TE OGH 1992/2/20 7Ob3/92

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.02.1992
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. ***** P*****, wider die beklagte Partei V***** Versicherung*****, vertreten durch Dr. Dieter Brandstätter, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Feststellung (Streitwert S 100.000,-), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 22. November 1991, GZ 4 R 244/91-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 13. Juni 1991, GZ 10 Cg 58/91-9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 18.582,80 bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin enthalten S 5.000,- Barauslagen und S 2.263,80 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger hat für seine Tätigkeit als Rechtsanwalt mit der klagenden Partei eine Haftpflichtversicherung für Vermögensschäden abgeschlossen, der die Allgemeinen Versicherungsbedingungen zur Haftpflichtversicherung für Vermögensschäden (AVBV) zugrunde liegen. Nach Artikel 4 I AVBV erstreckt sich der Versicherungsschutz nicht auf Haftpflichtansprüche unter anderem wegen Schadenstiftung durch wissentliches Abweichen von Gesetz, Vorschrift, Anweisung oder Bedingung des Machtgebers (Berechtigten) oder durch sonstige wissentliche Pflichtverletzung (Z 3) und wegen Schäden, welche durch Fehlbeträge bei der Kassenführung, durch Verstöße beim Zahlungsakt, durch Veruntreuung des Personals des Versicherten oder anderer Personen, deren er sich bedient, entstehen (Z 6).

Franz K***** war auf Grund eines am 7.10.1987 in einem Zwangsversteigerungsverfahren erteilten Zuschlags bereits Hälfteeigentümer der Liegenschaft EZ ***** und wollte auch den anderen Hälfteanteil bei der am 18.5.1988 stattfindenden Zwangsversteigerung erwerben. Auf dem anderen Hälfteanteil war für Sebastian H***** ein Zwangspfandrecht von S 200.000,-- einverleibt. Sebastian H***** wollte wegen des schlechten Ranges seines Pfandrechts von Franz K***** eine Geldleistung und drohte, das Meistbot hinaufzutreiben. Vor Beginn der Versteigerung trafen Sebastian H*****, dessen rechtsfreundlicher Vertreter Dr. ***** S*****, Franz K***** und der Kläger als sein rechtsfreundlicher Vertreter zusammen. Hiebei wurde vom Kläger folgende Vereinbarung handschriftlich festgehalten: "Sollte Franz K***** die gegenständliche Liegenschaftshälfte zum Ausrufpreis von S 364.200,- erwerben können, so erhält Sebastian H***** von Franz K***** S 200.000,- je S 1.000,- notwendiges höheres Meistbot genau um S 1.000,- weniger, sodaß bei einem aufzubringenden Meistbot von S 564.200,-- oder mehr Sebastian H***** nichts mehr erhalten sollte." Außerdem wurde vereinbart, daß es beiden frei stehe, sich an der Versteigerung zu beteiligen bzw. bei dieser mitzubieten. Zu diesem Zeitpunkt stand bereits fest, daß Sebastian H***** an der Versteigerung teilnimmt. Franz K***** und Sebastian H***** war auch bekannt, daß zumindest noch ein weiterer Interessent, nämlich die Sparkasse K*****, bei der Versteigerung erscheinen werde und mitzubieten beabsichtige. Zum Zwecke der Abwicklung etwaiger Zahlungen an Sebastian H***** nach der Versteigerung wurde dem Kläger vom Franz K***** ein Betrag von S 200.000,- treuhändig übergeben. Davon erhielt Sebastian H***** unmittelbar nach der Versteigerung vom Kläger in dessen Kanzlei S 114.200,- entsprechend der Vereinbarung ausbezahlt, da Franz K***** die Liegenschaftshälfte um das Meistbot von S 450.000,- zugeschlagen erhalten hatte. Die handschriftliche Vereinbarung vernichtete der Kläger anschließend.

In der Folge stellte die Sparkasse ***** K***** ein Überbot von S 700.000,-, welches Franz K***** nicht entkräften wollte. Hierauf wurde die zweite Liegenschaftshälfte der Sparkasse zugeschlagen, die sie später an Franz K***** um S 600.000,-

verkaufte.

Franz K***** begehrte von Sebastian H***** gerichtlich die Rückzahlung des Betrages von S 114.200,- s.A. Das Klagebegehren wurde abgewiesen, Berufung und Revision des Franz K***** blieben erfolglos.

Franz K***** geht davon aus, von der Kanzlei des Klägers den Ersatz seines Schadens zu erhalten. Der Kläger begehrt die Feststellung der Deckungspflicht der beklagten Partei auf Grund der mit ihr abgeschlossenen Haftpflichtversicherung.

