Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Melber, Dr. Kropfitsch, Dr. Zehetner und Dr. Schinko als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Robert T*****, vertreten durch Dr. Christoph Raabe, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Walter E*****, vertreten durch Dr. Fritz Czerwenka, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 1,140.660,16 s.A. infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 16.Jänner 1991, GZ 13 R 205/91-84, womit die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 30.Mai 1990, GZ 29 Cg 214/89-55, zurückgewiesen wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Der Kläger hat die Kosten seines Rekurses selbst zu tragen.
Text
Begründung:
Die Ausfertigung des Ersturteils wurde der vom Kläger bevollmächtigten Rechtsanwältin Dr. ***** O***** am 26.6.1990 zugestellt. Innerhalb der Berufungsfrist stellte der Kläger den Antrag, ihm die Verfahrenshilfe zu gewähren und einen Rechtsanwalt für ihn zu bestellen, wenn möglich Dr. ***** O*****, die damit einverstanden sei. Mit Beschluß vom 18.12.1990 bewilligte das Erstgericht dem Kläger die Verfahrenshilfe einschließlich der Beigebung eines Rechtsanwaltes. Mit Bescheid der Rechtsanwaltskammer Wien vom 15.1.1991 wurde Dr. ***** O***** im Rahmen der Verfahrenshilfe zum Rechtsanwalt für den Kläger bestellt. Der Beschluß über die Bewilligung der Verfahrenshilfe und der angeführte Bestellungsbescheid wurden Dr. ***** O***** am 22.1.1991 und dem Kläger am 23.1.1991 zugestellt. Am 24.1.1991 teilte der Kläger dem Erstgericht mit, daß er bei der Rechtsanwaltskammer einen Antrag auf Umbestellung des Verfahrenshelfers gestellt habe, wobei sich aus der Kopie dieses Antrags ergibt, daß er die Umbestellung deshalb anstrebe, weil Dr. ***** O***** nicht seine Interessen, sondern die seines Gegners verfolge und daß er um die Bestellung des Rechtsanwaltes Dr. Ulrich H***** zu seinem Verfahrenshelfer ersucht hatte. Mit Bescheid der Rechtsanwaltskammer vom 24.1.1991 wurde anstelle Dris. O***** Dr. Ulrich H***** als Vertreter des Klägers in dieser Rechtssache gemäß § 45 Abs.1 RAO bestellt. Am 7.2.1991 stellte Dr. Ulrich H***** den Antrag, dem Kläger die Verfahrenshilfe abzuerkennen. Mit Bescheid der Rechtsanwaltskammer Wien vom 12.2.1991 wurde über Ersuchen Dris. Ulrich H***** an dessen Stelle Dr. Felix H***** zum Vertreter des Klägers bestellt. Mit dem am 28.2.1991 beim Erstgericht eingelangten Umbestellungsbescheid der Rechtsanwaltskammer vom 22.2.1991 wurde schließlich über Ersuchen des Klägers anstelle Dris. Felix H***** Dr. ***** R***** in dieser Sache zum Rechtsanwalt des Klägers bestellt. Dieser Umbestellungsbescheid wurde Dr. R***** von der Rechtsanwaltskammer am 28.2.1991 zugestellt. Dr. R***** hatte weder von der Rechtsanwaltskammer noch vom Erstgericht eine Urteilsausfertigung zugestellt erhalten.
Dr. R***** gab am 10.4.1991 eine Berufung gegen das Ersturteil zur Post.
Mit dem unbekämpft gebliebenen Beschluß vom 2.10.1991 wies das Erstgericht den Antrag auf Entziehung der dem Kläger bewilligten Verfahrenshilfe ab. Dr. R*****, dem dieser Beschluß am 7.10.1991 zugestellt wurde, gab am 25.10.1991 neuerlich eine Berufung zur Post, die mit der bereits vorher eingebrachten inhaltlich gleich war.
