Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Jelinek sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Zeiler und Dr.Nagelreiter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mag.P***** H*****, Angestellte, ***** nunmehr *****, vertreten durch *****, Rechtsanwalt *****, wider die beklagte Partei G***** S***** AG, ***** vertreten durch *****, Rechsanwälte *****, wegen S 26.938,75 sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 8.Mai 1991, GZ 7 Ra 1/91-11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 8. Oktober 1990, GZ 32 Cga 98/90-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.623,04 bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin S 603,84 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin war vom 1.11.1988 bis 31.5.1990 bei der beklagten Partei angestellt. Das Dienstverhältnis endete durch eine von der Klägerin ausgesprochene Kündigung. Auf das Dienstverhältnis war der Kollektivvertrag für die Dienstnehmer der Verkehrsbetriebe und des zentralen Bereiches der beklagten Partei anzuwenden. Aufgrund dieses Kollektivvertrages war die Klägerin verpflichtet, die nun zurückgeforderten Beiträge zur Pensionseinrichtung der beklagten Partei zu leisten, wobei deren Beitragsanteil den Arbeitnehmeranteil überstieg.
Die entscheidungswesentlichen Bestimmungen des genannten Kollektivvertrages lauten:
"Pensionsrecht ...
§ 124
Leistungen
Nach den Bestimmungen dieses Pensionsrechtes werden gewährt:
a) Ruhegeld gemäß §§ 131 bis 133
b) Witwenversorgung gemäß §§ 134 bis 137
c) Waisenversorgung gemäß §§ 138 bis 141
d) Todfallbeitrag gemäß § 142.
§ 125
Anwartschaften
(1) Der Anspruch auf Leistungen (§ 124) setzt eine ununterbrochene anrechenbare Beitragszeit von mindestens zehn Jahren voraus.
(2) Ist ein Dienstnehmer nach einer mindestens fünfjährigen, jedoch noch nicht zehnjährigen anrechenbaren Beitragszeit wegen Krankheit oder einer von ihm nicht absichtlich herbeigeführten körperlichen Beschädigung invalid (berufsunfähig) geworden, dann wird der Dienstnehmer so behandelt, als wenn er zehn anrechenbare Beitragsjahre zurückgelegt hätte. In berücksichtigungswürdigen Fällen kann vom Mindesterfordernis der fünfjährigen Beitragszeit abgesehen werden.
....
§ 127
Verlust der Anwartschaft
Die Anwartschaft auf Leistung (§ 124) geht verloren, wenn
a) das Dienstverhältnis durch den Dienstgeber gemäß § 93 lit b des Kollektivvertrages beendet wird oder
b) der Dienstnehmer freiwillig aus dem Dienst ausscheidet, es sei denn, daß die Kündigung aus den im § 130 lit b, lit c und lit d angeführten Gründen erfolgt ist." (Wegen Erreichung der Frühpension, Alterspension oder Erhalt einer Berufsunfähigkeitspension; diese Fälle liegen hier unbestritten nicht vor.)
"§ 128
Beiträge ...
(5) Die Verpflichtung zur Beitragsleistung beginnt mit dem Monatsersten, der dem Eintrittstag des Dienstnehmers in das Dienstverhältnis zur Gesellschaft folgt, und endet mit Beendigung des Dienstverhältnisses.
...
(9) Anspruch auf Beitragsrückerstattung haben nur jene Dienstnehmer, die gemäß § 94 Abs (2) des Kollektivvertrages" (gerechtfertigte vorzeitige Austrittsgründe) "aus dem Dienst der Gesellschaft ausscheiden oder die vom Dienstnehmer aus betrieblichen, nicht in der Person des Dienstnehmers liegenden Gründen gekündigt werden." (Ein solcher Fall liegt unbestritten ebenfalls nicht vor.)
