Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Melber, Dr. Kropfitsch, Dr. Zehetner und Dr. Schinko als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Kindes Melissa ***** A*****, infolge Revisionsrekurses des Magistrats Villach, 9500 Villach, Gerbergasse 6, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Klagenfurt als Rekursgericht vom 24. Oktober 1991, GZ 2 R 401/91-11, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Villach vom 29. Juli 1991, GZ 2 P 24/91-7, abgeändert wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidung des Rekursgerichtes wird abgeändert und der Beschluß des Erstgerichtes auf Übertragung der Obsorge über die Minderjährige an das Land Kärnten wieder hergestellt.
Text
Begründung:
Das Stadtjugendamt Villach stellte am 29. März 1991 für das am 20. März 1991 von Martina A***** außerehelich geborene Kind Melissa ***** A***** den Antrag, der Mutter die Obsorge für das Kind zu entziehen und sie dem einschreitenden Jugendamt als Jugendwohlfahrtsträger zuzuteilen. Die Mutter sprach sich gegen eine solche Maßnahme aus. Seit dem 4. April 1991 ist das Kind bereits im SOS-Kinderdorf Seekirchen/Salzburg untergebracht.
Das Erstgericht genehmigte die Unterbringung des Kindes pflegschaftsbehördlich, entzog der Mutter die Obsorge für das Kind und übertrug sie dem Land Kärnten als Jugendwohlfahrtsträger.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Landes Kärnten Folge, änderte die erstgerichtliche Entscheidung ab und übertrug die Obsorge über das Kind dem Stadtjugendamt Villach. Es erklärte den Revisionsrekurs gemäß § 14 Abs 1 AußStrG für zulässig und führte rechtlich aus:
Strittig sei lediglich, welcher Rechtsträger bzw welche behördliche Organisationseinheit unter dem nunmehr durch das KindRÄG 1989 und das teilweise nur als Bundesgrundsatzgesetz ebenfalls mit 1. Juli 1989 in Kraft getretene Jugendwohlfahrtsgesetz 1989, BGBl 1989/161, eingeführten Begriff des "Jugendwohlfahrtsträgers" zu verstehen sei. Gemäß § 4 Abs 1 JWG seien als Träger der öffentlichen Jugendwohlfahrt, somit als Jugendwohlfahrtsträger, die jeweils zuständigen Länder (Bundesländer) bestimmt worden, wobei der Landesgesetzgebung die nähere Regelung darüber vorbehalten wurde, durch welche Organisationseinheiten die Aufgaben der öffentlichen Jugendwohlfahrt tatsächlich zu besorgen sind. § 4 JWG stelle aber nur eine bundesgesetzliche Grundsatzregelung dar; ein entsprechendes Landesausführungsgesetz zu dieser bundesgesetzlichen Grundsatzbestimmung in Kärnten sei - trotz Fristablaufs nach § 42 Abs 3 JWG 1989 - bisher nicht in Kraft getreten. Damit sei die grundsatzgesetzliche Regelung des Bundes nach § 4 Abs 1 JWG 1989 gegenwärtig für den Bereich des Bundeslandes Kärnten weiterhin noch nicht zu einer unmittelbar anwendbaren Rechtsnorm geworden. Bei diesem Stand der Rechtslage (vgl auch § 46 JWG 1989) müßten hier als Träger der öffentlichen Jugendwohlfahrtspflege weiterhin jene Körperschaften und Behördenorganisationen herangezogen werden, die nach bisher bestehendem Recht im Jugendwohlfahrtsgesetz 1954, BGBl 1954/99 und in der Kärntner Landesjugendwohlfahrtsordnung LGBl 1956/15 festgelegt wurden. Dies sei aber die örtlich kompetente Bezirksverwaltungsbehörde.
Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich der Revisionsrekurs des Magistrates Villach, Jugendamt, mit dem Antrag, die Obsorge über das Kind dem Land Kärnten zu übertragen, weil in Kärnten bisher trotz Fristablaufes des § 42 Abs 3 JWG kein Ausführungsgesetz erlassen wurde, weshalb § 4 Abs 1 JWG gegenwärtig für den Bereich des Bundeslandes Kärnten zu einer unmittelbar anwendbaren Rechtsnorm geworden sei.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist berechtigt.
Nach Vorlage des Rechtsmittels an den Obersten Gerichtshof wurde im selben Monat das Kärntner Jugendwohlfahrtsgesetz 1991 kundgemacht, das gemäß § 49 Abs 1 am 1. 1. 1992 in Kraft trat. Dieses Ausführungsgesetz des Jugendwohlfahrtsgesetzes 1989 enthält im § 49 Abs 2 die Anordnung, daß es auf alle anhängigen Verfahren und Maßnahmen anzuwenden ist und in Abs 3 dieser Vorschrift die Regelung, daß Erziehungsmaßnahmen mit Unterbringung ..... in einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung nach der Jugendwohlfahrtsordnung als volle Erziehung gemäß § 28 dieses Gesetzes weiterzuführen sind.
Grundsätzlich wird die Rückwirkung von Gesetzen, dh deren Anwendung auf Sachverhalte, die vor ihrem Inkrafttreten verwirklicht wurden, durch § 5 ABGB verwehrt. Dies ist aber nur eine im Zweifel geltende Regel, die durch jede Rückwirkungsanordnung als lex specialis unterbrochen werden kann (Bydlinski in Rummel, ABGB2, Rz 1 zu § 5; EvBl 1972/218; JBl 1986, 390 ; VfSlg 835 ua). Eine solche Anordnung liegt hier vor, weil - wie oben dargestellt wurde - das Kärntner Jugendwohlfahrtsgesetz zufolge ausdrücklicher Normierung auch auf alle bereits anhängigen Verfahren und Maßnahmen anzuwenden ist. Von der ausdrücklichen Rückwirkungsanordnung abgesehen, die Vorrang bei Berücksichtigung von Rechtsänderungen nach der maßgeblichen Entscheidung hat (vgl Fasching Kommentar IV, 330; derselbe Zivilprozeßrecht2 Rz 1927), ist im vorliegenden Fall bei der Unterbringung des Kindes im SOS-Kinderdorf außerdem von einem Dauertatbestand auszugehen, der nach ständiger Judikatur (vgl SZ 50/78; JBl 1986, 390 ua) - von gegenteiligen Übergangsbestimmungen abgesehen - nach den Vorschriften des neuen Gesetzes zu beurteilen ist.
Geht man aber im Sinne dieser Ausführungen im vorliegenden Fall bereits von der Wirksamkeit des Kärntner Jugendwohlfahrtsgesetzes 1991 aus, sind gemäß § 28 dieses Gesetzes alle Maßnahmen der vollen Erziehung des Kindes in einer Pflegefamilie, in einem Heim oder in einer sonstigen Einrichtung (§ 23) dem Träger der Jugendwohlfahrt anvertraut, welcher gemäß § 34 Abs 1 des Kärntner Jugendwohlfahrtsgesetzes das Land, hier also das Land Kärnten, ist.
Die von der Gesetzesänderung überholten Ausführungen des Rekursgerichtes kommen hier demnach nicht mehr zum Tragen; vielmehr war unter Abänderung seiner Entscheidung der Beschluß des Erstgerichtes als allerdings nur im Ergebnis richtig wieder herzustellen.
Anmerkung
E28613European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1992:0020OB00589.91.0311.000Dokumentnummer
JJT_19920311_OGH0002_0020OB00589_9100000_000