TE Vwgh Erkenntnis 2006/1/27 2005/02/0158

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Veröffentlicht am 27.01.2006
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
60/02 Arbeitnehmerschutz;

Norm

ArbIG 1993 §13;
ASchG 1994 §35 Abs1 Z5;
ASchG 1994 §35 Abs1;
BArbSchV 1994 §87;
VStG §32 Abs2;
VStG §44a Z1;
VStG §9 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Holeschofsky und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ströbl, über die Beschwerde des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 20. April 2005, Zl. VwSen-280816/2/Ga/Da, betreffend Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen (Mitbeteiligter: AK in S, vertreten durch Bruckmüller Zeitler Rechtsanwälte GmbH in 4020 Linz, Eisenhandstraße 15), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Die Behörde erster Instanz erließ gegen den Mitbeteiligten das Straferkenntnis vom 8. Februar 2005 mit folgendem Spruch:

"Sie haben als zur Vertretung nach außen berufener handelsrechtlicher Geschäftsführer und somit Verantwortlicher gem. § 9 Abs. 1 VStG der P GmbH, persönlich haftende Gesellschafterin der Arbeitgeberin P GmbH & Co KG mit Sitz in H, in der Arbeitsstätte in H, folgende Übertretung des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes zu vertreten:

Die Werkzeugmaschine FIDIA DIGIT 218, in der Halle Werkzeugbau-Instandhaltung wurde durch den Arbeitnehmer S am 22. August 2003 benutzt, obwohl der Verriegelungsschalter der Schutztür zum Bearbeitungsraum funktionsunfähig war.

Dies stellt eine Übertretung des § 35 Abs. 1 Ziffer 5 ASchG dar, wonach Arbeitsmittel nicht benützt werden dürfen, wenn die Schutz- und Sicherheitseinrichtungen nicht funktionsfähig sind."

Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Berufung.

Die belangte Behörde gab der Berufung statt, hob das Straferkenntnis auf und stellte das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z. 3 VStG ein.

Dies begründete die belangte Behörde folgendermaßen:

"Als wesentliche Tatbestandsmerkmale einer Übertretung des § 130 Abs. 1 Z. 16 iVm § 35 Abs. 1 Z. 5 ASchG sind nach Auffassung des UVS anzusprechen:

Jedenfalls die Verletzung konkreter Pflichten des Arbeitgebers, die diesem hinsichtlich (u.a.) der Benutzung von Arbeitsmitteln durch Arbeitnehmer auferlegt sind.

Solche Pflichten regelt § 35 Abs. 1 ASchG. Die dort dem Arbeitgeber auferlegte Verpflichtung besteht im Gebot, entsprechende (betriebsorganisatorische) Vorkehrungen zu treffen, um dadurch sicher zu stellen, dass seine Arbeitnehmer gemäß dem an sie gerichteten Verbot iSd Z. 5 leg. cit. Arbeitsmittel (u.a.) dann nicht benutzen, wenn Schutz- und Sicherheitseinrichtungen des jeweiligen Arbeitsmittels funktionsunfähig sind.

Vor diesem Hintergrund ist nach Auffassung des UVS die mit Strafsanktion bedrohte Verletzung einer Verpflichtung des Arbeitgebers der tatseitigen Sachverhaltsebene, nicht der Schuldseite, zuzuordnen und erschöpft sich somit nicht im schlichten Faktum einer verbotswidrigen Benutzung des Arbeitsmittels/der Maschine durch Arbeitnehmer, sondern besteht im vorgängigen Unterlassen konkreter, auf die Beachtung des Benützungsverbotes gerichteter, in seiner Leitungsgewalt gelegener Vorkehrungen oder in der Anordnung untauglicher solcher Vorkehrungen. Darauf hätte ein die Erfüllung des Straftatbestandes des § 130 Abs. 1 Z 16 iVm § 35 Abs. 1 Z 5 ASchG anlastender Vorwurf gerichtet sein müssen. Dabei wäre - orientiert am strafrechtlichen Bestimmtheitsgebot des § 44a Z. 1 VStG - anzugeben gewesen, in welchen konkreten Umständen (Anordnungen oder Unterlassungen) das eigentliche Verhaltensdefizit des Arbeitgebers (nämlich: nicht gesorgt zu haben) bestanden habe.

Dergleichen lasteten im Berufungsfall weder die AzR" (Anm.:

= Aufforderung zur Rechtfertigung) "vom 4. November 2003 noch der Schuldspruch des Straferkenntnisses an. Der einzige tatseitige Sachverhalt beschreibt allein das verbotswidrige Verhalten des namentlich genannten Arbeitnehmers und scheint insoweit eher dem Straftatbestand des § 130 Abs. 4 Z. 2 ASchG angenähert. Die im letzten Satz der Anlastung bzw. des Schuldspruchs enthaltene Wiedergabe des abstrakten Gesetzestextes zu § 35 Abs. 1 Z. 5 ASchG vermag den konkret sachverhaltsbezogenen Vorwurf des dem Arbeitgeber zurechenbaren Fehlverhaltens nicht zu ersetzen, zumal es sich bei dem abstrakt wiedergegebenen Gesetzestext nicht eigentlich um den an den Arbeitgeber gerichteten abstrakten Verhaltensbefehl handelt.

