Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Schlosser, Dr. Graf und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Werner W*****, geb. ***** 1975, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses des MAGISTRATS DER STADT WIEN, Amt für Jugend und Familie-21.Bezirk, Am Spitz 1, 1210 Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgerichtes vom 23.Oktober 1991, GZ 44 R 926/91-30, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom 4. September 1991, GZ 13 P 151/89-21, bestätigt wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sache wird an das Erstgericht zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.
Text
Begründung:
Mit dem pflegschaftsgerichtlich genehmigten Scheidungsvergleich vom 17.10.1989 verpflichtete sich der nach eigenen Angaben wegen Krankheit arbeitsunfähige und einkommenslose Vater zur Leistung eines monatlichen Unterhaltsbetrages von je S 1.500 für seine beiden mj. Söhne Werner, geboren am 1.3.1975, und Alexander, geboren am 2.1.1977.
Mit der Behauptung, der Vater leiste seit April 1990 keinen Unterhalt, sein Arbeitgeber sei ihr nicht bekannt, der mj. Werner erziele ein Eigeneinkommen als Tischlerlehrling, begehrte die Mutter für die beiden Minderjährigen Titelvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG.
Das Erstgericht gewährte dem mj. Alexander antragsgemäß die Titelvorschüsse für die Zeit vom 1.6.1991 bis 31.5.1994 (ON 13). Dem Vorschußantrag des mj. Werner gab es hingegen lediglich mit dem Teilbetrag von monatlich S 350,-- für die beiden Monate Juni und Juli 1991 statt, das Mehrbegehren wies es ab. Gemäß der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 7 Ob 519/91 ua sei die Lehrlingsentschädigung des mj. Werner für diesen Zeitraum auf den Höchstsatz für pensionsberechtigte Halbwaisen (von derzeit S 3.980) zu ergänzen; für die Zeit ab 1.8.1991 übersteige hingegen die Lehrlingsentschädigung diesen Höchstsatz, sodaß der Vorschußantrag abzuweisen sei.
Das vom Unterhaltssachwalter des mj. Werner mit Rekurs angerufene Gericht zweiter Instanz bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig. Es verwarf zwar die rechtliche Argumentation des Erstgerichtes, stellte aber aus einem vom Vater im Zusammenhang mit dem am 20.9.1991 beim Erstgericht zu Protokoll gegebenen Unterhaltsenthebungsantrag zum Akt gelegten Konvolut von ärztlichen Befunden und Krankenhausberichten über den Gesundheitszustand des Vaters dessen darin wiedergegebenen Krankheiten und Leistungsbeeinträchtigungen fest und hegte aufgrund dieser Feststellungen gegründete Bedenken im Sinne des § 7 Abs. 1 Z 1 UVG gegen die Leistungsfähigkeit des Vaters in bezug auf die vergleichsweise festgesetzte Unterhaltsverpflichtung. Mangels aktenkundiger Nachweise irgendeines Einkommens des Vaters und einer über die tatsächliche Leistungsfähigkeit des Vaters vorliegenden Erklärung des Unterhaltssachwalters im Sinne des § 11 Abs. 2 UVG seien keine Titelvorschüsse für den mj. Werner gerechtfertigt.
Der gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene außerordentliche Revisionsrekurs des Unterhaltssachwalters des mj. Werner ist berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Zunächst ist dem Rekursgericht beizupflichten, daß die vom Erstgericht unter Berufung auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 7 Ob 519/91 (veröffentlicht in ÖA 1992, 28) vorgenommene Begründung (das Lehrlingseinkommen des Minderjährigen sei vom Waisenpensionsrichtsatz abzuziehen, dieser also gleichsam der Maßstab für Titelvorschüsse) unzutreffend ist, wie in der ausführlich begründeten Entscheidung des 4. Senates ÖA 1992, 26 sowie in der weiteren Entscheidung 3 Ob 558/91, welchen Entscheidungen der erkennende 1. Senat beipflichtet, dargelegt ist. Daher ist auch im vorliegenden Fall vorerst gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 UVG zu prüfen, ob die im Exekutionstitel festgelegte Unterhaltspflicht des Vaters (noch) besteht oder, der gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht entsprechend, zu hoch festgesetzt ist.
Diese Prüfung kann allerdings nicht ohne Verfahrensergänzung über die sowohl im Vergleichszeitpunkt als auch im Zeitpunkt der Vorschußanträge bestehenden Einkommensverhältnisse des Vaters, insbesondere durch Feststellung seiner allfälligen Ansprüche auf Sozialhilfeleistungen oder Invaliditätspension oder auf Zuwendungen unterhaltspflichtiger Personen udgl. vorgenommen werden. Denn die nunmehr vom Rekursgericht vordergründig herangezogenen ärztlichen Befunde über den erheblich beeinträchtigten Gesundheitszustand des Vaters trafen auch für die Zeit der freiwilligen Unterhaltsverpflichtung des Vaters mit dem vorliegenden Unterhaltsscheidungsvergleich zu. Unterließ oder unterläßt der Vater aber aus in seiner Sphäre liegenden Gründen die Antragstellung oder den Bezug ihm gebührender Leistungen (aus Sozialhilfe, Pension udgl.), weil er etwa von dritter Seite ohne entsprechenden Anspruch bzw. entsprechende Verpflichtung Unterhalt erhält, müßte er sich im Sinne der Anspannungstheorie zumindest ein ihm mögliches Einkommen sowohl für die Unterhaltsleistung als auch für den Titelvorschuß anrechnen lassen.
Diese Erwägungen führen zur Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen und zur Zurückverweisung der Sache an das Erstgericht.
Anmerkung
E28674European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1992:0010OB00559.92.0318.000Dokumentnummer
JJT_19920318_OGH0002_0010OB00559_9200000_000