Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon-Prof. Dr. Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Graf, Dr. Jelinek und Dr. Schinko als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Albert E*****, vertreten durch Dr. Theo Feitzinger, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Robert K*****, vertreten durch Dr. Andreas Steiger, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 400.000,-- s.A. infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgerichtes vom 20.Juli 1990, GZ 2 R 143/90-15, womit der Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 25.Juni 1990, GZ 14 Cg 200/82-12, aufgehoben wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Es wird dem Revisionsrekurs Folge gegeben und in Abänderung der zweitinstanzlichen Entscheidung der Beschluß des Erstrichters wiederhergestellt.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 14.221,80 bestimmten Kosten des Revisionsrekurses (darin S 2.370,30 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Der Beklagte erhob im erstinstanzlichen Wechselrechtsprozeß zunächst gegen den Wechselzahlungsauftrag vom 24.11.1982 Einwendungen mit dem wesentlichen Inhalt, das der Wechselannahme zugrundeliegende Rechtsgeschäft sei als wucherisches Darlehen nichtig. Er schloß jedoch dann in der mündlichen Streitverhandlung vom 15.3.1983 (ON 8) einen gerichtlichen Vergleich, in dem er sich zur Zahlung der eingeklagten Wechselsumme samt Zinsen in Raten verpflichtete.
Mit Schriftsatz vom 21.6.1990 brachte er (ON 11) unter teilweiser völlig neuer Sachverhaltsdarstellung vor, daß der geschlossene gerichtliche Vergleich gegen verschiedene zwingende Bestimmungen des Kreditwesengesetzes verstoße und daher materiellrechtlich unwirksam sei, und beantragte in erster Linie die Fortsetzung des Verfahrens; hilfsweise erhob er mit diesem Schriftsatz auch eine Klage auf Feststellung, daß der am 15.3.1983 geschlossene gerichtliche Vergleich ungültig sei.
Das Erstgericht wies den Fortsetzungsantrag zurück, weil prozessuale Gründe für die Ungültigkeit des Vergleiches nicht vorgebracht worden seien und für die geltend gemachten materiellrechtlichen Gründe die bloße Prozeßfortsetzung nicht vorgesehen sei.
Das Gericht zweiter Instanz hob die Entscheidung des Erstgerichtes auf, trug dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens auf und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig. Es schloß sich nach ausführlicher Darlegung der in Lehre und österreichischer Rechtsprechung vertretenen Ansichten über den rechtlichen Charakter eines Prozeßvergleiches als Ergebnis eines einheitlichen Willensaktes der Prozeßparteien zur materiellrechtlichen Bereinigung unter gleichzeitiger Erzielung prozessualer Wirkungen (nämlich der Streitbeendigung) der - in der Bundesrepublik Deutschland vertretenen - Auffassung an, daß auch die Geltendmachung der materiellrechtlichen Unwirksamkeit eines Prozeßvergleiches "innerprozessual" durch Fortsetzung des verglichenen Prozesses erfolgen solle. Die von Fasching (Lehrbuch2 Rz 1361) gegen diese Meinung geäußerten Bedenken (über eine mögliche Zeugenstellung des vergleichenden und über den Fortsetzungsantrag erkennenden Richters; über die Fortsetzung eines im Berufungsverfahren verglichenen Prozesses, oder für den Fall der "Fortsetzung" eines einen prätorischen Vergleich betreffenden Verfahrens) erachtete es als nicht überzeugend, solange die innerprozessuale Verfahrensfortsetzung zur Prüfung der behaupteten materiellrechtlichen Unwirksamkeit des Vergleiches möglich sei.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revisionsrekurs des Klägers ist berechtigt.
Im vorliegenden Fall ist nicht strittig, daß der nunmehr materiell bekämpfte Prozeßvergleich verfahrensrechtlich mangelfrei zustandekam. Es findet sich auch in den umfangreichen Sachverhalts- und Rechtsausführungen des Fortsetzungsantrages (zugleich "Eventualfeststellungsklage") keiner der prozessualen Anfechtungsgründe, wie sie etwa von Fasching im Lehrbuch2 Rz 1360 dargestellt werden, sondern bloß der materiellrechtliche Grund, der Vergleich habe wegen Verstoßes gegen zwingende Bestimmungen des KWG gegen § 879 ABGB verstoßen und sei daher materiellrechtlich unwirksam.
Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs hat die Anfechtung eines gerichtlichen Vergleichs aus materiellrechtlichen Gründen (gesetzliches Verbot, Verstoß gegen die guten Sitten, Willensmängel usw.) durch gesonderte Klage in einem selbständigen Rechtsstreit zu erfolgen, nicht jedoch durch einen die Anfechtung erklärenden Parteienantrag auf Fortsetzung des verglichenen Prozesses (EvBl.1969/320; EvBl.1962/86; 6 Ob 641-644/86; 7 Ob 611/86 ua). Dies ist auch herrschende Ansicht der österreichischen Lehre (Fasching, Lehrbuch2 Rz 1363; und - trotz Nennung als Gegenmeinung bei Fasching aaO - wohl auch Holzhammer, Zivilprozeßrecht2 229 f, der zwar die Vergleichstheorie vom Doppeltatbestand mit strenger Trennung der prozessualen von der materiellen Seite des Vergleiches vertritt und meint, daß bei der Anfechtung bloß wegen materiellrechtlicher Unwirksamkeit eines Vergleiches die prozessuale Seite unberührt bleibt, sodaß der verglichene Prozeß jedenfalls beendet bleibt und über den strittigen Anspruch ein neues Erkenntnisverfahren eröffnet werden muß).
In der Bundesrepublik Deutschland wird die Ansicht vertreten, daß jede Art der Vergleichsanfechtung innerprozessual durch Fortsetzung des verglichenen Verfahrens und Entscheidung über die prozeßbeendigende Wirkung des Vergleiches mittels "Endurteils" oder bei Annahme der Unwirksamkeit des Vergleiches durch Entscheidung in der Hauptsache erfolgen soll (Baumbach-Lauterbach dZPO50 Anm 1 bis 6 zum Anhang nach § 307; Stein-Jonas dZPO20 IV/1, Rz 46 bis 60 a; Rosenberg-Schwab, Zivilprozeßrecht14 819 ff; BGH in NJW 1981, 823 mwH). Dafür werden überwiegend prozeßpolitische Erwägungen ins Treffen geführt, wie daß mit der Feststellung der Nichtigkeit des Vergleichs zugleich feststehe, daß der alte Prozeß noch anhängig sei und das Gericht des alten Prozesses erneut wieder tätig werden könne, indem es den durch den nichtigen Vergleich nicht beendeten Prozeß zu entscheiden habe (Rosenberg-Schwab aaO 819 f).
Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes besteht aber keine Veranlassung, der an die Lehre und Rechtsprechung in der Bundesrepublik Deutschland anschließenden Rechtsansicht des Gerichtes zweiter Instanz zu folgen und von der bisherigen höchstgerichtlichen Judikatur abzugehen.
Über den Fortsetzungsantrag der die Anfechtung des gerichtlichen Vergleiches behauptenden Prozeßpartei kann in Österreich nach dem geltenden Prozeßrecht ausschließlich mit Beschluß entschieden werden. Das dagegen zulässige Rechtsmittelverfahren weist gegenüber jenem gegen Urteile insofern ein beachtliches Rechtsschutzdefizit auf, als die Tatsachenfeststellungen unüberprüft bleiben, § 528 Abs 1 Z 1 ZPO gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz den Rekurs an den Obersten Gerichtshof absolut ausschließt und - von den hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmefällen des § 521 a ZPO abgesehen - das rechtliche Gehör des Rechtsmittelgegners nicht gewahrt ist. Diesen schwerwiegenden Rechtsschutzbeeinträchtigungen steht allein der Entfall einer Pauschalgebühr für den Fortsetzungsantrag gegenüber, die nach dem Gerichts- und Justizverwaltungsgebührengesetz mit der Überreichung der Klage auf Anfechtung des gerichtlichen Vergleiches zu entrichten ist. Diese Interessenabwägung zeigt, daß der bisher herrschenden Rechtsprechung und Lehre weiterhin der Vorzug zu geben ist.
Hier werden ausschließlich Gründe geltend gemacht, die dem rein materiellrechtlichen Bereich des Vergleiches zuzuordnen sind, sodaß die im § 204 Abs 1 Satz 1 ZPO normierte Prozeßbeendigungswirkung nicht in Frage steht und demgemäß das beendete Verfahren nicht wiederaufgenommen und fortgesetzt werden kann.
Es war deshalb der Beschluß des Gerichtes erster Instanz wiederherzustellen.
Der Kläger hat indessen mit seinem Antrag auf Verfahrensfortsetzung auch zugleich eine Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit des Vergleiches eingebracht, die das Erstgericht bisher keiner weiteren Behandlung zugeführt hat; es wird diese nun nachzuholen haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E29008European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1992:0080OB00028.9.0428.000Dokumentnummer
JJT_19920428_OGH0002_0080OB00028_9000000_000