Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Angst als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Robert Göstl aus dem Kreis der Arbeitgeber und Alfred Klair aus dem Kreis der Arbeitnehmer in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Volker M*****, vertreten durch Dr.Paul Delazer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, diese vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Gewährung eines höheren Hilflosenzuschusses, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 8. Oktober 1991, GZ 5 Rs 106/91-10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 23.Mai 1991, GZ 43 Cgs 27/91-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit 1.811,52 S (darin 301,92 S Umsatzsteuer und keine Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der am 2.7.1940 geborene Kläger bezieht von der beklagten Partei neben einer Invaliditätspension den Hilflosenzuschuß, der ihm im Jahr 1991 in der Höhe von 2.780,40 bezahlt wurde. Er leidet seit seinem 14.Lebensjahr an multipler Sklerose und kann sich nur im Rollstuhl fortbewegen. Wegen der mit seiner Krankheit verbundenen Lähmung der Beine sowie der damit verbundenen Einschränkung der Arme und des gesamten Sprechapparates bedarf er zu vielen lebensnotwendigen Verrichtungen fremder Hilfe.
Die beklagte Partei lehnte den Antrag des Klägers, ihm den Hilflosenzuschuß in der Höhe von 10.000 S zu gewähren, ab.
In seiner gegen diesen Bescheid der beklagten Partei gerichteten Klage brachte der Kläger vor, daß er einen durch seine Krankheit bedingten Mehraufwand von etwa 10.000 S im Monat habe. Gegen § 105a ASVG, nach dem sich der Hilflosenzuschuß nach der Höhe der Pension und nicht nach dem durch die Hilflosigkeit verursachten Aufwand bestimme, bestünden verfassungsrechtliche Bedenken.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger ab 1.2.1991 einen Hilflosenzuschuß von 10.000 S im Monat zu gewähren, mit der Begründung ab, daß der dem Kläger gewährte Hilflosenzuschuß dem § 105a Abs 2 ASVG entspreche.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge, wobei es die darin geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 105a ASVG nicht teilte.
Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, es nach Unterbrechung des Verfahrens zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit (des § 105a ASVG) durch den Verfassungsgerichtshof im Sinn des Klagebegehrens abzuändern.
Die beklagte Partei erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Auch in der Revision wird nur geltend gemacht, daß die Regelung des § 105a ASVG eine sachlich nicht begründete Gleichheitswidrigkeit bedeute und deshalb verfassungswidrig sei. Der Oberste Gerichtshof hat jedoch gegen die Verfassungsmäßigkeit der angeführten Bestimmung keine Bedenken. Dies hat er schon in seiner Entscheidung vom 9.7.1991, 10 Ob S 160/91 (= SSV-NF 5/74 - in Druck), zum Ausdruck gebracht, wobei er sich in dieser Entscheidung allerdings nur mit dem Verhältnis des § 105a ASVG zum § 27 PG befaßte und es wegen der Verschiedenheit der Rechtsgebiete als verfassungsrechtlich nicht bedenklich ansah, daß im § 105a ASVG die Höhe des Hilflosenzuschusses von der Höhe der Pension abhängt, während sie im § 27 Abs 2 und 3 PG in drei Stufen nach der Pflegeintensität abgestuft ist. Auch die Revision des Klägers führt zu keinem anderen Ergebnis:
Der Kläger übernimmt in der Revision in erster Linie die verfassungsrechtlichen Bedenken, die Tomandl in seinem Aufsatz "Der sozialversicherungsrechtliche Schutz bei Hilflosigkeit" in dem von ihm herausgegebenen Werk "Die Minderung der Leistungsfähigkeit im Recht der Sozialversicherung" geäußert hat (S 114 ff). Sie gehen einerseits dahin, daß die Höhe des Hilflosenzuschusses nach § 105a Abs 2 ASVG von der Höhe der Pension und nicht von der Höhe des Pflegeaufwandes abhängig sei. Hiezu hat aber schon das Berufungsgericht auf die Neufassung dieser Bestimmung durch die 32.ASVGNov BGBl 1976/704 hingewiesen, durch die eine Angleichung des für den Hilflosenzuschuß festgelegten Mindest- und Höchstbetrages erreicht werden soll, indem der - außerdem insgesamt um 400 S erhöhte - Mindestbetrag mit dem vollen Anpassungsfaktor gemäß § 108f ASVG zu vervielfachen ist, während für den Höchstbetrag nur der um 0,5 erhöhte halbe Anpassungsfaktor maßgebend ist. In den Erläuternden Bemerkungen wird die bloß schrittweise Erreichung des Zieles eines für alle Pensionsbezieher in gleicher Höhe gebührenden Hilflosenzuschusses mit der Höhe des erforderlichen Aufwandes begründet (181 BlgNR 14.GP 66). Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes bewegt sich der Gesetzgeber aber damit innerhalb der ihm eingeräumten rechtspolitischen Gestaltungsfreiheit (vgl VfSlg 9583 mwN), der es ihm auch ermöglicht, auf die finanziellen Gegebenheiten Bedacht zu nehmen. Überdies war in dem hier maßgebenden Jahr das Ziel eines einheitlichen Hilflosenzuschusses schon weitgehend erreicht, weil gemäß der Verordnung BGBl 1990/792 dem Mindestbetrag des Hilflosenzuschusses von 2.776 S der Höchstbetrag von 2.911 S gegenüberstand.
