TE OGH 1992/2/25 4Ob519/92

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Veröffentlicht am 25.02.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr.Friedl als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Gamerith, Dr.Kodek, Dr.Niederreiter und Dr.Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei *****, vertreten durch den Landeshauptmann Dr.Josef Ratzenböck, Linz, Klosterstraße 7, dieser vertreten durch Dr.Eckhard Pitzl, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei *****, Linz, Gruberstraße 77, vertreten durch Dr.Bruno Binder und andere Rechtsanwälte in Linz, wegen S 74.848,86 sA, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 13.November 1991, GZ 3 R 259/91-10, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 23.August 1991, GZ 5 Cg 112/91-4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Rechtssache wird an das Gericht 1. Instanz zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die klagende Partei ist Rechtsträgerin mehrerer öffentlicher Krankenanstalten, darunter (ua) der OÖ. Landesfrauenklinik Linz und der AÖ.Landeskrankenhäuser Steyr, Kirchdorf und Freistadt. Die Rechtsbeziehungen zwischen den Streitteilen, die sich aus der stationären Behandlung von Patienten, die bei der Beklagten versichert sind, ergeben, sind durch den Krankenanstaltenvertrag vom 26.2.1980 samt den dazu ergangenen Anlagen und Nachträgen geregelt. Durch den dritten Nachtrag zum Krankenanstaltenvertrag wurde das A.Ö.Landeskrankenhaus Kirchdorf in den Vertrag miteinbezogen. Dieser gemäß § 44 OÖ. Krankenanstaltengesetz (OÖKAG) 1976 geschlossene Vertrag hat laut seinem § 2 Abs 1 die Anstaltspflege zum Gegenstand, die von einem Versicherungsträger seinen Versicherten und deren anspruchsberechtigten Angehörigen in der Anstalt gewährt wird, auch wenn der Versicherungsträger die ihm entstehenden Kosten durch Dritte ganz oder teilweise vergütet erhält. Grundsätzlich hat die Beklagte für die stationäre Pflege der bei ihr versicherten Patienten Pflegegebührensätze je Kalendertag zu leisten (§ 13 Abs 2 des Vertrages). Werden aber solche Patientinnen zur Entbindung in eines der erwähnten Krankenhäuser der klagenden Partei aufgenommen, dann sind die Kosten der Anstaltspflege einschließlich des Hebammenbeistandes durch ein Entbindungspauschale abgegolten, dessen Höhe vereinbart und in einer Anlage zum Vertrag festgehalten wird (§ 15 Abs 1 des Vertrages). Erfordern nicht normal verlaufende Entbindungen oder Krankheiten, die nicht im Zusammenhang mit der Entbindung stehen, eine länger als zehn Tage dauernde Anstaltspflege, dann ist gemäß § 9 des Vertrages die notwendige Verlängerung der Aufenthaltsdauer unverzüglich zu beantragen und für die Tage vor der Entbindung und die Tage nach dem 10. Wochenbettag für die Wöchnerin einschließlich des Kindes der Pflegegebührensatz gemäß § 13 des Vertrages zu leisten (§ 15 Abs 3 des Vertrages). Im Jahre 1990 betrug das vereinbarte Entbindungspauschale S 9.868. In einer größeren Anzahl von Entbindungsfällen aus den Jahren 1987 bis 1990, bei denen die Patientinnen weniger als zehn Tage in stationärer Krankenhausbehandlung waren, hat die Beklagte das Entbindungspauschale um insgesamt S 74.848,86 gekürzt, weil sie in dieser Höhe Beträge an Hebammen gezahlt hatte, die im Zusammenhang mit den Entbindungen Leistungen außerhalb der Krankenanstalt erbracht hatten.

Nach Abs 3 des § 33 OÖKAG LGBl 1976/10, welcher die Pflegegebühren näher regelt, ist bei Entbindungen das Entbindungspauschale das Entgelt für alle Leistungen der Krankenanstalt in der allgemeinen Gebührenklasse einschließlich des Beistandes durch eine in der Anstalt angestellte Hebamme und der anschließenden Wochenbettpflege bis zu insgesamt zehn Tagen.

Mit der Behauptung, daß die Beklagte das Entbindungspauschale zu Unrecht gekürzt habe, weil das Entbindungspauschale ausschließlich an die Tatsache der Entbindung im Krankenhaus geknüpft sei und es nicht darauf ankomme, welche Leistungen die Krankenanstalt tatsächlich erbringt, begehrt die klagende Partei von der Beklagten S 74.848,86 sA.

Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Die klagende Partei gehe in bestimmten Fällen dazu über, lediglich die Entbindung selbst in der Krankenanstalt, die übrige Betreuung jedoch - insbesondere die Wochenbettpflege - ambulant in der Wohnung der Patientin durchzuführen. Das habe zur Folge, daß ein Teil der Hebammenbetreuung, zu der die Krankenanstalt verpflichtet ist, außerhalb der Krankenanstalt in der Wohnung der Patientin vorgenommen werden müsse. Da jedoch die Krankenanstalten der klagenden Partei diese Hebammendienste in der Wohnung der Patientinnen nicht leisteten, müßten die Patientinnen private Hebammen beiziehen und den Ersatz dieser Kosten von der Beklagten verlangen. Erbringe eine Krankenanstalt eine von der Vereinbarung über das Entbindungspauschale umfaßte Leistung nicht, so sei die Beklagte berechtigt, ihre Aufwendungen im Einzelfall von dem Pauschalbetrag abzuziehen. In allen umstrittenen Fällen habe die Krankenanstalt nicht deshalb Leistungen unterlassen, weil das der Krankheitsverlauf bedingt hatte, sondern weil die Patientinnen von vornherein keine stationäre Entbindung im Sinne des Gesetzes und der Verträge gewünscht hätten; sie hätten vielmehr eine Mischung aus stationärer und ambulanter Entbindung, nämlich die Entbindung im Krankenhaus und die Wochenbettpflege - insbesondere durch eine Hebamme - zu Hause, verlangt. Dieser Typ der stationär-ambulanten Entbindung habe sich erst in den letzten Jahren entwickelt und sei beim Abschluß des Krankenanstaltenvertrages zwischen den Parteien noch nicht bekannt gewesen. Damals sei daher nur eine stationäre Entbindung im traditionellen Sinn im Vertrag vorgesehen gewesen und deren Kosten pauschaliert worden. Die nunmehr gehandhabte gemischte stationär-ambulante Entbindung sei ein neuer Leistungstypus, für den eine Pauschalierung nach den gegebenen Verträgen - abgesehen vom Allgemeinen Krankenhaus Linz - noch nicht bestehe.

