TE OGH 1992/3/24 5Ob508/92

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Veröffentlicht am 24.03.1992
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Jensik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner, Dr. Klinger, Dr. Schwarz und Dr. Floßmann als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Petra R*****, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Imst, wegen Herabsetzung von Unterhaltsvorschüssen, infolge Revisionsrekurses der Minderjährigen gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Rekursgerichtes vom 25.Oktober 1991, GZ 3 b R 152/91-41, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Imst vom 6. September 1991, GZ P 2/82-33, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden ersatzlos aufgehoben.

Text

Begründung:

Die Minderjährige lebt im Haushalt ihrer Mutter, deren Ehe mit dem Vater der Minderjährigen geschieden ist. Der Vater ist seit 1.8.1989 zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von S 2.200 verpflichtet (ON 21).

Das Erstgericht setzte mit Wirkung vom 1.9.1991 die seinerzeit bis 31.7.1992 gewährten Unterhaltsvorschüsse von monatlich S 2.200 (ON 23) auf nunmehr monatlich S 1.070 herab.

Das Erstgericht begründete dies damit, der Minderjährigen verblieben von der monatlichen Lehrlingsentschädigung von S 3.643 nach Abzug von 20 % für Berufsausbildungskosten für den Lebensunterhalt S 2.914,80. Die Differenz zu dem im § 6 Abs. 1 UVG genannten Richtsatzbetrag von S 3.980 ergebe den nunmehr zulässigen Unterhaltsvorschuß von S 1.070.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluß und sprach die Zulässigkeit des ordentlichen Revisionsrekurses aus.

Das Rekursgericht führte rechtlich in wesentlichen folgendes aus:

Selbsterhaltungsfähigkeit bedeute im allgemeinen die Fähigkeit zur eigenen allgemeinen Bedarfsdeckung auch außerhalb des elterlichen Haushalts. Für einfachste Lebensverhältnisse könne der Richtsatz für die Gewährung einer Ausgleichszulage nach § 293 Abs. 1 lit a/bb und lit b ASVG ("Mindestpension", 14 x jährlich) eine Richtschnur bieten. Allerdings sei grundsätzlich die gesamte Lehrlingsentschädigung als Eigeneinkommen zu berücksichtigen, solange nicht konkrete Mehrbedürfnisse, wie etwa Ausbildungskosten, geltend gemacht würden oder sich aus der Aktenlage ergäben.

Da § 6 Abs. 1 UVG einem Minderjährigen zumute, mit Vorschüssen in der dort festgelegten Richtsatzhöhe - derzeit S 3.980 monatlich - auszukommen, erfordere dies für Jugendliche, die einen Teil ihrer Bedürfnisse durch eigene Einkünfte selbst zu decken vermögen, in systemgerechter Wertung eine Auslegung des § 6 Abs. 1 UVG in dem Sinn, als lautete ein zweiter Satz:

"Bezieht das minderjährige Kind eigene Einkünfte oder ist der ihm titelmäßig zustehende Unterhaltsanspruch zum Teil einbringlich, dürfen die Vorschüsse monatlich den Unterschiedsbetrag zwischen dem erwähnten Richtsatz und den eigenen Einkünften oder den einbringlichen Unterhaltsforderungen nicht übersteigen."

Entsprechend dieser Auslegung des § 6 Abs. 1 UVG sei daher ein Herabsetzungsgrund nach § 19 Abs. 1 UVG in dem Ausmaß anzunehmen, in dem der Richtsatzbetrag durch eigene Einkünfte gedeckt erscheine (so auch OGH in 6 Ob 598/90 und 7 Ob 519/91).

Da das Erstgericht auch ohne konkreten Anhaltspunkt dafür, daß der Minderjährigen überdurchschnittliche Ausbildungskosten erwüchsen, einen pauschalen Abzug für Ausbildungskosten von monatlich S 728,70 von der Lehrlingsentschädigung vorgenommen habe, werde die Minderjährige nicht beschwert, wenn der Unterhaltsvorschuß als Differenzbetrag zwischen dem Richtsatzbetrag nach § 6 Abs. 1 UVG und der um die pauschalierten Berufsausbildungskosten verminderten Lehrlingsentschädigung gewährt worden sei.

