Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes
Hon.Prof. Dr. Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Graf, Dr. Jelinek und Dr. Schinko als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei 1. Alois H*****, und 2. Eveline H*****, beide vertreten durch DDDr. Franz Langmayr, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Hans K*****, vertreten durch Dr. Helene Klaar, Rechtsanwältin in Wien, wegen Aufkündigung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien als Berufungsgerichtes vom 11. Dezember 1991, GZ 48 R 755/91-12, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom 26. Juni 1991, GZ 7 C 349/91g-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Der Beklagte ist schuldig, den klagenden Parteien die mit S 2.392,89 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (einschließlich S 398,81 USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die kündigenden Parteien behaupten in ihrer auf § 30 Abs 1 Z 4 erster Fall MRG gestützten Aufkündigung, der Beklagte bewohne mit seiner Ehefrau eine Hausbesorgerwohnung, nicht aber die aufgekündigte Mietwohnung; in dieser wohne nur mehr sein Sohn, der aber nicht eintrittsberechtigt sei, weil er in den letzten zwei Jahren vor Übernahme der Wohnung dort nicht mit seinen Eltern in gemeinsamem Haushalt gewohnt habe.
Der Beklagte brachte dagegen vor, die klagenden Parteien hätten auf den behaupteten Kündigungsgrund verzichtet, weil ihnen die Tatsache, daß er diese Wohnung nicht selbst bewohne, seit Jahren bekannt sei. Zunächst habe dort seine Tochter gewohnt und nunmehr wohne sein Sohn in der Wohnung.
Dieses Vorbringen wurde von den Klägern mit der Behauptung bestritten, die Tochter des Beklagten sei seinerzeit eintrittsberechtigt gewesen, nicht dagegen nunmehr der Sohn.
Das Erstgericht erkannte die Aufkündigung für rechtswirksam und den Beklagten für schuldig, die aufgekündigte Wohnung binnen 14 Tagen zu räumen. Es traf folgende Feststellungen:
Der Beklagte hat die gegenständliche Wohnung im Jahre 1968 gemietet, zog aus dieser jedoch mit seiner aus Ehefrau sowie Tochter und Sohn bestehenden Familie im Jahre 1978 aus und bezog eine seiner Ehefrau als Dienstwohnung zustehende Hausbesorgerwohnung in einer Wohnhausanlage. Bis zum Jahre 1985 stand die streitgegenständliche Wohnung meist leer; der Beklagte hat dort nur ganz selten genächtigt. Den Klägern war dieser Umstand bekannt. Im Jahre 1985 zog die Tochter des Beklagten allein in diese Wohnung ein und wohnte dort bis zum August 1989. Nach ihrem Auszug entschloß sich im September 1989 der Sohn des Beklagten, diese Wohnung zu beziehen; er zog dort nach Durchführung von Renovierungsarbeiten im November 1989 tatsächlich ein und benützt diese Wohnung seither regelmäßig.
In seiner rechtlichen Beurteilung verneinte das Erstgericht ein Eintrittsrecht des Sohnes des Beklagten in dessen Mietrechte an der gegenständlichen Wohnung, weil er im Jahre 1978 gemeinsam mit dem Vater aus dieser ausgezogen und im Jahre 1985 allein wieder eingezogen sei. Ebenso verneinte es einen durch Verschweigung eingetretenen Kündigungsverzicht der klagenden Parteien. Diesen oder zumindest dem Erstkläger sei zwar bekannt gewesen, daß die Tochter des Beklagten im Jahre 1985 und daher ohne Eintrittsrecht allein in diese Wohnung eingezogen sei, vom Einzug des Sohnes im Jahre 1989 hätten die Kläger aber erst im Zuge des gegen den Beklagten wegen Nichtbenützung dieses Bestandgegenstandes geführten Vorprozesses 7 C 2597/89 des BG Floridsdorf erfahren. Der Umstand, daß die Kläger die Benützung der Mietwohnung durch die Tochter des Beklagten duldeten, bedeute noch nicht, daß sie auf die Geltendmachung des Kündigungsgrundes der gänzlichen Weitergabe des Bestandgegenstandes für alle Zeiten verzichtet hätten. Durch den Auszug der Tochter sei dieser Kündigungsgrund beendet worden, die Weitergabe der Wohnung durch den Beklagten an seinen Sohn stelle einen neuen Kündigungsgrund dar. Von dieser Weitergabe habe der Erstkläger im vorgenannten Vorprozeß im Mai 1990 erfahren; dieser Prozeß sei durch abweisendes Urteil vom 2.1.1991 beendet worden, worauf die Kläger bereits im Jänner 1991 die gegenständliche Aufkündigung eingebracht hätten. Von einer Verschweigung des geltend gemachten Kündigungsgrundes des § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG könne somit keine Rede sein.