Mit der am 21.8.1990 erhobenen Klage begehrt die Klägerin von der beklagten Partei die Rückzahlung eines Betrages von S 26.938,75 sA an von ihr geleisteten Beiträgen zur Pensionseinrichtung der beklagten Partei. Diese habe die Refundierung dieses Betrages unter Hinweis auf § 128 Abs 9 des Kollektivvertrages abgelehnt, weil die Kündigung des Dienstverhältnisses aus keinem der im § 94 Abs 2 des Kollektivvertrages normierten Kündigungsgründe erfolgt sei. Die Bestimmung, wonach ein Dienstnehmer zwar Beiträge leisten müsse, für diese jedoch im Falle der Beendigung des Dienstverhältnisses keine Leistungen erhalte, sei sittenwidrig. Überdies seien nach dem neuen Betriebspensionsgesetz (BPG) solche Ansprüche unverfallbar. Aus der Übergangsregelung dieses Gesetzes ergebe sich, daß dies auch für vom Dienstnehmer früher erbrachte Beiträge gelte, wenn das Dienstverhältnis durch Arbeitnehmerkündigung endete, weil dieser Fall nicht als vom BPG unberührt bleibende und damit zulässig aufrecht bleibende Regelung genannt wurde.
Die beklagte Partei bestritt das Klagebegehren nur dem Grunde nach und beantragte Klagsabweisung.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß die Revision an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Die behauptete Sittenwidrigkeit verneinten beide Instanzen unter Hinweis auf die Entscheidung 9 Ob A 37/87 (DRdA 1989, 104). Aus der Übergangsregelung des Art V Abs 4 BPG ergebe sich, daß nur die dort ausdrücklich angeführten Bestimmungen durch das BPG unberührt blieben, hinsichtlich der übrigen Regelungen in direkten Leistungszusagen aber eine Rückwirkung gegeben sei. Die im § 128 Abs 9 des Kollektivvertrages enthaltene Verfallsbestimmung sei nach der als im Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung gültigen Rechtslage durch das BPG rückwirkend aufgehoben worden. Der Klägerin stehe daher gemäß Art I § 7 Abs 4 BPG ein Rückforderungsanspruch hinsichtlich der von ihr eingezahlten Beiträge zu den betrieblichen Pensionsleistungen der beklagten Partei zu.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinn der Klagsabweisung abzuändern.
Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Die Revision ist zwar zulässig, aber im Ergebnis nicht berechtigt.
Die beklagte Partei vertritt die Auffassung, es seien die generellen Übergangsbestimmungen des Art V Abs 3 und nicht die des Abs 4 anzuwenden, weil dieser Absatz nicht auf § 7 Abs 4 BPG Bezug nehme; Abs 3 sehe aber keine Rückwirkung vor. Überdies enthalte die Auslegung der Untergerichte Wertungswidersprüche, weil zB eine bestehende Regelung, die bei einer Entlassung aus Verschulden des Arbeitnehmers den Verfall vorsehe, nicht aufrecht bleiben könne; bei einvernehmlicher Auflösung des Arbeitsverhältnisses bliebe aber die Verfallsklausel gültig.
Der beklagten Partei ist zuzustimmen, daß das BPG auf den vorliegenden Fall nicht anzuwenden ist.
Rechtliche Beurteilung
Das BPG regelt in § 1 Abs 1 die Sicherung von Leistungen und Anwartschaften aus Zusagen zu der die gesetzliche Pensionsversicherung ergänzenden Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenversicherung (Leistungszusagen), die dem Arbeitnehmer im Rahmen eines privatrechtlichen Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber gemacht wurden.
Gemäß § 7 Abs 4 BPG sind eigene Zahlungen, die der Arbeitnehmer für den Erwerb von Anwartschaften geleistet hat, einschließlich der darauf entfallenden Verzinsung durch den Rechnungszinsfuß (§ 14 Abs 7 Z 6 EStG 1988) jedenfalls unverfallbar und sind auf Verlangen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zurückzuzahlen. Ab Inkrafttreten des BPG (1.7.1990) besteht daher eine positive gesetzliche Norm, welche die Unverfallbarkeit von Arbeitnehmerbeiträgen zur gesetzlichen Altersversorgung bestimmt.
