Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Melber, Dr. Kropfitsch, Dr. Zehetner und Dr. Schinko als weitere Richter in der Unterbringungssache der Theresia M***** geboren am 21.Juli 1951, ***** vertreten durch die Patientenanwältin Michaela M*****, infolge Revisionsrekurses des Abteilungsleiters des ***** Krankenhauses für Psychiatrie und Neurologie M***** gegen den Beschluß des Landesgerichtes St. Pölten als Rekursgericht vom 1. April 1991, GZ. R 303/92-13, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Amstetten vom 20.März 1992, GZ. Ub 100/92-9, bestätigt wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Die 40jährige Theresia M***** wurde am 6.März 1992 in das ***** Landeskrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie M***** eingeliefert. Sie hatte im Dom von S***** eine Vase durch den Altarraum geworfen und Zettel mit teilweise obszönem Inhalt auf dem Altar verteilt. Bei der Einweisung verhielt sie sich auch gegenüber den einschreitenden Polizisten aggressiv. Sie wurde nach Begutachtung durch zwei Oberärztinnen mit der Diagnose "paranoide Psychose" nach dem Unterbringungsgesetz gegen ihren Willen untergebracht.
Mit Beschluß vom 10.März 1992 wurde nach Anhörung der Patientin die Unterbringung vorläufig für zulässig erklärt.
Nach Einholung eines psychiatrischen Gutachtens und Durchführung einer mündlichen Verhandlung erklärte das Erstgericht mit Beschluß vom 20.März 1992 die Unterbringung seit diesem Tag für unzulässig.
Das Erstgericht führte aus, es sei am Bestehen eines paranoid-psychotischen Zustandsbildes nicht zu zweifeln. Übereinstimmend hätten Oberarzt Dr. O***** und die Sachverständige Dr. K***** ausgeführt, es bestehe keine Fremdgefährdung mehr, die Selbstgefährdung der Patientin bestehe darin, daß es im Falle einer Unterbrechung der medikamentösen und therapeutischen Behandlung an der Landesnervenklinik M***** zu einer Verschlechterung des Zustandes der Patientin insoferne kommen werde, als das Leiden der psychischen Krankheit, nämlich die paranoid-psychotischen Wahnvorstellungen, sich verstärken werde. Entgegen der von OA Dr. O***** und Dr. K***** vertretenen Ansicht könne aber priori nicht davon ausgegangen werden, daß die Patientin nicht bereit sein werde, eine ambulante Behandlung in Anspruch zu nehmen. Es bestehe daher zumindest die Möglichkeit einer Behandlung außerhalb des stationären Aufenthaltes, der der Patientin die Chance eröffnen würde, ihre am 20.März 1992 zur Schau getragene Krankheitseinsicht auch unter Beweis zu stellen. Abgesehen davon, daß eine Alternative zur Unterbringung bestehe, sei auch eine ernstliche und erhebliche Selbst- oder Fremdgefährdung nicht gegeben. Es sei zwar zuzugestehen, daß aus medizinischer Sicht eine regelmäßige Behandlung des Leidens der Patientin angezeigt wäre, doch rechtfertige die bloße Behandlungsbedürftigkeit für sich allein eine Unterbringung noch nicht. Auch jener Zustand, der durch das unbehandelte Fortbestehen der psychischen Grundkrankheit eintrete, könne für sich genommen noch keine hinreichende Selbstgefährdung im Sinne des § 3 UbG darstellen. Zum unveränderten Fortbestehen der psychischen Krankheit trete nach den übereinstimmenden Angaben von OA Dr. O***** und der Sachverständigen Dr. K***** hinzu, daß sich die psychische Grundkrankheit im Falle des Unterbleibens einer weiteren Behandlung verschlechtern werde. Darin könne aber eine Selbstgefährdung nicht erblickt werden, da jede Krankheit, bleibe sie unbehandelt, regelmäßig die Gefahr einer Verschlechterung des krankheitsbedingten Zustandes mit sich bringe. Die mögliche Verschlimmerung einer Krankheit könne ausschließlich deren Behandlungsbedürftigkeit begründen, sie sei aber in rechtlicher Hinsicht nicht als von der Krankheit unabhängige, von dieser bedingten Gefährdung des Lebens und der Gesundheit zu würdigen. Überdies könne hinsichtlich zu der zu befürchtenden Verschlechterung der Krankheit nur eine vage Prognose gegeben werden, was die Ausübung staatlichen Zwanges gegen die Patientin, die massiv auf ihre Entlassung dränge, nicht rechtfertige.