Das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil und erklärte die Revision für zulässig. Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen, verwies darauf, daß eine Eintrittsberehtigung des Sohnes des Beklagten in das Bestandverhältnis im Sinne des § 12 MRG vom Beklagten nicht behauptet werde, und trat der erstgerichtlichen Beurteilung bei, wonach ein stillschweigender Verzicht der Kläger auf die Geltendmachung des Kündigungsgrundes nach § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG nicht vorliege. Wenn der Vermieter durch vier Jahre von der Weitergabe der Wohnung an die Tochter gewußt habe, so scheine zwar die Annahme gerechtfertigt, daß er auf eine Aufkündigung der Wohnung wegen dieser Weitergabe stillschweigend verzichtet habe. Daraus, daß der Vermieter die Weitergabe an die Tochter nicht zum Anlaß einer Kündigung genommen habe, könne aber nicht unzweifelhaft erschlossen werden, daß er damit stillschweigend auch darauf verzichtete, eine künftige Weitergabe als Kündigungsgrund geltend zu machen. In den Entscheidungen MietSlg. 32.358 und 25.307 sei aus der Zustimmung zu einer konkreten Untervermietung nicht auch schon ein genereller Verzicht auf die Geltendmachung des Kündigungsgrundes abgeleitet worden. Hier spreche schon das im November 1989 anhängig gemachte, lediglich auf Nichtbenützung gestützte Kündigungsverfahren 7 C 2597/89 gegen einen stillschweigenden Kündigungsverzicht hinsichtlich der Weiterbenützung durch den Sohn des Beklagten. Da unmittelbar nach der Zustellung des Urteiles im Vorprozeß auch schon die gegenständliche Aufkündigung eingebracht worden sei, könne ein stillschweigender Verzicht auf den Kündigungsgrund nicht angenommen werden.
Gegen die berufungsgerichtliche Entscheidung erhebt der Beklagte eine auf den Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision mit dem Antrage auf Abänderung im Sinne der Aufhebung der gegenständlichen Aufkündigung und Abweisung des Räumungsbegehrens. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Revisionswerber bringt vor, die vom Berufungsgericht zitierten Entscheidungen seien auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar, hier sei vielmehr entscheidend, daß das Bestandobjekt schon in den Jahren 1978 bis 1985 leer gestanden und sodann vier Jahre lang an die nicht eintrittsberechtigte Tochter weitergegeben worden sei, ohne daß dies die Vermieter zum Anlaß einer Aufkündigung genommen hätten. Nach dem Auszug der Tochter habe der Beklagte zwar die Aufgabe der Mietrechte erwogen, doch sei sodann sein Sohn im November 1989 in die Wohnung eingezogen. Die damals von den Klägern eingebrachte Aufkündigung nach § 30 Abs 2 Z 6 MRG sei rechtswirksam aufgehoben worden. Das Gesamtverhalten der Kläger lasse nur den Schluß auf deren Willen zu, " daß die Wohnung der Familie K***** zur Verfügung bleibe". Dies decke sich auch mit der Aussage des Erstklägers, wonach es Wille der Voreigentümer gewesen sei, daß "gegen die Familie K***** nichts unternommen werde". Somit hätten die Kläger das Leerstehen der Wohnung und ihre Weitergabe geduldet und auf die Geltendmachung diesbezüglicher Kündigungsgründe verzichtet. Zwar liege kein genereller Kündigungsverzicht vor, "aber auch nicht nur ein Verzicht auf den konkreten Kündigungstatbestand hinsichtlich der Tochter des Beklagten".
