Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Bauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christian Kleemann und Robert Letz (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei R***** S*****, Landwirt, ***** vertreten durch Dr. Volkmar Ternulz, Rechtsanwalt in Mureck, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Bauern (Landesstelle Steiermark), Ghegastraße 1, 1030 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Erwerbsunfähigkeitspension infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29.Jänner 1992, GZ 8 Rs 65/91-20, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 5.Februar 1991, GZ 34 Cgs 122/90-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Ergänzung des Verfahrens und zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Der am 6.10.1963 geborene Kläger leidet an einem korrigierbaren Bluthochdruck, einem mäßigen Leberschaden ohne Ausgleichsstörung und einer diätisch behandelbaren Blutfetterhöhung sowie an einer rezidivierenden manisch-depressiven Psychose. Er ist nur mehr in der Lage, leichte und mittelschwere Arbeiten in allen Körperhaltungen zu verrichten, nicht jedoch Arbeiten an exponierten Stellen und Akkord- oder Fließbandarbeiten sowie Arbeiten in forciertem Tempo. Der seit seinem 15.Lebensjahr im 15 ha großen Obstbaubetrieb seiner Mutter tätige Kläger ist in bezug auf Wendigkeit und Umstellungsfähigkeit auf sämtliche bisherigen Tätigkeiten und darüber hinaus auf Tätigkeiten in ähnlichen bzw. verwandten Arbeisbereichen verweisbar. Nicht zugemutet kann ihm der Erwerb neuer Kenntnisse mit bisher nicht geleisteten Arbeitsinhalten. Seit 1988 besteht eine Häufung von Krankenständen, wobei sich annähernd eine Gesamtkrankenstandsdauer von 50 Tagen pro Jahr errechnen läßt. Der Kläger kann wegen der dabei vorkommenden schweren Arbeiten und der Tätigkeiten an exponierten Stellen nicht mehr als selbständiger Landwirt tätig sein, wohl aber die Tätigkeit einer Arbeitskraft in der Geflügelzucht verrichten.
Das Erstgericht wies das auf Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitspension gerichtete Begehren des Klägers ab. Die zu erwartenden Krankenstände erreichten nicht eine solche Dauer, daß der Kläger dadurch vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen wäre. Da er weiterhin in der Lage sei, als Arbeitskraft in der Geflügelzucht tätig zu sein, lägen die Voraussetzungen für die begehrte Leistung nicht vor.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge, wobei es im wesentlichen der Begründung des Erstgerichtes beitrat.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Klagestattgebung abzuändern.
Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Die Revision ist berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Es trifft zu, daß häufige oder lang andauernde Krankenstände bewirken können, daß der einem Versicherten verbliebene Rest an Arbeitsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt unverwertbar wird. Der Oberste Gerichtshof hat bei Krankenständen von durchschnittlich 6 Wochen (SSV-NF 3/45), 30 Krankenstandstagen (10 Ob S 128/89), 30 bis 40 Krankenstandstagen (10 Ob S 153/89) oder 30 Arbeitstagen (10 Ob S 157/89) im Jahr den Ausschluß vom allgemeinen Arbeitsmarkt verneint. Er hat dies damit begründet, daß im Jahr 1986 in Österreich auf 1000 Beschäftigte insgesamt 1056 Krankenstandsfälle und auf jeden Fall 14,6 Krankenstandstage kamen. Bei zu erwartenden Krankenständen von 8 Wochen jährlich wurde der Ausschluß vom Arbeitsmarkt bejaht, weil Krankenstände in dieser Dauer das in den zuvor zitierten Entscheidungen für unbeachtlich angesehene Ausmaß erheblich überschreiten (SSV-NF 3/152). Die dort ausgesprochenen Grundsätze gelten aber bereits für regelmäßig zu erwartende Krankenstände von 7 Wochen jährlich. Auch hier erreicht die Dauer der durchschnittlichen Krankenstände bereits etwa das Vierfache der sonst durchschnittlichen Krankenstandsdauer, wenn berücksichtigt wird, daß zusätzlich zu den auf die im konkreten Fall vorliegenden Leiden zurückzuführenden Krankenständen mit solchen zu rechnen ist, die durch andere Ursachen, wie Erkältungen, bedingt sind. Unter diesen Umständen ist aber nach Ansicht des erkennenden Senates ein Ausschluß vom Arbeitsmarkt anzunehmen.
Ob beim Kläger allerdings leidensbedingt Krankenstände in dieser Dauer mit der nötigen hohen Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind, steht nicht fest. Das Erstgericht hat nur festgestellt, daß seit 1988 eine Häufung von Krankenständen bestehe, wobei sich annähernd eine Gesamtkrankenstandsdauer von 50 Tagen pro Jahr errechnen lasse. Hieraus läßt sich nicht ableiten, welche Dauer an leidensbedingten Krankenständen in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Es darf zwar nicht übersehen werden, daß eine absolut sichere Aussage zur Frage künftiger Krankenstände medizinisch oft nicht möglich ist, daß aber ein hohes Maß an Wahrscheinlichkeit gefordert werden muß. Es kann auch nicht darauf ankommen, ob der Versicherte Krankenstände "in Anspruch nimmt", sondern nur darauf, ob diese aus medizinischer Sicht auch notwendig sind (SSV-NF 3/120). Überdies sind die Krankheitstage, die den Kläger allenfalls in der Vergangenheit außerstande setzten, seiner Tätigkeit in der Landwirtschaft nachzugehen (Krankenstände im technischen Sinn kommen bei selbständig Erwerbstätigen nicht in Frage) zweifellos bezogen auf die vom Kläger in dieser Zeit tatsächlich verrichtete Tätigkeit zu sehen und es ist durchaus denkbar, daß bei Verrichtung der Verweisungstätigkeiten im Hinblick auf die geringeren damit verbundenen Beanspruchungen die Inanspruchnahme von Krankenständen in dieser Dauer nicht erforderlich wäre.
Im weiteren Verfahren wird zu klären sein, mit welchen Krankenständen bei Verrichtung der von den Vorinstanzen herangezogenen Verweisungstätigkeit (oder allenfalls noch anderer in Frage kommender Verweisungstätigkeiten - ob der Kläger nur noch in der Lage ist, als Arbeitskraft in der Geflügelzucht tätig zu sein oder auch noch andere Arbeiten verrichten könnte, steht bisher nicht fest) mit hoher Wahrscheinlichkeit zu rechnen ist. Sollte tatsächlich mit hoher Wahrscheinlichkeit mit jährlichen Krankenständen von 7 Wochen zu rechnen sein, so wären die Voraussetzungen für die begehrte Leistung erfüllt.
Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 ZPO.
Anmerkung
E29455European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1992:010OBS00119.92.0616.000Dokumentnummer
JJT_19920616_OGH0002_010OBS00119_9200000_000