TE Vwgh Erkenntnis 2006/1/27 2005/02/0222

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.01.2006
beobachten
merken

Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
60/02 Arbeitnehmerschutz;
93 Eisenbahn;

Norm

ASchG 1994 §130 Abs1 Z1;
ASchG 1994 §3 Abs3;
BArbSchV 1994 §87;
EisenbahnG 1957 §21 Abs3;
VStG §32 Abs2;
VStG §44a Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Riedinger, Dr. Holeschofsky, Dr. Beck und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ströbl, über die Beschwerde des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 24. Juni 2005, Zl. UVS-07/S/52/7450/2003-8, betreffend Einstellung eines Verwaltungsstrafverfahrens in Angelegenheit Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen (mitbeteiligte Partei:

GG in Wien, vertreten durch Dr. Georg Mittermayer, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Erdbergstraße 202), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Das Verkehrs-Arbeitsinspektorat erstattete am 13. Dezember 2002 Strafanzeige gegen die Wiener Linien GmbH & Co KG, weil § 61 iVm § 60 Pkt. 2.15 und 2.16 der (gemäß § 21 Abs. 3 des Eisenbahngesetzes erlassenen) Dienstvorschrift für den Fahrdienst auf der U-Bahn (in der Folge: DV-U) den Bestimmungen des § 3 Abs. 3 ASchG widersprächen. Die Anpassung dieser innerbetrieblichen Bestimmungen an die nach dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union mit dem ASchG umgesetzten arbeitnehmerschutzrechtlichen Bestimmungen an die neue Rechtslage sei unterlassen bzw. sogar ausdrücklich verweigert worden.

Die Behörde erster Instanz setzte mit Aufforderung zur Rechtfertigung vom 2. Jänner 2003 gegen die mitbeteiligte Partei folgende Verfolgungshandlung:

"Sie haben es als handelsrechtlicher Geschäftsführer und somit als zur Vertretung nach außen Berufener der Wiener Linien GmbH mit Sitz in Wien 3, Erdbergerstraße 202, welche persönlich haftende Gesellschafterin der Wiener Linien GmbH & Co KG mit Sitz ebendort ist und somit zur Vertretung nach außen dieser Gesellschaft berufen ist, zu verantworten, dass von 01.01.1995 bis 13.12.2002 entgegen § 3 Abs. 3 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz die Wiener Linien GmbH & Co KG als Arbeitgeberin es unterlassen hat, durch geeignete Maßnahmen und Anweisungen zu ermöglichen, dass die Arbeitnehmer bei ernster, unmittelbarer und nicht vermeidbarer Gefahr

1.

ihre Tätigkeit einstellen,

2.

sich durch sofortiges Verlassen des Arbeitsplatzes in Sicherheit bringen und

              3.              außer in begründeten Ausnahmefällen ihre Arbeit nicht wieder aufnehmen, solange eine ernste und unmittelbare Gefahr besteht, da die U-Bahn FahrerInnen gemäß § 61 der Dienstvorschrift für den Fahrdienst der U-Bahn (DV-U) in Verbindung mit § 60 Pkt. 2.15 und 2.16 dieser Vorschrift verpflichtet sind, sich im Falle eines Fahrzeugbrandes nach Aufforderung der Fahrgäste zum Verlassen des Zuges zu überzeugen, ob alle Fahrgäste ausgestiegen sind.

Verwaltungsübertretung nach:

§ 3 Abs. 3 iVm § 130 Abs. 1 Z. 1 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz 1994, BGBl. Nr. 450/1994 in der geltenden Fassung."

Mit Bescheid vom 21. August 2003 sah die Behörde erster Instanz gemäß § 45 Abs. 1 Z. 1 VStG von der Fortführung des Strafverfahrens ab und verfügte dessen Einstellung.

