TE OGH 1992/3/25 3Ob520/92

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Veröffentlicht am 25.03.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Klinger, Dr. Angst und Dr. Graf als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen Rene Enrico B*****, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Amstetten als Sachwalter für die Festsetzung und Durchsetzung der Unterhaltsansprüche, infolge Revisionsrekurses des Kindes gegen den Beschluß des Landesgerichtes St.Pölten als Rekursgericht vom 13. November 1991, GZ R 681/91-70, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Haag vom 4.Oktober 1991, GZ P 83/78-67, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß der vom Vater Reinhold F***** für seinen Sohn zu leistende monatliche Unterhaltsbetrag ab dem 1.Juni 1991 auf S 1.000,- herabgesetzt, der Antrag des Vaters, ihn zur Gänze von seiner Unterhaltsverpflichtung zu entheben, jedoch abgewiesen wird.

Text

Begründung:

Der 17-jährige Lehrling erhält im zweiten Lehrjahr zum Einzelhandels-Kaufmann seit 1.Juni 1991 unter Berücksichtigung der Berufsschulkosten eine Lehrlingsentschädigung von rund S 4.800,- netto im Monat. Die Mutter führt in einer Mietwohnung in S***** den Haushalt, in dem sie den Sohn betreut.

Der Vater hatte zuletzt auf Grund des Unterhaltsherabsetzungsbeschlusses vom 29.November 1990 für den Lehrling, der damals im Monatsdurchschnitt ein Einkommen an Lehrlingsentschädigung von rund S 3.400,- hatte, bei der Sorgepflicht des Vaters für die Ehefrau und drei weitere Kinder und seinem Durchschnittseinkommen einschließlich aller Sonderzahlungen von rund S 22.000,- ab dem 1.August 1990 den herabgesetzten Unterhaltsbetrag von S 1.500,- monatlich zu leisten.

Das Erstgericht enthob über den Antrag des Vaters diesen ab dem 1. Juni 1991 von der weiteren Unterhaltsverpflichtung, weil der Vater nur rund S 21.500,- verdiene, für seine nicht berufstätige Ehefrau und für die drei 1978, 1980 und 1984 geborenen ehelichen Kinder zu sorgen habe und nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller auf den Unterhalt angewiesenen Personen eine weitere Unterhaltspflicht gegenüber dem ältesten Kind, das selbst Einkünfte von rund S 4.800,- erziele, nicht gerechtfertigt sei. Der Lehrling habe mehr zur Verfügung als den Regelbedarf. Es gehe nicht an, ihm zur Deckung seines Unterhalts einen Betrag von etwa dem Ausgleichszulagenrichtsatz (= rund S 7.000,- monatlich) zur Verfügung zu stellen, weil damit ein Mißverhältnis zu dem für die Deckung des Unterhalts der im Haushalt des Vaters lebenden Familie verbleibenden Einkommen bestehe.

Das Rekursgericht bestätigte mit dem Ausspruch, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Das vom Obersten Gerichtshof als Richtschnur für die Beantwortung der Frage, ob ein Unterhaltsanspruch des Kindes infolge der Selbsterhaltungsfähigkeit erloschen ist, herangezogene sozialversicherungsrechtliche Existenzminimum (ab dem 1.Jänner 1991 im Monatsdurchschnitt S 7.000,-) könne nicht gelten, wenn den zum Unterhalt Verpflichteten mehrere weitere Sorgepflichten träfen. Würde man jeder der auf das Einkommen des Vaters angewiesenen Personen diesen Betrag zubilligen, wären monatlich S 42.000,- erforderlich. Es müsse daher bei dem tatsächlichen Einkommen des Vaters von nur rund S 21.500,- zu einer Kürzung der Unterhaltsansprüche kommen. Das eine Kind dürfe nicht vor den anderen bevorzugt werden. Unter Berücksichtigung der Belastbarkeit des Einkommens des Vaters mit rund 57 % sei der Vater von der Unterhaltsverpflichtung zu entheben, wenn sein ältester Sohn mit den eigenen Einkünften von rund S 4.800,-

ohnedies 22 % des väterlichen Nettoeinkommens zur Verfügung habe.

Der Revisionsrekurs des Kindes ist teilweise berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Zur Frage steht, ob der Unterhaltsanspruch des Kindes erloschen ist, weil es unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse mit den eigenen Einkünften selbsterhaltungsfähig ist (§ 140 Abs 3 ABGB). Die Vorinstanzen verkennen, daß die Beantwortung dieser Frage von der nach den Bemessungsgrundsätzen des § 140 Abs 1 ABGB zu unterscheiden ist. Die Eltern haben zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse des Kindes unter Berücksichtigung seiner Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten nach ihren Kräften anteilig beizutragen (§ 140 Abs 1 ABGB). Der Elternteil, der den Haushalt führt, in dem er das Kind betreut, leistet dadurch seinen Beitrag (§ 140 Abs 2 Satz 1 ABGB). Der Anspruch des Kindes auf Unterhalt mindert sich insoweit, als das Kind eigene Einkünfte hat oder unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse selbsterhaltungsfähig ist (§ 140 Abs 3 ABGB). Das Unterhaltsrecht geht im wesentlichen davon aus, daß beide Elternteile in etwa gleichem Maße zum Unterhalt des Kindes beizutragen haben. Die gänzliche Befreiung von der Unterhaltspflicht kommt erst dann in Betracht, wenn das Kind selbsterhaltungsfähig, also auch außerhalb des Haushalts der Eltern oder eines Elternteiles zur angemessenen Bedarfsdeckung aus eigenen Einkünften fähig ist. Reichen diese eigenen Einkünfte nicht aus, die angemessenen Lebensbedürfnisse voll zu decken, kommt nur eine Minderung der Unterhaltsverpflichtung in Frage, die aber nicht einseitig nur dem Elternteil zugute kommen darf, der das Kind nicht in seinem Haushalt betreut (ÖA 1991, 77; ÖA 1991, 78 ua).

