TE Vfgh Erkenntnis 2001/12/4 B1262/01

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Veröffentlicht am 04.12.2001
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Index

L0 Verfassungs- und Organisationsrecht
L0001 Landesverfassung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
Vlbg Landesverfassung Art33 Abs1
Vlbg Landesverfassung Art33 Abs2
Vlbg Landesverfassung Art33 Abs6
Vlbg Landes-VolksabstimmungsG §8 Abs1
Vlbg Landes-VolksabstimmungsG §10

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch willkürliche Abweisung eines Antrags auf Einleitung eines Volksbegehrens zur Direktwahl der Gemeindevertretung in Vorarlberg nach Aufhebung einer landesverfassungsgesetzlichen Bestimmung durch den VfGH

Spruch

I. Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

II. Das Land Vorarlberg ist schuldig, den Beschwerdeführern zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit 2.339,88 Euro bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1.1. Mit Schreiben vom 12.5.1998 richteten die beiden Beschwerdeführer einen Antrag auf Einleitung eines Volksbegehrens gemäß §8 des (Vorarlberger) Gesetzes über das Verfahren bei Volksbegehren, Volksabstimmungen und Volksbefragungen (Landes-Volksabstimmungsgesetz), LGBl. 1987/60, an die Landeswahlbehörde. Diesem Antrag war der folgende "Text des Volksbegehrens zur Direktwahl der Gemeindevertretung" angeschlossen:

"Um die Eigenverantwortlichkeit des Bürgers zu stärken verlangen wir die Direktwahl der Gemeindevertreter

1. Der Gemeindevertreter ist direkt zu wählen.

2. Die Direktwahl der Gemeindevertretung muss ab dem Jahre 2000 in jeder Vorarlberger Gemeinde angewendet werden.

3. Kandidaten müssen sich unabhängig von Parteien oder wahlwerbenden Gruppen der Wahl stellen können."

Ein Antragsteller trat dabei als Bevollmächtigter, der andere als dessen Stellvertreter auf. Unter einem wurde ein Betrag von ATS 10.000,-- als Kaution bei der Landeswahlbehörde hinterlegt.

1.1.2. Mit Bescheid der Landeswahlbehörde vom 5.6.1998 wurde der genannte Antrag gemäß §10 Landes-Volksabstimmungsgesetz iVm Art33 Vorarlberger Landesverfassung, LGBl. 1984/30, abgewiesen und die Hälfte des als Kaution erlegten Betrages gemäß §9 Abs3 Landes-Volksabstimmungsgesetz zu Gunsten des Landes Vorarlberg für verfallen erklärt. Begründend wurde dazu ua. Folgendes ausgeführt:

"Gemäß §10 L-VAG ist dem Antrag auf Einleitung des Verfahrens für ein Volksbegehren stattzugeben, wenn das Begehren nach den Bestimmungen der Landesverfassung zulässig ist und die Voraussetzungen der §§8 und 9 L-VAG erfüllt sind. Andernfalls ist der Antrag abzuweisen.

Nach Art33 L.V. kann durch Volksbegehren die Erlassung, Änderung oder Aufhebung von Gesetzen, einschließlich der Verfassungsgesetze, verlangt werden. Volksbegehren in Angelegenheiten der Gesetzgebung können in der Form der einfachen Anregung oder des ausgearbeiteten Gesetzesentwurfes gestellt und im einen wie im anderen Falle begründet werden.

Durch ein an den Landtag gerichtetes Volksbegehren kann im Sinne der bundesstaatlichen Kompetenzaufteilung nur ein Gesetzgebungsakt verlangt werden, zu dem der Landesgesetzgeber auch zuständig ist (vgl. Pernthaler/Lukasser, Das Verfassungsrecht der Österreichischen Bundesländer, Band Vorarlberg, Wien 1995, S. 135, und Merli, Rechtsprobleme des Volksbegehrens in Bundes- und Landesgesetzgebung, JBl. 1988, S. 87). Diese Voraussetzung ist im Verfahren über die Zulässigkeit zu prüfen (vgl. Merli, a.a.O., S. 90f).

Es ist daher zunächst zu untersuchen, ob der Landtag zur Erlassung eines dem Antrag entsprechenden Gesetzes zuständig ist. Der Antrag verlangt - dies wird aus seinem Punkt 3 deutlich - die Wahl der Gemeindevertretung ohne Dazwischentreten von Parteien oder wahlwerbenden Gruppen.

Gemäß Art117 Abs2 B-VG finden die Wahlen in den Gemeinderat (in der Terminologie des Gemeindegesetzes: Gemeindevertretung) aufgrund des gleichen, unmittelbaren, geheimen und persönlichen Verhältniswahlrechtes statt. Für den Fall, daß keine Wahlvorschläge eingebracht werden, kann in der Wahlordnung bestimmt werden, daß Personen als gewählt gelten, deren Namen auf den Stimmzetteln am häufigsten genannt werden.

Im Erk. VfSlg. 9912 hat der Verfassungsgerichtshof ausgeführt, daß nach seiner ständigen Rechtsprechung für das Wesen des Verhältniswahlsystemes zwei Umstände charakteristisch sind: '1. daß Träger des Rechtes auf verhältnismäßige Vertretung nicht das Individuum, sondern die politische Partei ist und 2. daß die Idee der Proportionalität darauf gerichtet ist, zwar womöglich allen politischen Parteien eine verhältnismäßige Vertretung zu gewähren, jedoch mit Ausschluß jener kleinen Gruppen, welche die Mindestzahl von Stimmen, die sogenannte Wahlzahl nicht erreichen, über die eine Partei verfügen muß, um wenigstens einen Abgeordneten zu erhalten.'

Der Verfassungsgerichtshof zieht daraus im zitierten Erkenntnis den Schluß, daß ein Wahlsystem, das Wahlvorschläge und damit eine Beteiligung wahlwerbender Parteien nicht kennt, mit dem verfassungsgesetzlich gebotenen System der Verhältniswahl unvereinbar ist.

Nach Art117 Abs2 B-VG kann, wie oben zitiert, die Wahlordnung zwar bestimmen, daß dann, wenn keine Wahlvorschläge eingebracht werden, Personen als gewählt gelten, deren Namen auf den Stimmzetteln am häufigsten genannt werden. Dieses Wahlverfahren entspräche, weil es nicht auf das Vorliegen von Wahlvorschlägen und damit auf wahlwerbende Parteien abstellt, den Intentionen des Antrages. Die Ausnahme des Art117 Abs2 B-VG ist aber nur als hilfsweise Regelung für den Fall vorgesehen, daß keine Wahlvorschläge eingebracht werden.

Der Antrag beschränkt sich nun nicht auf diesen in Art117 Abs2 B-VG normierten Ausnahmefall. Er verlangt vielmehr eine allgemeine Regelung, in welcher die Gemeindevertreter unabhängig von Parteien oder wahlwerbenden Gruppen gewählt werden. Damit steht dieses Verlangen aber im Widerspruch zu Art117 Abs2 B-VG.

Eine allgemeine Aufhebung des Grundsatzes der Verhältniswahl der Gemeindevertretung durch den Landesgesetzgeber wäre daher bundesverfassungswidrig. Eine solche Aufhebung ist dem Bundesverfassungsgesetzgeber vorbehalten. Da die Bundesverfassungswidrigkeit den Kern des Antrages erfaßt, müßte die Erlassung eines ihm entsprechenden Gesetzes als Verstoß gegen die bundesstaatliche Kompetenzverteilung (s. Art10 Abs1 Z1 B-VG) angesehen werden (vgl. Merli, a.a.O., S. 90f).

Da die im Antrag verlangte gesetzliche Regelung nicht in die Zuständigkeit des Landesgesetzgebers fällt, war der Antrag abzuweisen.

Gemäß §9 Abs2 L-VAG ist die mit der Überreichung des Antrages zu erlegende Kaution zurückzuerstatten, wenn der Antrag bis zur Entscheidung vom Bevollmächtigten zurückgezogen wird oder wenn die Landeswahlbehörde entscheidet, daß ein Volksbegehren vorliegt. Die Hälfte der Kaution ist zurückzuerstatten, wenn die Landeswahlbehörde den Antrag auf Einleitung eines Volksbegehrens abweist oder wenn im Eintragungsverfahren wenigstens die Hälfte der erforderlichen Eintragungen erreicht wird. In dem Umfang, in dem die Kaution nicht zurückzuerstatten ist, verfällt sie gemäß §9 Abs2 L-VAG zugunsten des Landes.