Wurde aber im Berufungsfall objektiv-tatseitig nicht vorgeworfen, dass und wodurch der Berufungswerber als Arbeitgeber gegen die ihm auferlegte Verpflichtung konkret zuwider gehandelt hat, so blieb der Tatvorwurf des angefochtenen Straferkenntnisses in einem solchen Maße unbestimmt, dass - im Hinblick auf die bereits eingetretene Sachbindung des Tribunals - wie im Spruch zu verfügen war."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende gemäß § 13 des Arbeitsinspektionsgesetzes 1993 erhobene (Amts-) Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 35 AschG lautet auszugsweise:

"(1) Arbeitgeber haben dafür zu sorgen, dass bei der Benutzung von Arbeitsmitteln folgende Grundsätze eingehalten werden:

...

5. Arbeitsmittel dürfen nicht benutzt werden, wenn Beschädigungen festzustellen sind, die die Sicherheit beeinträchtigen können, oder die Schutz- und Sicherheitseinrichtungen nicht funktionsfähig sind."

Im (oben wörtlich wiedergegebenen, trotz der ungeschickten Formulierung "... folgende Übertretung ..." als Einheit zu lesenden) Tatvorwurf an den strafrechtlich Verantwortlichen des Arbeitgebers, ein Arbeitnehmer habe eine Werkzeugmaschine benutzt, obwohl der Verriegelungsschalter der Schutztür zum Bearbeitungsraum funktionsunfähig gewesen sei, ist - entgegen der Ansicht der belangten Behörde - mitenthalten, dass der Arbeitgeber keine entsprechenden Maßnahmen gesetzt hat, um die Benutzung dieser Maschine durch Arbeitnehmer trotz funktionsunfähiger Schutztür zu verhindern, er also im Sinne des Einleitungssatzes des § 35 Abs. 1 AschG nicht dafür gesorgt habe, dass das Verbot des § 35 Abs. 1 Z. 5 AschG befolgt werde.

Auch die Ansicht der belangten Behörde, es wäre im Spruch anzugeben, "in welchen konkreten Umständen (Anordnungen oder Unterlassungen) das eigentliche Verhaltensdefizit des Arbeitgebers (nämlich: nicht gesorgt zu haben) bestanden habe", ist verfehlt. Welche Maßnahmen ("betriebsorganisatorische Vorkehrungen") ein Arbeitgeber setzt, um die Nichtbenützung von Arbeitsmitteln mit funktionsunfähiger Schutz- und Sicherheitseinrichtung sicher zu stellen, unterliegt -wie der Beschwerdeführer richtig vorbringt - der Dispositionsfreiheit des Arbeitgebers, das Gesetz stellt dafür keine Regeln auf. Die Behörde hat im Einzelfall nur (in ihrer Bescheidbegründung) zu beurteilen, ob die Maßnahmen, die der Arbeitgeber behauptet, getroffen zu haben, zur Erreichung des genannten Zieles tauglich sind. Daher können "konkrete Umstände ..." auch nicht wesentlicher Spruchinhalt sein. Insofern der Mitbeteiligte in seiner Gegenschrift in diesem Zusammenhang auf die in Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze II2 (2000), § 44a VStG, E 24, Seite 758 wiedergegebene hg. Rechtsprechung hinweist, verkennt er, dass diese Rechtsprechung zu Normen des Lebensmittelrechtes ergangen ist, welche mit § 35 Abs. 1 Z. 5 AschG nicht vergleichbar sind. Vielmehr hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. Mai 2004, Zl. 2003/02/0248, sowie die dort zitierte Vorjudikatur - ergangen zur Bauarbeiterschutzverordnung) die Rechtsansicht vertreten, dass "konkrete Sicherheitsmaßnahmen" weder Spruchbestandteil noch Gegenstand einer (rechtzeitigen) Verfolgungshandlung sein müssen.

Sohin haftet dem Spruch des Straferkenntnisses kein inhaltlicher Mangel im Sinne des § 44a Z. 1 VStG an; auch die Verfolgungsverjährung im Sinne des § 31 Abs. 1 und 2 VStG liegt nicht vor. Es wäre der belangten Behörde aber frei gestanden, (sprachliche) Verbesserungen des Spruches der Behörde erster Instanz vorzunehmen.

Der angefochtene Bescheid erweist sich daher mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am 27. Jänner 2006

Schlagworte

"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatbild Beschreibung (siehe auch Umfang der Konkretisierung)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2005020158.X00

Im RIS seit

03.03.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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