Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Dietmar Strimitzer und Dr. Roman Merth (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Rudolf N*****, Pensionist, ***** vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wider die beklagte Partei SOZIALVERSICHERUNGSANSTALT DER BAUERN, 1031 Wien, Ghegastraße 1, vertreten durch Dr. Herbert Macher, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ausgleichszulage, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 6. November 1991, GZ 32 Rs 158/91-12, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 15.April 1991, GZ 16 Cgs 757/91-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Text
Entscheidungsgründe:
Der am 11.2.1924 geborene Kläger bezieht seit 1.7.1972 von der beklagten Sozialversicherungsanstalt der Bauern eine Erwerbsunfähigkeitspension, deren Höhe ab 1.1.1991 monatlich S 1.246,90 betrug. Überdies bezieht der Kläger eine Versehrtenrente, die im selben Zeitraum S 3.088,-- monatlich betrug. Seit Jahren lebt der Kläger von seiner Ehegattin getrennt. Sie bezieht eine Invaliditätspension, die ab 1.1.1991 netto S 6.971,40 monatlich betrug. Im Jahr 1983 hatten der Kläger und seine Ehegattin ihnen je zur Hälfte gehörige land- und forstwirtschaftliche Liegenschaften unentgeltlich an die vier ehelichen Kinder übergeben.
Mit Bescheid vom 21.1.1991 sprach die beklagte Partei aus, daß der Kläger ab 1.7.1972 (?) keinen Anspruch auf Ausgleichszulage habe, weil die Summe der anrechenbaren Einkünfte den Richtsatz übersteige. Das bei der Feststellung der Ausgleichszulage zu berücksichtigende Gesamteinkommen bestehe aus der Erwerbsunfähigkeitspension von S 1.246,90, der Versehrtenrente von S 3.088,--, dem anrechenbaren Unterhaltsanspruch gegenüber der Ehegattin von S 1.515,40 und aus pauschalierten landwirtschaftlichen Einkünften aus der Aufgabe von Grundstücken von S 506,-- monatlich. Die so errechneten Gesamteinkünfte des Klägers von S 6.356,30 würden den Richtsatz von S 6.000,-- übersteigen.
Im vorliegenden Rechtsstreit begehrt der Kläger zuletzt die Zuerkennung einer Ausgleichszulage im gesetzlichen Ausmaß ab 1.1.1991.
Der Kläger bekomme tatsächlich von seiner Ehefrau keinen Unterhalt. Er lebe seit 15 Jahren von ihr getrennt und wisse nicht, welche Pension sie beziehe. Einen allfälligen Unterhaltsanspruch gegenüber der Ehefrau könne ihm nicht angerechnet werden. Er beziehe auch keinerlei Einkünfte aus einer Landwirtschaft, weshalb ihm nicht verständlich sei, daß ihm hiefür ein Betrag von S 506,-- angerechnet werde.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage und wiederholte ihren im Bescheid vertretenen Standpunkt.
Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger zu seiner Erwerbsunfähigkeitspension ab 1.1.1991 eine monatliche Ausgleichszulage von S 187,70 zu bezahlen. Die Ehegattin des Klägers beziehe außer der bereits genannten Invaliditätspension kein Einkommen. Der pauschale Unterhaltsanspruch des Klägers gegen seine Ehegattin gemäß § 142 Abs. 1 lit. a BSVG errechne sich mit S 971,40. Unter Berücksichtigung der Erwerbsunfähigkeitspension, der Versehrtenrente, des fiktiven Ausgedinges nach § 140 Abs. 7 BSVG von S 506,-- monatlich, das unbestritten sei, und des pauschalen Unterhaltes von S 971,40 errechne sich ein Betrag von S 5.812,30, sodaß unter Berücksichtigung des Richtsatzes von S 6.000,-- die monatliche Ausgleichszulage S 187,70 betrage. Da die Ehefrau des Klägers mit dem Übergabsvertrag vom 8.7.1983 unentgeltlich an ihre Kinder entsprechend den unbedenklichen Gepflogenheiten land(forst)wirtschaftliche Grundstücke übergeben habe, könne von einer schuldhaften Versäumung der Erzielung zumutbarer fiktiver Einkommen nicht gesprochen werden. Eine Heranziehung eines fiktiven landwirtschaftlichen Einkommens der Ehefrau gemäß § 140 Abs. 7 BSVG zur Feststellung des Nettoeinkommens des Unterhaltspflichtigen gemäß § 142 Abs. 1 und 2 BSVG scheide daher aus.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Der Begriff des Nettoeinkommens (des Unterhaltspflichtigen) sei im § 142 Abs. 1 und 2 BSVG nicht definiert und es sei daher auf jene Bestimmungen und die hiezu ergangene Rechtsprechung Bedacht zu nehmen, aus denen sich der Unterhaltsanspruch ergebe. Gemäß § 94 ABGB hätten beide Ehegatten nach ihren Kräften und gemäß der Gestaltung der ehelichen Gemeinschaft zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse beizutragen. Aus der zu § 94 ABGB entwickelten Judikatur bestehe dann ein Unterhaltsanspruch eines Ehegatten, wenn dieser nicht über 40 % des Familieneinkommens verfüge. Ohne Berücksichtigung eines allfälligen Mehreinkommens der Ehegattin des Klägers, welches bei Unterlassung der unentgeltlichen Übergabe an die Kinder etwa in Form der Pachtzinseinnahmen allenfalls möglich wäre, betrage das Nettopensionseinkommen des Klägers insgesamt S 4.436,90 (richtigerweise würde die Addition der Erwerbsunfähigkeitspension und der Versehrtenrente S 4.334,90 ergeben) und liege somit unter 40 % des Familieneinkommens von S 11.408,30 (40 % davon seien S 4.563,30). Beim Nettoeinkommen des Klägers sei das pauschalierte Einkommen nach § 140 Abs. 7 BSVG bei Beurteilung seines Unterhaltsanspruches gleichfalls unberücksichtigt geblieben. Da beide Ehegatten eine allfällig realisierbare Möglichkeit des Einkommens in gleicher Weise aufgegeben hätten, könnte bei der Frage der Unterhaltsverpflichtung nach § 94 ABGB eine fiktive gleichartige Einkommenserhöhung bei beiden Ehegatten außer Betracht bleiben, da die Relation der Einkommen dadurch nicht verändert würde. Das Erstgericht sei von einer vom Kläger unbekämpft gebliebenen Unterhaltsverpflichtung der Gattin ausgegangen und habe zutreffend ihr Nettoeinkommen nach § 142 BSVG nicht nach den Anrechnungsgrundsätzen des § 140 Abs. 7 ASVG ermittelt. Eine pauschalierte Anrechnung in diesem Sinn habe bei der Ermittlung des Nettoeinkommens nach § 142 BSVG nicht zu erfolgen. Davon ausgehend habe das Erstgericht den Umfang des pauschalierten Unterhaltsanspruches des Klägers gegenüber seiner Gattin mit S 971,40 ziffernmäßig richtig ermittelt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der beklagten Partei ist nicht berechtigt. Die beklagte Partei vertritt weiterhin die Auffassung, daß bei Beurteilung der Unterhaltspflichten der Ehefrau des Klägers neben ihrer Pension auch noch das pauschalierte Einkommen gemäß § 140 Abs. 7 BSVG zu berücksichtigen wäre, wodurch sich der Unterhaltsanspruch des Klägers gegenüber seiner Ehefrau in einem solchen Umfang erhöhen würde, daß ein Anspruch auf Ausgleichszulage nicht mehr bestehe.
Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden.
Bei Anwendung des § 140 BSVG sind Unterhaltsansprüche des Pensionsberechtigten gegen die Ehegattin, sofern sie mit ihm nicht im gemeinsamen Haushalt lebt, gleichviel ob und in welcher Höhe die Unterhaltsleistung tatsächlich erbracht wird, nach § 142 Abs. 1 BSVG dadurch zu berücksichtigen, daß dem Nettoeinkommen des Pensionsberechtigten 25 v.H. des monatlichen Nettoeinkommens der Ehegattin zuzurechnen sind. Der so festgestellte Betrag vermindert sich jedoch in dem Ausmaß, in dem das dem Verpflichteten verbleibende Nettoeinkommen den Richtsatz gemäß § 141 Abs. 1 lit. b BSVG unterschreitet. Voraussetzung für die Anrechnung eines pauschalierten Unterhaltes im Sinn des § 142 BSVG ist daher, daß dem Kläger überhaupt dem Grunde nach ein gesetzlicher Unterhaltsanspruch gegen seine Ehefrau zusteht (vgl. SSV-NF 2/15, 10 Ob S 259/91 = SSV-NF 5/104 - in Druck; ebenso die stRspr des OLG Wien: SSV 23/50, 18/74, 18/23 ua). Da es sich um die Berücksichtigung eines Unterhaltsanspruchs handelt, ist auf jene Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes und die hiezu ergangene Rechtsprechung Bedacht zu nehmen, aus denen sich der Unterhaltsanspruch ergibt (SSV-NF 3/43).
Beziehen - wie im vorliegenden Fall - beide Ehegatten Einkommen, jedoch in wesentlich verschiedener Höhe, so stimmen Lehre und Rechtsprechung darin überein, daß der schlechter verdienende Partner, dessen zumutbarer Weise erzielbares Einkommen für seinen angemessenen Unterhalt nicht ausreicht, unabhängig von der Haushaltsführung einen entsprechenden Ergänzungsanspruch gegen den besser verdienenden Gatten hat (Schwimann/Schwimann ABGB I § 94 Rz 23 mit zahlreichen Judikaturnachweisen). Für die Höhe des Anspruches nach § 94 Abs. 2 Satz 3 ABGB ist maßgebend, daß er dazu dient, den trotz Anspannung der Kräfte durch eigenes Einkommen nicht gedeckten Unterhalt bis zur Höhe des angemessenen Unterhalts zu ergänzen. Die Höhe des angemessenen Unterhalts ist nach den Lebensumständen und der einvernehmlichen Lebensgestaltung durch die Ehegatten im Einzelfall individuell zu ermitteln. Zugleich hängt der Unterhaltszuspruch von der individuellen Leistungsfähigkeit des verpflichteten besser verdienenden Gatten ab. In Durchschnittsfällen, d.h. bei Durchschnittseinkommen und Fehlen besonderer Umstände erfaßt die Praxis beide Anspruchsvoraussetzungen dadurch, daß sie sich im Zweifel an richtlinienartigen Prozentwerten orientiert, die außerdem unterstellen, daß die faktischen Einkommen beider Teile dem Anspannungsgrundsatz entsprechen. Dieser Orientierungswert für den Unterhaltsergänzungsanspruch des schlechter verdienenden Ehegatten errechnet sich aus 40 % des Familieneinkommens (d.i. der Summe der Nettoeinkommen beider Gatten) gemindert um je weitere 4 %-Punkte für jedes unterhaltsberechtigte Kind des Verpflichteten; von diesem Anteil am Familieneinkommen ist schließlich das Nettoeinkommen des berechtigten Gatten zur Gänze abzuziehen (Schwimann aaO Rz 25 mzH auf die einhellige Rechtsprechung der Instanzengerichte; Pichler in Rummel ABGB2 Rz 3 a zu § 94; EFSlg. 55.950, 42.613 f ua). Der Oberste Gerichtshof hat diese Rechtsprechung der Gerichte zweiter Instanz (vgl. EF 47.504, 53.073, 55.950, 58.705, 60.314 f ua) als Maßstab zur Gleichbehandlung gleichartiger Fälle im Sinne einer Orientierungshilfe bei der Unterhaltsbemessung wiederholt gebilligt (7 Ob 503/91, 8 Ob 635/90, 3 Ob 141/90 ua). Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an.