Wie Strasser in DRdA 1990, 313, insb 318, und Böhler in der Besprechung der Entscheidung 9 Ob A 603/90 in ZAS 1991, 207, überzeugend dargelegt haben, sieht die Übergangsregelung des BPG in Art V eine Rückwirkung dieses Gesetzes nur sehr eingeschränkt vor (in diesem Sinn auch Tomandl in ZAS 1991, 80 ff, insb 83). Nach der generellen Übergangsbestimmung des Art V Abs 3 ist das BPG auf Leistungszusagen, die vor dem Inkraftreten dieses Bundesgesetzes gemacht wurden, nur hinsichtlich der nach seinem Inkrafttreten erworbenen Anwartschaften anzuwenden. Der Gesetzgeber normiert somit nur die Anordnung der Unverfallbarkeit neuer Anwartschaften. Es trifft zwar zu, daß - wie der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung 9 Ob A 603/90 (ZAS 1991, 207 = RdW 1991, 20) ausgesprochen hat - die Übergangsbestimmung des Art V Abs 4 BPG nur eine von der gesetzlichen Regelung abweichende Übergangsbestimmung für die Zulässigkeit von früher getroffenen Vereinbarungen über den Verfall von Anwartschaften vorsieht und damit (im Bereich der direkten Leistungszusage) die Fälle, in denen ein Verlust von Anwartschaften auf Ruhegenüsse gemäß § 7 Abs 1 BPG vorgesehen werden kann, erweitert und die Bestimmung des § 7 Abs 4 BPG dadurch nicht berührt wird. Daraus kann aber nur geschlossen werden, daß es für die Frage der Rückwirkung des Beitragsverfallsverbots bei der Grundregel des Art V Abs 3 BPG bleibt. Im Wortlaut dieser Bestimmung wird auf Beitragsleistungen nicht ausdrücklich Bezug genommen. Trotz rechtlicher Abgrenzbarkeit von "Beiträgen" einerseits und den dazugehörigen "Anwartschaften" andererseits ist jedoch davon auszugehen, daß Beiträge und Anwartschaften in direktem Zusammenhang stehen, sodaß auch die Beitragsregelung als "Anwartschaftsnorm" zu qualifizieren ist. Anwartschaften setzen Beiträge voraus; nur soweit Anwartschaften verfallbar sind, steht ein Beitragsverfall überhaupt zur Diskussion. Die Einheitlichkeit des Normenkomplexes gebietet, auch die Beitragsregelung nur bezüglich der "neuen" Anwartschaften anzuwenden. Dies bedeutet, daß das BPG, genauer die Regelung des § 7 Abs 4, nur für jene Beiträge gilt, die den "neuen" Anwartschaften entsprechen bzw für diese geleistet wurden. Nur diese sind nach § 7 Abs 4 BPG unverfallbar (Böhler, ZAS 1991, 207, 210; Strasser, DRdA 1990, 313, 318; siehe auch Tomandl, ZAS 1991, 80 ff, insb 83). Auf diese Weise wird dem Willen des Gesetzgebers am ehesten entsprochen. Verfügt er die Anwendbarkeit des BPG ausdrücklich nur für "neue" Anwartschaften, kann ihm mangels jeglichen gegenteiligen Hinweises nicht unterstellt werden, er wolle die Beitragsregelung - gleichsam als Ausnahme - für alte Leistungszusagen uneingeschränkt, dh auch für "alte" Beiträge, aufrechterhalten. Ein Beitragsverfall ist gemäß § 7 Abs 4 BPG daher nur insoweit ausgeschlossen, als es sich um "neue" Beiträge, dh für "neue" Anwartschaften geleistete, handelt. Die Verfallbarkeit "alter" Beiträge richtet hingegen nach altem Recht.
Da die Klägerin bereits vor dem Inkrafttreten des BPG das Dienstverhältnis zur beklagten Partei beendet hat und daher keine "neuen" Beiträge mehr geleistet hat, ist ihr Rückforderungsanspruch nach altem Recht zu beurteilen.
