Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier und Dr. Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Walter Zeiler und Dr. Heinz Nagelreiter als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A***** M*****, Fleischer, ***** vertreten durch Mag. A***** K*****, Kammer für Arbeiter und Angestellte für *****, diese vertreten durch ***** Rechtsanwalt *****, wider die beklagte Partei F***** G*****, Fleischermeister, ***** vertreten durch ***** Rechtsanwälte *****, wegen 79.843,20 S brutto sA, infolge Revision beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 8.Oktober 1991, GZ 13 Ra 53/91-10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 24. Jänner 1991, GZ 14 Cga 201/90-6, teils bestätigt, teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben. Hingegen wird der Revision der beklagten Partei Folge gegeben und das angefochtene Urteil in seinem stattgebenden Teil dahin abgeändert, daß - einschließlich des bestätigten
Teiles - insgesamt das Ersturteil wiederhergestellt wird. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 24 S (Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 12.971,84 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 5.000 S Barauslagen und 1.328,64 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war seit 2.März 1986 beim Beklagten als Fleischer und Wurster beschäftigt. Seit einem Autounfall im Jahre 1982, bei dem der Kläger eine Hüftverletzung erlitten hatte, verspürte er Schmerzen in der Hüfte. Im April 1990 wurde ihm ärztlich empfohlen, den Beruf als Fleischhauer aufzugeben und eine zumindest vorwiegend im Sitzen zu verrichtende Tätigkeit anzustreben. Ab 23.April 1990 war der Kläger im Krankenstand. Während der zweiten Woche des Krankenstandes suchte der Kläger den Beklagten auf und teilte ihm mit, er könne aus gesundheitlichen Gründen die bisherige Tätigkeit als Fleischer und Wurster nicht mehr ausüben; er wolle daher sein Arbeitsverhältnis einvernehmlich auflösen. Der Beklagte lehnte dies ab. Mit Schreiben vom 16.Mai 1990 kündigte der Kläger das Arbeitsverhältnis aus gesundheitlichen Gründen auf.
Der Kläger begehrt die Zahlung eines Betrages von 79.843,29 S brutto sA (50.579,86 S an Abfertigung und an Differenz zwischen Urlaubsentschädigung für 30 Werktage und erhaltener Urlaubsabfindung im Betrage von 29.263,43 S). Er brachte vor, aufgrund eines Autounfalles im Jahre 1982 habe sich sein Gesundheitszustand derart verschlechtert, daß ihm der Arzt einen Berufswechsel dringend angeraten habe; der Beklagte habe es abgelehnt, dem Kläger eine vorwiegend im Sitzen zu verrichtende Arbeit anzubieten, worauf der Kläger das Arbeitsverhältnis aus gesundheitlichen Gründen gekündigt habe.
Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der Kläger habe die angebotenen Tätigkeiten - Überwachung der Selche sowie eine Tätigkeit im Expedit - grundlos abgelehnt. Auf Ersuchen des Klägers, ihm eine Tätigkeit im Sitzen zuzuweisen, sei eine Besprechung unter Zuziehung des Prokuristen des Beklagten am 15.Mai 1990 um 8 Uhr vereinbart worden; der Kläger sei zum vereinbarten Termin aber nicht erschienen, sondern habe das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 16.Mai 1990 aufgelöst. Dem Kläger hätte bereits am 15.Mai 1990 eine ausschließlich im Sitzen zu verrichtende Tätigkeit mit Rezepturenwartung im Expeditbüro, Eingeben der Lieferscheine in EDV und Entgegennahme von Bestellungen angeboten werden können. Dabei hätte der Kläger sein Fachwissen als gelernter Fleischer verwerten können.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und stellte folgenden weiteren Sachverhalt fest:
