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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §69;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Höfinger und Dr. Thoma als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Siegl, über die Beschwerde der Gemeinde L, vertreten durch Dr. Günter Wappel, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Landskrongasse 8/1a, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 22. September 2005, Zl. FA7A-483-769/05-01, betreffend Wiederaufnahme i.A. Getränkeabgabe (mitbeteiligte Partei: S in H, vertreten durch Dr. Günther Bernhart und Dr. Gerhard Pail, Rechtsanwälte in 7400 Oberwart, Evangelische Kirchengasse 2), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Steiermark hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Unbestritten ist, dass der Mitbeteiligte im Jahre 1999 für die Lieferung alkoholischer Getränke keine Getränkeabgabe entrichtete. Am 25. März 2000 verfasste er gemäß § 10 Abs. 5 des (Steiermärkischen) Getränke- und Speiseeisabgabengesetzes 1993 eine Jahreserklärung für das Kalenderjahr 1999, in der er die Abgabe aus dem Verkauf von Wein, Bier, Spirituosen und Sekt mit Null bezifferte. Den vorgelegten Verwaltungsakten zufolge langte diese Jahreserklärung am 28. März 2000 bei der Beschwerdeführerin ein.
Mit der in Rechtskraft erwachsenen Berufungsvorentscheidung vom 5. Oktober 2000 setzte der Bürgermeister der Beschwerdeführerin u.a. die auf die Lieferung alkoholischer Getränke während der Jahre 1995 bis einschließlich 1999 entfallende Getränkeabgabe mit Null, die auf die Lieferung alkoholfreier Getränke, Aufgussgetränke und Speiseeis entfallende Getränkeabgabe mit dem Betrag von S 129.511,60 fest und sprach weiters aus, die bisher für den Rechtsbehelfszeitraum für alkoholische Getränke entrichtete Getränkeabgabe in der Höhe von S 224.326,60 stelle nunmehr ein Guthaben dar.
Mit Bescheid vom 7. Jänner 2003 verfügte der Bürgermeister der Beschwerdeführerin aus Anlass einer beim Mitbeteiligten erfolgten Nachschau die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 224 Abs. 3 LAO hinsichtlich der mit Bescheid vom 5. Oktober 2000 erfolgten rechtskräftig gewordenen Getränkeabgabefestsetzung für den Zeitraum vom 1. Jänner bis zum 31. Dezember 1999, weil - so die Begründung dieses Bescheides - eine abgabenbehördliche Nachschau ergeben habe, dass der Mitbeteiligte bei einem "Kirtag" ausschließlich Fixlöhner als Aushilfen beschäftigt habe. Er habe zu Unrecht Bedienungsentgelt von den Erlösen abgezogen.
Mit einem weiteren Bescheid vom selben Tag setzte der Bürgermeister der Beschwerdeführerin für den Zeitraum vom 1. Jänner bis zum 31. Dezember 1999 unter Zugrundelegung einer auf alkoholische Getränke entfallenden Bemessungsgrundlage von EUR 56.231,30 und einer darauf entfallenden Getränkeabgabe von EUR 5.623,10 die zu entrichtende Getränke- und Speiseeisabgabe mit dem Betrag von EUR 7.834,40 fest. Begründend führte die Abgabenbehörde erster Instanz hiezu aus, der mit 25. März 2000 datierte, am 28. d.M. eingelangte Schriftsatz des Mitbeteiligten erfülle für den bescheidgegenständlichen Zeitraum nicht die Voraussetzung einer im Sinne des Urteils des Europäischen Gerichtshofes vom 9. März 2000, C 437/97, bis zum 8. März 2000, 24.00 Uhr "erhobenen Klage" oder des "entsprechenden Rechtsbehelfs.
In seiner Berufung vom 3. Februar 2003 gegen "den ergangenen Bescheid vom 7.1.2003 betreffend die Wiederaufnahme sowie die Festsetzung der Getränkeabgabe für den Zeitraum vom 1.1.1999 bis 31.12.1999" bekämpfte der Mitbeteiligte die Festsetzung der Getränkeabgabe auf alkoholische Getränke im Betrag von EUR 5.623,10.
