Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Robert Göstl (AG) und Alfred Klair (AN) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei P***** P*****, vertreten durch Dr.Andreas Oberbichler und Dr.Michael Kramer, Rechtsanwälte in Feldkirch, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (Landesstelle Salzburg), Adalbert Stifter-Straße 65, 1200 Wien, vertreten durch Dr.Vera Kremslehner, Dr.Josef Milchram und Dr.Anton Ehm, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente (Entziehung) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 4.Dezember 1991, GZ 5 Rs 114/91-22, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom 16. Juli 1991, GZ 35 Cgs 129/90-16, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Ergänzung des Verfahrens und zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Der Kläger zog sich im Rahmen seiner Berufstätigkeit als OP-Pfleger im Jahr 1975 eine Hepatitis B-Virus-Infektion zu. Diese Infektion löste eine Leberentzündung aus, die zunächst eine chronisch-aggressive Verlaufsform zeigte und anfangs durch 3 Jahre mit Cortison und Imurek behandelt wurde. Danach erfolgte nurmehr eine Behandlung mit Imurek. Im Zeitraum von 1982 bis 1983 kam es zum Abklingen der entzündlichen Aktivität der Lebererkrankung. Diese nahm dann den Verlauf einer sogenannten chronisch-persistierenden Hepatitis. 1986 konnte erstmals die Ausheilung der Hepatitis B-Infektion mit Elimination des Virus und das Abklingen der Entzündung diagnostiziert werden. Im Zeitpunkt der Untersuchung des Klägers am 10.12.1986 ergab sich eine völlige Ausheilung der ursprünglich chronisch-aggressiven, später chronisch-persistierenden Form der Hepatitis B des Klägers. Diesem aus den Daten des humoralen und zellulären Blutbildes abgeleiteten Ergebnis stand aber eine weiterhin vermehrte Erholungsbedürftigkeit des Klägers gegenüber, die durch das Verhalten im Belastungs-EKG auf einen Kreislauf mit geringerer Leistungsbreite hindeutete. Die beim Kläger damals gegebene Müdigkeit, Leistungseinschränkung und vermehrte Erholungsbedürftigkeit war als verzögerte Rehabilitation nach dem insgesamt 10jährigen Verlauf der chronischen Hepatitis zu verstehen. Sie bewirkte eine weiterhin bestehende, durch die Berufskrankheit des Klägers verursachte Minderung der Erwerbsfähigkeit im Ausmaß von 20 vH. In der Zwischenzeit ist auch diese verzögerte Rehabilitationsphase des Klägers abgeschlossen, allfällige weiterhin bestehende Beschwerden sind nicht mehr mit dieser Berufskrankheit in Zusammenhang zu bringen. Seit Dezember 1986 ist durch das Abklingen auch der verzögerten Rehabilitationsphase und der damit verbundenen Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers eine wesentliche Besserung eingetreten.
Mit Bescheid der beklagten Partei vom 11.7.1978 wurde die Hepatitis des Klägers ab 23.9.1977 gemäß § 177 ASVG Anlage 1 Nr. 38 als Berufskrankheit anerkannt und dem Kläger eine Versehrtenrente zuerkannt. Diese Rente wurde zuletzt mit Bescheid der beklagten Partei vom 27.1.1987 ab 1.3.1987 auf 20 vH herabgesetzt, weil inzwischen eine wesentliche Besserung durch Abheilung der chronischen Hepatitis eingetreten war. Maßgeblich hiefür war der am 10.12.1986 erhobene Befund. Die gegen diesen Bescheid vom Kläger beim Erstgericht als Arbeits- und Sozialgericht eingebrachte Klage zog der Kläger nach dem Gutachten des Sachverständigen für interne Medizin und des Sachverständigen für Orthopädie am 27.6.1989 zurück, worauf die beklagte Partei mit Bescheid vom 6.12.1989 gemäß § 72 ASGG die Dauerrente des Klägers wieder mit 20 vH feststellte.
Mit Bescheid der beklagten Partei vom 7.8.1990 wurde dem Kläger diese Rente wegen folgenloser Abheilung des entzündlichen Lebergeschehens ab 1.10.1990 entzogen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Klage, mit der der Kläger die Weitergewährung der Leistung über den 30.9.1990 hinaus begehrt. Er leide nach einer ursprünglich chronisch-aktiven Hepatitis weiterhin an einer persistierenden Hepatitis; zu einer folgenlosen Abheilung dieses entzündlichen Lebergeschehens sei es nicht gekommen. Eine Besserung sei nicht eingetreten. Im Zusammenhang mit dieser Berufskrankheit seien beim Kläger Schädigungen im Bewegungsapparat eingetreten. Es sei aufgrund der jahrelangen hochdosierten Cortisontherapie eine Entmineralisierung der Wirbelsäule eingetreten und es bestünden von seiten der Wirbelsäule massive Beschwerden, die ebenfalls als Folge der Berufskrankheit anzusehen seien.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Eine durch die Berufskrankheit bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit liege nicht mehr vor.