Entscheidend ist also, ob ein für alle Pensionsbezieher gleich hoher Hilflosenzuschuß ebenfalls gleichheits- und damit verfassungswidrig wäre. In diese Richtung gehen auch die von Tomandl (aaO 116) geäußerten, vom Kläger übernommenen Bedenken. Der Oberste Gerichtshof teilt sie jedoch nicht. Beim Hilflosenzuschuß handelt es sich, wie schon das Wort erkennen läßt, nicht um die vollständige Abgeltung des durch die Hilflosigkeit verursachten Mehraufwands, sondern nur um einen Pauschalbeitrag zu den hiedurch verursachten Kosten (vgl Kuderna in RdA 1988, 298). Es kann davon ausgegangen werden, daß für den Großteil der Pensionsbezieher gegebenenfalls der durch die Hilflosigkeit verursachte Mehraufwand etwa gleich hoch ist. Für den Großteil der Pensionsbezieher wird daher auch der Mehraufwand in gleichem Umfang ausgeglichen. Daß dies in einer verhältnismäßig geringen Anzahl von Fällen nicht zutrifft, weil der Aufwand in größerem oder geringerem Umfang als beim Durchschnitt der Pensionsbezieher ausgeglichen wird, macht die Regelung gemäß der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs nicht verfassungsrechtlich bedenklich. Nach dieser Rechtsprechung kann nämlich der Gesetzgeber eine Durchschnittsbetrachtung anstellen und es können Härtefälle ebenso unberücksichtigt bleiben wie einzelne Fälle einer Begünstigung (VfGH ZAS 1992, 61 unter Hinweis auf VfSlg 8871). Die von Tomandl an dieser Auffassung geübte Kritik (erstmals in ZAS 1980, 207ff und zuletzt in ZAS 1992, 68) muß unbeachtet bleiben, weil sich der Verfassungsgerichtshof ihr nicht angeschlossen hat.
Der in der Revision für die Verfassungswidrigkeit noch ins Treffen geführte Umstand, daß der einem Bezieher einer Vollrente aus der Unfallversicherung gemäß § 105a Abs 2 ASVG gebührende Hilflosenzuschuß unter Umständen doppelt so hoch - im übrigen aber auch niedriger - wie der den Beziehern einer Pension aus der Pensionsversicherung gebührende Hilflosenzuschuß sein kann, vermag verfassungsrechtliche Bedenken nicht hervorzurufen, weil es sich bei den verglichenen Versicherungen um verschiedene Zweige der Sozialversicherung handelt, die unterschiedliche Zielsetzungen haben: Während es Aufgabe der Pensionsversicherung ist, den Lebensunterhalt des Versicherten und seiner Angehörigen im Alter und bei Minderung seiner Arbeitfähigkeit zu sichern sowie im Fall des Todes des Versicherten für ein Einkommen der Hinterbliebenen zu sorgen (Grillberger, Sozialrecht 62), werden in der Unfallversicherung die Folgen eines Arbeitsunfalls im weitesten Sinn oder einer Berufskrankheit ausgeglichen. Es muß aber dem Gesetzgeber im Rahmen der ihm zustehenden rechtspolitischen Gestaltungsfreiheit überlassen bleiben, in welchem Ausmaß er dieses Ziel erreichen will. Da den Beziehern einer Vollrente aus der Unfallversicherung der Hilflosenzuschuß gemäß § 105a Abs 1 zweiter Satz ASVG nur gebührt, wenn die Hilflosigkeit durch den Arbeitsunfall oder die Berufskrankheit verursacht worden ist, während es bei den Beziehern einer Pension aus der Pensionsversicherung auf die Ursachen der Hilflosigkeit nicht ankommt, kann der im Rahmen der Pensionsversicherung gebührende Hilflosenzuschuß mit dem im Rahmen der Unfallversicherung gebührenden in Bezug auf den Gleichheitsgrundsatz nicht verglichen werden. Dies gilt ebenso für die in der Revision noch ins Treffen geführte
Pflege-, Hilflosen- und Blindenzulage nach den §§ 18, 18a und 119 KOVG, weil sich die Zielsetzung dieses Gesetzes wesentlich von jener der Bestimmungen des ASVG über die Pensionsversicherung unterscheidet (vgl SSV-NF 2/3).
Zusammenfassend hat auch der Oberste Gerichtshof wie schon das Berufungsgericht keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 105a ASVG, weshalb die Voraussetzungen für die Anfechtung dieser Bestimmung gemäß Art 89 Abs 2 B-VG nicht erfüllt sind. Da in der Revision nicht in Zweifel gezogen wird, daß die Entscheidung der Vorinstanzen auf Grund des demnach anzuwendenden § 105a ASVG richtig sind, muß hiezu nicht weiter Stellung genommen werden.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG; die rechtlichen Schwierigkeiten rechtfertigen den Zuspruch der halben Kosten des Revisionsverfahrens, für die Bemessungsgrundlage gemäß § 77 Abs 2 ASGG idF der WGN 1989 der Betrag von 50.000 S ist.
Anmerkung
E28962European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1992:010OBS00372.91.0428.000Dokumentnummer
JJT_19920428_OGH0002_010OBS00372_9100000_000