Mit Bescheid vom 6. Juli 2005 wies der Gemeinderat der Beschwerdeführerin diese Berufung als unbegründet ab. Durch die bei der Prüfung hervorgetretenen neuen Tatsachen sei die Wiederaufnahme des Verfahrens zu verfügen gewesen. Gegen diese Argumentation seien in der Berufung auch keine Einwände eingebracht worden. Betreffend die Festsetzung der Getränkeabgabe auf alkoholische Getränke führte dieser Bescheid im Wesentlichen aus, das Anbringen vom 25. März 2000 erfülle schon aus zeitlichen Gründen nicht die erforderliche Qualifikation einer vor Erlass des Urteils des EuGH vom 9. März 2000, C 437/97, "erhobenen Klage" oder eines "eingelegten entsprechenden Rechtsbehelfs", sodass sich der Mitbeteiligte nicht auf dieses Urteil habe berufen können. Im Übrigen sei im Fall eines offenen Berufungsverfahrens auch nach wie vor davon auszugehen, dass beim vorliegenden Gastronomiebetrieb die Getränkeabgabe auf alkoholfreie Getränke und auf Aufgussgetränke sowie die Speiseeisabgabe gemeinschaftsrechtskonform im Sinn des zitierten Urteils des EuGH festgesetzt werden müsste; darüber hinausgehend aber auch sehr wohl noch die Getränkeabgabe auf alkoholische Getränke, welche in Gastronomiebetrieben auch nach der Ansicht des EuGH auf Grund des Umstandes, vorrangig eine Dienstleistung zu besteuern, mit der Verbrauchssteuerrichtlinie und somit mit Gemeinschaftsrecht nicht kollidiere "(EuGH C 491/03 vom 10.03.2005)". Die vorliegende Berufung richte sich ausschließlich auf die Frage der Überwälzung und Bereicherung, die aber nicht Gegenstand der Bescheide vom 7. Jänner 2003 gewesen sei, weil es sich hiebei um eine Festsetzung der Getränkeabgabe handle. Die Argumentation gehe daher ins Leere.
Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Vorstellung, in der er vorbrachte, der Bescheid vom 7. Jänner 2003 betreffend die Festsetzung der Getränke- und Speiseeisabgabe für das Jahr 1999 sei als nichtig zu bezeichnen, weil er vor Rechtskraft des die Wiederaufnahme verfügenden Bescheides ergangen sei. Im Übrigen sei festzuhalten, dass "für den Rechtsbehelfszeitraum 1995 bis 1999" der rechtskräftige Bescheid vom 5. Oktober 2000 vorliege. Die Beschwerdeführerin habe für den Rechtsbehelfszeitraum 1995 bis 1999 keine Wiederaufnahme des Verfahrens verfügt, sondern ausschließlich für den Zeitraum vom 1. Jänner bis zum 31. Dezember 1999. Der Bescheid vom 5. Oktober 2000 sei sohin noch immer rechtskräftig, diesbezüglich liege kein Wiederaufnahmeverfahren und Wiederaufnahmebescheid vor, sodass der Bescheid vom 7. Jänner 2003 betreffend die Festsetzung der Getränkeabgabe nicht hätte erlassen werden dürfen. Mit dem nach wie vor geltenden Bescheid vom 5. Oktober 2000 sei festgestellt, dass durch eine Nullerklärung und/oder einen Rückzahlungsantrag und/oder einen Festsetzungsantrag, eingelangt am 10. Juni 1998 (somit vor dem 9. März 2000) ein Rechtsbehelf eingelegt worden sei, sodass sich der Mitbeteiligte auf die Richtlinienwidrigkeit der Getränkeabgabe auf alkoholische Getränke berufen könne. Die Argumentation der Abgabenbehörde zweiter Instanz, dass der Rechtsbehelf verspätet wäre, sei sohin unzutreffend.