Das Erstgericht gab dem Begehren des Klägers statt. Ausgehend von den von ihm getroffenen Feststellungen, daß bereits im Zeitpunkt der Herabsetzung der Rentenleistung auf 20 vH (Bescheid vom 27.1.1987) das Leiden des Klägers völlig ausgeheilt gewesen sei, zog es den Schluß, daß eine Änderung im Zustand des Klägers seit dem Zeitpunkt der Erlassung dieses Bescheides nicht eingetreten sei; die Voraussetzungen des § 183 Abs 2 ASVG für die Entziehung der Leistung lägen daher nicht vor. Daß dem Kläger wegen der Phänomenologie des Empfindens im Hinblick auf seine schwere Berufstätigkeit die Rente weitergewährt worden sei, ändere nichts daran, daß keine Besserung eingetreten sei, die eine Voraussetzung für die Entziehung der Rente bilde, weil schon am 10.12.1986 die objektiven Befundergebnisse im Normbereich gelegen seien.
Das Berufungsgericht stellte nach (teilweiser) Wiederholung der Beweise den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt fest und wies auf dieser Grundlage das Begehren des Klägers ab. Eine Leistung dürfe gemäß § 99 ASVG nur entzogen werden, wenn sich die Verhältnisse gegenüber dem Zeitpunkt der Zuerkennung der Leistung wesentlich geändert hätten. Bei einer Weitergewährung einer Leistung müsse eine Änderung gegenüber dem Zeitpunkt der Weitergewährung eingetreten sein. Unabhängig von den im seinerzeitigen Verfahren zur Weitergewährung getroffenen Feststellungen seien daher hier Feststellungen über die für die seinerzeitige Weitergewährung wesentlichen Tatsachen zu treffen gewesen. Diese nunmehr getroffenen Feststellungen über die für die Weitergewährung der Versehrtenrente des Klägers nach dem Stande vom Dezember 1986 wesentlichen Tatsachen ergäben, daß die Berufskrankheit nach den objektiven Daten zwar damals nicht mehr nachweisbar gewesen sei, nach wie vor aber noch Auswirkungen im Sinn einer verlängerten Rehabilitationsphase gezeigt hätten und die durch Leistungseinschränkungen vermehrte Erholungsbedürftigkeit weiterhin eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 vH bewirkt hätte. Diese Rehabilitationsphase sei aber nunmehr ebenfalls abgeschlossen. Beim Kläger bestünden keine eine Minderung der Erwerbsfähigkeit bewirkenden Auswirkungen der Berufskrankheit. Es sei daher im Verhältnis zum Zeitpunkt der Weitergewährung der Versehrtenrente beim Kläger hinsichtlich seiner Berufskrankheit eine wesentliche Besserung eingetreten, die die Entziehung der Leistung rechtfertige.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Ersturteil wiederhergestellt werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Die Revision ist berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Dem vom Kläger vertretenen Standpunkt, daß für die Beurteilung der Frage, ob eine wesentliche Besserung in seinem Zustand eingetreten sei, die im Sinne des § 183 Abs 2 ASVG die Entziehung der Rente rechtfertige, ein Vergleich mit dem Zustand am 6.12.1989 herzustellen sei, kann nicht beigetreten werden. Der Bescheid, mit dem die früher gewährte Rente auf 20 vH herabgesetzt wurde, wurde am 27.1.1987 erlassen. Dieser Bescheid ist durch die vom Kläger dagegen erhobene Klage außer Kraft getreten (§ 71 Abs 1 ASGG). Die beklagte Partei hatte gemäß § 71 Abs 2 ASGG dem Kläger die Leistung, die Gegenstand der Klage war, bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens vorläufig insoweit zu gewähren, als dies dem außer Kraft getretenen Bescheid entsprach, sohin im Ausmaß einer Versehrtenrente von 20 vH. Nach Rücknahme der Klage hatte die beklagte Partei gemäß § 72 Z 1 lit c ASGG binnen 4 Wochen ab Kenntnis von der Klagsrücknahme jene Leistung festzustellen, die sie dem Kläger auch nach dem Zeitpunkt der Rücknahme der Klage nach dem § 71 Abs 2 zu gewähren gehabt hätte, wenn die Klage nicht zurückgenommen worden wäre. Dieser Bestimmung hat die beklagte Partei mit dem Bescheid vom 6.12.1989 entsprochen; ob dabei die gesetzliche Frist eingehalten wurde, ist hier nicht zu prüfen. Die Bestimmung des § 72 Z 1 lit c ASGG geht auf § 385 Abs 1 ASVG zurück, der durch § 96 ASGG aufgehoben wurde. Schon nach der