TE OGH 1992/5/27 2Ob14/92

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Veröffentlicht am 27.05.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Melber, Dr. Kropfitsch, Dr. Zehetner und Dr. Schinko als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei REPUBLIK ÖSTERREICH (Wasserstraßendirektion), vertreten durch die Finanzprokuratur, Singerstraße 17-19, 1011 Wien, wider die beklagte Partei T*****, wegen S 159.078,-- sA infolge Revisionskurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Handelsgerichtes Wien als Rekursgerichtes vom 31.Jänner 1992, GZ. 1 R 26/92-5, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien vom 10. Jänner 1992, GZ 1 C 2222/91f-2, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Kosten des Rekurses und des Revisionsrekurses sind gleich weiteren Verfahrenskosten zu behandeln.

Text

Begründung:

Die Klägerin macht Schadenersatzansprüche aufgrund eines Schiffszusammenstoßes geltend, der sich auf der Donau in Wien ereignete. Die Klage wurde beim Bezirksgericht für Handelssachen als Schiffahrtsgericht eingebracht.

Das angerufene Gericht wies die Klage wegen Unzuständigkeit mit der Begründung zurück, Schiffahrtsgericht sei das Bezirksgericht Innere Stadt Wien.

Das Rekursgericht bestätigte den Beschluß des Erstgerichtes und erklärte den Revisionsrekurs für zulässig. Es führte aus, § 51 Abs 2 Z 11 JN sehe die Eigenzuständigkeit des Handelsgerichtes für Streitigkeiten vor, die sich auf Seeschiffe und Seefahrt beziehen, sowie aus allen sonstigen Rechtsverhältnissen, die nach dem Privatseerecht oder dem Recht der Binnenschiffahrt zu beurteilen sind, soweit nicht die Bestimmungen des § 49 Abs 2 Z 7 zur Anwendung kommen oder hiefür andere gesetzliche Vorschriften bestehen. Das Binnenschiffahrtsverfahrengesetz 1937, dRGBl. 1937 I 97 sei eine solche andere gesetzliche Vorschrift. Aufgrund des § 4 dieses Gesetzes sei die 4. Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über das Verfahren in Binnenschiffahrtssachen ergangen

(dRGBl. 1941 I 351), in dessen Art. 3 Abs 1 Z 27 das Amtsgericht Wien zum Schiffahrtsgericht für die Donau von Passau bis zur Reichsgrenze bestimmt ist. Gesetz wie Verordnung seien nach wie vor in Geltung. In diesem Gesetz sei die Eigenzuständigkeit der Amtsgerichte unter anderem für Schiffszusammenstöße geregelt worden. Gemäß § 72 Abs 1 Behördenüberleitungsgesetz 1945 seien anstelle der Amtsgerichte wieder die Bezirksgerichte getreten; am 1. Jänner 1955 sei auch das Bezirksgericht für Handelssachen Wien wiedererrichtet worden. Sinzinger (JBl. 1975, 172 ff) knüpfe daran an und meine, ab diesem Zeitpunkt könne das Bezirksgericht Innere Stadt Wien nicht einfach als Nachfolgegericht für das seinerzeitige Amtsgericht Wien angesehen werden.

