TE OGH 1992/3/18 1Ob6/92

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Veröffentlicht am 18.03.1992
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Schlosser, Dr. Graf und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Gertraud W*****, 2.) Dr. Georg W*****, beide vertreten durch Dr. Herwig Jasbetz, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei REPUBLIK ÖSTERREICH, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen Feststellung (Streitwert S 20.000) infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichtes Klagenfurt als Berufungsgerichtes vom 12. Juni 1991, GZ 3 R 268/91-15, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Spittal an der Drau vom 16. April 1991, GZ 3 C 2072/90-11, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Die Kläger sind je zur Hälfte Eigentümer des Grundstückes 885/6 KG M*****, die beklagte Republik ist Eigentümerin des angrenzenden Seegrundstückes 1046/1 KG M*****.

Am 8.5.1990 fand durch das Vermessungsamt Spittal an der Drau an Ort und Stelle eine Grenzvermessung zum Zwecke der Umwandlung nach § 35 Abs 1 VermG statt. Eine Einigung über den Grenzverlauf kam zwischen den Streitteilen nicht zustande. Die mit der Zweitklägerin, die nach einem Vermerk des Verhandlungsleiters auch den Erstkläger vertrat, aufgenommene Niederschrift über den Grenzstreit hat folgenden wesentlichen Wortlaut:

„Der Eigentümer des Grundstückes Nr. 885/6 und der Eigentümer des Grundstückes Nr. 1046/1 (See) einigten sich nicht über den Grenzverlauf der o.a. Grundstücke. Ein gerichtliches Verfahren ist nicht anhängig. Frau W***** Gertraud als Eigentümer des erstgenannten Grundstückes behauptet, dass die Grenze nicht mit dem sich auf Grund der Behelfe ergebenden Grenzverlauf übereinstimmt - stellt Behauptungen auf, die den sonstigen in der Grenzverhandlung hervorgekommenen Umständen nach den geringeren Grad der Wahrscheinlichkeit besitzen - und wurde aufgefordert, binnen sechs Wochen ein für die Bereinigung des Grenzstreites bestimmtes gerichtliches Verfahren anhängig zu machen.“

Die Kläger stellten mit ihrem als Klage zu wertenden (Beschluss des Erstgerichtes ON 2 und des Rekursgerichtes R 314/90-5), am 19.6.1990 zur Post gegebenen und am 20.6.1990 bei Gericht eingelangten Antrag das Begehren, es werde gegenüber der beklagten Partei festgestellt, dass die Grenze zwischen den Grundstücken 885/6 der klagenden Parteien einerseits und dem Seegrundstück 1046/1 andererseits so verläuft, wie sie in der Naturaufnahme der Vermessungskanzlei Dipl. Ing. Georg S***** vom 27.7.1990 eingezeichnet ist. Seit mehr als 100 Jahren bestehe in Form des Ausläufers eines von einem Bach geschaffenen Schuttkegels die tatsächliche Grenze unverändert.

Die beklagte Partei wendete ein, die Klage sei verspätet eingebracht worden, weil § 25 Abs 2 VermG eine materiellrechtliche Ausschlussfrist normiere. Die Kläger hätten nach 1979 selbst die Anschüttung des Seegrundstückes vorgenommen.

Das Erstgericht wies die Klage zurück. § 25 Abs 2 VermG ordne eine materiellrechtliche Ausschlussfrist an. Die Klage sei erst nach Ablauf der Frist bei Gericht eingelangt, sodass die Voraussetzungen für die Feststellung der Grenze durch das Gericht weggefallen seien.

Das Gericht zweiter Instanz behandelte die Entscheidung des Erstgerichtes als Urteil und den von den Klägern eingebrachten Rekurs als Berufung, gab dieser Folge, hob die Entscheidung des Erstgerichtes auf und trug ihm die neuerliche nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung auf. Im Spruch befindet sich zwar kein Ausspruch nach § 500 Abs 2 Z 1 ZPO, in der Begründung führte das Gericht zweiter Instanz aber aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes ohne jeden Zweifel den Betrag von S 50.000 übersteige. Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof ließ es ausdrücklich zu. Im Gegensatz zum Erstgericht hielt es unter Verweis auf die rechtsähnlichen Vorschriften der §§ 40 MRG und 596 ZPO, § 89 Abs 2 GOG auf die Frist des § 25 Abs 2 VermG anwendbar.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der beklagten Partei ist nicht berechtigt.

Einigen sich bei einer nach den Bestimmungen des Vermessungsgesetzes durchgeführten Grenzverhandlung die Eigentümer benachbarter Grundstücke nicht über den Grenzverlauf, so ist nach § 25 Abs. 2 VermG der Eigentümer, der behauptet, dass die Grenze nicht mit dem sich auf Grund der Behelfe ergebenden Grenzverlauf übereinstimmt, aufzufordern, binnen sechs Wochen ein für die Bereinigung des Grenzstreites bestimmtes gerichtliches Verfahren - Eigentumsklage oder Antrag auf Grenzberichtigung (RV 508 BlgNR 11. GP 19) - anhängig zu machen. Lässt sich auf diese Weise nicht ermitteln, welcher Eigentümer aufzufordern ist, so ist die Aufforderung an den zu richten, dessen Behauptungen nach den sonstigen in der Grenzverhandlung hervorgekommenen Umständen den geringsten Grad der Wahrscheinlichkeit besitzen. Bleibt der derart aufgeforderte Eigentümer untätig, so wird fingiert (RV aaO 20), dass er dem von den anderen Eigentümern behaupteten Grenzverlauf zustimmt (§ 25 Abs 5 VermG). Leitete der aufgeforderte Eigentümer vorerst ein außerstreitiges Grenzberichtigungsverfahren ein, kann die Geltendmachung des besseren Rechtes im Prozessweg (§ 851 Abs 2 ABGB) bei sonstiger Zustimmungsfiktion nur innerhalb von sechs Wochen nach rechtskräftiger Beendigung des außerstreitigen Verfahrens erfolgen (§ 25 Abs 2 VermG).

Nach § 3 Abs 1 VermG ist auf das behördliche Verfahren der Bundesanstalt für Eich- und Vermessungswesen sowie der Vermessungsämter das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz anzuwenden. Danach ist zu beurteilen, ob der in der Aufforderung nach § 25 Abs 2 VermG zu erblickende Verwaltungsakt als Bescheid zu qualifizieren ist. Nach übereinstimmender Auffassung sind Bescheide jene hoheitlichen Erledigungen von Verwaltungsbehörden, durch die in bestimmten einzelnen Angelegenheiten der Verwaltung im Außenverhältnis gegenüber individuell bestimmten Personen in einer formellen und der Rechtskraft fähigen Weise über Rechtsverhältnisse materieller oder verfahrensrechtlicher Art abgesprochen wird (Antoniolli-Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht2 468 mwN in FN 56, 471; Adamovich-Funk, Allgemeines Verwaltungsrecht3 267; Funk-Berchtold-Ostermann in Rill, Allgemeines Verwaltungsrecht 192; Walter-Mayer, Verwaltungsverfahren5 RZ 381 ff; Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens Anm. 3 zu § 56 AVG). Es muss eine Rechtsvorschrift vollzogen werden, dieser Vollzug kann auf Feststellung der Rechtsnorm, des Sachverhaltes oder auf die Verhängung einer Rechtsfolge gerichtet sein (Walter-Mayer aaO Rz 380), Bescheide berühren demnach subjektive Rechte (rechtsunterworfener) Personen (Walter-Mayer aaO Rz 384). Gemäß § 58 AVG sind zwar Bescheide ausdrücklich als solche zu bezeichnen, doch kann der Willensäußerung einer Verwaltungsbehörde, die ihrem Inhalte nach einen Bescheid darstellt, der Bescheidcharakter nicht deshalb abgesprochen werden, weil die Behörde selbst sie nicht ausdrücklich als Bescheid bezeichnet hat (Adamovich-Funk aaO 271 mwN; Walter-Mayer aaO Rz 408 mwN). Maßgeblich ist nur, ob die Behörde Bescheidwillen hatte. Bescheidwille ist immer dann anzunehmen, wenn der Verwaltungsakt nach seinem Inhalt als Äußerung des autoritativen Behördenwillens zur Regelung einer bestimmten Angelegenheit zu deuten ist (Funk-Berchtold-Ostermann aaO 195; Walter-Mayer aaO Rz 384, 387 mwN; Antoniolli-Koja aaO 474 mwN). Schon aus Gründen des Rechtsschutzes nehmen die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes im Zweifel an, es liegt ein Bescheid vor, der von den Parteien zur Klärung der sie treffenden Rechtsfolgen mit Rechtsmitteln bekämpft werden kann (Antoniolli-Koja aaO 475 mwN in FN 88).

Eine nach § 25 VermG (mündlich) erlassene Aufforderung der Verwaltungsbehörde, ein bestimmtes gerichtliches Verfahren anhängig zu machen, entspricht allen Anforderungen, die an die materielle Bescheidqualität gestellt werden. Unterlässt es der Aufgeforderte, ein gerichtliches Verfahren anhängig zu machen, hat dies nach § 25 Abs 5 VermG zur Rechtsfolge, dass fingiert wird, er stimme dem von den übrigen beteiligten Eigentümern in der Grenzverhandlung angegebenen Grenzverlauf zu. Dies ist, wäre seine Antragstellung berechtigt, gleichbedeutend mit dem Rechtsverlust des derart Aufgeforderten. Die Aufforderung greift damit sehr wohl in die subjektiven materiellen Rechte des Aufgeforderten ein. Unbeachtlich ist es dann aber, dass die Verwaltungsbehörde es unterließ, diesen autoritativen Ausspruch auch als Bescheid zu bezeichnen und zu begründen und ihm eine Rechtsmittel- und Rechtsfolgenbelehrung beizugeben.

Liegt aber ein Bescheid vor, so war dieser - es sollte in die materielle Rechtsposition des Aufgeforderten eingegriffen werden - gemäß § 63 AVG mit Berufung anfechtbar. Wohl richtet sich nach dieser Bestimmung das Recht zur Anbringung der Berufung und der Instanzenzug grundsätzlich nach den Verwaltungsvorschriften. Allein der Instanzenzug ist schon durch die positivrechtlich festgelegte Hierarchie der Verwaltung vorgeschrieben, sodass jeder Bescheid gemäß den jeweiligen Organisationsvorschriften und somit im Falle der unmittelbaren Bundesverwaltung, ist positivrechtlich nichts anderes angeordnet, bis zur obersten in Betracht kommenden Behörde mit Berufung angefochten werden kann (Walter-Mayer aaO Rz 505 mwN, 507; Antoniolli-Koja aaO 369; vgl Ringhofer, Verwaltungsverfahrensgesetze Anm. 8 zu § 63 AVG).

Die Kläger ließen den ihnen mündlich verkündeten Bescheid in Rechtskraft erwachsen. Damit wird aber entscheidend, ob die Frist bereits mit dem Tag der Erlassung des Bescheides oder aber erst mit seiner Rechtskraft zu laufen begann. Der erkennende Senat vertritt die zuletzt genannte Ansicht. Obwohl aus der Normierung einer Klagefrist von nur sechs Wochen die Absicht des Gesetzgebers hervorleuchtet, möglichst rasch klarzustellen, ob die Grenzverhandlung unter Zugrundelegung einer Zustimmungsfiktion des untätig gebliebenen Eigentümers beendet werden kann, knüpft er bei dem sich aus § 851 Abs 2 ABGB ergebenden Vorbehalt, nach Beendigung des außerstreitigen Grenzberichtigungsverfahrens könne der in diesem Verfahren Unterlegene das bessere Recht im Prozessweg geltend machen, nicht etwa an die Zustellung (Verkündung) des im Außerstreitverfahren ergangenen Beschlusses, sondern ausdrücklich an die Rechtskraft dieses Beschlusses an. Die Regelung des § 25 VermG weist weiters eine gewisse Rechtsähnlichkeit zu den Vorschriften der §§ 125 ff AußStrG auf. Obwohl die Unterlassung der Erhebung der Erbrechtsklage keinen materiellen Rechtsverlust zur Folge hat (6 Ob 559/88 ua), geht einhellige Rechtsprechung davon aus, dass diese vom Richter gesetzte Frist nicht eher zu laufen beginnen kann, als rechtskräftig darüber entschieden wurde, welche Partei die Klägerrolle zu übernehmen hat (JBl 1959, 636; GlU 11.752, 10.120). Nicht zuletzt ergibt sich aber diese Lösung aus der allgemeinen Erwägung, dass nach herrschender Ansicht die Verbindlichkeit eines Bescheides erst mit seiner formellen Rechtskraft, also erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist eintritt (Walter-Mayer aaO Rz 471; Antoniolli-Koja aaO 532).

Begann aber die sechswöchige Frist nicht bereits mit der Erlassung des Bescheides, sondern erst mit dessen formeller Rechtskraft zu laufen, erfolgte die Einbringung der Klage selbst dann fristgerecht, wenn es sich um eine materielle Frist handelte.

Dem Rekurs ist der Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens gründet sich auf §§ 40, 50 ZPO.

Textnummer

E28680

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:0010OB00006.92.0318.000

Im RIS seit

01.01.1995

Zuletzt aktualisiert am

04.03.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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