TE OGH 1992/5/26 10ObS72/92

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.05.1992
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Angst als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Karl Heinz Kux (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Franz Eckner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Karl K*****, vertreten durch Dr.Christoph Brenner, Rechtsanwalt in Krems an der Donau, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter (Landesstelle Wien), 1092 Wien, Roßauer Lände 3, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Invaliditätspension infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 13.Dezember 1991, GZ 34 Rs 105/91-23, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Krems an der Donau als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 23.August 1991, GZ 7 Cgs 59/91-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 18.1.1991 lehnte die beklagte Partei den Antrag des am 31.1.1940 geborenen Klägers auf Invaliditätspension vom 6.8.1990 mangels Invalidität ab.

Die dagegen rechtzeitig erhobene, auf die abgelehnte Leistung "ab Anfallstag gemäß § 86 ASVG" gerichtete Klage stützt sich darauf, daß der Kläger wegen Epilepsie mit dauernden Ohnmachtsanfällen, Kopfschmerzen, Kreislaufstörungen, Schwindelanfällen, Geistesschwäche und stark herabgesetzten Allgemeinzustandes keiner geregelten Tätigkeit nachgehen könne.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage, weil der Kläger alle leichten Arbeiten ohne ständigen besonderen Zeitdruck und an nicht exponierten Stellen leisten und daher zB noch als Museumsaufseher, Portier und Saaldiener arbeiten könne.

Das Erstgericht wies die Klage ab.

Nach den wesentlichen Feststellungen war der seit 22.5.1986 nicht mehr pflichtversicherte Kläger, der bis zum Stichtag (1.9.1990) 436 Versicherungsmonate erworben hat, während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag 104 Monate als Sortierer, 4 Monate als Fleischhauer und 2 Monate als Hilfsarbeiter tätig. Er leidet an einer Hyperuricämie, einem wahrscheinlich toxisch-nutritiven Leberschaden und einem Zustand nach Alkoholabusus mit leichter organischer Hirnleistungsschwäche, ist jedoch neurologisch intakt und weist kein alkoholisches Abstinenzsyndrom und keine Polyneuropathie auf. Im Vordergrund steht ein epileptisches Anfallsleiden, wobei mit einem (großen) Anfall pro Monat zu rechnen ist, der am Tag des Anfalls keine verwertbare Arbeitsleistung erlaubt. Der Kläger ist unterweisbar und zum Teil auch anlernbar. Tages- und Wochenpendeln ist ihm ebenso zumutbar wie Übersiedeln. Er kann auch in ein Fabriksmilieu eingeordnet werden. Die Handgeschicklichkeit ist lediglich für feinmotorische Arbeiten leicht eingeschränkt. Mit diesem körperlichen und geistigen Zustand kann der Kläger seit der Antragstellung während der normalen Arbeitszeit leichte und mittelschwere Arbeiten in jeder Körperhaltung verrichten, die keine erhöhten Anforderungen an die Koordinierung und an die Feinmotorik im Hand- und Fingerbereich stellen und die nicht an exponierten Lagen zu verrichten sind. Weitere Einschränkungen der Leistungsfähigkeit bestehen - wie ausdrücklich festgestellt wurde - nicht. Diese Leistungsfähigkeit reicht zB für die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausreichend gefragten Tätigkeiten als Abwäscher im Gastgewerbe und als Werkstättenaufräumer in der Industrie und in größeren Gewerbebetrieben aus.

Wegen dieser Verweisungsmöglichkeiten erachtete das Erstgericht den Kläger nicht als invalid iS des § 255 Abs 3 ASVG. Die epileptischen Anfälle würden keine Arbeitsunfähigkeit bewirken, weil nur ein Anfall pro Monat zu erwarten sei, der die Arbeitsfähigkeit nur am Tag des Anfalls nach sich ziehe.

In seiner Berufung rügte der Kläger, daß das Erstgericht keine ausreichenden Feststellungen über die Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes und den Hergang der epileptischen Anfälle getroffen habe, wollte die Feststellung, daß die Art der Anfälle eine verwertbare Arbeitsleistung nur am Anfallstag nicht mehr erlauben, durch die Feststellung ersetzt haben, daß diese Anfälle in der Regel eine dreitägige Arbeitsunfähigkeit nach sich zögen, und meinte auch, daß er wegen der epileptischen Anfälle nicht mehr einordenbar sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge.