Da der Antrag bis zur Entscheidung der Landeswahlbehörde vom Bevollmächtigten nicht zurückgezogen wurde, verfällt sie gemäß der in Spruchpunkt 1 ausgesprochenen Abweisung zur Hälfte zugunsten des Landes, im übrigen ist sie zurückzuzahlen."

1.1.3. Gegen diesen Bescheid richtete sich die auf Art144 Abs1 B-VG gestützte und zur Zahl B1304/98 protokollierte Beschwerde der beiden Beschwerdeführer an den Verfassungsgerichtshof.

1.2. In diesem verfassungsgerichtlichen Verfahren sind Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des Art33 Abs6 der Vorarlberger Landesverfassung entstanden, weshalb der Verfassungsgerichtshof den Beschluss fasste, diese landesverfassungsgesetzliche Bestimmung von Amts wegen auf ihre Bundesverfassungsmäßigkeit hin zu prüfen.

In seinem Erkenntnis vom 28.6.2001, G103/00, sprach der Verfassungsgerichtshof aus, dass die Wortfolge "oder das Landesvolk durch Volksabstimmung entschieden" in Art33 Abs6 der Vorarlberger Landesverfassung LGBl. 1984/30 verfassungswidrig war; mit dem selben Erkenntnis wurde die Wortfolge "oder das Landesvolk durch Volksabstimmung entschieden" in Art33 Abs6 der Vorarlberger Landesverfassung LGBl. 1999/9 als verfassungswidrig aufgehoben; schließlich wurde im Erkenntnis ausgesprochen, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht in Wirksamkeit zu treten haben. Die Aussprüche des Verfassungsgerichtshofes wurden im Landesgesetzblatt 2001/33 am 19.7.2001 kundgemacht.

In der Folge hob der Verfassungsgerichtshof auch den Bescheid der Landeswahlbehörde vom 5.6.1998 auf (Erk. vom 28.6.2001, B1304/98), weil die Beschwerdeführer durch ihn wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt worden waren. In dem den Bescheid aufhebenden Erkenntnis wurde die Landeswahlbehörde darauf hingewiesen, dass sie im fortgesetzten (Einleitungs)Verfahren nach dem Landes-Volksabstimmungsgesetz an Hand der bereinigten Rechtslage zu untersuchen haben werde, ob ihr auch die Prüfung der Frage der Bundesverfassungskonformität des mit dem Volksbegehren intendierten Gesetzes zukommt.

1.3.1. Mit dem - im zweiten Rechtsgang - erlassenen Bescheid der Landeswahlbehörde vom 26.7.2001 wurde der Antrag der Beschwerdeführer (sh. Pkt. 1.1.1.) abermals abgewiesen und die Hälfte des als Kaution erlegten Betrages zu Gunsten des Landes Vorarlberg für verfallen erklärt.

Der Bescheid enthält den folgenden Spruch:

"1. Der Antrag wird gemäß §10 des Landes-Volksabstimmungsgesetzes (L-VAG), LGBl. Nr. 60/1987, iVm Art33 der Landesverfassung (L.V.), LGBl. Nr. 30/1984, in der Fassung LGBl. Nr. 33/2001, abgewiesen.

2. Die erlegte Kaution von S 10.000,-- ist gemäß §9 Abs2 L-VAG zur Hälfte zurückzuerstatten. Die andere Hälfte verfällt gemäß §9 Abs3 L-VAG zu Gunsten des Landes."

Die Landeswahlbehörde fasste die Begründung ihres Bescheides wortgleich ab wie jene des im ersten Rechtsgang erlassenen Bescheides (vom 5.6.1998; sh. Pkt. 1.1.2.); im Hinblick auf das inzidenter durchgeführte Gesetzesprüfungsverfahren (sh. Pkt. 1.2.) führt sie jedoch aus:

"Die teilweise Aufhebung des Abs6 des Art33 L.V. (durch den Verfassungsgerichtshof) hat nach Ansicht der Landeswahlbehörde den Inhalt des Art33 Abs1 L.V. nicht verändert. Es kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, er wolle auch Volksbegehren ermöglichen, denen er aus Gründen der Zuständigkeit nicht entsprechen könnte.

Die sich auf Art33 L.V. beziehende Prüfung des §10 L-VAG hat sich daher mit der Frage auseinander zu setzen, ob der Gesetzgeber dem Begehren zu entsprechen vermöchte. Der Sinn der Zulässigkeitsprüfung des §10 L-VAG - und auch der vergleichbaren Bestimmungen der §§20 und 26 - liegt ganz offensichtlich auch darin, Verfahren zu vermeiden, in denen die Stimmberechtigten zur Eintragung eingeladen werden, obwohl die Erfüllung des Antragsbegehrens rechtlich ausgeschlossen ist."