Wenn es sich bei den Binnenschiffahrtsstreitigkeiten im engeren Sinne um handelsrechtliche Streitigkeiten handle, wäre für das Gebiet der österreichischen Donau das Bezirksgericht für Handelssachen Wien als Nachfolgegericht des Amtsgerichtes Wien das ausschließlich zuständige Schiffahrtsgericht im Sinne des Binnenschiffahrtsverfahrensgesetzes und der 4. Verordnung zur Durchführungen dieses Gesetzes. Während Fasching nicht nur in seinem Kommentar, sondern auch noch in der 1. Auflage seines Lehrbuches ebenso wie schon Stohanzl in MGA 13 und später Wiesbauer-Zetter in Transporthaftung das Bezirksgericht Innere Stadt Wien geradezu selbstverständlich als Schiffahrtsgericht ansehen, schließe sich Fasching in der 2. Auflage seines Lehrbuches, allerdings ohne eigene Argumente, der Auffassung Sinzingers an. Das Rekursgericht schließe sich dieser Ansicht aber nicht an. Die Zuständigkeit des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien sei im § 52 Abs 1 JN erschöpfend geregelt. Dort werde ausschließlich auf die im § 51 Abs 1 Z 1 bis 8 bezeichneten Geschäfte und Rechtsverhältnissse verwiesen, sodaß aus dem ausschließlich das Handelsgericht betreffenden § 51 Abs 2 Z 11 nichts gewonnen werden könne. Zur Zeit der Einführung des Binnenschiffahrtsverfahrengesetzes in Österreich sei die diesbezügliche Rechtslage noch anders gewesen. Aufgrund der Verordnung über die Zuständigkeit der Gerichte in Handelssachen im Lande Österreich dRGBl. 1939 I 195 seien Streitigkeiten aus den Rechtsverhältnissen der Binnenschiffahrt im § 51 Abs 1 Z 2 lit e geregelt gewesen, sodaß bei Unterschreitung des Schwellenbetrages eine Zuständigkeit des Bezirksgerichtes für Handelssachen bis zu dessen Aufhebung in Betracht gekommen sei. Erst durch das Gesetz vom 3.Oktober 1945 über Maßnahmen zur Wiederherstellung der österreichischen bürgerlichen Rechtspflege seien Streitigkeiten, die nach dem Recht der Binnenschiffahrt zu beurteilen seien, wieder dem § 51 Abs 2, also ohne Rücksicht auf den Wert des Streitigkeitsgegenstandes, zugeordnet worden. Vor allem normiere aber das Binnenschiffahrtsverfahrensgesetz in seinem § 2 ein Gericht mit Eigenzuständigkeit, welches ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes zuständig sei. Diese Eigenschaft komme dem Bezirksgericht für Handelssachen Wien niemals zu. Im Gegensatz zum allgemeinen Bezirksgericht habe das Bezirksgericht für Handelssachen keine Eigenzuständigkeit, sondern es leite seine Zuständigkeit ausschließlich von den im Gesetz aufgezählten Wertzuständigkeiten des Handelsgerichtes ab. Hingegen verfüge das allgemeine Bezirksgericht über eine ganze Reihe von Eigenzuständigkeiten. Die Zuordnung einer Eigenzuständigkeit an das Bezirksgericht für Handelssachen könne mit § 52 Abs 1 JN auf keine Fall in Einklang gebracht werden. Dazu komme, daß es hier vor allem um deliktische Ansprüche aus Verkehrsunfällen gehe, die auch im Landverkehr - trotz der häufigen Vollkaufmannseigenschaft der beklagten Versicherungen - vor die allgemeinen Bezirksgerichte gehörten. Von einem typischen handelsrechtlichen Charakter könne somit keine Rede sein.

Rechtliche Beurteilung

Der von der klägerin gegen den Beschluß des Rekursgerichtes erhobene Revisionsrekurs ist zulässig, weil sich der Oberste Gerichtshof mit der Frage, welches Gericht Schiffahrtsgericht für die Donau ist, noch nicht befaßt hat. Das Rechtsmittel ist auch berechtigt.

Regelungen über die Zuständigkeit für privatrechtliche Streitigkeiten aus dem Recht der Schiffahrt finden sich außer im Binnenschiffahrtsverfahrensgesetz und der 4. zu diesem Gesetz ergangenen Verordnung noch im § 52 Abs 2 Z 11 JN. Vor der Zivilverfahrens-Novelle 1983 war auch im § 51 Abs 1 JN darüber eine Regelung enthalten. Nach § 51 Abs 2 Z 11 JN gehören vor die Handelsgerichte ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes Streitigkeiten, die sich auf die Seeschiffe und Seefahrt beziehen, sowie aus allen sonstigen Rechtsverhältnissen, die nach dem Privatseerecht oder dem Recht der Binnenschiffahrt zu beurteilen sind, sofern nicht die Bestimmungen des § 49 Abs 2 Z 7 zur Anwendung kommen oder hiefür andere gesetzliche Vorschriften bestehen. Gemäß § 52 Abs 1 JN aF gehörte die Entscheidung der Streitigkeiten, welche aus der Schiffsmiete, dem Dienstverhältnis der Schiffsmannschaft und dem Seefrachtgeschäft entstehen, und die Aufnahme von Seeverklarung zum Wirkungskreis des Bezirksgerichtes für Handelssachen. Daraus ergibt sich, daß Schiffrechtssachen als zur Kausalgerichtsbarkeit des Handelsgerichtes bzw. des Bezirksgerichtes für Handelssachen zählend betrachtet worden sind (vgl. Sinzinger aaO 175). Daran änderte auch die Aufhebung der Eigenzuständigkeit des Bezirksgerichtes für Handelssachen betreffend Schiffahrtssachen durch die Zivilverfahrens-Novelle 1983 nichts. Aus dem JAB

1337 BlgNR 15. GP 5 (in der Regierungsvorlage war diesbezüglich keine Änderung vorgesehen) ergibt sich, daß Grund für die Änderung Abrenzungsfragen zu den Bestimmungen des Seeschiffahrtsrechtes waren.

"Andere gesetzliche Vorschriften" im Sinne des § 5 Abs 2 Z 11 JN sind das Binnenschiffahrtsverfahrensgesetz und die dazu ergangene

4. Verordnung, die noch geltendes österreischisches Recht sind (vgl. Sinzinger aaO). Das genannte Gesetz hat bestimmte bürgerliche Rechtssachen, die sich aus der Benützung von Binnengewässern durch Schiffahrt und Flößerei ergeben, ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes ausschließlich den Amtsgerichten zugewiesen. In Art. 3 Abs 1 Z 27 der zu diesem Gesetz ergangenen 4. Verordnung wurde das Amtsgericht Wien zum Schiffahrtsgericht für die Donau von Passau ausschließlich bis zur Reichsgrenze bestellt.

