TE OGH 1992/5/13 9ObA71/92

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Veröffentlicht am 13.05.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Gamerith und Dr. Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dipl.Ing. Dr. Hans Bobek und Mario Mdjimorec als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei V***** N*****, Bauarbeiter, ***** vertreten durch ***** Rechtsanwalt *****, wider die beklagte Partei Bauarbeiter- Urlaubs- und Abfertigungskasse, ***** vertreten durch ***** Rechtsanwälte *****, wegen 129.726 S sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16. Dezember 1991, GZ 33 Ra 70/91-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 8.Jänner 1991, GZ 12 Cga 126/90-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie zu lauten haben:

"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei einen Betrag von 129.726 S brutto samt 4 % Zinsen seit 2.August 1990 binnen 14 Tagen bei Exekution zu zahlen.

Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei die mit 22.716,60 S bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz (darin 3.011,10 S Umsatzsteuer und 4.650 S Barauslagen) sowie die mit 19.353,60 S bestimmten Kosten des Verfahrens zweiter Instanz (darin 1.885,60 S Umsatzsteuer und 8.040 S Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen."

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 18.789,60 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 1.131,60 S Umsatzsteuer und 12.000 S Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war vom 9.Mai 1961 bis 17.Dezember 1967, vom 1. April 1968 bis 11.Jänner 1970 und vom 2.März 1970 bis 31. Jänner 1988 als Bauarbeiter der P***** AG beschäftigt. Der Kläger wurde bei der P***** AG ab 1.Juli 1967 als sogenannter Stammarbeiter geführt, worüber ihm am 10.Juli 1967 eine schriftliche Urkunde ausgestellt wurde. Darin wurde dem Kläger zugesichert, nach witterungsbedingten, saisonüblichen Unterbrechungen seines Arbeitsverhältnisses wieder eingestellt zu werden, sobald die Witterung die Wiederaufnahme der Arbeit an den Baustellen zuläßt. Der Kläger war in den Zeiten vom 18. Dezember 1967 bis 31.März 1968 und vom 12.Jänner 1970 bis 1. März 1970 nicht bei einem anderen Arbeitgeber beschäftigt, sondern war als arbeitslos gemeldet und bezog die Arbeitslosenunterstützung. Der Kläger suchte in diesem Zeitraum keine andere Arbeit, weil er mit seiner Wiedereinstellung rechnete. Das Arbeitsverhältnis wurde jeweils vom Arbeitgeber gekündigt und dem Kläger die für den Bezug der Arbeitslosenunterstützung erforderlichen Papiere ausgestellt.

Der Kläger begehrt - nach Einschränkung des Klagebegehrens - einen Betrag von 129.726 S brutto sA und brachte vor, ihm sei von der beklagten Partei lediglich eine Abfertigung von sechs Monatsbezügen unter Zugrundelegung eines anrechenbaren Beschäftigungszeitraumes vom 2.März 1970 bis 31.Jänner 1988 ausbezahlt worden. Ungeachtet der beiden kurzen saisonbedingten Unterbrechungen seien aber die Zeiten ab 9.Mai 1961 anzurechnen, so daß der Kläger Anspruch auf Abfertigung in Höhe von 12 Monatsbezügen habe.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Dienstzeiten vor dem 2.März 1970 würden nicht als Vordienstzeiten im Sinne des Art V Abs 4 BUAG anerkannt. Bei den Unterbrechungen der Arbeitsverhältnisse seien jeweils Dienstgeberkündigungen ohne Hinweis auf eine allfällige Wiedereinstellungszusage an die damalige Urlaubskasse ergangen. Für die Unterbrechungszeiträume seien keine Beiträge an die Urlaubskasse gezahlt worden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und vertrat die Rechtsauffassung, daß es erst nach den ab 1.April 1972 geltenden kollektivvertraglichen Regelungen für Bauarbeiter möglich gewesen sei, auch bei Dienstverhältnissen, die gewisse kurze Unterbrechungen aufwiesen, Abfertigungsansprüche zu erlangen. Der Unterbrechungsspielraum habe - unter Voraussetzung einer schriftlichen Wiedereinstellungszusage - zunächst 60 Tage betragen, sei mit Kollektivvertrag vom 1.April 1977 auf 90 Tage und mit Kollektivvertrag vom 3.April 1981 auf 120 Tage erstreckt worden. Auf dieses Regelungsmodell habe der Gesetzgeber bei der Schaffung der Bestimmung des Art V Abs 4 BUAG abgestellt. Eine Zusammenrechnung unterbrochener Beschäftigungszeiten sei demnach erst ab dem 1.April 1972 möglich.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und teilte dessen Rechtsauffassung.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der klagenden Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne des Klagebegehrens abzuändern.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß Art V Abs 4 BUAG sind Arbeitnehmern, die am 1.Oktober 1987 bei einem Arbeitgeber in Beschäftigung standen, der dem Geltungsbereich des BUAG für den Sachbereich der Abfertigungsregelung unterliegt, alle bisher bei diesem Arbeitgeber geleisteten und dem BArbUG 1972 unterlegenen Beschäftigungszeiten für einen Abfertigungsanspruch anzurechnen, sofern diese in den Sachbereich der Abfertigungsregelung fallenden Beschäftigungszeiten unter Berücksichtigung kollektivvertraglicher Regelungen einem Abfertigungsanspruch nach dem ArbAbfG zugrundezulegen wären. Nach dem gemäß § 2 ArbAbfG auf den Abfertigungsanspruch der Arbeiter anzuwendenden § 23 Abs 1 AngG sind nur Beschäftigungszeiten aus einem ununterbrochenen Arbeitsverhältnis für die Abfertigung zu berücksichtigen. Die Zusammenrechnungsvorschriften des Kollektivvertrages für Bauindustrie und Baugewerbe ermöglichten darüber hinaus unter bestimmten Voraussetzungen die Zusammenrechnung der Beschäftigungszeiten auch bei Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses. Ist es zu einer echten Karenzierung des Arbeitsverhältnisses gekommen, dann ist es als ununterbrochen im Sinne des § 23 Abs 1 AngG anzusehen.

