TE Vwgh Erkenntnis 2006/1/26 2005/20/0187

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Veröffentlicht am 26.01.2006
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §8 Abs1;
AsylG 1997 §8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Berger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des S alias J in W, geboren 1985 (alias 1988) vertreten durch Edward W. Daigneault, Solicitor in 1170 Wien, Hernalser Gürtel 47/4, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 17. Februar 2005, Zl. 257.552/0-IV/11/05, betreffend §§ 7 und 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid hinsichtlich seines Spruchpunktes

3. (Ausweisung des Beschwerdeführers "aus dem österreichischen Bundesgebiet") wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, nach seinen Angaben ein am 2. März 1988 geborener Staatsangehöriger von Nigeria, beantragte am 13. Jänner 2004 Asyl. Bei der Asylantragstellung gab er als seinen Vornamen "Jenky" und als Nachname "Smith Johnson" an, während er bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 24. Jänner 2005 seinen Familiennamen mit "John" und den Vornamen mit "Smith" angab. Auch die Namen der Eltern, wie sie einerseits bei der Asylantragstellung und andererseits bei der niederschriftlichen Einvernahme angegeben wurden, wichen nicht nur unwesentlich von einander ab. Da der zuständige Jugendwohlfahrtsträger dem Bundesasylamt mitteilte, aufgrund des Verhaltens und des Erscheinungsbildes des Asylwerbers sei dieser "mit Sicherheit ... jedenfalls älter als 18 Jahre", wurde das Verfahren vor dem Bundesasylamt ohne Vertretung durch den Jugendwohlfahrtsträger geführt, wogegen der Beschwerdeführer sich weder in der in der Folge von ihm erhobenen Berufung noch in der vorliegenden Beschwerde gewendet hat.

Zu seinem Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt an, er sei vom Bruder seiner moslemischen Freundin, die von ihm "Mitte 2002" schwanger geworden sei, verfolgt worden, sodass er während ca. eineinhalb Jahren zwischen Lagos, Agbanke und der Farm seines Vaters hin und her pendeln habe müssen und schließlich geflüchtet sei. Auf Nachfrage wegen seines Geburtsdatums und ob es zutreffend sei, dass er mit dreizehn Jahren ein Kind gezeugt habe, sagte er, er sei damals 16 Jahre alt gewesen. Auf neuerlichen Vorhalt, dass die von ihm früher gemachten zeitlichen Angaben somit unrichtig seien, wollte er "dazu nichts angeben". Auf die Frage, ob seine Freundin ein Kind bekommen habe, gab er an, dies wisse er nicht; persönlichen Kontakt mit der Gruppe ihres Bruders habe er nicht gehabt, er wisse von der Verfolgung nur durch seinen Onkel und seine Mutter. Von der Polizei, an die er sich nicht gewendet habe, hätte er keine Hilfe erhalten. Im Falle der Rückkehr nach Nigeria befürchte er von der erwähnten Gruppe des Bruders (der er in der Vergangenheit immer aus dem Weg habe gehen können) weiterhin verfolgt oder sogar getötet zu werden.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 26. Jänner 2005 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab, erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig und wies den Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 leg. cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet aus. Das Bundesasylamt wertete das Vorbringen des Beschwerdeführers aus näher dargestellten Gründen als unglaubwürdig. Zudem sei "unabhängig von der Glaub- bzw. Unglaubwürdigkeit" dieses Vorbringens festzuhalten, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht asylrelevant sei. Unter Verweis auf im einzelnen angeführte Entscheidungen des unabhängigen Bundesasylsenates stellte das Bundesasylamt fest, dass im Falle der Gefährdung "durch nichtstaatliche (private) Individuen ... die reale Möglichkeit offen steht, sich durch einen Ortswechsel innerhalb des Staates Nigeria in Sicherheit zu bringen bzw. einer solchen Gefahr endgültig zu entgehen". Die "Basisversorgung der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln" sei in Nigeria "zumindest im städtischen Bereich grundsätzlich gewährleistet". Daraus und aus der mangelnden Glaubhaftmachung der Fluchtgründe sowie dem Fehlen eines Hinweises auf "außergewöhnliche Umstände (lebensbedrohende Erkrankung oder dergleichen)" folgerte das Bundesasylamt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria zulässig sei. Weiters führte die Behörde aus, dass beim Beschwerdeführer kein "Familienbezug (Kernfamilie)" in Österreich vorliege und dessen Ausweisung gemäß § 8 Abs. 2 AsylG anzuordnen gewesen sei.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung des Beschwerdeführers - ohne Durchführung der vom Beschwerdeführer beantragten Berufungsverhandlung - gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt 1.), stellte gemäß § 8 (Abs. 1) iVm § 57 FrG fest, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt 2.) und wies den Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG idF BGBl. I Nr. 101/2003 "aus dem österreichischen Bundesgebiet" aus (Spruchpunkt 3.). Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, sie schließe sich den Ausführungen des Bundesasylamtes hinsichtlich der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, der Beweiswürdigung und der Beurteilung der Rechtsfrage an und erhebe diese zum Inhalt des gegenständlichen Bescheides.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