1.3.2. Die beiden Beschwerdeführer brachten nunmehr auch gegen diesen Bescheid eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof ein (protokolliert zur Z B1262/01), in der die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird. Im Einzelnen behaupten die Beschwerdeführer darin die Verletzung in folgenden "verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten:

landesverfassungsgesetzliches Recht auf Durchführung eines Volksbegehrens; Eigentumsrecht; Recht auf ein faires Verfahren nach Art6 EMRK; Recht auf eine kontradiktorische Verhandlung; Recht auf Parteiengehör" sowie auf Gleichbehandlung aller Staatsbürger vor dem Gesetz. Begründend wird dazu vor allem Folgendes dargetan:

"Wenn es im §8 Landes-Volksabstimmungsgesetz dezidiert heißt, dass ein Volksbegehren 'in Form einer einfachen Anregung' gestellt werden kann, dann war das Volksbegehren der Beschwerdeführer unter Ausschluss jeden Zweifels zulässig.

Demnach unterstellt der angefochtene Bescheid dem Art33 Abs2 Landesverfassung und dem dritten Satz des §8 Abs1 Landes-Volksabstimmungsgesetz einen denkunmöglichen Inhalt, verletzt die Beschwerdeführer daher in ihren Rechten wegen Willkür und denkunmöglicher Gesetzesanwendung und wird daher aufzuheben sein.

Wenn Volksbegehren auch in Form der einfachen Anregung zulässig sind, dann muss diese Anregung naturgemäß auch beinhalten dürfen, dass bestehende Normen geändert werden. Dies gilt nicht nur für Normen der einfachgesetzlichen (Landes-)Ebene, sondern auch für jene der Bundesebene, und letztlich wohl auch für jene der Bundesverfassung. Welche Bestimmung der Bundesverfassung kann einem ('politischen') Landesvolksbegehren entgegen stehen, mit dem auf Landesebene eine Wahlordnung geschaffen werden soll, die geringfügiger Änderungen der Bundes-Verfassung bedürfen würde?

Zunächst kann kein Zweifel bestehen, dass die Erlassung von Gemeindewahlordnungen eine Angelegenheit des Landesrechts ist. Schon in der Vergangenheit wurden über Wunsch der Länder die Grundsätze des Gemeindewahlrechts in der Bundes-Verfassung erweitert. Der einschlägige Artikel enthält inzwischen mehrere Ausnahmeregelungen.

Die belangte Behörde hat offenbar nicht nachvollziehen können, warum der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis G103/00 vom 28. Juni 2001 Art33 Abs6 Landesverfassung aufgehoben hat. Wenn als ultima ratio des Volksbegehrens eine obligatorische Volksabstimmung mit für den Landtag bindendem Ergebnis im Raum stand, dann konnte sich natürlich für die belangte Behörde die Notwendigkeit ergeben, ein Volksbegehren zurückzuweisen, das zwingendem Bundesrecht widersprach. Nachdem der Verfassungsgerichtshof Art33 Abs6 Landesverfassung nun aber aufgehoben hat, ist diese ultima ratio des Volksbegehrensrechts weggefallen und besteht damit keinerlei Notwendigkeit, bereits vor Einbringung eines Volksbegehrens dessen Übereinstimmung mit Detailbestimmungen der Bundesverfassung zu prüfen. Ein Volksbegehren, das mit der Bundesverfassung nicht vereinbar ist, wird eben letztlich entweder zu einer Änderung der Bundesverfassung führen oder mangels Realisierbarkeit 'einschlafen' müssen.

...

Es war daher elementar verfehlt, einfach den seinerzeitigen Bescheid mit marginalen Änderungen wiederum zu erlassen, vielmehr hätte sich die belangte Behörde mit der grundlegend neuen Struktur des bereinigten Art33 Landesverfassung auseinandersetzen müssen. Wenn am Ende eines Volksbegehrens keinesfalls eine verbindliche Volksabstimmung stehen kann, dann besteht keinerlei Veranlassung, bereits am Beginn eines Volksbegehrensprozesses die detaillierte Vereinbarkeit eines Volksbegehrens mit Bundesverfassungsrecht zu prüfen.

Die belangte Behörde hat also auch in denkunmöglicher Weise die durch die Bereinigung des Art33 Landesverfassung fundamental veränderte Rechtslage verkannt, und wird der angefochtene Bescheid auch deshalb aufzuheben sein.

...

... (Eine) dem Erkenntnis vom 28. Juni 2000, G103/00-22 im Ergebnis zuwiderlaufende Auslegung (nämlich 'ein Volksbegehren als Form und Verfahren eines rechtlichen Normsetzungsprozesses zu verstehen') hätte zur Folge, dass an die inhaltliche Qualität der Formulierung eines Volksbegehrens hohe Anforderungen zu stellen wären.

Für diesen Fall wäre selbstverständlich zu fordern, dass jedes Volksbegehren entsprechend detaillierte Vorgaben enthält, also voll ausformuliert ist.

Der rechtlichen Konzeption des angefochtenen Bescheids, dass ein Volksbegehren bereits bei Einlangen im einzelnen auf seine Verfassungskonformität geprüft werden darf, widerspricht dann allerdings diametral die Wortfolge 'der einfachen Anregung oder' im Art33 Abs2 Landesverfassung und bzw. 'einer einfachen Anregung oder' im §8 Abs1 dritter Satz Landes-Volksabstimmungsgesetz (warum die Landesverfassung den bestimmten und das Landes-Volksabstimmungsgesetz den unbestimmten Gesetzesartikel verwendet, ist unerfindlich, der Unterschied dürfte allerdings rechtlich bedeutungslos sein).

Es wird daher angeregt, aus Art33 Abs2 Landesverfassung die Wortfolge 'der einfachen Anregung oder' und aus §8 Abs1 Landes-Volksabstimmungsgesetz im dritten Satz die Wortfolge 'einer einfachen Anregung oder' wegen Verfassungswidrigkeit aufzuheben.

...

... (D)er angefochtene Bescheid (legt) richtig dar, dass zunächst zu untersuchen gewesen sei, ob der Landtag zur Erlassung eines dem Antrag entsprechenden Gesetzes zuständig ist.

Nach diesem richtigen Einstieg verkennt die belangte Behörde ihre Aufgabenstellung dann im folgenden allerdings grundlegend. Anstatt die Frage zu untersuchen, ob der Gegenstand des beantragten Volksbegehrens, nämlich Bestimmungen des Kommunalwahlrechts, in die Gesetzgebungszuständigkeit des Landtags fällt, stellt die belangte Behörde komplexe Überlegungen zum Inhalt des Volksbegehrens und seiner vermuteten Vereinbarkeit mit der Bundesverfassung an, die mit der Gesetzgebungszuständigkeit des Landtags überhaupt nichts zu tun haben.

Tatsächlich kann anhand der Zuständigkeitsregelungen der Bundesverfassung nicht der geringste Zweifel daran bestehen, dass der (Vorarlberger) Gesetzgeber dafür zuständig ist, Gemeindewahlordnungen zu erlassen. Dafür gibt ihm die Bundesverfassung einen Rahmen von Grundsätzen vor, diese Beschränkungen des Landesgesetzgebers durch die Grundsätze des Bundesverfassungsrechts ändern aber nichts an seiner Zuständigkeit, denn wenn jede bundesverfassungsgesetzliche Vorgabe die Zuständigkeit des jeweiligen Materiengesetzgebers ausschließen würde, gäbe es keine Gesetzgebung.

Der angefochtene Bescheid stellt komplizierteste Überlegungen an, was der Landesgesetzgeber nach Art117 B-VG zulässigerweise normieren dürfte und was nicht. Schon die Notwendigkeit der komplizierten Argumentation ... zeigt, dass der Gegenstand des Volksbegehrens nicht 'aus der Welt' ist. Wenn der angefochtene Bescheid etwa einräumt, dass die Ausnahme des Art117 Abs2 B-VG 'nur als hilfsweise Regelung' für den Fall vorgesehen sei, dass keine Wahlvorschläge eingebracht werden, so ist beispielsweise nicht einsichtig, warum das Begehren der Beschwerdeführer nicht zumindest teilweise gesetzlich realisierbare Vorschläge beinhalten soll.

...

Nach der Begründung des angefochtenen Bescheids war das AVG nicht auf das beschwerdegegenständliche Verfahren anzuwenden.