Die in der Entscheidung 6 Ob 584/91 ausgesprochene Ansicht, daß nur ein Teil der eigenen Einkünfte zur Befriedigung der vom Unterhaltsschuldner in Geld abzudeckenden Bedürfnisse heranzuziehen sei, der andere Teil aber dem betreuenden Elternteil zugute kommen solle, werde vom Rekursgericht nicht geteilt. Eigeneinkünfte des Kindes sollen vielmehr unter Bedachtnahme auf den sozialen Charakter der Unterhaltsvorschüsse primär deren Herabsetzung bewirken.

Die Zulässigkeit des ordentlichen Revisionsrekurses sei gegeben, weil eine einheitliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu den hier maßgeblichen Rechtsfragen nicht vorliege.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Minderjährigen mit dem Antrag, die Beschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben und "den Anspruch der minderjährigen Petra R***** auf Unterhaltsvorschuß in der Höhe von derzeit S 2.200 zu bestätigen".

Der Revisionsrekurs ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Wesentlich für die Entscheidung in dieser Rechtssache ist die Lösung der Rechtsfragen,

a) wie sich eigenes Einkommen des unterhaltsberechtigten Kindes auf die Unterhaltspflicht eines jeden Elternteiles auswirkt,

b) ob im Unterhaltsvorschußrecht eigenes Einkommen des Kindes - gegebenenfalls abweichend von den unter Punkt a) gezeitigten Ergebnissen - nur auf die vom Geldunterhaltspflichtigen zu erbringenden Leistungen anzurechnen ist und demnach durch diese Anrechnung eine möglichst weitgehende Verminderung der Unterhaltsvorschüsse bewirkt werden soll;

c) wie § 6 Abs. 1 UVG auszulegen ist, wenn das unterhaltsberechtigte Kind eigenes Einkommen hat.

Zu a):

Gemäß § 140 Abs. 1 ABGB haben die Eltern zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse des Kindes unter Berücksichtigung seiner Anlagen und Fähigkeiten etc nach ihren Kräften anteilig beizutragen. Dieser Unterhalt kann durch Zahlung von Geldbeträgen (Geldunterhalt) oder durch Erbringung von Betreuungsleistungen erbracht werden, wobei der Elternteil, der den Haushalt führt, in dem er mit dem Kind lebt, dadurch grundsätzlich seinen (vollen) Beitrag leistet, das heißt den auf ihn entfallenden Anteil voll erbringt. Zur Erbringung von zusätzlichen Geldleistungen ist dieser Elternteil neben dem sonst primär geldunterhaltspflichtigen anderen Elternteil nur subsidiär unter den in § 140 Abs. 2 Satz 2 ABGB genannten Voraussetzungen verpflichtet.

Gemäß § 140 Abs. 3 ABGB mindert sich der Unterhaltsanspruch des Kindes gegen jeden Elternteil (6 Ob 624/90 = EFSlg 62.644 = ÖA 1991, 53; 5 Ob 513/91) insoweit, als es Einkünfte hat oder unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse selbsterhaltungsfähig ist. Selbsterhaltungsfähigkeit im vollen Sinn des Begriffes ist erst gegeben, wenn das Kind sämtliche Unterhaltsbedürfnisse, die bisher von den Eltern durch Geld und Betreuungsleistungen gedeckt wurden, im Rahmen der konkreten Lebensverhältnisse mit seinen Einkünften abdecken kann (EFSlg 62.608; sinngemäß gleich 5 Ob 513/91). Davon zu unterscheiden ist der Fall, daß das Kind durch eigene Einkünfte nur einen Teil seiner Unterhaltsbedürfnisse decken kann, manchmal auch als "Teilselbsterhaltungsfähigkeit" bezeichnet, geregelt in § 140 Abs. 3 Fall 1 ABGB.

In der hier zu beurteilenden Rechtssache ist demnach - volle Selbsterhaltungsfähigkeit der Minderjährigen ist zweifellos nicht gegeben - im Sinne der letztgenannten Gesetzesstelle zu prüfen, wie sich die vom unterhaltsberechtigten Kind, das im Haushalt seiner Mutter betreut wird, bezogene Lehrlingsentschädigung auf die Höhe des vom Vater zu leistenden Geldunterhaltes auswirkt.