Der Erstrichter gab dem Klagebegehren statt. Bei Verträgen mit einer Pauschalpreisvereinbarung dürfe grundsätzlich keine Preiserhöhung verlangt werden, auch wenn das "Werk" mehr Arbeit oder größere Auslagen erfordere, als man vorhergesehen hatte. Dementsprechend sei grundsätzlich auch keine Preisminderung möglich, wenn im Einzelfall weniger Arbeit geleistet wurde oder geringere Auslagen notwendig waren, als man beim Abschluß der Vereinbarung zugrunde gelegt hatte. Der Pauschalpreisvertrag enthalte für beide Teile ein besonderes Wagnis, weil er auch dann verbindlich sei, wenn sich herausstellt, daß die übernommenen Arbeiten die veranschlagten Mengen erheblich über- oder unterschritten haben. Komme es nachträglich zu Änderungen des vereinbarten Leistungsinhaltes, dann wirke sich das auch auf die Höhe des Pauschalpreises aus. Im vorliegenden Fall sei aber der vereinbarte Leistungsinhalt von den Parteien nicht nachträglich geändert worden; vielmehr sei die klagende Partei nach wie vor bereit, ihre gesetzlich und vertraglich festgelegten Leistungen jeder Patientin, die zur Entbindung in die Krankenanstalt kommt, zu erbringen. Daß einzelne Patientinnen gewisse Leistungen nicht wünschen, könne nicht zu Lasten der klagenden Partei gehen. Auch von einer schlüssigen Vertragsänderung dahin, daß die Vereinbarung des Entbindungspauschales nur für die stationäre Entbindung im traditionellen Sinne, nicht aber für die stationär-ambulante Entbindung gelte, liege mangels eines gegenteilig erklärten Willens der klagenden Partei nicht vor.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Ein Pauschalpreis binde beide Teile und sei daher auch dann zu zahlen, wenn die tatsächlichen Kosten ihn beträchtlich über- oder unterschreiten. Inhalt der Pauschalierungsvereinbarung nach § 15 des Krankenanstaltenvertrages seien die Kosten des Hebammenbeistandes während der Anstaltspflege bis zu einer Dauer von zehn Tagen. Dieser Vertragsinhalt habe sich nicht dadurch geändert, daß nunmehr Patientinnen von der Möglichkeit Gebrauch machten, kurz nach der Entbindung die Krankenanstalt zu verlassen und sich zu Hause weiterpflegen zu lassen. Daß nur bei der "stationär-ambulanten Entbindung" neben dem Entbindungspauschale zusätzliche Hebammenkosten anfallen könnten, sei nicht richtig; auch bei der "klassischen" stationären Entbindung verließen die Patientinnen die Krankenanstalten bekanntermaßen (§ 269 ZPO) üblicherweise nicht nach zehn, sondern schon nach sieben Tagen. Es habe daher immer schon die Möglichkeit bestanden, daß sie zu Hause auf Kosten der Beklagten Hebammenleistungen in Anspruch nahmen, die, wären sie in der Krankenanstalt erbracht worden, vom Entbindungspauschale umfaßt gewesen wären. Aus all dem folge, daß die Pauschalvereinbarung in § 15 des Krankenanstaltenvertrages auch für die "stationär-ambulante Entbindung" gelte und daß durch deren vermehrte Verbreitung der Vertragsinhalt nicht geändert wurde; die Beklagte könne daher keine Minderung der vereinbarten Pauschalpreise verlangen.

Gegen dieses Urteil wendet sich die außerordentliche Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen wird; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision ist zulässig, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Auslegung des § 33 Abs 3 OÖKAG 1976 und des § 15 des Krankenanstaltenvertrages fehlt, deren Auslegung aber offenbar eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt.

Die Revision ist auch berechtigt.

Zunächst war im Hinblick auf den Wortlaut des § 44 Abs 3 OÖKAG die - von den Vorinstanzen nicht ausdrücklich behandelte - Frage der Zulässigkeit des Rechtsweges zu untersuchen. Nach § 44 Abs 3 OÖKAG idF LGBl 1976/10 entscheidet über Streitigkeiten, die sich zwischen dem Rechtsträger einer Krankenanstalt einerseits und einem Krankenversicherungsträger oder dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger andererseits aus einem gemäß § 44 Abs 2 dieses Gesetzes geschlossenen Vertrag ergeben, die Schiedskommission. Der von den Streitteilen geschlossene Krankenanstaltenvertrag fällt zwar unzweifelhaft unter § 44 Abs 2 OÖKAG 1976; es liegt aber, weil die klagende Partei ein Leistungsbegehren gestellt hat, keine Streitigkeit über die Anwendung oder Auslegung eines zwischen dem Rechtsträger einer Krankenanstalt und einem Krankenversicherungsträger abgeschlossenen Vertrag vor (VfSlg 7889 mit Hinweisen auf die Gesetzesmaterialien; RZ 1982/12; KRSlg 723). Fehlt somit eine Vorschrift, welche die Sache vor andere Behörden und Organe verweist, dann sind nach § 1 JN die ordentlichen Gerichte zuständig.