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Vorstellung des Mitbeteiligten Folge und hob den Bescheid des Gemeinderates der Beschwerdeführerin vom 6. Juli 2005 "wegen Verletzung von Rechten des Vorstellungswerbers" auf und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Beschwerdeführerin. Begründend führte dieser Bescheid nach Darstellung des Verfahrensganges und Wiedergabe aus § 94 der Steiermärkischen Gemeindeordnung 1967 zusammengefasst aus, dem Verwaltungsakt sei zu entnehmen, dass der Mitbeteiligte betreffend das Jahr 1999 zwei Anträge eingebracht habe, nämlich die mit 1. Oktober 1997 datierte Erklärung, dass sämtliche Zahlungen für 1997 und die Folgejahre unter Vorbehalt erfolgten, und den Rückzahlungsantrag betreffend den Zeitraum 1995 bis 1999, datiert mit 25. März 2000. Betreffend die Erklärung, künftige Zahlungen unter Vorbehalt zu leisten, werde ausgeführt, dass Prozesserklärungen für die Zukunft nicht als Schritte zur Wahrung der Rechte angesehen werden könnten. Bezugnehmend auf den Rückzahlungsantrag vom 25. März 2000 werde festgestellt, dass die im obgenannten Urteil des EuGH geforderte Antragstellung vor 0.00 Uhr des 9. März erfolgt sein müsste, um in den Anwendungsbereich der vom EuGH eröffneten Möglichkeit, sich auf dieses Urteil zu berufen, zu gelangen. Da im Beschwerdefall der Rückzahlungsantrag betreffend das Jahr 1999 unbestrittener Maßen erst nach dem genannten Zeitpunkt bei der Abgabenbehörde eingebracht worden sei, stehe die nicht rechtzeitige Erhebung des Antrages einer Beurteilung als Rechtsbehelf im Sinne des Punktes 3. des Tenors des Urteils vom EuGH vom 9. März 2000, C 437/97, entgegen.
Der angefochtene Bescheid des Gemeinderates sei jedoch aus einem anderen Grund mit einem Verfahrensmangel behaftet: Der Mitbeteiligte rüge, dass sich der Bescheid des Bürgermeisters der beschwerdeführenden Partei vom 5. Oktober 2000 auf den Zeitraum 1995 bis 1999 bezogen hätte, der die Wiederaufnahme verfügende Bescheid jedoch nur auf das Jahr 1999. Daher wäre die Berufungsvorentscheidung noch immer rechtskräftig und hätte der Festsetzungsbescheid für das Jahr 1999 nicht erlassen werden dürfen. Mit der amtswegigen Verfügung der Wiederaufnahme sei die ursprünglich rechtskräftige Festsetzung der Jahre 1995 bis 1999 zur Gänze beseitigt worden. Die von Amts wegen verfügte Wiederaufnahme eines Abgabenverfahrens führe nämlich zur gänzlichen Beseitigung des Bescheides, der das wiederaufgenommene Verfahren seinerseits zum Abschluss gebracht habe. Der frühere Bescheid trete daher durch die Wiederaufnahme zur Gänze - und nicht nur soweit der Wiederaufnahmsgrund in seinen Wirkungen reiche - außer Kraft. Es trete "Totalwiederaufnahme" ein, es komme nicht zu einer Bescheidbeseitigung im Ausmaß der Wirkung des Wiederaufnahmegrundes; auch in diesem Belang gebe es keine so genannte "Teilrechtskraft". Dementsprechend hätte eine Abgabenfestsetzung des gesamten Zeitraumes, nämlich für 1995 bis 1999, erfolgen müssen. Da die Abgabenbehörde erster Instanz jedoch nur die Getränkeabgabe für das Jahr 1999 festgesetzt habe und der durch Berufung angerufene Gemeinderat diesen Mangel nicht aufgegriffen habe, erweise sich der mit Vorstellung bekämpfte Bescheid des Gemeinderates seinerseits als rechtswidrig.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde erachtet sich die Beschwerdeführerin u.a. in ihrem Recht, bei Vorliegen der sachlichen und formellen Voraussetzungen eine Berufung mittel Berufungsentscheidung als unbegründet abzuweisen, und in ihrem Recht, dass die Vorstellungsbehörde nicht ohne Rechtsgrundlage in bestandkräftige Bescheide eingreife, verletzt; sie beantragt die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Ebenso beantragt der Mitbeteiligte die Abweisung der Beschwerde als unbegründet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem nach § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die Beschwerdeführerin wendet sich in ihrer Berufung vorerst gegen die Ansicht der belangten Behörde, wonach im vorliegenden Fall einer Abgabenbemessung über mehrere Abgabenzeiträume eine "Totalwiederaufnahme" zu ergehen gehabt hätte. Mit diesem Vorbringen ist die Beschwerdeführerin im Recht.