Als eigenes Einkommen im Sinne des § 140 Abs. 3 ABGB ist alles anzusehen, was dem Kind an Leistungen welcher Art immer auf Grund eines Anspruches zukommt, soweit nicht bestimmte Einkünfte auf Grund von gesetzlichen Bestimmungen auf den Unterhalt nicht anzurechnen sind. Zwischen Lehrlingen und anderen Einkommensbeziehern ist daher kein Unterschied zu machen (EvBl 1990/134; 5 Ob 513/91), so daß auch die Lehrlingsentschädigung (§ 17 BAG) eigenes Einkommen des Unterhaltsberechtigten im Sinne des § 140 Abs. 3 ABGB ist, soweit sie nicht als Ausgleich für einen berufsbedingten Mehraufwand benötigt wird (EvBl 1990/134; EFSlg 62.652; 5 Ob 513/91 ua). Auf das Ausmaß des berufsbedingten Mehraufwandes ist bei Entscheidung dieser Rechtssache nicht einzugehen, weil - wie später gezeigt werden wird - selbst bei Wertung der gesamten Lehrlingsentschädigung als den Unterhaltsanspruch minderndes Eigeneinkommen der Minderjährigen keine Herabsetzung des mit Beschluß ON 23 gewährten Unterhaltsvorschusses zu erfolgen hat.

Wie der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung 6 Ob 624/90 = EFSlg 62.644 ausführlich darlegte und der erkennende Senat in seiner Entscheidung 5 Ob 513/91 wiederholte, ist bei Anrechnung eigenen Einkommens des bloß zum Teil selbsterhaltungsfähigen Unterhaltsberechtigten auf den Geldunterhalt einerseits und die erbrachten Betreuungsleistungen andererseits wie folgt vorzugehen:

Zunächst ist unter Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse des Lehrlings sein gesamter Unterhaltsbedarf einschließlich der Ausbildungskosten zu ermitteln. Dann muß der durch eigene Kräfte des Lehrlings, insbesondere seine Nettolehrlingsentschädigung (abzüglich der Werbungskosten), nicht abdeckbare Teil des Unterhaltsbedarfes festgestellt werden. Daraus läßt sich die Quote der teilweisen Selbsterhaltungsfähigkeit und jene des fortbestehenden Unterhaltsanspruches ermitteln. Die letztgenannte Quote ist auf die Leistungspflicht beider Elternteile anzuwenden. Unrichtig wäre es - weil im Verhältnis der Eltern untereinander es so zu gelten hat - die ungemessenen Betreuungsleistungen des obsorgenden Elternteiles wertmäßig den Geldzahlungen des anderen gleichzusetzen. Vielmehr ist der nicht durch Naturalleistungen gedeckte Unterhaltsbedarf betraglich zu ermitteln und mit der Quote des fortbestehenden Unterhaltsanspruches zu multiplizieren. Das ergibt den Geldunterhaltsbedarf, der, soweit er in der Leistungsfähigkeit des geldzahlungspflichtigen Elternteiles Deckung findet, von diesem auch trotz teilweiser Selbsterhaltungsfähigkeit zu leisten ist.

Welches Einkommen zur Deckung aller Bedürfnisse eines Kindes - einschließlich der finanziellen Abgeltung der Betreuungsleistungen - erforderlich ist, läßt sich zwar nicht allgemein beantworten, doch bietet für einfachste Lebensverhältnisse der Richtsatz für die Gewährung der Ausgleichszulage nach § 293 Abs. 1 lit a/bb ASVG (im Jahre 1991 S 6.000 14 x jährlich, daher im Monatsdurchschnitt ca S 7.000; Art I Z 6 lit a BGBl 1990/741) als sogenanntes "sozialversicherungsrechtliches Existenzminimum" eine Richtschnur (EFSlg 62.610; 5 Ob 513/91).

Für die Entscheidung dieser Rechtssache kann ununtersucht bleiben, ob die Revisionsrekurswerberin mit einem Einkommen von monatlich S 7.000 als selbsterhaltungsfähig anzusehen wäre oder ob dies im Hinblick auf ihre konkrete Lebenssituation erst bei einem höheren Betrag der Fall wäre, weil - wie gleichfalls später gezeigt werden wird - selbst bei Zugrundelegung eines Betrages von S 7.000 keine Herabsetzung der mit Beschluß ON 23 gewährten Unterhaltsvorschüsse zu erfolgen hätte.