Die beklagte Partei beruft sich auf die Risikoausschlüsse nach Artikel 4 I 3 und 6 AVBV.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Nach seinen Feststellungen war dem Kläger bei Abschluß der Vereinbarung vom 18.5.1988 das Bestehen der gesetzlichen Vorschrift bekannt, wonach Vereinbarungen, daß jemand gegen Entgelt vom Mitbieten bei einer Versteigerung abgehalten werden soll, verboten sind. Zweck der Vereinbarung zwischen Franz K***** und Sebastian H***** war, daß Sebastian H***** abgehalten werden sollte, das Meistbot für die Liegenschaftshälfte soweit hinaufzutreiben, wie dies erforderlich gewesen wäre, und zumindest teilweise aus dem Meistbot Befriedigung erhalten zu können, weil dann Franz K***** diese Liegenschaftshälfte nicht so billig hätte erstehen können.

Nach der Auffassung des Erstgerichtes liege der Risikoausschluß nach Artikel 4 I 6 AVBV vor. Ein Verstoß beim Zahlungsakt im Sinne dieser Ausschlußklausel sei immer dann gegeben, wenn an einen Unberechtigten ausbezahlt werde. Dabei sei gleichgültig, ob sich der Versicherungsnehmer über die Person des Dritten oder über seine Berechtigung geirrt habe. Diese Ausschlußbestimmung greife daher auch dann ein, wenn ein Rechtsanwalt, bei dem ein bestimmter Betrag hinterlegt sei, der irrigen Meinung sei, die Voraussetzungen für die Ausfolgung des hinterlegten Betrages seien erfüllt. Der Irrtum des Versicherungsnehmers darüber, ob die Voraussetzungen für eine Auszahlung vorliegen oder nicht, sei als Verstoß beim Zahlungsakt anzusehen. Im vorliegenden Fall habe der Irrtum des Klägers über die Voraussetzungen für die Auszahlung des treuhändig verwahrten Betrages an Sebastian H***** darin bestanden, daß er bei der Auszahlung die Möglichkeit eines Überbots nicht bedacht habe. Da im Zeitpunkt der Zahlung an Sebastian H***** der Zuschlag doch nicht rechtskräftig und damit ein Überbot noch möglich gewesen sei, habe der Kläger diese Zahlung an einem zum damaligen Zeitpunkt noch nicht Berechtigten geleistet. Die Sittenwidrigkeit der Ausschlußklausel verneinte das Erstgericht.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens ab. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 50.000,- übersteigt und die ordentliche Revision zulässig ist.

Das Berufungsgericht teilte nicht die Rechtsansicht des Erstgerichtes, daß ein Risikoausschluß nach Artikel 4 I 6 AVBV vorliegt. Aber auch ein Risikoauschluß nach Artikel 4 I 3 AVBV ist nach der Ansicht des Berufungsgerichtes nicht gegeben. Nach dieser Bestimmung umfasse der Versicherungsschutz nicht Haftpflichtansprüche wegen Schadensstiftung durch wissentliches Abweichen von Gesetz, Vorschrift, Anweisung oder Bedingung des Machtgebers oder durch sonstige wissentliche Pflichtverletzung. Richtig sei, daß die zwischen Franz K***** und Sebastian H***** vor Beginn der Versteigerung abgeschlossene Vereinbarung, an welcher der Kläger als Rechtsvertreter des Franz K***** mitgewirkt habe, gegen die Bestimmungen des Hofkanzleidekretes vom 6.6.1838, JGS 277 verstoßen habe. Der Versicherer sei allerdings nicht nur für den objektiven Verstoß beweispflichtig, sondern habe auch das Bewußtsein des Versicherungsnehmers, mit seinem Verhalten gegen Gesetz oder sonstige Vorschriften verstoßen zu haben, darzulegen und zu beweisen. Ob dieser Beweis erbracht worden sei, könne dahingestellt bleiben. Der von Franz K***** gegen den Kläger erhobene Haftpflichtanspruch stütze sich nämlich nicht darauf, daß der Kläger gegen das genannte Hofkanzleidekret verstoßen habe - Franz K***** habe ja selbst den Abschluß der Vereinbarung mit Sebastian H***** gewünscht - , sondern darauf, daß der Kläger bei Prüfung der Frage, ob der vereinbarte Betrag an Sebastian H***** bereits ausbezahlt werden könne, die Möglichkeit eines Überbots nicht bedacht habe. Daß der Betrag von S 114.200,-, dessen Rückforderung nach dem im Vorprozeß ergangenen Urteil nicht mehr möglich sei, an Sebastian H***** ausbezahlt wurde, obwohl die vereinbarten Voraussetzungen dafür nicht gegeben gewesen seien, sei somit nicht auf ein wissentliches Abweichen vom Gesetz zurückzuführen, sondern auf eine Fahrlässigkeit, die aber im Bereich der Haftpflicht für Vermögensschäden gerade das versicherte Interesse darstelle.