Die Beklagte hält weiterhin daran fest, daß das vereinbarte Entbindungspauschale dann nicht gelten könne, wenn eine Patientin in einer Krankenanstalt der klagenden Partei nur entbindet, dann aber nach Hause zurückkehrt, um dort die Zeit des Wochenbettes zu verbringen und von privaten Hebammen auf Kosten der Beklagten betreut zu werden. Dem ist zuzustimmen:

§ 15 Abs 1 des Krankenanstaltenvertrages sieht bei Aufnahme einer Versicherten in die dort angeführten Krankenhäuser zur Entbindung ein Entbindungspauschale vor, welches "die Kosten der Anstaltspflege einschließlich des Hebammenbeistandes" abgelten soll. § 33 Abs 3 OÖKAG definiert das Entbindungspauschale als das Entgelt für alle Leistungen der Krankenanstalt "einschließlich des Beistandes durch eine in der Anstalt angestellte Hebamme und der anschließenden Wochenbettpflege bis zu insgesamt zehn Tagen". Sowohl aus dem Vertragstext als auch aus der gesetzlichen Definition des im Vertrag gebrauchten Begriffes "Entbindungspauschale" geht hervor, daß die durch den Pauschalpreis abzugeltende Leistung des Krankenhauses nicht nur in der unmittelbaren Geburtshilfe, also dem medizinischen Beistand bei der Entbindung selbst, sondern auch in der Aufnahme der Patientin in das Spital für die Zeit des Wochenbettes - allerdings nur bis zur Dauer von zehn Tagen - bestehen soll. Bei dieser Art der Leistung könnte dann tatsächlich im Hinblick auf das Wesen des Pauschalpreises die Beklagte nicht deshalb eine Reduktion des Pauschales verlangen, weil das Wochenbett im Einzelfall weniger als zehn Tage, ja sogar weniger als sieben Tage, gedauert hat. Anders liegt der Fall aber, wenn eine Patientin nur zum Entbinden in das Spital geht, in der Folge aber das Krankenhaus verläßt und sich in häusliche Pflege begibt. In solchen Fällen ist eben der zwischen der Patientin, für deren Kosten die Beklagte aufzukommen hat, und der klagenden Partei vereinbarte Leistungsinhalt ein

anderer - wesentlich geringerer - als jener, für den das Entbindungspauschale vereinbart wurde. Die gegenteilige, von der klagenden Partei vertretene, im wesentlichen nur darauf gegründete Auslegung, daß § 15 Abs 1 des OÖ Krankenanstaltengesetzes das Entbindungspauschale an die Aufnahme von Versicherten "zur Entbindung" in bestimmte Krankenhäuser knüpft, vermag im Hinblick auf den weiteren Wortlaut dieser Vertragsbestimmung und die Definition des § 33 Abs 3 OÖKAG nicht zu überzeugen.

Damit ist die Sache allerdings nicht spruchreif. Die Beklagte hat zwar behauptet, daß es einen neuen Typ der "stationär-ambulanten" Entbindung in dem Sinn gebe, daß nur die Entbindung selbst im Spital, die Wochenbettpflege aber zu Hause geschehe; ob das aber in den von der klagenden Partei geltend gemachten Fällen tatsächlich zutrifft, ist weder einem übereinstimmenden Vorbringen der Parteien noch den Feststellungen zu entnehmen; diese Frage wurde in 1. Instanz nicht erörtert.

Aus diesen Erwägungen mußte der Revision Folge gegeben und, da es zur Erörterung und allfälligen Aufnahme von Beweisen offenbar einer Verhandlung in 1. Instanz bedarf, mit einer Aufhebung der von den Vorinstanzen gefällten Urteile und einer Zurückverweisung der Sache an die 1. Instanz vorgegangen werden (§ 510 Abs 1 ZPO). Soweit nach den Ergebnissen des Verfahrens Patientinnen Krankenanstalten der klagenden Partei nur zum Zweck der Entbindung selbst in Anspruch genommen haben, dann aber in häusliche Pflege entlassen wurden, wird der Anspruch der klagenden Partei auf das (restliche) Entbindungspauschale zu verneinen sein; soweit allerdings Frauen ohnehin auch nach der Entbindung im Spital waren und nur die Zeit des dort verbrachten Wochenbettes verkürzt wurde, stünde der klagenden Partei das volle Pauschale zu.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E28318

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:0040OB00519.92.0225.000

Dokumentnummer

JJT_19920225_OGH0002_0040OB00519_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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