Der erkennende Senat hält an der dargelegten Rechtsansicht weiterhin fest, zumal das Rekursgericht selbst in seiner Entscheidung keine Argumente gegen die grundsätzlich so vorzunehmende Anrechnung eigenen Einkommens des unterhaltsberechtigten Kindes auf die Unterhaltsleistungen beider Elternteile vorbrachte, sondern erst im Zusammenhang mit der Gewährung von Unterhaltsvorschüssen eine andere Vorgangsweise für angezeigt hielt. Darauf wird noch zurückzukommen sein.

Geht man nun - keineswegs zum Nachteil des geldunterhaltspflichtigen Vaters - davon aus, daß die Minderjährige nur Unterhaltsbedürfnisse im Gegenwert von S 7.000 hat und daß die Lehrlingsentschädigung (mangels berufsbedingten Aufwandes - gewiß eine Fiktion) zur Gänze zur Deckung dieser Bedürfnisse verwendet werden kann, so verbleibt ein nicht durch Eigeneinkommen gedeckter Unterhaltsbedarf von S 3.357 (48 % des Gesamtbedarfes), der durch Geldunterhalt und Betreuungsleistungen abzudecken ist. Da der geschuldete Betreuungsaufwand für einen 15jährigen Lehrling zweifellos mit erheblich geringerem Geldwert zu veranschlagen ist als der zur Deckung der anderen Bedürfnisse erforderliche Betrag, kann ohne Verletzung der Rechte des Geldunterhaltspflichtigen von einem Verhältnis 2 : 1 zu seinen Lasten ausgegangen werden (so für einen 16jährigen Lehrling 5 Ob 513/91). Unter diesen Prämissen errechnet sich unter Anwendung der oben dargelegten Grundsätze ein Geldunterhaltsanspruch von S 2.240 (=(7.000 x 2 x 48) :

(3 x 100)). Darin findet die mit Beschluß ON 21 dem unterhaltspflichtigen Vater auferlegte monatliche Unterhaltsleistung von S 2.200 Deckung.

Zu b:

Gemäß § 1 UVG hat der Bund auf den gesetzlichen Unterhalt minderjähriger Kinder nach diesem Bundesgesetz Vorschüsse zu gewähren, wobei gemäß § 2 Abs. 2 Z 1 UVG ein Anspruch auf Vorschüsse nicht besteht, wenn das Kind mit dem Unterhaltsschuldner im gemeinsamen Haushalt lebt. Vorschüsse sind demgemäß nur auf den Geldunterhalt zu leisten, der von einer nicht mit dem Unterhaltsberechtigten im gemeinsamen Haushalt lebenden Person geschuldet wird, in dem hier zu beurteilenden Fall also auf den vom Vater der Minderjährigen geschuldeten Geldunterhalt. Diese Unterhaltsschuld beträgt nach dem Beschluß ON 21 S 2.200 pro Monat. Nach dem oben Gesagten bestehen keine Bedenken, daß diese im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht, der gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht entsprechend, zu hoch festgesetzt wäre (§ 7 Abs. 1 Z 1 UVG). Da nach dem UVG der gesetzliche Unterhalt minderjähriger Kinder zu bevorschussen ist, bietet das Gesetz keine Handhabe, die zu bevorschussende Unterhaltsschuld bei Eigeneinkommen des Unterhaltsberechtigten bloß für Zwecke der Anwendung des Unterhaltsvorschußgesetzes anders zu berechnen, als es ihrer tatsächlichen Höhe entsprechend § 140 ABGB der Fall ist. Mag auch das Unterhaltsvorschußgesetz aus sozialpolitischen Erwägungen geschaffen worden sein, so ändert dies doch nichts daran, daß durch diese sozialpolitische Maßnahme dem minderjährigen Kind durch einen Dritten, den Staat, vorschußweise ein Teil jener Unterhaltsbeträge geleistet werden soll, auf die er konkret gegen seinen Unterhaltsschuldner Anspruch hat. Der Staat übernimmt in diesem Umfang die Einbringlichmachung des Unterhaltes vom Unterhaltspflichtigen und trägt damit das damit verbundene Risiko letztlicher Uneinbringlichkeit.