Dem gegen diesen Beschluß erhobenen Rekurs des Abteilungsleiters des Landeskrankenhauses für Psychiatrie und Neurologie M*****, wurde nicht Folge gegeben. Das Rekursgericht führte aus, es sei dem Erstgericht insbesondere darin beizupflichten, daß die zu erwartende Verschlechterung des bestehenden Krankheitsbildes selbst noch keine Gesundheitsgefährdung im Sinne des § 3 UbG darstelle. Eine Selbstgefährdung sei vielmehr erst dann gegeben, wenn zu erwarten sei, daß die Kranke im Zusammenhang mit ihrer Erkrankung Handlungen setze, welche ihr Leben und ihre Gesundheit ernstlich und erheblich gefährden. Der Schadenseintritt müsse aufgrund objektiver und konkreter Anhaltspunkte wahrscheinlich sein, darüber hinaus müsse es sich um einen "erheblichen" Schaden handeln. Bei einer Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes müsse es sich um eine solche von der Qualität einer schweren Körperverletzung im Sinne des § 84 StGB handeln. Im vorliegenden Fall bestünden keine objektiven und konkreten Anhaltspunkte dafür, daß die Patientin nach ihrer Entlassung Aktionen setzen werde, welche das Leben oder die Gesundheit von ihr selbst oder anderen Personen erheblich gefährden. Die bloße Behandlungsbedürftigkeit stelle keinen Grund für eine Unterbringung dar. Der Gesetzgeber sei sich bei der Schaffung des Unterbringungsgesetzes durchaus bewußt gewesen, daß es viele Kranke gebe, die weder sich noch andere gefährden und dennoch dringend eine angemessene Behandlung und Betreuung benötigen. Diesem Bedürfnis könne im Rahmen moderner leistungsfähiger und ausreichend ausgestatteter psychiatrischer und sozialer Dienste und Einrichtungen Rechnung getragen werden, ohne daß in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen eingegriffen werden müsse. Mangels einer Selbst- oder einer Fremdgefährdung im Sinne des Unterbringungsgesetzes brauche auf die Frage einer alternativen Betreuungsmöglichkeit nicht eingegangen zu werden.
Der ordentliche Revisionsrekurs wurde mit der Begründung für zulässig erklärt, daß zur Frage, ob die bloß abstrakte Befürchtung, der Patient werde aufgrund seiner Wahnsymptomatik unkontrollierbare Handlungen setzen, für die Annahme einer Selbst- oder Fremdgefährdung im Sinne des UbG ausreiche, nicht bestehe.
Gegen diesen Beschluß richtet sich der Revisionsrekurs des Abteilungsleiters des NÖ. Landeskrankenhauses für Psychiatrie und Neurologie M*****.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof ist zulässig, aber nicht berechtigt.
Gemäß § 28 UbG kann gegen den Beschluß, mit dem die Unterbringung für unzulässig erklärt wird, der Abteilungsleiter Rekurs (auch an den Obersten Gerichtshof) erheben. Da das UbG keine besonderen Bestimmungen für den Rekurs an den Obersten Gerichtshof enthält, sind diesbezüglich die §§ 13 bis 16 AußStrG idF der Erweiterten Wertgrenzen-Novelle 1989, BGBl Nr.343, anzuwenden (8 Ob 587/91). Gemäß § 14 Abs 1 AußStrG ist gegen den Beschluß des Rekursgerichtes der Revisionsrekurs dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben, weil zur Frage, wann eine ernstliche und erhebliche Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit im Sinne des § 3 UbG gegeben ist, noch keine gesicherte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vorliegt.
Im Revisionsrekurs wird geltend gemacht, die vom Erstgericht angenommene Möglichkeit einer Alternativbehandlung sei nicht gegeben. Im übrigen sei es wohl zutreffend, daß eine akute Fremdgefährdung nicht bestehe, wohl aber eine Selbstgefährdung. Es sei diesbezüglich durchaus anzunehmen, daß eine weit über 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung und Unfähigkeit nicht nur im Beruf, sondern auch im Lebensvollzug vorliege. Die Erkrankung der Patientin habe bereits im Jahre 1991 bestanden, es bestehe eine wesentlich länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung, welche die Patientin in ihrem Lebensvollzug sicher ernsthaft eingeschränkt habe, was zumindest der Wertigkeit einer Einschränkung in der Berufsausübung entspreche. Die Patientin könne aufgrund ihrer Krankheit in diesem Bereiche keine rechtsrelevante Entscheidung fällen, da sie nicht imstande sei, ihren Wahn als Erkrankung zu sehen. Grundsätzlich sei davon auszugehen, daß die Behandlung einer schweren Erkrankung, sei sie nun organischer oder psychischer Natur, für den Erkrankten eher eine Wohl- als eine Übeltat sei. Eine freiwillige Behandlung scheiterte an der mangelnden Zustimmung der Patientin.
Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden.
Wie die Vorinstanzen bereits zutreffend ausgeführt haben, darf gemäß § 3 UbG in einer Anstalt nur untergebracht werden, wer
1.) an eine psychischen Krankheit leidet und im Zusammenhang damit sein Leben oder seine Gesundheit oder das Leben oder die Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährdet und
2.) nicht in anderer Weise, insbesondere außerhalb einer Anstalt, ausreichend ärztlich behandelt oder betreut werden kann.
Das Vorliegen einer psychischen Krankheit ist im vorliegenden Fall nicht strittig.