Ausgehend von diesen Grundsätzen zeigt sich, daß es im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben kann, ob die Bestimmung des § 140 Abs. 7 BSVG bei Beurteilung des Nettoeinkommens der unterhaltspflichtigen Ehegattin Berücksichtigung finden muß. Eine Zurechnung zum Nettoeinkommen erfolgt nämlich nach § 142 Abs. 3 Satz 2 BSVG nur in der Höhe eines 14tels der jährlich tatsächlich zufließenden Unterhaltsleistung, wenn die nach Abs. 1 und 2 berechnete Unterhaltsforderung der Höhe nach trotz durchgeführter Zwangsmaßnahmen einschließlich gerichtlicher Exekutionsführung uneinbringlich oder die Verfolgung eines Unterhaltsanspruches in dieser Höhe offenbar aussichtslos ist. Zu der analogen Bestimmung des § 294 Abs. 3 Satz 2 ASVG hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, daß dann, wenn der geschiedene Ehegatte auf Grund einer Vereinbarung nach § 55 a Abs. 2 EheG nur zu einer Unterhaltsleistung verpflichtet ist, die geringer ist als die Pauschalanrechnung, die Verfolgung eines diese vertraglich festgesetzte Unterhaltsleistung übersteigenden Unterhaltsanspruches mangels eines gesetzlichen Anspruches und damit mangels eines durchsetzbaren höheren Unterhaltstitels offensichtlich aussichtslos wäre (10 Ob S 274/91 = SSV-NF 5/119 - in Druck - unter Hinweis auf SSV-NF 2/15). Dieser Grundsatz muß auch hier gelten, obwohl dem Kläger nach den Feststellungen tatsächlich keine Unterhaltsleistung der Ehegattin zufließt. Bei Anwendung der oben dargestellten unterhaltsrechtlichen Grundsätze ist nämlich ersichtlich, daß die Verfolgung eines höheren Unterhaltsanspruches als des von den Vorinstanzen mit S 971,40 monatlich angenommenen auf jeden Fall aussichtslos wäre. Selbst wenn man im Sinne des Standpunktes der beklagten Partei dem Nettoeinkommen der Ehefrau des Klägers ein fiktives Ausgedinge von S 544,-- monatlich hinzurechnete, würde sich ein Nettoeinkommen von S 7.515,40 und ein Familieneinkommen von S 12.356,30 ergeben; 40 % hievon würden S 4.942,52 ausmachen, somit das Nettogesamteinkommen des Klägers nur um rund S 100,-- übersteigen. Der monatliche Unterhaltsanspruch des Klägers gegen seine Ehefrau nach bürgerlich-rechtlichen Vorschriften wäre daher, wenn überhaupt, nur in einer Größenordnung von rund S 100,-- monatlich anzunehmen, die Verfolgung eines wesentlich höheren Unterhaltsanspruches also offenbar aussichtslos. Ob bei der Feststellung des Einkommens der unterhaltspflichtigen Person im Rahmen des § 142 Abs. 1 BSVG überhaupt fiktive Ausgedingsleistungen im Sinne des § 140 Abs. 7 BSVG zu berücksichtigen wären, muß daher nicht näher untersucht werden. Da auch die Anwendung des § 140 Abs. 7 BSVG keinesfalls zu dem von der beklagten Partei gewünschten Ergebnis führen kann, sind im vorliegenden Fall auch nicht die in anderen § 140 Abs. 7 BSVG betreffenden Verfahren ausgesprochenen verfassungsrechtlichen Bedenken zu untersuchen: In diesem Sinne ist § 140 Abs. 7 BSVG hier nicht präjudiziell.
Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Anmerkung
E29411European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1992:010OBS00064.92.0407.000Dokumentnummer
JJT_19920407_OGH0002_010OBS00064_9200000_000