Geht man von den für den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen aus, daß dem Kläger von seinem Arbeitgeber am 10. Juli 1967 schriftlich zugesichert wurde, daß er als Stammarbeiter nach witterungsbedingten, saisonüblichen Unterbrechungen seines Arbeitsverhältnisses wieder eingestellt werde, sobald die Witterung die Wiederaufnahme der Arbeit an den Baustellen zulasse und daß auch der Kläger bei Besserung der Witterung mit einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu den bisherigen Bedingungen rechnete, dann wurde das Arbeitsverhältnis am 17.Dezember 1967 und am 11.Jänner 1970 nicht beendet, sondern lediglich die beiderseitigen Hauptleistungspflichten für die Zeit der Unmöglichkeit der Arbeit im Freien ausgesetzt (siehe auch DRdA 1988, 249 [zustimmend Csebrenyak]; SZ 61/94 = Arb 10.738; SZ 62/46; SZ 62/88 mwH; zuletzt 9 Ob A 193/90, 9 Ob A 118/91 sowie 9 Ob A 23/92).

Wie der Oberste Gerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, ist nicht auf die Wortwahl der Parteien, sondern auf die von ihnen bezweckte Regelung der gegenseitigen Rechtsbeziehungen abzustellen. Auch wenn anläßlich der Karenzierung eine Kündigung durch den Arbeitgeber ausgesprochen wurde und entsprechende Bestätigungen gegenüber der Arbeitsmarktverwaltung und den Sozialversicherungsträgern abgegeben wurden, schließt dies nicht die Qualifikation als echte Aussetzungsvereinbarung aus (siehe SZ 61/94; SZ 62/88; 9 Ob A 193/90 sowie 9 Ob A 23/92).

Der Auffassung der Revisionsgegnerin, ein Zeitraum von fast 15 Wochen sei zu lang für die Annahme einer Karenzierung, ist entgegenzuhalten, daß der Oberste Gerichtshof in der gleichfalls ein Arbeitsverhältnis in der Bauwirtschaft betreffenden Entscheidung SZ 91/94 auch erhebliche Zeiten des Ruhens der beiderseitigen Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis für jeweils rund vier Monate nicht als Hindernis für die Annahme einer echten Aussetzungsvereinbarung angesehen hat.

Auch aus der Entscheidung ZAS 1990, 21 läßt sich für den Standpunkt der Revisionsgegnerin nichts gewinnen, weil zum Zeitpunkt der gegenständlichen Karenzierungen weder gesetzliche noch kollektivvertragliche Regelungen über die Auswirkungen saisonaler Unterbrechungen auf den Abfertigungsanspruch bestanden.

Soweit die Revisionswerberin aus den Formulierungen des BUAG, wie "Beschäftigungszeiten" Abweichungen gegenüber § 23 AngG zum Nachteil des Arbeitnehmers abzuleiten sucht, ist ihr zu erwidern, daß es nicht Zweck des BUAG war, die Bauarbeiter bezüglich der Voraussetzungen für den Abfertigungsanspruch schlechterzustellen als die übrigen Arbeitnehmer. Auf den Hinweis der Revisionswerberin, daß aus Einzelvereinbarungen, soweit sie über das BUAG hinausgehende Abfertigungsansprüche zusicherten, nur der Arbeitgeber hafte, ist schließlich zu erwidern, daß der Abfertigungsanspruch des Klägers nicht aus einer derartigen Vereinbarung, sondern aus dem gemäß Art V Abs 4 BUAG iVm § 2 ArbAbfG anzuwendenden § 23 AngG abgeleitet wurde.

Der Revision war daher Folge zu geben und die Urteile der Vorinstanzen im Sinne des entsprechend dem Einwand der beklagten Partei bezüglich der Höhe des Anspruches eingeschränkten Klagebegehrens abzuändern.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz beruht auf den §§ 43 Abs 1 und 50 ZPO, die über die Kosten des Verfahrens zweiter und dritter Instanz auf den §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E28631

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:009OBA00071.92.0513.000

Dokumentnummer

JJT_19920513_OGH0002_009OBA00071_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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