Die gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revision der beklagten Partei ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Wie der Oberste Gerichtshof bereits im Vorprozeß ausgesprochen hat, ist die Vereinbarung vom 18.5.1988 ein ungültiger Vertrag im Sinne des HfKD JGS 1838/277. Diese Norm erklärt nämlich Verträge für ungültig, wodurch jemand bei einer von was immer für einer Behörde veranstalteten öffentlichen Versteigerung als Mitbieter nicht erscheinen oder nur bis zu einem bestimmten Preise, oder sonst nur nach einem gegebenen Maßstab oder gar nicht mitzubieten verspricht. Darunter fällt auch die Zusage einer Zahlung an einen Hypothekargläubiger, dessen Forderung bei einem unter einem gewissen Betrag liegenden - im Interesse des Käufers niedrigen - Meistbot nicht gedeckt ist. Durch die Vereinbarung vom 18.5.1988 wurde somit vom Gesetz abgewichen. Der Ausschlußtatbestand des Artikel 4 I 3 AVBV ist jedoch nur dann verwirklicht, wenn das Abweichen von Gesetz etc. wissentlich erfolgt. Der Begriff des wissentlichen Verstoßes in § 4 Z 5 AVB, der mit Artikel 4 I 3 AVBV wörtlich übereinstimmt, wird nach Lehre und Rechtsprechung in Deutschland im Sinne eines bewußten Verstoßes verstanden, und vorsätzliches Handeln, das in der Haftpflichtversicherung allgemein auch die Schadensfolge umfassen muß, wird nicht gefordert (Prölls-Martin VVG24 1014; Bruck-Möller-Johannsen VVG8 IV 447 je mwN). Einen Ausschlußtatbestand bei bewußtem Zuwiderhandeln gegen Vorschriften enthalten auch die EHVB (Abschnitt A Punkt 3 EHVB 1986). Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs hiezu kommt es bei Beurteilung der Frage, ob ein bewußter Verstoß vorliegt nicht darauf an, daß der Versicherungsnehmer oder die anderen in dieser Bestimmung genannten Personen die Verbotsvorschrift in ihrem genauen Wortlaut oder ihrem genauen Umfang kannten; wesentlich ist allein das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit der Handlungsweise (SZ 63/38 mwN). Auch der Begriff des wissentlichen Verstoßes des Artikel 4 I 3 AVBV kann von einem durchschnittlichen verständigen Versicherungsnehmer (vgl. WBl.1989, 287) nur so verstanden werden, daß die Kenntnis des Umstandes genügt, daß das Verhalten von Gesetz, Vorschrift, etc. abweicht. Da die Vereinbarung vom 18.5.1988, wie schon eingangs dargelegt wurde, gegen ein gesetzliches Verbot verstieß, hätte der Kläger diese weder namens seines Mandanten abschließen noch auch, insbesondere durch Übernahme der Treuhandfunktion, daran mitwirken dürfen. Das Bewußtsein des Klägers von der Rechtswidrigkeit seines Verhaltens kann nach den unbekämpften Feststellungen des Erstgerichtes nicht zweifelhaft sein.

Beizupflichten ist dem Berufungsgericht darin, daß das wissentliche Abweichen für die Schadensstiftung auch ursächlich gewesen sein muß. Ein solcher Kausalzusammenhang ist jedoch gegeben. Die Frage der Ursächlichkeit ist, wenn der Versicherungsvertrag darüber keine Bestimmungen enthält, nach den allgemeinen Zurechnungskriterien im Sinne der Äquivalenz- und Adäquanztheorie zu beurteilen (Schauer Einführung2 136 f). Hätte der Kläger an dem verbotenen Rechtsgeschäft nicht mitgewirkt, wäre auch die Überweisung des bei ihm erlegten Betrages an den Vertragspartner seines Mandanten unterblieben. Die Stellung eines Überbots nach Erteilung des Zuschlags an seinen Mandanten war kein unvorhersehbares Ereignis. Der durch das wissentliche Abweichen des Klägers von einem Gesetz ausgelöste Kausalverlauf war keineswegs so atypisch, daß von einer adäquaten Schadensverursachung durch den Kläger nicht mehr gesprochen werden könnte. Es kommt daher, entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes, nicht darauf an, daß der Geschädigte seinen Ersatzanspruch gegen den Kläger nur auf die vorzeitige Überweisung des Treuhanderlages stützte.

Da der Haftungsausschluß nach Artikel 4 I 3 AVBV somit gegeben ist, kann die Frage unerörtert bleiben, ob unter einen Verstoß beim Zahlungsakt nach Artikel 4 I 6 AVBV auch eine Zahlung an den Unberechtigten infolge Irrtums über dessen Berechtigung fällt.

Demgemäß ist der Revision Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E28395

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:0070OB00003.92.0220.000

Dokumentnummer

JJT_19920220_OGH0002_0070OB00003_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten