Revisionsrekurskosten im Zwischenstreit über die Delegation (darin S 1.813,80 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Begründung:

Im Zeitraum von März bis Juni 1991 hatten mehrere infolge einer kurz nach ihrer Geburt verabreichten TBC-Impfung geschädigte Minderjährige beim Landesgericht Innsbruck Klagen gegen den hier beklagten Rechtsträger sowie den jeweiligen Krankenhausträger bzw. den behandelnden Arzt, den Vertreiber und den Erzeuger des Impfstoffes als Streitgenossen eingebracht. Ihre jeweils auf Ersatz ihres daraus erwachsenen Schadens (Schmerzengeld, Verunstaltungsentschädigung und Fahrtkosten) bzw. auf Feststellung der Haftung der beklagten Parteien für alle künftigen Nachteile aus dem Schadensereignis gerichteten Begehren waren gegen den auch hier beklagten Rechtsträger auf Amtshaftung im Zusammenhang mit der gesundheitsbehördlichen Freigabe des Impfstoffes, gegen den Krankenhausträger bzw. den behandelnden Arzt auf die Verletzung von im Behandlungsvertrag übernommenen Schutz- und Sorgfaltspflichten und gegen den Vertreiber sowie den Erzeuger des Impfstoffes auf Produkthaftung gestützt.

Mit der am 12./14. 8. 1991 beim Erstgericht eingebrachten Amtshaftungsklage begehrte die mj. Klägerin die Verurteilung der beklagten Partei zum Ersatz des mit S 146.591,-- bezifferten Schadens an Schmerzengeld, Verunstaltungsentschädigung sowie Behandlungs- und Fahrtkosten und ferner die Feststellung der Haftung des beklagten Rechtsträgers für alle künftigen Schäden aus der beanstandeten Impfung. Sie brachte im wesentlichen vor, der Impfstoff, der bei ihr schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen heraufbeschworen habe, sei von Organen des beklagten Rechtsträgers rechtswidrig und schuldhaft freigegeben worden.

Die beklagte Partei, die umfangreiche Einwendungen gegen das Amtshaftungsbegehren erhob, beantragte in der Klagebeantwortung die Delegierung des Landesgerichtes Innsbruck gemäß § 31 a Abs. 2 JN mit der Begründung, dort seien bereits die eingangs dargestellten Verfahren anhängig, in welchen von den Klägern dieselben haftungsbegründenden Tatsachen behauptet worden seien.

Die Klägerin sprach sich gegen diesen Antrag aus.

Das Erstgericht wies den Delegierungsantrag ab. § 9 AHG sei gegenüber § 31 a JN die speziellere Norm, weshalb eine Prorogation allenfalls nur durch übereinstimmenden Parteiantrag (im Sinne des § 31 a Abs. 1 JN) möglich wäre. Ein solcher liege aber nicht vor.

Das Rekursgericht verfügte die beantragte Delegierung des Landesgerichtes Innsbruck und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Die im § 31 a Abs. 2 JN vorgesehene Delegierungsmöglichkeit verfolge den Zweck, Verfahren, die Schadenersatzansprüche aus dem gleichen schädigenden Ereignis zum Gegenstand haben, zur Vermeidung überflüssigen Aufwandes und abweichender Beurteilung gleichartiger Rechtsfragen bei einem Gericht zu konzentrieren. Diesen Umständen messe der Gesetzgeber Priorität vor sonstigen Zweckmäßigkeitserwägungen zu. Die im Gesetz für die Delegierung geforderten Voraussetzungen seien hier gegeben, weil dasselbe von der Klägerin behauptete rechtswidrige Organverhalten Ursache der eingetretenen Schäden sei. Daran ändere auch nichts, daß vor dem Landesgericht Innsbruck noch andere Personen als Mitschädiger in Anspruch genommen würden. Die Führung aller gegen den beklagten Rechtsträger gerichteten Rechtssachen durch ein Gericht diene der Prozeßökonomie, weil alle Zeugen und Sachverständigen nur einmal gehört werden müßten. Auch die gleichartige Beurteilung aller Rechtssachen durch ein Gericht sei gewährleistet. Auch müsse die im § 31 a Abs. 2 JN angeordnete Verbindung der zusammengefaßten Rechtssachen nicht endgültig sein, sie könne wieder aufgehoben werden, wenn die gemeinsame Verhandlung zu einer Verzögerung oder Verteuerung des Verfahrens führen müßte. Die übertragene Rechtssache könne deshalb gemäß § 31 JN aus Zweckmäßigkeitsgründen (rück-)delegiert werden, wenn die für die Delegation maßgeblichen Umstände nachträglich wegfallen sollten. Eine Delegation nach § 31 a JN sei auch im Amtshaftungsverfahren zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Klägerin ist zulässig (vgl. JAB 1337 BlgNR 15. GP 3) und berechtigt.