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, aber nicht gerechtfertigt. Der Beklagte behauptet selbst gar nicht, daß sich die Kläger vertraglich - sei es gegenüber ihren Rechtsvorgängern oder unmittelbar ihm gegenüber - zur Duldung der Weitergabe der Wohnung durch ihn verpflichtet hätten, sodaß seine Ausführungen über einen angeblichen "Willen der Voreigentümer, gegen ihn nichts zu unternehmen", rechtlich bedeutungslos sind. Auch seine Ansicht, die vom Berufungsgericht zitierten Entscheidungen MietSlg. 32.358 und 25.307 seien für die Beurteilung des vorliegenden Falles nicht dienlich, ist unzutreffend. In diesen Entscheidungen, insbesondere in der erstgenannten Entscheidung, wurde die Frage behandelt, ob aus der ausdrücklichen Zustimmung des Vermieters zur Weitergabe des Bestandgegenstandes (Untervermietung) an eine bestimmte Person, also in einem ganz konkreten Fall, auch schon auf einen generellen Kündigungsverzicht hinsichtlich solcher Weitergaben geschlossen werden könne; diese Frage wurde ausgehend von der Auslegungsregel des § 914 ABGB grundsätzlich verneint. Es ist nun kein Grund ersichtlich, warum dies im Falle einer bloß stillschweigenden Duldung der Weitergabe der Wohnung an eine bestimmte Person nicht gelten sollte. Auch in einem derartigen Falle kann sich der stillschweigende Kündigungsverzicht nur auf den konkreten Tatbestand beziehen, denn es fehlt ebenso wie im erstgenannten Fall jeder Anhaltspunkt dafür, daß der Vermieter damit generell - wie das Erstgericht zutreffend formulierte "für alle Zeiten" - auf die Geltendmachung des betreffenden Kündigungsgrundes verzichten habe wollen.
Im Sinne der berufungsgerichtlichen Ausführungen ist bei der Beurteilung der Frage, ob auf ein Recht verzichtet wurde, grundsätzlich auch besondere Vorsicht geboten; dies gilt ganz besonders dann, wenn bei Vorliegen von Dauertatbeständen aus der Nichtgeltendmachung des diesbezüglichen Kündigungsgrundes ein Kündigungsverzicht durch Verschweigung erschlossen werden soll (3 Ob 609/81; SZ 61/42; 7 Ob 566/90; 8 Ob 1509/88 u.a.). Auch der Umstand, daß sich die Vermieter hier eines anderen Kündigungsgrundes, nämlich jenes der Nichtbenützung der Wohnung gemäß § 30 Abs 2 Z 6 MRG allenfalls verschwiegen hatten, läßt nicht den Schluß zu, daß sie damit auch in die Überlassung der Wohnung an Dritte eingewilligt hätten. Abgesehen davon, daß bei Beurteilung eines stillschweigenden Kündigungsverzichtes im Hinblick darauf, daß der Beklagte mit seiner Ehefrau in eine Hausbesorger-Dienstwohnung zog, ein großzügiger Maßstab zu Gunsten der Vermieter anzulegen wäre, weil dem Mieter solcherart allenfalls lediglich eine Zeit lang eine allfällige Rückkehrmöglichkeit geboten werden sollte - siehe hiezu die Entscheidungen 3 Ob 609/81 und 7 Ob 603/85, wonach selbst eine jahrelange weitere Überlassung der Wohnung an nicht Eintrittsberechtigte bloß aus sozialen Gründen unter dem Gesichtspunkt der Verschweigung sehr großzügig zu Gunsten des Vermieters zu beurteilen ist -, hatte hier der Beklagte nach seinem eigenen Revisionsvorbringen sodann kein eigenes Interesse an der Wohnung mehr, weshalb er nach dem Auszug der Tochter im Jahre 1989 die Mietrechte sogar zurücklegen wollte und dies nur wegen des plötzlichen Interesses des Sohnes an der Wohnung schließlich nicht getan hat. Auch die zunächst unterlassene Einbringung einer Aufkündigung wegen Nichtbenützung der Wohnung rechtfertigt unter den gegebenen Umständen demnach keinesfalls den Schluß, die Kläger hätten für den Fall eines mangelnden eigenen Wohnbedarfes des Beklagten an der Wohnung deren wiederholten Weitergabe an seine Familienmitglieder zugestimmt.
Das Wesen des Kündigungsgrundes nach § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG besteht im Wegfall eines schutzwürdigen Interesses des Mieters (7 Ob 717/87; ImmZ. 1990, 345). Da hier weder ein schutzwürdiges Interesse des Beklagten noch ein stillschweigender Verzicht auf den geltendgemachten Kündigungsgrund vorliegt, muß der Revision ein Erfolg versagt werden.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.
Anmerkung
E29020European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1992:0080OB00560.92.0521.000Dokumentnummer
JJT_19920521_OGH0002_0080OB00560_9200000_000