Gerade weil es sich letztlich beim Unterhaltsvorschuß um keine Sozialleistung des Staates handelt, sondern um die teilweise vorläufige Erfüllung der Unterhaltspflicht durch einen Dritten schließt diese Konstruktion der Gewährung von Unterhaltsvorschüssen eine andere Berechnung des der Vorschußgewährung zugrunde liegenden Unterhaltsausmaßes (= Unterhaltsanspruch des Kindes gegenüber dem Geldunterhaltspflichtigen) für Zwecke des Unterhaltsvorschußverfahrens als es gegenüber dem Unterhaltspflichtigen selbst der Fall zu sein hat, aus.

Zu c:

Zur Auslegung des § 6 Abs. 1 UVG hat der Oberste Gerichtshof jüngst in der Entscheidung 4 Ob 549/91 unter Ablehnung der Entscheidungen 6 Ob 598/90, 7 Ob 519/91 und 6 Ob 584/91 und in Übereinstimmung mit der in den Entscheidungen 8 Ob 504/91 und 1 Ob 521/91 ausgedrückten Meinung, daß der jeweils gewährte Vorschuß über den durch eigene Einkünfte geminderten Unterhaltsanspruch jedenfalls nicht hinausgehe, folgende Rechtsansicht ausgesprochen, der sich der erkennende Senat voll anschließt:

Veränderungen des Unterhaltsanspruches eines Kindes hat das Gericht, wenn schon ein Exekutionstitel bestanden hat, auf Antrag des Unterhaltspflichtigen durch eine entsprechende Herabsetzung des bisher festgesetzten Unterhaltsbeitrages Rechnung zu tragen. Ist dies im Zeitpunkt der Entscheidung über die (Weiter-)Gewährung von Vorschüssen nicht bereits geschehen oder treten später Veränderungen ein, so hat das Gericht gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 UVG die Vorschüsse teilweise zu versagen bzw gemäß § 19 Abs. 1 UVG (iVm § 7 Abs. 1 Z 1 UVG) herabzusetzen. Es sind also nicht die (Netto-)Einkünfte des Minderjährigen von dem bisher als Vorschuß gewährten Betrag einfach abzuziehen, sondern es ist zu ermitteln, mit welchem Betrag die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht unter Bedachtnahme auf die eigenen Einkünfte des Kindes noch besteht. Die Berechnung der Vorschüsse auf die Weise, daß vom Richtsatz nach § 6 Abs. 1 UVG die eigenen Einkünfte des Minderjährigen (nach Reduzierung um die mit ihrer Erzielung verbundenen Auslagen) abgezogen werden und dem Kind nur der (allfällige) Unterschiedsbetrag - ohne Rücksicht auf einen höheren Unterhaltsanspruch nach § 140 Abs. 3 ABGB - als Vorschuß gewährt wird, widerspricht bei "Titelvorschüssen" der vom Gesetz in § 7 Abs. 1 Z 1 UVG angeordneten Anpassung an die Höhe des aktuellen Unterhaltsanspruches. Soweit die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht (noch) besteht und der gesetzlichen Unterhaltspflicht entspricht, bildet sie die Grundlage für die Gewährung von Vorschüssen nach § 5 Abs. 1 UVG.

Daß über diese Regelung hinaus durch § 6 Abs. 1 UVG nicht nur der monatliche Auszahlungsbetrag begrenzt, sondern auch der Anspruch auf Vorschüsse dadurch beschränkt werden sollte, daß eigene Einkünfte auf den Richtsatzbetrag anzurechnen sind und mit dem Erreichen dieser Einkommensgrenze jeder Anspruch auf "Titelvorschüsse" (ohne Rücksicht auf ungedeckt bleibende Teile eines höheren Unterhaltsanspruches) erlischt, ist weder dem Gesetz noch den Materialien zu entnehmen. Eine solche Auslegung würde die vom Gesetz nach § 7 Abs. 1 Z 1 UVG (§ 19 UVG) vorgeschriebene Prüfung, den gegenüber dem Exekutionstitel verminderten Umfang der gesetzlichen Unterhaltspflicht festzustellen und der Entscheidung über die Einschränkung der Vorschüsse zugrunde zu legen, in den Fällen eigener Einkünfte des Kindes weitgehend überflüssig machen; der Vorschußgewährung würde im Widerspruch zu § 7 Abs. 1 Z 1 UVG nicht die Höhe des durch die Einkünfte des Kindes (nicht zwingend im selben Maß) geminderten Unterhaltsanspruches, sondern die Höhe des Richtsatzes zugrunde gelegt und die Einkünfte rein rechnerisch abgezogen.

Die These, daß durch eine solche Vorgangsweise die Gleichbehandlung von Kindern mit und ohne eigene Einkünfte gewahrt und eine gleichmäßige Mindestversorgung aller Kinder gesichert werde, überzeugt nicht. Hier wird übersehen, daß der Gesetzgeber bei der Bemessung der Vorschüsse den "Titelunterhalt" (§§ 5, 6 Abs. 1 UVG) und den "Richtsatzunterhalt" (§ 6 Abs. 2 UVG) - aus durchaus sachlichen Erwägungen - nicht gleich behandelt und insbesondere für alle Fälle des Titelunterhaltes - anders als in § 6 Abs. 2 UVG - eine starre Höchstgrenze für Minderjährige aller Altersstufen festgelegt hat. Gemessen an den sog. Regelbedarfssätzen deckt diese starre Grenze derzeit die Bedürfnisse eines Kleinkindes etwa 2,5 mal, die Bedürfnisse eines knapp 19-jährigen aber nur 1,1 mal; der Titelvorschuß für ein Kleinkind reicht also auch noch zur Befriedigung stark gehobener sozialer Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten aus. Mit dem altersbedingt steigenden Bedarf nimmt dieser "Deckungsgrad" ab. Es kann daher keine Rede davon sein, daß durch die Grenze des § 6 Abs. 1 UVG eine gleichmäßige Mindestversorgung aller Kinder gesichert werden sollte. Die starre Grenze des § 6 UVG läßt sich daher am ehesten als bloße fiskalische Auszahlungsgrenze erklären. Mangels jeglicher Anhaltspunkte im Gesetz ist sie nicht als Unterhaltsgrenze zu verstehen.

Die Fälle, daß der Unterhaltsberechtigte eigene Einkünfte hat und daß er einen Teil seines Unterhaltsanspruches hereinbringen kann, beruhen zwar auf ähnlichen Wertungen, sind aber rechtlich nicht gleich, weil im ersten Fall der Beurteilung nach § 7 Abs. 1 Z 1 UVG ein verminderter Unterhaltsanspruch (im Sinne der obigen Ausführungen zu § 140 Abs. 3 ABGB) zugrunde zu legen ist, während im zweiten Fall der Unterhaltsanspruch unverändert ist, aber (wegen regelmäßiger Teilleistungen) nur einer teilweisen Sicherung bedarf. Zu diesem verwandten Fall vertritt Knoll (KommzUVG in ÖA Rz 8 zu § 5 UVG) zunächst die Meinung, daß mangels gegenteiliger Anhaltspunkte im UVG anzunehmen sei, daß es sich gegenüber der Unterhaltshöhe neutral verhalte; sein Zweck sei es (auch), ungedeckte Unterhaltsteile zu bevorschussen (vgl auch JA 199 BlgNR 14. GP 5). Knoll meint aber dann doch, daß diese Erwägungen nicht zwingend seien; die in § 6 UVG angeführten Summen seien als "Sockelbeträge" anzusehen, die den Unterhalt nur in den gegebenen Grenzen sichern sollen. Eine "Überalimentierung" müsse vermieden werden; es könne nicht Zweck des Gesetzes sein, Ausfälle bei sehr hohen Unterhaltsbeträgen zu sichern.

Dem ist - hier nur für den verwandten Fall der Eigeneinkünfte - entgegenzuhalten, daß sich eine Gesetzesauslegung nicht an Extremfällen orientieren darf, "Überalimentierungen" in aller Regel schon durch die Anwendung des § 7 Abs. 1 Z 1 UVG begegnet werden kann und der Unterhaltsbedarf von Minderjährigen knapp vor der Volljährigkeit in der Regel auch bei nicht gehobenen Lebensverhältnissen über der derzeitigen Grenze des § 6 Abs. 1 UVG liegen wird; warum es den Zielsetzungen des UVG widersprechen soll, derartige, zur Sicherung des gesetzlichen Unterhalts notwendige Unterhaltsteile zu bevorschussen, ist nicht zu sehen.

Die Ansicht, § 6 Abs. 1 UVG lege die Grenze der Vorschußbedürftigkeit derart fest, daß der Unterhaltsberechtigte, dem dieser Betrag zur Verfügung steht, keinen Anspruch auf Sicherung seines restlichen gesetzlichen Unterhaltsanspruches habe, steht auch mit der Entscheidung vom 15.Mai 1990, 5 Ob 556/90 (ÖA 1991, 81), im Widerspruch. In dieser Entscheidung wurde (auch für "Titelvorschüsse") ausgesprochen, daß einem Kind, das (Geld-)Unterhaltsansprüche gegen mehrere Unterhaltsschuldner hat, auf jeden einzelnen Unterhaltsanspruch Vorschüsse in voller Höhe der in § 6 UVG genannten Beträge gebühren; der Gesetzgeber sei von dem Normalfall ausgegangen, daß sich das Kind bei einem Elternteil befindet, der seiner Unterhaltspflicht durch dessen Betreuung nachkommt, und daß daher die Obergrenzen des § 6 UVG im Falle der Geldunterhaltspflicht beider Elternteile - durchaus sachgerecht - für jeden von ihnen in voller Höhe gelten sollten.

Der Gefahr einer Überalimentierung sei (auch in diesem Fall) durch teilweise Versagung oder Herabsetzung der Vorschüsse in analoger Anwendung des § 7 Abs. 1 Z 2 UVG (§ 19 Abs. 1 UVG; im betreffenden Fall ging es um "Richtsatzvorschüsse") zu begegnen. Im Zusammenhang damit fällt auf, daß der zu 6 Ob 584/91 ausgesprochene (modifizierte) Rechtssatz, diejenigen Minderjährigen mit eigenem Einkommen benachteiligt, die nur noch einen unterhaltspflichtigen Elternteil haben und in fremder Pflege sind, weil hier die günstigere Regel, daß die Hälfte des eigenen Erwerbs auf die vom obsorgenden Elternteil in natura erbrachten Betreuungsleistungen anzurechnen ist, nicht greift. Ein solches Kind wird wegen der Kosten der Fremdpflege in der Regel einen höheren Unterhaltsanspruch gegen den einzigen Unterhaltspflichtigen haben, müßte sich aber dennoch vom Richtsatz des § 6 Abs. 1 UVG die gesamten Einkünfte abziehen lassen.

Auch eine analoge Anwendung des § 7 Abs. 1 Z 2 UVG auf Titelvorschüsse kommt nicht in Betracht; der Gesetzgeber konnte im Fall der Gewährung von "Richtsatzvorschüssen" eine Prüfung, wie weit durch eigene Einkünfte ein Abweichen des Exekutionstitels von der gesetzlichen Unterhaltspflicht eingetreten ist, nicht anordnen, weil die "Richtsatzvorschüsse" nicht an eine konkret feststellbare Unterhaltspflicht anknüpfen, sondern auf einheitlichen "Pauschal"-Beträgen beruhen. Es handelt sich daher um zwei verschiedene Bemessungssysteme, die nicht miteinander vermengt werden dürfen, weil dem UVG - wie oben ausgeführt - insoweit kein einheitliches Vorschußkonzept zugrunde liegt.

Dem Revisionsrekurs war daher Folge zu geben, weil kein Grund besteht, den Unterhaltsvorschuß der Rechtsmittelwerberin geringer zu bemessen, als es ihrem weiterhin bestehenden Anspruch auf Geldunterhalt gegen ihren Vater im Ausmaß des Beschlusses ON 21 entspricht. Die Beschlüsse der Vorinstanzen waren daher ersatzlos aufzuheben, sodaß es weiterhin bei dem Beschluß betreffend die Gewährung eines Unterhaltsvorschusses von monatlich S 2.200 (ON 23) verbleibt.

Anmerkung

E28602

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:0050OB00508.92.0324.000

Dokumentnummer

JJT_19920324_OGH0002_0050OB00508_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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