Die Frage, welches Gericht als Nachfolgegericht des Amtsgerichtes Wien in Binnenschiffahrtssachen anzusehen ist, wird - wie schon das Rekursgericht dargelegte - in der Lehre nicht einhellig beantwortet. Sinzinger aaO und Fasching in ZPR2 Rz 249/1 vertreten die Ansicht, das Bezirksgericht für Handelssachen sei Schiffahrtsgericht für die Donau, wobei Sinzinger seine Meinung eingehend begründet. Das Rekursgericht weist darauf hin, daß sich Fasching der Meinung Sinzingers ohne eigene Argumente anschloß. Für die Ansicht, das Bezirksgericht Innere Stadt Wien sei Schiffahrtsgericht, führt allerdings keiner der Autoren Argumente an. Fasching im Kommentar (I 164) und Wiesbauer-Zetter (Transporthaftung 766) führen lediglich aus, durch die 4. Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über das Verfahren in Binnenschiffahrtssachen sei das Bezirksgericht Innere Stadt Wien zum Schiffahrtsgericht für die Donau bestellt worden. Dies ist aber insofern unrichtig, als nicht das - damals nicht existierende - Bezirksgericht Innere Stadt Wien, sondern das Amtsgericht Wien zum Schiffahrtsgericht bestellt wurde. Eine Begründung dafür, weshalb das Bezirksgericht Innere Stadt Wien auch nach Wiederherstellung des Bezirksgerichtes für Handelssachen Nachfolgegericht des Amtsgerichtes Wien in Binnenschiffahrtssachen sein sollte, wird nicht gegeben. Auch in der 13. Auflage der MGA der JN und ZPO wird in Anm. 5 zu § 2 JN nur auf die genannte Verordnung hingeweisen (in der 14. Auflage wird die hier zu entscheidende Frage nicht mehr erwähnt). In der 1. Auflage seines Lehrbuches, Rz 244, gibt Fasching keinerlei Begründung an, ebensowenig Feil in JN Rz 507.

Nachfolgegericht des Amtsgerichtes Wien ist nicht nur das Bezirksgericht Innere Stadt Wien, sondern seit seiner Wiedererrichtung im Jahr 1955 auch das Bezirksgericht für Handelssachen Wien, denn dessen Geschäftskreis gehörte früher zur Zuständigkeit des Amtsgerichtes Wien. Berücksichtigt man, daß die Binnenschiffahrtssachen nach dem Gesetz als zur Kausalgerichtsbarkeit des Handelsgerichtes bzw. des Bezirksgerichtes für Handelssachen zählend zu betrachten sind, dann folgt daraus, daß Nachfolgegericht insoweit das Bezirksgericht für Handelssachen ist, und zwar für alle im Binnenschiffahrtsverfahrensgesetz angeführten Streitigkeiten, also auch für solche, in denen Schadenersatzansprüche aus Schiffahrtszusammenstößen geltend gemacht werden. Ob derartige deliktische Ansprüche einen typischen kausalrechtlichen Charakter haben oder nicht, ist ohne Bedeutung. Auch der Umstand, daß § 52 JN nur eine Wertzuständigkeit, aber keine Eigenzuständigkeit des Bezirksgerichtes für Handelssachen normiert, spricht nicht gegen eine Zuständigkeit des Bezirksgerichtes für Hndelssachen in Binnenschiffahrtssachen. Früher sah auch § 52 Abs 1 JN eine Eigenzuständigkeit des Bezirksgerichtes für Handelssachen vor (Streitigkeiten, welche aus der Schiffsmiete, dem Dienstverhältnis der Schiffmannschaft und dem Seefrachtgeschäft entstehen und die Aufnahme von Seeverklarung, sofern nicht in besonderen Vorschriften etwas anderes bestimmt ist). Aus der Beseitigung dieser Eigenzuständigkeit durch die Zivilverfahrens-Novelle 1983 folgt nicht, daß auch andere Normen keine Eigenzuständigkeit dieses Gerichtes vorsehen.

Das von der Klägerin angerufene Bezirksgericht für Handelssachen Wien ist daher Schiffahrtsgericht für die Donau. Aus diesem Grund erfolgte die Zurückweisung der Klage zu Unrecht, weshalb die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben werden mußten und dem Erstgericht die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen war.

Der Kostenvorbehalt beruht aus § 52 ZPO.

Anmerkung

E29148

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:0020OB00014.92.0527.000

Dokumentnummer

JJT_19920527_OGH0002_0020OB00014_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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