Der Beklagte lehnte die vom Kläger gewünschte einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses ab und bot dem Kläger einen Ersatzarbeitsplatz in der Selcherei oder im Expedit an. Er teilte dem Kläger mit, daß in absehbarer Zeit das Expedit wieder auf EDV umgestellt werde und diese Tätigkeit daher auch im Sitzen ausgeübt werden könne. Kurz darauf teilte der Kläger dem Beklagten mit, daß er die angebotenen Tätigkeiten in der Selcherei und im Expedit nicht verrichten wolle, weil er eine Tätigkeit im Sitzen wünsche. Der Beklagte erklärte daraufhin dem Kläger, er werde versuchen, ihm eine Tätigkeit im Expeditbüro, in der Buchhaltung oder in der Fakturierung zuzuweisen; er sei mit dem Prokuristen W***** K***** in Kontakt und werde ihn fragen, ob er einen Ersatzarbeitsplatz für den Kläger wisse. Der Beklagte telefonierte daraufhin mit seinem Prokuristen, der auf Urlaub in Australien war, und fragte ihn, ob er einen Mitarbeiter aus der Produktion in der Verwaltung unterbringen könne. W***** K***** erklärte ihm, daß er auf jeden Fall einen neuen Mitarbeiter in der Verwaltung brauche und vereinbarte mit dem Beklagten, daß man nach seiner Rückkehr am 15.Mai 1990 die Sache gemeinsam besprechen werde. Bevor W***** K***** seinen Urlaub antrat, hatte die langjährige Mitarbeiterin V***** R***** gekündigt. Sie hatte im Büro telefonisch Bestellungen entgegengenommen, die Wartung der Rezepturen erledigt und verschiedene Überwachungs- und Kontrolltätigkeiten vorgenommen. Diese Tätigkeiten können im Sitzen ausgeübt werden, weil vor allem eine EDV-Anlage zu bedienen ist. Diesen freigewordenen Posten hätte der Kläger akzeptiert. Nach dem Telefonat des Beklagten mit seinem Prokuristen meldete sich der Kläger wieder, um zu erfahren, ob ihm ein Büroposten angeboten werde. Er wurde vom Beklagten ersucht, am 15.Mai um 8 Uhr ins Büro zu W***** K***** zu kommen, um mit diesem über den Posten zu sprechen. Der Kläger nahm aber diesen Termin nicht wahr.
Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß dem Kläger ein Zuwarten mit der Auflösung des Arbeitsverhältnisses bis zum Besprechungstermin zumutbar gewesen wäre, weil er im Hinblick auf seinen Krankenstand eine gesundheitsschädigende Weiterbeschäftigung nicht habe in Kauf nehmen müssen. Der Austritt sei voreilig erfolgt und nicht berechtigt.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge, änderte das Ersturteil durch Zuspruch eines Teilbetrages von 50.579,86 S sA ab und bestätigte es hinsichtlich der Abweisung des Mehrbegehrens von 29.263,43 S sA.
Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß die Gesundheit des Klägers bei Fortsetzung seiner bisherigen Tätigkeit gefährdet gewesen wäre und daß die ihm vom Beklagten angebotenen Ersatzarbeitsplätze in der Selcherei und im Expedit - der Hinweis auf die neuerliche Umstellung auf EDV in absehbarer Zeit sei zeitlich zu unbestimmt gewesen - nicht in ausreichendem Maß im Sitzen hätten ausgeübt werden können und daher vom Kläger zu Recht abgelehnt worden seien. Die für den Kläger in Aussicht genommene Bürotätigkeit sei hingegen außerhalb der arbeitsvertraglichen Verpflichtung des Klägers gelegen. Dabei habe es sich um eine Bürotätigkeit gehandelt, bei der telefonische Bestellungen entgegenzunehmen seien, die Wartung der Rezeptur erledigt werde und verschiedene Überwachungs- und Kontrolltätigkeiten auszuüben seien; ebenso müsse eine EDV-Anlage bedient werden. Auch wenn es in bezug auf Kundenwünsche vorteilhaft wäre, daß diese Bürotätigkeit von einem Fleischer ausgeführt werde, liege die Bürotätigkeit außerhalb der bisherigen arbeitsvertraglichen Verpflichtung des Klägers zu seiner Tätigkeit als Fleischer. Der Kläger sei daher nicht verpflichtet gewesen, einen derartigen Ersatzarbeitsplatz anzunehmen. Mit der Frage, wie es im Büro aussehe, habe der Kläger allenfalls erwogen, einer Vertragsänderung zuzustimmen, habe aber keine endgültige, einen Bindungswillen bekundende Erklärung abgegeben. Da sich der Kläger bei seiner Kündigung auf einen Austrittsgrund berufen könne, gebühre ihm die Abfertigung. Da die Kündigung wegen eines Austrittsgrundes nur hinsichtlich der Abfertigung wie ein Austritt zu behandeln sei und bei Kündigung durch den Arbeitnehmer der Anspruch auf Urlaubsentschädigung gemäß § 9 Abs. 1 Z 5 UrlG an das Erfordernis geknüpft sei, daß mehr als die Hälfte des Urlaubsjahres verstrichen sei, stehe dem Kläger keine Urlaubsentschädigung zu.
Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen beider Parteien. Die klagende Partei macht als Revisionsgrund unrichtige rechtliche Beurteilung geltend und beantragt die Abänderung des angefochtenen Urteils im Sinne einer gänzlichen Klagestattgebung. Die beklagte Partei macht als Revisionsgründe Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend und beantragt, das angefochtene Urteil im Sinne einer gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Streitteile beantragten, jeweils der Revision der Gegenseite nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Nur die Revision der beklagten Partei ist berechtigt. Da der durch langjährige Tätigkeit im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses erworbene Anspruch auf Abfertigung eine andere Funktion hat als die übrigen, vom sofortigen Ende des Arbeitsverhältnisses bestimmten austrittsabhängigen Ersatzansprüche, ist die Frage der Zumutbarkeit der weiteren Arbeitsleistung auch nur während der Dauer der Kündigungsfrist für den Abfertigungsanspruch weit weniger bedeutsam. Dieser Anspruch geht daher nicht verloren, wenn der Arbeitnehmer bei Vorliegen eines dem Arbeitgeber bekannten Austrittsgrundes nicht von seinem Recht auf sofortige Auflösung des Arbeitsverhältnisses Gebrauch macht, sondern sich mit einer Kündigung begnügt, weil die Fälle einer solchen Kündigung und eines gerechtfertigten Austrittes in ihren für den Abfertigungsanspruch motivierenden Merkmalen weitgehend übereinstimmen, wogegen eine solche Übereinstimmung im Verhältnis zwischen einer solchen Kündigung und einer schlichten arbeitnehmerseitigen Kündigung, die zum Verlust des Abfertigungsanspruches führt (§ 23 Abs. 7 AngG),
nicht besteht (siehe auch Arb 5934 = SZ 27/56;
Arb 8381 = ZAS 1968, 84 (nur im Ergebnis zustimmend Leitich);
14 Ob 55-63/86; RdW 1988, 359; infas 1989, A 119; abweichend lediglich ZAS 1981, 136 (ablehnend, aber wohl zu weitgehend Beck-Mannagetta)). Ungeachtet der Kündigung durch den Kläger ist daher bei Beurteilung des Anspruches auf Abfertigung zu prüfen, ob der vom Kläger behauptete Austrittsgrund vorlag.
Wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, ist der Arbeitnehmer nur dann nicht wegen Gesundheitsgefährdung zum Austritt berechtigt, wenn der Arbeitgeber eine andere, der Gesundheit des Arbeitnehmers nicht abträgliche Verwendung anbietet, die im Rahmen der ihm durch den Arbeitsvertrag übertragenen Tätigkeit liegt, und der Arbeitnehmer dieses Anbot zurückweist. Es ist daher weder darauf abzustellen, ob die anderen Arbeiten artverwandt sind (etwa im Sinne einer Verweisungsmöglichkeit nach § 255 Abs. 1 ASVG; siehe ecolex 1991,
49) noch ist die bisher faktisch ausgeübte Tätigkeit eine Bezugsgröße; entscheidend ist vielmehr, ob der Arbeitnehmer nach seinem Arbeitsvertrag zur Verrichtung dieser anderen Tätigkeit verpflichtet ist (siehe Arb 6757; Arb 8917; DRdA 1976, 72 [Grillberger]; Arb 10.144; ZAS 1988, 157 [Schauer] = DRdA 1989, 207 [Wachter aaO 179] = Arb 10.671 = SZ 60/134; WBl 1988, 160; RdW 1988, 359).
Bietet der Arbeitgeber allerdings dem Arbeitnehmer eine andere, vom gesundheitlichen Standpunkt zumutbare, der bisherigen Tätigkeit artverwandte Arbeit an, liegt es am Arbeitnehmer, wenigstens zu behaupten, die angebotene Tätigkeit liege außerhalb seiner arbeitsvertraglichen Verpflichtungen (siehe Arb 10.144). Der Kläger hat lediglich behauptet, der Beklagte sei seinem Ersuchen, ihm eine Tätigkeit, die vorwiegend im Sitzen zu verrichten ist, zuzuweisen, nicht nachgekommen; dem Vorbringen des Beklagten, er hätte dem Kläger am 15.Mai 1990 eine ausschließlich im Sitzen zu verrichtende Tätigkeit im Büro - Entgegennahme telefonischer Bestellungen, die Wartung der Rezeptur und verschiedene Überwachungs- und Kontrolltätigkeiten - angeboten, hat der Kläger nicht den weiteren Einwand entgegengesetzt, diese Tätigkeit sei nicht vom Arbeitsvertrag umfaßt gewesen. Zieht man in Betracht, daß es wegen der sachkundigen Behandlung von Kundenwünschen vorteilhaft war, daß diese Bürotätigkeit von einem Fleischer verrichtet wurde (vgl. in diesem Zusammenhang die obzitierte Entscheidung ZAS 1988, 157), daß ferner der Kläger den Beklagten ausdrücklich um eine (seine bisherigen arbeitsvertraglichen Verpflichtungen notwendigerweise überschreitende) Bürotätigkeit ersucht hatte und als Partei vernommen deponierte, er hätte diesen Büroposten auch tatsächlich akzeptiert, dann war ohne entsprechenden Einwand des Klägers schon aus diesem Grund weder die beklagte Partei verpflichtet, ergänzendes Vorbringen und Beweisanbot darüber zu erstatten, daß diese Tätigkeit vom Arbeitsvertrag mit dem Kläger umfaßt war, noch hatte das Gericht Anlaß, den im Verfahren erster Instanz durch eine qualifizierte Person im Sinne des § 40 Abs. 1 ASGG vertretenen Kläger zu einem gegenteiligen Vorbringen und Beweisanbot anzuleiten.
Zu Recht wendet sich der Beklagte daher im Rahmen seiner Verfahrensrüge dagegen, daß das Berufungsgericht ungeachtet des Umstandes, daß der im Verfahren erster Instanz qualifiziert vertretene Kläger einen Einwand in dieser Richtung nicht erhoben hat, davon ausgegangen ist, daß die vom Beklagten für den Kläger in Aussicht genommene, den Wünschen des Klägers entsprechende und dessen Gesundheit nicht abträgliche Tätigkeit außerhalb der vom Kläger aufgrund seines Arbeitsvertrages geschuldeten Tätigkeiten gelegen sei.
Da bei dieser Sachlage mangels entsprechenden Einwandes des Klägers davon auszugehen ist, daß die für den Kläger in Aussicht genommene Tätigkeit innerhalb des Rahmens seiner arbeitsvertraglichen Verpflichtungen lag, hat der Kläger das Arbeitsverhältnis durch Kündigung aufgelöst, ohne daß ein Austrittsgrund vorlag. Wie das Erstgericht zutreffend erkannt hat, steht ihm daher weder Abfertigung noch - das Arbeitsverhältnis wurde in der ersten Hälfte des Urlaubsjahres beendet - Kündigungsentschädigung zu. Auf die weitere Frage, ob im Falle einer auf einem dem Arbeitgeber bekannten Austrittsgrund beruhenden arbeitnehmerseitigen Kündigung ein Anspruch auf Kündigungsentschädigung wie bei einem gerechtfertigten Austritt zusteht, ist daher nicht einzugehen.
Der Revision des Beklagten war daher Folge zu geben und das Ersturteil auch bezüglich der Abweisung des Begehrens auf Abfertigung wiederherzustellen. Hingegen war der Revision des Klägers ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E28425European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1992:009OBA00007.92.0226.000Dokumentnummer
JJT_19920226_OGH0002_009OBA00007_9200000_000