1. Die Beschwerde tritt der von der belangten Behörde im Ergebnis als schlüssig beurteilten Beweiswürdigung des Bundesasylamtes nicht im einzelnen entgegen, sondern führt lediglich aus, das Vorbringen des Beschwerdeführers sei "glaubwürdig". Es sei unrealistisch, dass der nigerianische Staat ihn "vor dieser Verfolgung" schützen könne oder er in Großstädten untertauchen könne. Zur Begründung dieser Ausführungen verweist der Beschwerdeführer auf einen Länderbericht von ACCORD (September 2002), wonach durchaus effektive informelle Informationssysteme zur Ausforschung von Personen in Großstädten bestünden.

Der Hinweis der Beschwerde auf den erwähnten Länderbericht geht schon deshalb fehl, weil die belangte Behörde im vorliegenden Fall von mangelnder Glaubwürdigkeit der Verfolgungsbehauptung des Beschwerdeführers ausgegangen ist. Dabei hat sie die Beweiswürdigung des Bundesasylamtes übernommen und sich insbesondere auf den von ihr hervorgehobenen Umstand gestützt, dass der Beschwerdeführer, wie die Angaben zu seinem Alter belegten, "nicht bei der Wahrheit geblieben sei", sowie darauf, dass dessen Angaben "insgesamt betrachtet" unkonkret, undetailliert, nicht widerspruchsfrei und in Teilen unplausibel gewesen seien und dass der Beschwerdeführer auch persönlich unglaubwürdig sei.

Die Beweiswürdigung ist nach ständiger Rechtsprechung ein Denkprozess, der nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich ist, als es sich um dessen Schlüssigkeit oder darum handelt, ob die Beweise, die dabei gewürdigt werden, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden sind. Die Schlüssigkeit der Beweiswürdigung unterliegt der Kontrollbefugnis des Verwaltungsgerichtshofes, nicht aber deren konkrete Richtigkeit. Im vorliegenden Fall kann die Beweiswürdigung des Bundesasylamtes, soweit sie von der belangten Behörde übernommen wurde, im Ergebnis nicht als unschlüssig erkannt werden, und der Beschwerdeführer ist dieser Beweiswürdigung des Bundesasylamtes in der Berufung auch nicht in der Weise substantiiert entgegengetreten, dass er zu den vom Bundesasylamt gegen seine Glaubwürdigkeit vorgebrachten Argumenten im Einzelnen Stellung genommen und die von der Behörde aufgezeigten Ungereimtheiten in seiner Darstellung zu erklären versucht hätte. Es kann der belangten Behörde daher auch nicht entgegen getreten werden, wenn sie im vorliegenden Fall davon ausgegangen ist, dass eine mündliche Berufungsverhandlung unterbleiben konnte, zumal dieser Umstand vom Beschwerdeführer auch gar nicht gerügt wird (vgl. zur Bekämpfung der Beweiswürdigung und zur Verhandlungspflicht des unabhängigen Bundesasylsenates die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. November 2004, Zlen. 2002/20/0335 und 2003/20/0255 mit weiteren Hinweisen).

2. Ist der die Abweisung des Asylantrages betreffende, von fehlender Glaubwürdigkeit der Verfolgungsbehauptung ausgehende Spruchpunkt 1. des angefochtenen Bescheides somit nicht zu beanstanden, so gehen in Bezug auf Spruchpunkt 2. auch die auf der Glaubwürdigkeit der Fluchtgründe aufbauenden Beschwerdeausführungen, soweit sie sich gegen die Möglichkeit eines Ausweichens des Beschwerdeführers in einen anderen Landesteil richten, ins Leere. Soweit überdies auf eine weitgehende Verarmung der nigerianischen Bevölkerung hingewiesen wird, tritt der - aus Lagos stammende - Beschwerdeführer der Feststellung, dass die Basisversorgung der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln in Nigeria "zumindest im städtischen Bereich grundsätzlich gewährleistet" sei, nicht entgegen. Ausgehend davon ist auch die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria gemäß § 8 Abs. 1 AsylG nicht zu beanstanden.

3. Der angefochtene Bescheid ist jedoch in Bezug auf Spruchpunkt 3. (Ausweisung des Beschwerdeführers) rechtswidrig, weil die Ausweisung des Asylwerbers "aus dem Bundesgebiet" ohne die gebotene Einschränkung auf dessen Herkunftsstaat, auf den sich die vorangegangene Prüfung der Zulässigkeit des Refoulement gemäß § 8 Abs. 1 AsylG bezog, ausgesprochen wurde. Spruchpunkt 3. des angefochtenen Bescheides war daher aus den in den Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. Juni 2005, Zl. 2005/20/0108, und vom 13. Dezember 2005, Zl. 2005/01/0625, dargelegten Gründen - auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird - gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

4. Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 26. Jänner 2006

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2005200187.X00

Im RIS seit

19.02.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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