Es verneinte wesentliche Feststellungsmängel. Dafür, daß die Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes eingeschränkt wäre, sei nicht der geringste Anhaltspunkt gegeben. Daraus, daß der Kläger (wegen seines Anfallsleidens) nicht an exponierten Stellen arbeiten dürfe, könne nicht geschlossen werden, daß er von der Benützbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel ausgeschlossen wäre. Der Sachverständige für Neurologie und Psychiatrie habe in seinem mängelfreien Gutachten die Häufigkeit und den durchschnittlichen Verlauf der epileptischen Anfälle ausreichend dargelegt. Selbst bei Verdoppelung der prognostizierten 12 jährlichen Krankenstandstage wäre noch keine Invalidität anzunehmen. Soweit die Rechtsrüge die Einordenbarkeit bezweifle, sei sie nicht gesetzgemäß ausgeführt.

Dagegen richtet sich die nicht beantwortete Revision des Klägers mit den Anträgen, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern oder allenfalls die vorinstanzlichen Urteile zwecks Zurückverweisung an die erste Instanz aufzuheben.

Rechtliche Beurteilung

Die nach § 46 Abs 3 ASGG auch bei Fehlen der Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässige Revision ist nicht berechtigt.

Unter dem unrichtig bezeichneten Revisionsgrund des § 503 Z 2 ZPO macht der Revisionswerber geltend, daß sich die Vorinstanzen nicht damit auseinandergesetzt hätten, ob er wegen seines epileptischen Anfallsleidens überhaupt einen Arbeitsplatz erreichen könne, wobei er darauf verweist, daß er wegen dieses Leidens gerade im Straßenverkehr extrem gefährdet sei.

Dabei übersieht der Rechtsmittelwerber, daß ihm nach den dem neurologisch-psychiatrischen Gutachten folgenden erstgerichtlichen Feststellungen Tages- und Wochenpendeln zumutbar ist. Wenn ihm trotz seines Anfallsleidens sogar das tägliche oder wöchentliche Zurücklegen der Wege von seinem Wohnort in einen auswärtigen Arbeitsort zumutbar ist, dann folgt daraus durch Größenschluß, daß ihm auch das Zurücklegen des Weges zwischen der Wohnung und einem in seinem Wohnort liegenden Arbeitsplatz zumutbar sein muß.

Daß beim Kläger etwa einmal monatlich ein großer epileptischer Anfall auftreten kann, und zwar möglicherweise auch auf dem Weg zwischen der Wohnung und dem Arbeitsplatz, schließt ihn ebensowenig vom allgemeinen Arbeitsmarkt aus wie der Umstand, daß diese Anfälle am Arbeitsplatz selbst auftreten können (SSV-NF 4/168; 9.7.1991 10 Ob S 167/91; 9.7.1991 10 Ob S 201/91).

Der Vorwurf, das Erstgericht habe zur Frage der Einordnungsfähigkeit des Klägers in das Arbeitsleben überhaupt keine Feststellungen getroffen, ist im Hinblick auf die erstgerichtliche Feststellung, daß die Einordenbarkeit (sogar) in ein Fabriksmilieu vorliegt, aktenwidrig.

Daß ein Epileptiker insbesondere wegen der bei Arbeitgebern und Arbeitskollegen negative Gefühle auslösenden Begleitumstände der (großen) Anfälle vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen wäre, ist weder festgestellt noch offenkundig. Es besteht auch kein diesbezüglicher allgemeiner Erfahrungssatz (vgl auch Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung IV 668 c und d mwN; 9.7.1991 10 Ob S 201/91).

Der Kläger ist daher nicht invalid iS des § 255 Abs 3 ASVG, weshalb er keinen Anspruch auf die begehrte Invaliditätspension nach § 254 Abs 1 leg cit hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG (SSV-NF 1/19, 2/26, 27 uva).

Anmerkung

E29424

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:010OBS00072.92.0526.000

Dokumentnummer

JJT_19920526_OGH0002_010OBS00072_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten