TE OGH 1992/4/23 7Ob7/92

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Veröffentlicht am 23.04.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta, Dr.Egermann, Dr.Niederreiter und Dr.Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Peter S*****, vertreten durch Dr.Heinz Bauer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei A*****-C***** Versicherung AG, *****, vertreten durch Dr.Karl G.Aschaber und andere Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen Vorlage einer Urkunde (Revisionsinteresse S 50.000), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 20.Dezember 1991, GZ 4 R 324/91-11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 10.Oktober 1991, GZ 10 Cg 198/91-7, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 3.623,04 (darin enthalten S 603,84 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist bei der Beklagten unfallversichert. Dem Versicherungsvertrag liegen die AUVB 1983 zugrunde, deren Art 7 Z 6 als Pflicht des Versicherten nach Eintritt eines Unfalls ua festlegt, daß er sich auf Verlangen des Versicherers durch die von diesem bezeichneten Ärzte untersuchen läßt.

Am 19.8.1989 kam der Kläger durch einen von einem Dritten versetzten kräftigen Stoß zu Sturz und zog sich dabei einen Trümmerbruch des linken Tibiakopfes zu. Im Prozeß gegen den Verletzer (40 Cg 47/90 des Erstgerichtes) wurde dem Kläger ein Schmerzengeld von S 130.000 zuerkannt. Weiters wurde festgestellt, daß ihm der Verletzer für alle künftigen Schäden zu haften habe.

Der Kläger hat wegen dieses Vorfalles Ansprüche bei der Beklagten aus der Unfallversicherung angemeldet. Die Beklagte holte auf ihre Kosten ein fachärztliches Gutachten über die Verletzungsfolgen des Klägers ein. Davor hatte sie den Kläger aufgefordert, sich von diesem Sachverständigen untersuchen zu lassen, welchem Ersuchen der Kläger auch nachgekommen ist. Mit Schreiben vom 25.4.1991 teilte die Beklagte dem Kläger mit, daß das Ereignis vom 19.8.1989 nicht geeignet gewesen sei, die erlittenen Verletzungen zu verursachen; daher bestehe kein Anspruch auf eine Leistung aus der Unfallversicherung. Die Beklagte weigert sich, dem Kläger in das fachärztliche Gutachten Einsicht nehmen zu lassen.

Der Kläger begehrt von der Beklagten, ihn in das über das - den Gegenstand des Verfahrens 40 Cg 47/90 des Erstgerichtes bildende - Sturzgeschehen vom 19.8.1989 erstellte fachärztliche Gutachten Einsicht zu gewähren und auf seine Kosten eine Fotokopie anfertigen zu lassen. Dieses Gutachten sei eine den Streitteilen gemeinschaftliche Urkunde im Sinne des § 304 Abs 2 ZPO, in die ihn die Klägerin gemäß Art XLIII ZPO auch außerhalb eines anhängigen Rechtsstreites Einsicht gewähren müsse. Der Kläger habe am Zustandekommen des Gutachtens durch seine Teilnahme an der vorangegangenen ärztlichen Untersuchung mitgewirkt; das Gutachten sei auch in seinem Interesse erstellt worden. Die Einsichtnahme sei aber auch mit Rücksicht auf den im Versicherungsverhältnis herrschenden Grundsatz von Treu und Glauben geboten. Ohne diese Einsichtnahme sei es dem Kläger nicht möglich, sich über die möglichen Ansprüche aus der Unfallversicherung ein Bild zu machen. Daher habe er auch ein rechtliches Interesse an dieser Einsichtnahme.

Die Beklagte beantragt die Abweisung der Klage. Das auf ihre Kosten angefertigte fachärztliche Gutachten sei weder eine gemeinschaftliche Urkunde, noch habe der Kläger ein schutzwürdiges Interesse an einer Einsichtnahme. Dem Kläger gehe es nur um zusätzliche Informationen im Zusammenhang mit der Regulierung eines Schadensfalles. Die Beklagte sei nicht verpflichtet, über ihre Entscheidungsbildung Rechenschaft abzulegen. Die Weigerung, in das Gutachten Einsicht nehmen zu lassen, hindere den Kläger nicht, Ansprüche aus der Unfallversicherung geltend zu machen. Auch stehe ihm die Möglichkeit offen, sich selbst ein Gutachten erstellen zu lassen.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Aus dem zwischen den Streitteilen bestehenden Versicherungsvertrag ergebe sich als eine im Vertrag nicht ausdrücklich genannte Nebenpflicht die Verpflichtung der Beklagten, den Kläger in gemeinschaftliche Urkunden Einsicht nehmen zu lassen. Auch der Grundsatz von Treu und Glauben verpflichte den Versicherer zu einer derartigen Einsichtgewährung. Das fachärztliche Gutachten sei eine solche gemeinschaftliche Urkunde, weil der Kläger durch seine Teilnahme an der Untersuchung an ihrem Entstehen mitgewirkt habe. Dieses Gutachten sei aber auch im Interesse des Klägers errichtet worden. Mit der Verweigerung der Einsichtnahme würde dem Kläger die Durchsetzung seiner Rechte aus dem Unfallversicherungsvertrag erschwert. Das rechtliche Interesse des Klägers an der Einsichtnahme sei daher zu bejahen.