In diesem Zusammenhang kann aber die vom Obersten Gerichtshof in seiner Entscheidung 9 Ob A 37/87 (DRdA 1989, 104) zur Frage einer Sittenwidrigkeit der Verfallsbestimmung vertretene Auffassung nicht aufrecht erhalten werden. Wie der Oberste Gerichtshof bereits in seiner Entscheidung 9 Ob A 603/90 (ZAS 1991, 207 ff) zu erkennen gegeben hat, überzeugen die in der Lehre für die Sittenwidrigkeit vorgebrachten Gründe. Steindl in Runggaldier-Steindl, Handbuch der betrieblichen Altersversorgung, 393 f, vertrat bereits früher den Standpunkt, daß eine Ruhegeldordnung, welche den Verfall von Arbeitnehmerbeiträgen vorsieht, "diesen Namen nicht verdiene" und zumindest insoweit sittenwidrig und nichtig sei. Leiste der Arbeitnehmer einen eigenen Beitrag zum Aufbau seiner Altersversorgung, so komme weder ein Verfall dieser Leistung noch eine verkürzte oder teilweise Erstattung in Betracht. Das Kapital des Arbeitnehmers sei vielmehr in der Höhe des gesetzlich vorgeschriebenen Prozentsatzes zu verzinsen und (gegebenenfalls) zu refundieren. Runggaldier hält die Verfallsbestimmung in seiner kritischen Besprechung der Entscheidung 9 Ob A 37/87 in DRdA 1989, 104, jedenfalls insoweit für sittenwidrig und nichtig, als sich die Beiträge auf die Altersversorgung bezogen. Dies war der größte Teil der dort geleisteten Beiträge; die Beiträge zur Abdeckung des Risikos der vollkommenen Erwerbsunfähigkeit infolge einer Erblindung, einer Geistesstörung, eines Dienstunfalles oder einer Berufskrankheit fielen demgegenüber nicht ins Gewicht. Hinsichtlich der Beiträge, die sich auf die Altersversorgung bezogen (von Runggaldier als "Sparanteil" im Gegensatz zum "Risikoanteil" bezeichnet) übernehme die beklagte Partei kein konkretes Risiko, sondern sammle nur einen bestimmten Betrag an, der nach versicherungsmathematischen Berechnungen notwendig sei, um den Ruhegenuß zu finanzieren. Es werde letztlich Kapital angespart, das dem Beitragszahler zumindest teilweise wieder zurückfließen solle. Insoweit handle es sich bei der Beitragszahlung gemäß dem Kollektivvertrag letztlich um einen Sparvorgang. Der Ausschluß der Rückerstattung auch des "Sparanteiles" sei bereits aus der allgemeinen Erwägung sittenwidrig, daß das "Behaltendürfen" einer Leistung ohne Gegenleistung grob unbillig sei. Im übrigen sehe § 176 Abs 1 VVG gerade aus diesem Grund die Pflicht zur Rückerstattung der Prämienreserve für den Fall der Kündigung einer Lebensversicherung vor. Der im Kollektivvertrag mittelbar angeordnete Verfall des "Sparanteils" der geleisteten Beiträge sei daher sittenwidrig.
Der Oberste Gerichtshof schließt sich dieser überzeugenden Auffassung an, sodaß es auf die weitere Frage, ob eine solche Verfallsbestimmung in einem Kollektivvertrag im Hinblick auf die Regelungskompetenz des § 2 Abs 2 Z 3 ArbVG überhaupt wirksam vereinbart werden konnte (vgl 9 Ob A 115/91, dazu kritisch Runggaldier in RdW 1991, 361), nicht mehr eingegangen zu werden braucht. Da der Kondiktionsausschluß hinsichtlich des "Sparanteils" jedenfalls sittenwidrig und daher nichtig ist, kann die Klägerin, die die Beiträge zwar als "wahre Schuldigkeit" geleistet hat, durch die Kündigung des Arbeitsvertrages jedoch bewirkt hat, daß der Leistung der Beiträge der Rechtsgrund entzogen wurde, diese zurückfordern. Im Hinblick auf die Geringfügigkeit des Risikos der beklagten Partei der Klägerin wegen vollkommener Erwerbsunfähigkeit infolge einer Erblindung, Geistesstörung, eines Dienstunfalles oder einer Berufskrankheit eine Pensionleistung erbringen zu müssen und daher der Geringfügigkeit des "Risikoanteils" kann dieser zur Gänze vernachlässigt werden, sodaß der Rückforderungsanspruch der Klägerin zur Gänze zu Recht besteht.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E28161European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1992:009OBA00220.91.0226.000Dokumentnummer
JJT_19920226_OGH0002_009OBA00220_9100000_000