Für einfache Lebensverhältnisse kann zur Beurteilung des Eintrittes der Selbsterhaltungsfähigkeit der Richtsatz für die Gewährung der Ausgleichszulage iSd § 293 Abs 1 lt a/bb und lit b ASVG eine Richtschnur bieten (ÖA 1991, 77; ÖA 1991, 78 ua). Daran ist festzuhalten. Seit dem 1.März 1992 (Inkrafttreten der EO-Nov BGBl 1991/628) deckt sich dieser Betrag überdies mit dem allgemeinen Grundbetrag des unpfändbaren Einkommensteiles nach § 291 a Abs 3 EO (erhöhter allgemeiner Grundbetrag von S 7.500,- monatlich bei nur 12 Monatsbezügen jährlich).

Selbst bei bescheidenen Einkommensverhältnissen der Eltern kann der Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit des Lehrlings bei einem Einkommen von monatlich rund S 4.800,- daher nicht angenommen werden.

Davon zu trennen ist die Prüfung, ob und in welcher Höhe dem Vater die Leistung von Unterhalt für den ältesten Sohn zumutbar ist. Die eine Frage hat mit der anderen nichts zu tun. Ist der Unterhaltsverpflichtete zur vollen Deckung der Bedürfnisse des Kindes außerstande, setzt nach § 140 Abs 2 Satz 2 ABGB die über die Haushaltsführung und Betreuung des Kindes hinausgehende Leistungspflicht des anderen Elternteils ein. Es zeigt sich aber gerade hier, daß der Vater auch dann noch zum Unterhalt des ältesten Sohnes beitragen kann, wenn er mit seinem Einkommen von rund S 21.500,- den eigenen Lebensbedarf und den Unterhalt der Ehefrau und der drei weiteren Kinder zu bestreiten hat; denn je höher die eigenen Einkünfte des Kindes an Lehrlingsentschädigung sind, umso mehr mindert sich der Unterhaltsanspruch gegenüber beiden Elternteilen, so daß die Belastung des Vaters abnimmt. Wenn das Rekursgericht meint, der Lehrling habe mit dem eigenen Einkommen von rund S 4.800,- schon 22 % des väterlichen Einkommens zur Verfügung, so verkennt es, daß die Bedürfnisse auch der in seinem Haushalt lebenden Familienmitglieder eben höher wären, diese sich mit ihren Unterhaltsansprüchen aber bei beschränkter Leistungskraft des Unterhaltspflichtigen bescheiden müssen. Das bedeutet aber nicht, daß eigene Einkünfte von dem ohne solche errechneten Unterhaltsanspruch abzuziehen wären.

Den Bemessungsgrundsätzen entspricht es, der Erhöhung der eigenen Einkünfte des Lehrlings im zweiten Lehrjahr von rund S 3.400,-

auf rund S 4.800,-, womit noch nicht die Selbsterhaltungsfähigkeit erreicht ist, unter Berücksichtigung auch der Betreuungspflicht der Mutter, die dadurch ihren Beitrag zum Unterhalt zu leisten hat, durch eine Herabsetzung der monatlichen Geldunterhaltsleistung des Vaters auf S 1.000,-

monatlich Rechnung zu tragen.

Damit nimmt der 17-jährige Lehrling mit den aus eigenem Einkommen und dem Unterhaltsbetrag zur Verfügung stehenden Geldmitteln und den sich aus dem gegen die Mutter fortbestehenden (ebenfalls anteilig) geminderten Betreuungsanspruch ergebenden zusätzlichen Zuwendungen angemessen an den Lebensverhältnissen seiner Eltern teil, wenn man die Belastung des Vaters mit seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht für die Ehefrau und für drei weitere Kinder berücksichtigt, weil mit dieser Bemessung den bescheidenen Lebensverhältnissen des Vaters Beachtung geschenkt ist. Der Grundsatz, daß die Unterhaltsansprüche von Kindern zueinander gleichrangig sind, wird dadurch nicht verletzt; denn er besagt nicht, daß auch Kinder, die keine eigenen Einkünfte beziehen, gleich viel zur Deckung ihres Lebensunterhaltes zur Verfügung haben müssen, wie Kinder, die einen Teil ihrer Lebensbedürfnisse aus eigenem Einkommen decken können.

Es kommt daher bei den festgestellten Umständen noch keine Unterhaltsenthebung, sondern lediglich eine der verbesserten Einkommenssituation des unterhaltsberechtigten Kindes gerecht werdende Minderung seines Unterhaltsanspruches in Betracht.

Anmerkung

E29195

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:0030OB00520.92.0325.000

Dokumentnummer

JJT_19920325_OGH0002_0030OB00520_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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