Bei den bedrohten Rechtsgütern im Sinne des § 3 Z 1 UbG muß es sich um das Leben oder die Gesundheit handeln. Die Unterbringung psychisch Kranker wegen bloßer Behandlungsbedürftigkeit oder Verwahrlosungsgefahr ist ebensowenig zulässig, wie eine Unterbringung als "Maßnahme der Fürsorge". Die Behandlungsbedürftigkeit kann eine Unterbringung erst dann rechtfertigen, wenn sie zu einer "besonders schweren und ernstlichen Gefährdung der Gesundheit" führt (Kopetzki, UbG, Rz 63). Die möglichen Spannungen zwischen der Behandlungsbedürftigkeit psychisch Kranker und der restriktiven Beschränkung der Zwangsbefugnisse auf die Gefahrenabwehr hat der Gesetzgeber bewußt in Kauf genommen (siehe hiezu die in der Entscheidung des Rekursrichtes wiedergegebenen Ausführungen des Ausschußberichtes). Auch im Zuge der parlamentarischen Beratungen wurde die Möglichkeit nicht übersehen, "daß der eine oder der andere nicht so schnell eingewiesen wird und vielleicht auch nicht so schnell dann einer Heilung zugeführt wird"; nichts desto weniger wurde eine Ausdehnung der Zwangsmöglichkeiten in Richtung einer Verstärkung des Aspekts der "Fürsorge" abgelehnt (siehe Kopetzki, aaO, Rz 64). Die Gesundheitsgefährdung kann nicht nur durch aktives Verhalten, sondern auch durch ein Unterlassen (zB Wegfall der Medikamenteneinnahme) herbeigeführt werden (7 Ob 610/91). So wie die bloße Behandlungsbedürftigkeit eine Unterbringung nicht rechtfertigt, stellt auch jener Zustand, der durch das unbehandelte Fortbestehen der psychischen Grundkrankheit eintritt, für sich genommen noch keine hinreichende "Selbstgefährdung" im Sinne des § 3 UbG dar (Kopetzki, aaO, Rz 64).
Weiters muß die Gefährdung eine "ernstliche" sein. Darunter ist eine hohe Wahrscheinlichkeit des Schadenseintrittes zu verstehen, darüber hinaus hat die Schädigung direkt aus der Krankheit zu drohen. Eine bloß vage Möglichkeit einer Selbst- oder Fremdschädigung ist nicht ausreichend. Die mit dem Aufenthalt im geschlossenen Bereich verbundenen Beschränkungen dürfen im Verhältnis zu der mit der Krankheit verbundenen Gefahr nicht unangemessen sein (7 Ob 610/91).
Schließlich muß die Gefährdung überdies "erheblich" sein, es ist also eine besondere Schwere der drohenden Schädigung erforderlich (Kopetzki, aaO, Rz 67).
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht gegeben.
Nach der im Revisionsrekurs vertretenen Ansicht ist zu erwarten, daß sich die Patientin keiner weiteren medikamentösen Behandlung unterziehen wird; es werde dadurch zu einer Verschlechterung ihrer Krankheit und zu einer wesentlich länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung kommen; diese Gesundheitsschädigung werde die Patientin in ihrem Lebensvollzug einschränken, was einer Einschränkung in der Berufsausübung entspreche. Es liegt also nach Ansicht des Abteilungsleiters des Krankenhauses "Behandlungsbedürftigkeit" vor. Diese, sowie auch jener Zustand, der durch das unbehandelte Fortbestehen der psychischen Krankheit eintritt, können, wie schon oben ausgeführt, eine Unterbringung erst dann rechtfertigen, wenn sie zu einer besonders schwerwiegenden und ernstlichen Gefährdung der Gesundheit führen; der Schadenseintritt muß aufgrund objektiver und konkreter Anhaltspunkte wahrscheinlich sein. Wie das Rekursgericht bereits ausgeführt hat, fehlt es im vorliegenden Fall an konkreten Anhaltspunkten für die Annahme eines hohen Maßes an Wahrscheinlichkeit des Eintrittes einer besonders schwerwiegenden und ernstlichen Gefährdung der Gesundheit. Es ist wohl anzunehmen, daß im Falle der Unterbrechung der medikamentösen Behandlung die psychische Krankheit über länger als 24 Tage fortbestehen wird, sodaß auch eine Gesundheitsschädigung über einen längeren Zeitraum zu befürchten ist. Diese Gesundheitsschädigung hat aber selbst nach der im Revisionsrekurs vertretenen Ansicht nicht das Ausmaß einer Berufsunfähigkeit im Sinne des § 84 Abs 1 StGB. Es ist nach Ansicht des Revisionsrekurses eine ernsthafte Einschränkung der Patientin "in ihrem Lebensvollzug" zu befürchten, was zumindest der "Wertigkeit einer Einschränkung in der Berufsausübung" entspreche. Diese - ohne Zweifel im Interesse der Patienten - geäußerten Bedenken gegen ihre Freilassung beinhalten nach Ansicht des erkennenden Senats keine objektiven und konkreten Anhaltspunkte für eine besonders schwerwiegende und ernstliche Gefährdung der Gesundheit der Patientin, sodaß dem Revisionsrekurs ein Erfolg zu versagen war.
Anmerkung
E29147European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1992:0020OB00542.92.0527.000Dokumentnummer
JJT_19920527_OGH0002_0020OB00542_9200000_000