Die im § 31 a Abs. 2 JN geschaffene Möglichkeit der Delegierung einer Streitsache an ein anderes Gericht gleicher Art verfolgt nach den Materialien (669 BlgNR 15. GP 30) den Zweck, mehrere gesondert eingeleitete Verfahren über Ansprüche auf Schadenersatz aus demselben schädigenden Ereignis zur Vermeidung überflüssigen Verfahrensaufwandes und abweichender Beurteilung gleichartiger Rechtsfragen durch verschiedene Gerichte bei einem von diesen zu konzentrieren. Von diesen beiden Motiven der neu geschaffenen Delegierungsmöglichkeit genießt der Zweck der Vermeidung überflüssigen Verfahrensaufwandes den Vorrang, nicht nur weil dieses Motiv im Gesetzeswortlaut seinen unzweideutigen Niederschlag gefunden hat, sondern auch, weil der Justizausschuß, der dieser Bestimmung erst die endgültige Fassung gegeben hat, selbst die Möglichkeit in Erwägung zog, die Verbindung der Rechtssache wieder aufzuheben, sollte damit eine Verzögerung oder Verteuerung verbunden sein, weil in den einzelnen Verfahren nur noch voneinander verschiedene Fragen zu klären seien (JAB aaO 2). Gerade damit muß im vorliegenden Fall aber schon deshalb von vorneherein gerechnet werden, weil in den beim Landesgericht Innsbruck anhängig gemachten Verfahren jeweils vier Beklagte aus verschiedenen voneinander gesondert zu prüfenden Rechtsgründen in Anspruch genommen werden, wogegen - nach dem Ergebnis von Erhebungen des Obersten Gerichtshofs beim Erstgericht - dort 13 völlig gleichgelagerte Amtshaftungsverfahren gegen

den - hier - beklagten Rechtsträger anhängig sind, bei deren Verbindung in der Tat eine Vermeidung überflüssigen Verfahrensaufwandes erwartet werden kann. Würde das vorliegende Verfahren (ebenso wie die weiteren beim Erstgericht aus diesem Rechtsgrund anhängig gemachten Verfahren) vom Landesgericht Innsbruck mit den dort geführten Verfahren verbunden werden, wäre damit - jedenfalls für die Klägerin - eine wesentliche Verlängerung und Verteuerung der von ihr angestrebten Rechtsdurchsetzung verbunden, weil das Landesgericht Innsbruck jedenfalls alle unterschiedlichen Anspruchsgründe klären muß. Angesichts der großen Entfernung des Wohnorts der gesetzlichen Vertreter der Klägerin von Innsbruck wäre für sie bei Aufrechterhaltung der vom Gericht zweiter Instanz verfügten Delegation auch ein erheblich größerer Aufwand an Zeit, Mühe und Kosten verbunden. Überdies wäre es höchst zweifelhaft, ob die gesetzlichen Vertreter der Klägerin sich dann überhaupt an der mündlichen Streitverhandlung beteiligen könnten.

Ist demnach mit Rücksicht auf die besondere Sachlage eine Vermeidung überflüssigen Verfahrensaufwands durch die vom Gericht zweiter Instanz angeordnete Übertragung der Rechtssache an das Landesgericht Innsbruck nicht zu erwarten und kann dagegen bei einer Verbindung der aufgrund der Freigabe des Impfstoffes durch die Gesundheitsbehörden beim Erstgericht anhängig gemachten Verfahren bei diesem Gericht mit einer wesentlichen Ersparnis an Zeit und Kosten gerechnet werden, liegen entgegen der Ansicht des Rekursgerichts die Voraussetzungen für die Delegation gemäß § 31 a Abs. 2 JN nicht vor, weshalb der - im Ergebnis richtige - Beschluß des Erstgerichtes wiederherzustellen ist.

Die Entscheidung über die Revisionsrekurskosten beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO; das Verfahren über den Delegierungsantrag ist als Zwischenstreit anzusehen.

Anmerkung

E27974

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:0010OB00007.92.0219.000

Dokumentnummer

JJT_19920219_OGH0002_0010OB00007_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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