Das Berufungsgericht wies die Berufung des Klägers zurück. Es führte aus, durch den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe sei die Berufungsfrist unterbrochen worden und habe erst mit der Zustellung des Bestellungsbeschlusses an Dr. ***** O***** wieder zu laufen begonnen. Die Zustellung einer Urteilsausfertigung an Dr. O***** zugleich mit der Zustellung des Bestellungsbeschlusses sei nicht erforderlich gewesen, weil Dr. O***** diese bereits vorher als bevollmächtigte Vertreterin des Klägers erhalten habe. Durch die Umbestellungen sei die Berufungsfrist jeweils unterbrochen worden. Die Frist habe erst mit der Zustellung des Bestellungsbescheides an Dr. R***** am 28.2.1991 wieder zu laufen begonnen. Die Zustellung einer Urteilsausfertigung an diesen Rechtsanwalt sei für den Beginn des Fristlaufes nicht erforderlich gewesen, weil die Urteilsausfertigung bereits an Dr. ***** O***** zugestellt worden sei und es bei wiederholten Umbestellungen nicht Sache des Gerichtes sein könne, jeweils wieder eine Urteilsausfertigung zuzustellen. Nicht einhellig gelöst werde die Frage, ob der Antrag des im Rahmen der Verfahrenshilfe bestellten Rechtsanwaltes, die Verfahrenshilfe für erloschen zu erklären oder zu entziehen, die im Lauf befindliche Rechtsmittelfrist unterbreche. Dies sei vom Obersten Gerichthof unter Ablehnung der gegenteiligen Ansicht Faschings in SZ 51/59 in Anschluß an die zur früheren Rechtslage ergangene Entscheidung JBl.1958, 209 bejaht worden. In der Entscheidung 7 Ob 683/90 habe der Oberste Gerichtshof hingegen von der Bestimmung des § 68 Abs.4 ZPO ausgehend dargelegt, daß der Antrag des im Rahmen der Verfahrenshilfe bestellten Rechtsanwaltes auf Entziehung oder Erlöschen der Verfahrenshilfe eine im Lauf befindliche Rechtsmittelfrist nicht unterbricht. Erst die Zustellung des Beschlusses, mit welchem das Gericht die Verfahrenshilfe für erloschen erkläre oder entziehe, unterbreche gemäß § 68 Abs.4 ZPO den Lauf der Rechtsmittelfristen. Der bestellte Rechtsanwalt sei noch bis zum Eintritt der Rechtskraft dieses Beschlusses berechtigt und verpflichtet, für die Partei zu handeln, soweit dies zum Schutz vor Rechtsnachteilen nötig sei. Das Berufungsgericht schließe sich dieser - der Bestimmung des § 68 Abs.4 ZPO entsprechenden und auch von Fasching (vgl. ErgBd.55 und ZPR2, Rz 504) vertretenen - Ansicht an. Im vorliegenden Fall sei überdies eine Beeinträchtigung der Rechte des die Verfahrenshilfe genießenden Klägers auch deshalb ausgeschlossen, weil es unmittelbar nach dem von Rechtsanwalt Dr. Ulrich H***** gestellten Entziehungsantrag ohnedies wieder zu einer Umbestellung des im Rahmen der Verfahrenshilfe bestellten Rechtsanwaltes gekommen sei. Die vierwöchige Berufungsfrist habe daher mit der Zustellung des Umbestellungsbescheides an Dr. R***** am 28.2.1991 endgültig wieder zu laufen begonnen und habe am 28.3.1991 geendet. Die am 10.4.1991 zur Post gegebene Berufungsschrift und erst recht die am 25.10.1991 zur Post gegebene Berufungsschrift seien daher nicht innerhalb der Berufungsfrist erhoben worden.
Der Kläger bekämpft den Beschluß des Berufungsgerichtes mit Rekurs und beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und dem Berufungsgericht die Entscheidung über die Berufung aufzutragen.
Rechtliche Beurteilung
Die Vorinstanzen legten dieses Rechtsmittel zutreffend, ohne es vorher dem Beklagten zuzustellen, dem Obersten Gerichtshof vor, weil ein Rekurs gegen einen Beschluß, mit welchem eine Berufung aus formellen Gründen gemäß § 519 Abs.1 Z 1 ZPO zurückgewiesen wurde, nicht zweiseitig im Sinne des § 521 a ZPO ist (EFSlg.57.848 ua, zuletzt 4 Ob 504/92; ebenso Fasching, ZPR2, Rz 1980, die gegenteilige Meinung wird allerdings im selben Werk unter Rz 1834 vertreten).