Das Berufungsgericht erachtete das Recht zur Einsichtnahme nur hinsichtlich des Teiles des fachärztlichen Gutachtens für gegeben, der das Ergebnis der Befundaufnahme des Sachverständigen wiedergibt, wies jedoch das Mehrbegehren auf Einsichtnahme in den gesamten Inhalt dieses Gutachtens ab. Weiters sprach das Berufungsgericht aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000 übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei.

Die dagegen vom Kläger erhobene Revision ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der ursprünglich geklagte Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit hat seinen Vertragsbestand (Versicherungsbetrieb) in die A*****-C***** Versicherung AG eingebracht. Anders als bei einer Vermögensübertragung nach § 60 Abs 1 VAG bleibt bei dieser Art der Einbringung des gesamten Versicherungsbetriebes eines Versicherungsvereines auf Gegenseitigkeit im Wege der Gesamtrechtsnachfolge in eine oder mehrere Aktiengesellschaften nach §§ 61a ff VAG der einbringende Versicherungsverein trotz der Anordnung der Gesamtrechtsnachfolge in §§ 61 Abs 1 und 61b Abs 1 VAG weiterhin bestehen; sein Gegenstand wird allerdings auf die Vermögensverwaltung beschränkt (§ 61b Abs 3 VAG). Der Übergang im Wege der Gesamtrechtsnachfolge wird in das Firmenbuch eingetragen (§ 61b Abs 1 VAG). Im vorliegenden Fall geschah das nach den Erhebungen im Firmenbuch am 25.10.1991. Da die AG seither den gesamten Versicherungsbetrieb des Vereins als dessen Gesamtrechtsnachfolgerin fortsetzt, war die Bezeichnung der Beklagten auf die AG richtigzustellen.

Die Frage, ob das über die bloße Befundaufnahme hinausgehende fachärztliche Gutachten, das sich die Beklagte zur Gewinnung von Entscheidungsgrundlagen über die Berechtigung der vom Kläger wegen des Ereignisses vom 19.8.1989 erhobenen Ansprüche auf eigene Kosten einholen ließ, eine gemeinschaftliche Urkunde im Sinne des § 304 Abs 2 ZPO (Art XLIII EGZPO) ist, kann im vorliegenden Fall auf sich beruhen. Gemäß Art XLIII EGZPO muß der Kläger neben der zivilrechtlichen Vorlagepflicht des Gegners auch ein eigenes privatrechtliches Interesse an der Urkundenvorlage behaupten und beweisen (SZ 23/363; SZ 56/117; SZ 61/208; Fasching II, 99). Das Bestehen eines rechtlichen Interesses wird aber immer dann verneint, wenn sich der Anspruchsteller durch die Einsichtnahme in Urkunden Beweismittel für einen beabsichtigten Rechtsstreit, insbesondere gegen den Besitzer der Urkunde, sichern will; in diesem Fall ist er auf die Bestimmungen über die - im Rahmen eines anhängigen Verfahrens

vorzunehmende - Urkundenvorlage gemäß § 304 ZPO zu verweisen (SZ 61/208 mwN, Bruck-Möller, VVG8 I 163).

Im vorliegenden Fall begründet der Kläger sein rechtliches Interesse an der Vorlage des Gutachtens gerade damit, sich auf Grund der Einsichtnahme Grundlagen für seine Ansprüche gegen die Beklagten aus der bestehenden Unfallversicherung verschaffen zu wollen. Mit diesem Interesse muß er sich aber auf die Urkundenvorlage im Prozeß verweisen lassen. Aber auch mit dem Hinweis auf die in Art 7 Z 6 AUVB 1983 enthaltene Verpflichtung des Versicherten, sich auf Verlangen des Versicherers durch einen Arzt untersuchen zu lassen, vermag der Kläger ein rechtliches Interesse an der Einsichtnahme in jenen Teil des Gutachtens, der die Befundaufnahme des Arztes übersteigt, nicht zu begründen. Aus dieser vertraglichen Verpflichtung ergibt sich nur ein schutzwürdiges Interesse an der Einsichtnahme in die Ergebnisse der Untersuchung. Zu welcher gutachtlichen Äußerung der ärztliche Sachverständige aber vom Versicherer aufgefordert wurde und zu welchen Schlußfolgerungen er dabei gelangt ist, wird von der Pflicht des Versicherten, sich durch einen Arzt untersuchen zu lassen, nicht berührt. Damit verschafft sich der Versicherer nur auf eigene Kosten Grundlagen für seine Entscheidung, sodaß an der Einsichtnahme in derartige Unterlagen außerhalb eines Prozesses durch den Versicherten kein rechtliches Interesse besteht.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Bemessungsgrundlage im Revisionsverfahren beträgt mangels konkreter anderer Anhaltspunkte nur mehr die Hälfte der vom Kläger vorgenommenen Bewertung des gesamten Streitgegenstandes.

Anmerkung

E28881

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:0070OB00007.92.0423.000

Dokumentnummer

JJT_19920423_OGH0002_0070OB00007_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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