In derartigen Fällen sind die tragenden Grundsätze anzuwenden, die jedem rechtsstaatlichen Verfahren in jedem Europäischen Rechtsstaat gemeinsam sind. Zu diesen Grundsätzen gehört der Grundsatz des konkreten Parteiengehörs, des 'principe du contradictoire' nach der ständigen Rechtsprechung der Straßburger Menschenrechtsinstanzen und des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, die diesen Grundsatz inzwischen zum allgemeinen Rechtsgrundsatz erklärt haben, der sich aus der 'rule of law' ergebe.

Bei fairer Anhörung hätten die Beschwerdeführer darlegen können, dass ihr Begehren in die Zuständigkeit des Landtags fällt und zumindest teilweise gesetzlich umsetzbar ist.

Die Beschwerdeführer wurden sohin auch in fundamentalen Verfahrensrechten verletzt."

1.3.3. Die Landeswahlbehörde legte als belangte Behörde die Verwaltungsakten vor und beantragte, die Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet abzuweisen. Eine Gegenschrift wurde nicht erstattet.

2. Der Verfassungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

2.1.1. Gegen den Bescheid der Landeswahlbehörde - einer Kollegialbehörde iSd Art133 Z4 B-VG (§3 Abs1 Landes-Volksabstimmungsgesetz, §10 Abs1 (Vorarlberger) Landtagswahlgesetz, LGBl. 1988/60) - ist gemäß §10 Abs1 Landes-Volksabstimmungsgesetz ein ordentliches Rechtsmittel nicht zulässig; der administrative Instanzenzug ist daher erschöpft.

2.1.2. Da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde insgesamt zulässig.

2.2.1. Art33 Vorarlberger Landesverfassung idF der Kundmachung LGBl. 2001/33 (über die Aufhebung einer Bestimmung durch den VfGH; sh. Pkt. 1.2.) (LV) hat - samt Überschrift - folgenden Wortlaut:

"Artikel 33

Volksbegehren in Angelegenheiten

der Gesetzgebung

(1) Durch Volksbegehren kann die Erlassung, Änderung oder Aufhebung von Gesetzen, einschließlich der Verfassungsgesetze, verlangt werden.

(2) Volksbegehren in Angelegenheiten der Gesetzgebung können in der Form der einfachen Anregung oder des ausgearbeiteten Gesetzentwurfes gestellt und im einen wie im anderen Falle begründet werden.

(3) Volksbegehren auf Aufhebung oder Änderung eines Gesetzes können erst drei Jahre nach Inkrafttreten desselben gestellt werden.

(4) Volksbegehren in Angelegenheiten der Gesetzgebung, die von wenigstens 5000 Stimmberechtigten oder von wenigstens zehn Gemeinden auf Grund von Gemeindevertretungsbeschlüssen gestellt werden, sind dem Landtag zur Entscheidung darüber vorzulegen, ob er dem Volksbegehren Rechnung tragen will oder nicht.

(5) Lehnt es der Landtag ab, einem Volksbegehren, das von wenigstens 20 v.H. der Stimmberechtigten gestellt wurde, Rechnung zu tragen, so ist es der Volksabstimmung zu unterziehen.

(6) Hat der Landtag beschlossen, dass dem Volksbegehren Rechnung zu tragen ist, so hat der Landtag einen dem Volksbegehren inhaltlich entsprechenden Gesetzesbeschluss zu fassen.

(7) Das Verfahren wird durch Gesetz näher geregelt."

2.2.2. Die §§2, 8, 10 und 18 Landes-Volksabstimmungsgesetz, LGBl. 1987/60, idF 1999/35, (LVAG) lauten - samt Überschriften - wie folgt:

"§2

Stimmrecht, Antragsrecht

(1) Stimmberechtigt bei Volksbegehren, Volksabstimmungen und Volksbefragungen sind alle Personen, die am Stichtag Landesbürger sind, im Abstimmungsgebiet ihren Hauptwohnsitz haben und vor dem ersten Januar des Jahres des Volksbegehrens, der Volksabstimmung oder der Volksbefragung das 18. Lebensjahr vollendet haben. Sie dürfen bei Volksbegehren, Volksabstimmungen und Volksbefragungen nach der Landesverfassung nicht vom Wahlrecht zum Landtag, bei Volksbegehren, Volksabstimmungen und Volksbefragungen nach dem Gemeindegesetz nicht vom Wahlrecht zur Gemeindevertretung ausgeschlossen sein.