früheren Rechtslage war die Zurücknahme der Klage zulässig, doch war gleichzeitig, um den Kläger vor dem Nachteil zu bewahren, daß sein Anspruch auf vorläufige Gewährung der Leistung, soweit sie nach dem außer Kraft getretenen Bescheid zugestanden war, erlöschen würde, der Versicherungsträger verpflichtet, falls er gemäß § 384 Abs 2 ASVG (alt) ohne Zurücknahme der Klage weiter zu leisten gehabt hätte, die zu erbringende Leistung innerhalb von 4 Wochen durch Bescheid festzustellen. Damit sollte die Klagemöglichkeit allenfalls eröffnet werden, die allerdings nur dann gegben war, wenn der Bescheid nicht einfach den früheren Bescheid wiederholte (Teschner-Fürböck, ASVG 38. ErgLfg 1709 Anm 1 zu § 385 ASVG alt). Auch nach der Regelung des § 72 ASGG hindert die Zurücknahme der Klage eine neue Klagseinbringung dann nicht, wenn der Versicherungsträger nicht innerhalb von 4 Wochen ab Kenntnis der Klagsrücknahme mit Bescheid jene Leistung festgestellt hat, die dem außer Kraft getretenen Bescheid entspricht. Diese Sonderregelung ist eine Konsequenz zur sukzessiven Zuständigkeit, aufgrund deren der Bescheid, der den Anlaß zur Klage gegeben hat, mit der Klagserhebung endgültig außer Kraft tritt. Das bedeutet, daß die Klagsrücknahme durch den Versicherten den Versicherungsträger verpflichtet, binnen 4 Wochen dem Versicherten diejenigen Leistungen zuzusprechen, die er aufgrund des ersten (durch die Klage außer Kraft getretenen) Bescheides zu leisten gehabt hätte (SSV-NF 4/132). Dem Versicherungsträger ist bei Erlassung des Wiederholungsbescheides eine neuerliche Prüfung des Anspruches verwehrt; die Leistung hat sich auf die bloße Wiederherstellung des früheren Bescheides zu beschränken. Für die Frage, ob eine wesentliche Änderung im Zustand des Versicherten eingetreten ist, die eine Entziehung der Leistung rechtfertigt, ist daher auf den Zeitpunkt der Erlassung des früheren Bescheides abzustellen. Zutreffend haben daher die Vorinstanzen den derzeitigen Zustand des Klägers demjenigen im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides vom 27.1.1987 gegenübergestellt.
Soweit die Revision geltend macht, daß bei der angefochtenen Entscheidung die Schädigungen der Brustwirbelsäule ungeprüft geblieben seien, kommt den Ausführungen Berechtigung zu. In der Klage hat der Kläger auch vorgebracht, daß im Zusammenhang mit der Berufskrankheit Schädigungen im Bewegungsapparat eingetreten seien. Aufgrund der jahrelangen hochdosierten Cortisonmedikation sei eine Entmineralisierung der Wirbelkörper eingetreten und bestünden von seiten der Wirbelsäule massive Beschwerden, die der Berufskrankheit zuzurechnen seien. Das Erstgericht hat zu dieser Frage auch einen Sachverständigenbeweis erhoben, aus dem sich gewisse Hinweise im Sinn der Behauptung des Klägers zu ergeben scheinen. Sowohl das Erstgericht wie auch das Berufungsgericht haben jedoch ihre Urteilsfeststellungen auf die rein intern zu beurteilenden Leidenszustände (unmittelbare Folgen der Hepatitis B und die dadurch bedingte Rehabilitationsphase) beschränkt, dabei aber nicht einwandfrei festgestellt, zu welchem Zeitpuntk die Rehabilitationsphase abgeschlossen war. Zur Frage, ob darüber hinaus im Sinn der Behauptung des Klägers berufsbedingt Wirbelsäulenbeschwerden vorliegen und ob und in welchem Ausmaß hieraus eine Minderung der Erwerbsfähigkeit resultiert, fehlen jedoch Feststellungen überhaupt. In diesen Punkten erweist sich das Verfahren ergänzungsbedürftig. Da das Berufungsgericht die Urteilsgrundlagen aufgrund einer (teilweisen) Wiederholung der Beweise erhoben hat, trifft der Mangel diesen Verfahrensabschnitt. Die Ergänzung des Verfahrens zur Beseitigung des Mangels war daher dem Berufungsgericht aufzutragen. Da die Sachverhaltsgrundlagen ergänzungsbedürftig sind, erübrigt sich vorerst ein Eingehen auf die weiteren Ausführungen der Revision.
Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 ZPO.
Anmerkung
E29417European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1992:010OBS00090.92.0428.000Dokumentnummer
JJT_19920428_OGH0002_010OBS00090_9200000_000