Der Rekurs ist nicht berechtigt.
Der Rechtsmittelwerber vertritt die Ansicht, durch die Zustellung des Umbestellungsbescheides durch die Rechtsanwaltskammer habe die Berufungsfrist nicht neu zu laufen begonnen, dies würde nur durch eine vom Gericht verfügte Zustellung unter Anschluß einer Ausfertigung der anzufechtenden Entscheidung bewirkt werden. Der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer sei eine Verwaltungsbehörde, eine solche könne aber keine gerichtliche Frist auslösen. Außerdem hätte das Gericht in seinem Akt keinen Beleg, wann die Zustellung erfolgt sei. Auch bei Umbestellungen sei eine Urteilsausfertigung anzuschließen, der zunächst bestellte Verfahrenshelfer sei nicht verpflichtet, die Urteilsausfertigung dem neuen Verfahrenshelfer zu übermitteln, auch diesem sei es nicht zuzumuten, die anzufechtende Entscheidung zu besorgen. Aber auch die Frage, ob der Antrag eines Verfahrenshelfers auf Entziehung der Verfahrnshilfe die laufende Rechtsmittelfrist unterbreche, sei vom Berufungsgericht unrichtig gelöst worden. Der Entscheidung 7 Ob 683/90 könne nicht zugestimmt werden. Ein Beschluß auf Entziehung der Verfahrenshilfe wirke ex tunc. Es wäre eine erhebliche Beeinträchtigung der Rechte der Verfahrenshilfe genießenden Partei, wenn sie zu Rechtshandlungen gezwungen wäre, ohne zu wissen, ob sie Verfahrenshilfe genieße oder nicht.
Diesen Ausführungen ist folgendes zu erwidern:
Richtig ist, daß der Oberste Gerichtshof früher die Meinung vertreten hat, ein Antrag auf Entziehung der Verfahrenshilfe unterbreche die Berufungsfrist (SZ 51/59). In der Entscheidung 7 Ob 683/90 wurde jedoch die gegenteilige Ansicht vertreten. Der erkennende Senat schließt sich dieser Entscheidung an, die auch der Ansicht von Fasching entspricht (ErgBd 55 und ZPR2 Rz 504). Ein Verfahrenshelfer, der gemäß § 68 Abs.2 ZPO den Antrag stellt, der Partei die Verfahrenshilfe zu entziehen, ist gemäß § 68 Abs.4 ZPO weiterhin verpflichtet, für die Partei zu handeln, soweit dies nötig ist, um sie vor Nachteilen zu schützen. Eine Unterbrechung der Berufungsfrist ist daher zum Schutz der Partei nicht erforderlich. Erst die Zustellung des Beschlusses, womit das Gericht die Verfahrenshilfe entzieht, unterbricht die Berufungsfrist. Eine Unterbrechung aufgrund des Entziehungsantrages ist im Gesetz nicht vorgesehen. Zweck der Verfahrenshilfe ist es, jedermann in gleicher Weise den Zutritt zum Recht ohne Rücksicht auf die materielle Lage sicherzustellen (Fasching, ZPR2, Rz 481). Vor einer nachträglichen Belastung mit Kosten der Prozeßführung wird die Partei aber nicht unbedingt geschützt. Abgesehen davon, daß die im Fall des Unterliegens bestehende Kostenersatzpflicht gegenüber dem Gegner durch die Verfahrenshilfe nicht berührt wird, kann das Gericht gemäß § 68 Abs.2 ZPO auch von Amts wegen die Verfahrenshilfe entziehen. Es wäre nicht gerechtfertigt, die Unterbrechungswirkung der Entziehung der Verfahrenshilfe bei einem Antrag des Verfahrenshelfers in einem früheren Zeitpunkt anzunehmen als bei amtswegiger Entziehung. Durch den von Dr. Ulrich H***** gestellten Antrag auf Entziehung der Verfahrenshilfe wurde die Berufungsfrist daher nicht unterbrochen.