(2) Berechtigt zur Antragstellung auf Durchführung eines Volksbegehrens, einer Volksabstimmung oder einer Volksbefragung (Antragsberechtigte) sind die Landesbürger bzw. die Bürger der Gemeinde, die in die Wählerkartei aufgenommen sind.

...

II. Hauptstück

Volksbegehren nach der Landesverfassung

1. Abschnitt

Volksbegehren auf Antrag von Landtagswählern

1. Unterabschnitt

Vorverfahren

§8

Antrag

(1) Ein Antrag auf Einleitung des Verfahrens für ein Volksbegehren darf jeweils nur ein einziges, genau zu bezeichnendes Begehren enthalten. Im Antrag ist anzugeben, ob es sich um ein Volksbegehren in Angelegenheiten der Gesetzgebung, der Verwaltung oder der Gebarungskontrolle handelt. Der Antrag kann begründet und in Angelegenheiten der Gesetzgebung in Form einer einfachen Anregung oder eines ausgearbeiteten Gesetzentwurfes gestellt werden. Ein Antragsberechtigter ist als Bevollmächtigter und ein weiterer als sein Stellvertreter namhaft zu machen. Im Übrigen hat der Antrag dem im Anhang dargestellten Muster zu entsprechen und ist vom Bevollmächtigten und seinem Stellvertreter zu unterschreiben.

(2) Die in den Antrag aufzunehmende Kurzbezeichnung des Volksbegehrens hat auf den Inhalt des Volksbegehrens hinzuweisen und muss sich deutlich von der Kurzbezeichnung anderer Volksbegehren, hinsichtlich derer ein Antrag bei der Landeswahlbehörde anhängig ist, unterscheiden.

(3) Der Antrag auf Einleitung des Verfahrens für ein Volksbegehren ist bei der Landeswahlbehörde einzubringen. Bis zur Entscheidung über den Antrag kann der Bevollmächtigte den Antrag zurückziehen.

...

§10

Zulässigkeit

(1) Die Landeswahlbehörde hat über den Antrag auf Einleitung des Verfahrens für ein Volksbegehren innerhalb eines Monats nach Überreichung zu entscheiden. Dem Antrag ist stattzugeben, wenn das Begehren nach den Bestimmungen der Landesverfassung zulässig ist und die Voraussetzungen der §§8 und 9 erfüllt sind. Andernfalls ist der Antrag abzuweisen. Der Bescheid ist dem Bevollmächtigten zu eigenen Handen zuzustellen. Gegen diesen Bescheid ist ein ordentliches Rechtsmittel nicht zulässig.

(2) Wenn zwei oder mehreren Anträgen mit einem gleichartigen Begehren stattgegeben wird, kann die Landeswahlbehörde mit Zustimmung der Bevollmächtigten die verschiedenen Volksbegehren zu einem einzigen zusammenfassen. In diesem Fall kommt jedem Antragsberechtigten, welcher in den einzelnen Anträgen als Bevollmächtigter namhaft gemacht wurde, die Rechtsstellung eines Bevollmächtigten zu.

...

§18

Ergebnis

(1) Die Landeswahlbehörde hat nach Einlangen der von sämtlichen Gemeindewahlbehörden übermittelten Niederschriften innerhalb von zwei Wochen etwaige Irrtümer in den zahlenmäßigen Ergebnissen zu berichtigen, die Gesamtzahl der Stimmberechtigten sowie die Gesamtzahl der gültigen Eintragungen zu ermitteln und zu entscheiden, ob ein Volksbegehren nach den Bestimmungen der Landesverfassung vorliegt. Bei Volksbegehren in Angelegenheiten der Gesetzgebung ist in der Entscheidung auch festzustellen, ob das Volksbegehren von wenigstens 20 v.H. der Stimmberechtigten gestellt wurde.

(2) Die Landeswahlbehörde hat die Entscheidung im Amtsblatt für das Land Vorarlberg kundzumachen."

2.3. Die Beschwerdeführer äußern zunächst Bedenken gegen die Wendung "der/einer einfachen Anregung oder" in Art33 Abs2 LV und in §8 Abs1 LVAG. Es besteht kein Anlass, diese Bedenken aufzugreifen. Der Verfassungsgerichtshof zweifelt nicht daran, dass es verfassungskonform ist, ein Volksbegehren auch in Form der einfachen Anregung zuzulassen.

2.4.1. Des Weiteren werfen die Beschwerdeführer der belangten Behörde vor, bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides Willkür geübt zu haben.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ua. dann vor, wenn der Bescheid durch ein grobes Verkennen der Rechtslage in einem entscheidenden Punkt in einem besonderen Maß mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB. VfSlg. 8737/1980, 11.436/1987; VfGH 26.6.2000 B2160/98, 25.9.2001 B2213/00).

Ein solcher Fehler liegt hier vor.

Die belangte Behörde begründet den nunmehr bekämpften, im zweiten Rechtsgang ergangenen Bescheid iW damit, dass die teilweise Aufhebung des Abs6 des Art33 LV durch den Verfassungsgerichtshof den Inhalt des Art33 Abs1 LV nicht verändert habe.

Damit setzt sie sich aber völlig darüber hinweg, dass der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 28.6.2001, G103/00, Folgendes ausgeführt hat:

"Gemäß §10 (Abs1 zweiter und dritter Satz) LVAG hat die Landeswahlbehörde einem Antrag auf Einleitung des Verfahrens für ein Volksbegehren dann stattzugeben, wenn das Begehren unter anderem nach den Bestimmungen der Landesverfassung zulässig ist; andernfalls ist der Antrag abzuweisen. Damit ist im Besonderen auf Art33 LV (hier und im ges. AbsidF LGBl. 1984/30) verwiesen. Zu Folge dessen Abs1 kann durch Volksbegehren die Erlassung, Änderung oder Aufhebung von Gesetzen, einschließlich der Verfassungsgesetze, verlangt werden. Vor allem im Hinblick auf Art33 Abs6 LV hat die Landeswahlbehörde bei der von ihr gemäß §10 LVAG zu treffenden Entscheidung aber auch zu erwägen, ob der Gegenstand des Volksbegehrens, dessen Einleitung beantragt wird, auch insoferne der LV entspricht, als er aus bundesverfassungsgesetzlicher Sicht - zulässiger Weise - vom Landesgesetzgeber geregelt werden kann; andernfalls könnte der Landtag nämlich im Hinblick auf Art33 Abs6 LV gehalten sein, einen Beschluss zu fassen, der der Bundesverfassung zuwider liefe: Erst aus der in Art33 Abs6 LV normierten Rechtsfolge ergibt sich, dass die Verfassungsmäßigkeit des begehrten Gesetzes im Gesetzgebungsverfahren nicht mehr geprüft werden kann, weil der Landtag, dem ansonsten eine solche Prüfung - unter der nachprüfenden Kontrolle des Verfassungsgerichtshofes - zukommt, verpflichtet ist, einen dem Begehren inhaltlich entsprechenden Gesetzesbeschluss zu fassen ..."

(Hervorhebungen nicht im Original)

Für die von der belangten Behörde nach Aufhebung des im ersten Rechtsgang ergangenen Bescheides zu treffende Entscheidung im zweiten Rechtsgang ergibt sich daraus Folgendes: Nach Wegfall jener Regelung in Art33 Abs6 LV, der zu Folge der Landtag unter bestimmten Voraussetzungen verpflichtet ist, einen Gesetzesbeschluss zu fassen, der einem Volksbegehren inhaltlich entspricht, bieten weder Art33 Abs1 LV noch auch §10 LVAG Anlass anzunehmen, dass der Landeswahlbehörde im Rahmen der von ihr zu treffenden Entscheidung über die Zulässigkeit eines Antrages auf Einleitung eines Volksbegehrens die Prüfung der Frage zukäme, ob das Gesetz, dessen Erlassung begehrt wird, der Bundesverfassung inhaltlich widerspricht; die Beurteilung dieser Frage obliegt vielmehr dem Landtag, der dabei der Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof unterliegt.

2.4.2. Der angefochtene Bescheid verletzt somit die Beschwerdeführer in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und war daher schon deshalb aufzuheben.

Damit erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren Beschwerdeausführungen.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. Von den zuerkannten Kosten entfallen 359,70 Euro auf die Umsatzsteuer und 181,68 Euro auf die entrichtete Pauschalgebühr.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Landesverfassung, VfGH / Aufhebung Wirkung, Volksabstimmung, Volksbegehren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2001:B1262.2001

Dokumentnummer

JFT_09988796_01B01262_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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