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 5. April 1991, Zl. 89/17/0226 (mwN), ausführte, hat die Wiederaufnahme des Verfahrens den Zweck, ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren, dem besondere Mängel anhaften, aus den im Gesetz erschöpfend aufgezählten Gründen aus der Welt zu schaffen und die Rechtskraft des Bescheides zu beseitigen. Wurden mit einem rechtskräftigen Bescheid mehrere Verfahren abgeschlossen, was nicht nach der formalen Zusammenfassung im Spruch des Bescheides, sondern nach dem Inhalt der erledigten Angelegenheiten zu beurteilen ist, so kommt eine Durchbrechung der Rechtskraft des früheren Bescheides nur insoweit in Betracht, als für die einzelnen Angelegenheiten je für sich die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens bestanden und deshalb die Wiederaufnahme verfügt wurde. Maßgebend dafür, welche Verfahren betreffend rechtskräftig abgeschlossene Angelegenheiten in einem konkreten Fall wieder aufgenommen wurden, ist der Spruch des Wiederaufnahmebescheides (vgl. auch Stoll, BAO-Kommentar, S. 2958, zum sog. "Bescheidbündel", sowie Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetz I2, E 6 zu § 70 AVG).
Im vorliegenden Fall umfasste der Abgabenbescheid vom 5. Oktober 2000 die Abgabenzeiträume 1995 bis einschließlich 1999. Mit dem erstgenannten Bescheid vom 7. Jänner 2003 wurde ausdrücklich nur die Wiedernahme des Verfahrens betreffend die Getränkeabgabefestsetzung für den Zeitraum vom 1. Jänner bis zum 31. Dezember 1999 verfügt. Da es sich bei den Bemessungszeiträumen der Jahre 1995 bis einschließlich 1999 um verschiedene und trennbare Abgabenansprüche handelt, hat sich die mit Bescheid vom 7. Jänner 2003 verfügte Wiederaufnahme nicht auch auf die Absprüche für die Jahre 1995 bis einschließlich 1998 erstreckt. Die Wiederaufnahme betreffend den Zeitraum des Jahres 1999 bewirkte auch nicht eine Änderung der Abgabenfestsetzung für frühere Bemessungszeiträume (vgl. das zitierte hg. Erkenntnis vom 5. April 1991).
Der Abgabenbehörde zweiter Instanz kann daher nicht entgegengetreten werden, wenn sie in ihrem Bescheid vom 6. Juli 2005 die Wiederaufnahme nur im Umfang des erstinstanzlichen Bescheides bestätigte und auch ihre Abgabenfestsetzung auf den durch die Wiederaufnahme betroffenen Zeitraum für das Jahr 1999 beschränkte.
Nach dem Gesagten belastete die belangte Behörde ihren angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich im Rahmen des geltend gemachten Kostenersatzbegehrens auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 26. Jänner 2006
Schlagworte
Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2005160256.X00Im RIS seit
21.02.2006