Der Oberste Gerichtshof vertritt zwar - im Gegensatz zum Verwaltungsgerichtshof (vgl. AnwBl.1983, 545) - in ständiger Rechtsprechung die Ansicht, daß bei einer Umbestellung des Verfahrenshilfeanwaltes die Frist neu zu laufen beginnt (SZ 44/133; AnwBl.1984, 448; 1 Ob 508,509/85 = Jus extra 4, 14 ua). Für den Beginn der neuen Frist ist es aber nicht erforderlich, daß der Umbestellungsbescheid der Rechtsanwaltskammer vom Gericht zugestellt wird. Dies hat der Oberste Gerichtshof bisher zwar noch nicht ausdrücklich ausgesprochen, in den Entscheidungen 3 Ob 33/81 und 1 Ob 508,509/85 wurde die Frist aber jeweils ab dem Tag der Zustellung berechnet, die bereits einen Tag nach Erlassung des Bescheides erfolgte. Es kann sich daher nur um eine von der Rechtsanwaltskammer direkt veranlaßte Zustellung gehandelt haben. In 3 Ob 33/81 wurde überdies darauf hingewiesen, daß der Bescheid an dem Tag bei Gericht einlangte, an dem er der Partei zugestellt wurde und von welchem an die Frist zu berechnen ist. Daraus ergibt sich eindeutig, daß die Zustellung des Bescheides an die Partei nicht vom Gericht vorgenommen worden sein kann. Eine Notwendigkeit, einen Umbestellungsbescheid durch das Gericht zuzustellen, ergibt sich auch nicht aus dem Gesetz. Die Rekursausführungen darüber, daß bei Zustellung durch die Rechtsanwaltskammer kein Zustellnachweis im Gerichtsakt sei, sind nicht zielführend. Zweifel über den Tag der Zustellung dürfen nicht zu Lasten des Rechtsmittelwerbers gehen. Im vorliegenden Fall steht aber fest, wann die von der Rechtsanwaltskammer eingeschrieben verfügte Zustellung der Umbestellung an Rechtsanwalt Dr. R***** erfolgte.
Schließlich kann auch die Ansicht nicht geteilt werden, daß bei einer Umbestellung die Frist erst beginnt, wenn dem neu bestellten Verfahrenshelfer eine Entscheidungsausfertigung zugestellt wird. Derartiges kann dem Gesetz nicht entnommen werden. Dem zunächst bestellten Verfahrenshilfeanwalt ist zwar gemäß § 464 Abs.3 ZPO eine schriftliche Urteilsausfertigung zuzustellen, dies ist für den Beginn der Frist erforderlich. Auf den Fall der Umbestellung ist dies aber nicht anzuwenden (auch in 3 Ob 33/81 und 1 Ob 508,509/85 erfolgte offenbar keine neuerliche Urteilszustellung). Derartiges ist auch im Hinblick darauf, daß die Berufungsfrist nunmehr 4 Wochen beträgt, zum Schutz der Partei nicht erforderlich, es steht ausreichend Zeit zur Verfügung, um die Übermittlung der Entscheidungsausfertigung von einem Verfahrenshilfeanwalt an den anderen zu ermöglichen (vgl. die Ausführungen von Fasching in ZPR2, Rz 500 darüber, daß durch die Unterbrechung der Rechtsmittelfristen erhebliche Verfahrensverzögerungen verbunden sein können, Mißbrauch nicht auszuschließen ist und die Regelung der Unterbrechung in der derzeitigen Form nur sachgerecht war, solange die Rechtsmittelfristen höchstens 14 Tage betrugen).
Der Ansicht des Berufungsgerichtes, die Berufungsfrist habe mit der Zustellung des Umbestellungsbescheides an Rechtsanwalt Dr. R***** am 28.2.1991 neu zu laufen begonnen, ist somit beizupflichten. Schon die erste der von Dr. R***** eingebrachten Berufungsschriften wurde erst nach Ablauf der Berufungsfrist erhoben.
Aus diesen Gründen war dem Rekurs ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Rekurskosten beruht auf den §§ 40, 50 ZPO.
Anmerkung
E29166European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1992:0020OB00529.92.0408.000Dokumentnummer
JJT_19920408_OGH0002_0020OB00529_9200000_000