Der dagegen vom Verkehrs-Arbeitsinspektorat erhobenen Berufung gab die belangte Behörde mit Bescheid vom 24. Juni 2005 keine Folge.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende (auf § 16 des Verkehrs-Arbeitsinspektionsgesetzes, BGBl. Nr. 650/1994, gestützte) (Amts-)Beschwerde. Der beschwerdeführende Bundesminister vermeint, die Bestimmungen des § 60 Pkt. 2.16 DV-U widersprächen der Schutznorm des § 3 Abs. 3 ASchG.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 3 Abs. 3 ASchG sind Arbeitgeber verpflichtet, durch geeignete Maßnahmen und Anweisungen zu ermöglichen, dass die Arbeitnehmer bei ernster, unmittelbarer und nicht vermeidbarer Gefahr

1.

ihre Tätigkeit einstellen,

2.

sich durch sofortiges Verlassen des Arbeitsplatzes in Sicherheit bringen und

              3.              außer in begründeten Ausnahmefällen ihre Arbeit nicht wieder aufnehmen, solange eine ernste und unmittelbare Gefahr besteht.

Nach § 130 Abs. 1 Z. 1 ASchG begeht u.a. eine Verwaltungsübertretung und ist mit den dort angeführten Geldstrafen zu bestrafen, wer als Arbeitgeber entgegen diesem Bundesgesetz oder den dazu erlassenen Verordnungen nicht dafür sorgt, dass die Arbeitnehmer bei ernster und unmittelbarer Gefahr gemäß § 3 Abs. 3 vorgehen können.

Gemäß § 60 Pkt. 2.15 DV-U sind in Katastrophenfällen, z.B.

bei Brand usw., alle Fahrgäste zum Verlassen des Zuges aufzufordern.

     Weiters ordnet § 60 Pkt. 2.16 DV-U an, dass sich der Fahrer

zu überzeugen hat, ob alle Fahrgäste ausgestiegen sind.

     Bei der Übertretung nach § 130 Abs. 1 Z. 1 ASchG (iVm § 3

Abs. 3) handelt es sich um ein Unterlassungsdelikt (arg.: "nicht dafür sorgt").

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der oben dargestellten (einzigen) Verfolgungshandlung vom 2. Jänner 2003 allerdings lediglich der Vorwurf, dass der Mitbeteiligte das "Bestehen" einer Vorschrift der DV-U zu verantworten habe, ohne dass ihm das Unterbleiben einer Handlung zur Last gelegt wurde (bei der übrigen Umschreibung der "Unterlassung" handelt es sich um eine bloße Wiederholung des Gesetzestextes des § 3 Abs. 3 ASchG - vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 22. Februar 1992, Zl. 92/04/0214). Es wäre daher nicht zulässig, den Mitbeteiligten wegen des in der zitierten Verfolgungshandlung enthaltenen Vorwurfes nach § 130 Abs. 1 Z. 1 ASchG zu bestrafen, sodass sich der angefochtene Bescheid im Ergebnis als rechtmäßig erweist.

Zur Klarstellung sei gesagt, dass dem Mitbeteiligten - entsprechend dem Schutzzweck des § 3 Abs. 3 ASchG - als Unterlassung allenfalls vorgeworfen hätte werden können, dass die in Rede stehende Bestimmung der DV-U nicht abgeändert (oder aufgehoben) wurde. Dazu sei angemerkt, dass in einem solchen Fall weder in einer Verfolgungshandlung noch im Spruch (§ 44a Z. 1 VStG) konkret angeführt werden muss, inwieweit dies geschehen hätte müssen (vielmehr reicht eine diesbezügliche Bescheidbegründung aus). In diesem Sinne hat der Gerichtshof nämlich zu Übertretungen von Arbeitnehmerschutzvorschriften (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. Mai 2004, Zl. 2003/02/0248, und die dort zitierte Vorjudikatur, ergangen zur Bauarbeiterschutzverordnung) die Rechtsansicht vertreten, dass "tatsächliche Sicherheitsmaßnahmen" weder Spruchbestandteile noch Gegenstand einer Verfolgungshandlung sein müssen.

Die vorliegende Beschwerde war nach dem oben Gesagten gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff, insbesondere dessen Abs. 3, VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 27. Jänner 2006

Schlagworte

"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatbild Beschreibung (siehe auch Umfang der Konkretisierung) "Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Umfang der Konkretisierung (siehe auch Tatbild)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2005020222.X00

Im RIS seit

22.02.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten