TE OGH 1992/6/17 2Ob512/92

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Veröffentlicht am 17.06.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Melber, Dr. Kropfitsch, Dr. Zehetner und Dr. Schinko als weitere Richter in der Unterbringungssache betreffend Hermine M*****, derzeit wohnhaft in *****, vertreten durch Mag. Günther Fißlthaler, Patientenanwalt bei der Landesnervenklinik Salzburg, Ignaz-Harrer-Straße 79, 5020 Salzburg, infolge Revisionsrekurses des Patientenanwaltes gegen den Beschluß des Landesgerichtes Salzburg als Rekursgericht vom 20. Dezember 1991, GZ 22 R 662/91-12, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Salzburg vom 15. November 1991, GZ 36 Ub 225/91-7, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben udn dem Erstgericht die Entscheidung unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Text

Begründung:

Das Erstgericht erklärte nach zwei im August und September 1991 für zulässig erklärten Unterbringungen (36 Ub 172/91 und 36 Ub 1919/91 je des Bezirksgerichtes *****) in der im vorliegenden Verfahren am 28. Oktober 1991 durchgeführten Erstanhörung die Unterbringung der Hermine M***** in der psychiatrischen Abteilung der Landesnervenklinik ***** (neuerlich) für vorläufig zulässig, nachdem diese am 24. Oktober 1991 nach einem Selbstmordversuch in die Klinik eingeliefert worden war. Am 4. 11. 1991 wurde das Erstgericht von der Landesnervenklinik ***** verständigt, daß die Unterbringung der Hermine M***** am 4. 11. 1991 aufgehoben wurde (ON 4 dA). Das Erstgericht stellte hierauf am 5. 11. 1991 das Unterbringungsverfahren ein.

Mit dem am 6. 11. 1991 beim Erstgericht eingebrachten Schriftsatz vom 4. 11. 1991, in der die Anschrift der Hermine M***** mit der psychiatrischen Krankenhausabteilung der Landesnervenklinik ***** angegegeben ist, beantragte der Patientenanwalt Mag. Günther Fißlthaler namens der Hermine M***** (in der Unterbringungssache 36 Ub 225/91) die Einleitung eines Verfahrens gemäß § 38 UbG über die Zulässigkeit einer ärztlichen Heilbehandlung gegen den Willen der Patientin (§ 35, 36 UbG). Hermine M***** habe sowohl gegenüber dem Patientenanwalt als auch gegenüber der sie (in der psychiatrischen Abteilung der Landesnervenklinik *****) behandelnden Ärztin mitgeteilt, sie werde auch weiterhin bestimmte Medikamente verweigern und sich dagegen wehren, ihr Medikamente gegen ihren Willen verabreichen zu lassen. Würde ihr weiterhin mit der zwangsweisen Verabreichung von Medikamenten gedroht werden, würde sie aus Protest die Nahrungsaufnahme so lange verweigern, bis ihrem Recht auf Mitbestimmung bei der Behandlung entsprochen werden würde. Am 29. Oktober 1991 habe der zuständige Abteilungsleiter gemäß § 37 UbG mitgeteilt, daß Hermine M***** an einer Depression im Rahmen eines Zustandes nach mehreren Suizidversuchen leide und zwangsbehandelt werden müsse. Seit einigen Tagen verweigere sie jegliche pharmakologische Therapie, ebenso Gespräche mit ihrer Therapeutin bzw. mit der für sie zuständigen Ärztin; außerdem verweigere sie bereits den zweiten Tag jegliche Nahrungszufuhr; in der vergangenen Nacht habe sie auf der Station einen Suizidversuch unternommen und bei der Visite betont, weiterhin jede Nahrungsaufnahme zu verweigern, bis sie sterbe. Im Anschluß daran habe sie mit Gewalt versucht, die Station durch das Fenster zu verlassen. Wegen der hoch akuten Suizidalität bestünde aktuelle Lebensgefahr, auf Grund der Nahrungsverweigerung sei auch eine schwere gesundheitliche Schädigung zu befürchten. Wegen dieser akuten Ereignisse sei es nicht möglich gewesen, vorher eine Zustimmung zur Behandlung einzuholen. In einem am 30. 10. 1991 geführten habe Hermine M***** dem Patientenanwalt berichtet, man habe ihr während der Visite am 29. 10. 1991 mitgeteilt, daß man sie mit einer Sonde zwangsernähren müsse, falls sie die verordenten Medikamente nicht einnehmen und auch weiterhin die Nahrungsaufnahme verweigern würde. Daraufhin habe die Patientin einen "Anfall" bekommen, indem sie Stühle und Sessel herumgeworfen und versucht habe, von der Station zu fliehen. Dies sei ihr jedoch nicht gelungen; es sei ihr gegen ihren Willen eine Injektion verabreicht worden. Am selben Tag gegen 15,30 Uhr habe die diensthabende Ärztin mit einer anwesenden Pflegerin versucht, der Patientin eine Nasensonde zur Zwangsernährung zu legen. Auch hier habe sich die Patientin zunächst geweigert. Nach der Drohung, die Nasensonde mittels Gewalt zu legen, indem man Pfleger von der Männerabteilung holen würde, habe die Patientin die Gegenwehr aufgegeben; sie sei im Bett an den Händen gehalten worden und man habe ihr die Sonde gesetzt. Danach habe sich die Patientin jedoch wieder befreien und die Nasensonde entfernen können. Daraufhin seien keine weiteren Versuche unternommen worden, die Patientin gegen ihren Willen zwangsweise zu ernähren.

Aus der Sachverhaltsdarstellung der Patientin und der Krankengeschichte ergebe sich, daß die Patientin durchaus in der Lage gewesen sei, differenziet zur Frage der Medikation Stellung zu nehmen und habe eine mögliche Totalverweigerung von Medikamenten und auch ihre Nahrungsverweigerung aus ihrer Sicht einen Protest gegen die zwangsweise Verabreichung bestimmter Medikamente dargestellt. Im "konkreten Kausalzusammenhang" habe es sich daher nicht um einen Fall einer Behandlung bei Gefahr im Verzug (§ 37 UbG) gehandelt. Damit sei die durchgeführte einfache (Verabreichung einer Truxalinjektion) bzw. besondere Heilbehandlung (Setzen einer Sonde zur Zwangsernährung) gemäß §§ 35 und 36 UbG zu beurteilen. Danach sei jedenfalls zunächst das Vorliegen der Einsichts- und Urteilsfähigkeit der Patientin zu prüfen, um dann über die Zulässigkeit der vorgenommenen therapeutischen Maßnahmen gegen den Willen der Betroffenen zu entscheiden. Gelange man zur Überzeugung, daß die Patientin den Grund und die Bedeutung der konkreten Behandlung habe einsehen können, so hätte eine Behandlung in der dargestellten Form überhaupt nicht stattfinden dürfen. Komme das Gericht hingegen zu dem Schluß, daß es an einer solchen Einsichts- und Urteilsfähigkeit bezüglich der vorgenommenen therapeutischen Maßnahmen gefehlt habe, sei bei einer besonderen Heilbehandlung (Zwangsernährung) die Genehmigung des Gerichtes erforderlich bzw. habe das Gericht bei Vorliegen einer einfachen Heilbehandlung (Truxalinjektion) entsprechend dem gegenständlichen Antrag deren Zulässigkeit zu prüfen (§ 36 Abs. 1 und 2 2. Satz UbG). In diesem Zusammenhang sei auch die Frage an das Gericht heranzutragen, worin nun in conreto eine einfache bzw. eine besondere Heilbehandlung zu sehen sei, und zwar unter besonderer Berücksichtigung einerseits der Intensität der vorgenommenen Behandlung und anderseits der manifesten Willensäußerungen der Betroffenen. Letztlich sei auch gemäß § 35 Abs. 1 UbG auf die Frage einzugehen, ob die vorgenommenen therapeutischen Maßnahmen zu ihrem angestrebten Zweck nicht außer Verhältnis stünden.

Schließlich faßte der Patientenanwalt seine Ausführungen dahin zusammen, daß die "gegenständliche Antragstellung nicht ärztliche Sofortmaßnahmen zur Lebenserhaltung zum Thema habe, sondern an das Unterbringungsgericht die Frage herantrage, inwieweit eine nach dem Unterbringungsgesetz angehaltene Person ihres Selbstbestimmungsrechtes als fundamentales Persönlichkeitsrecht (§ 16 ABGB) benommen werden dürfe. Dies alles unter besonderer Berücksichtigung des Umstandes, daß die Patientin massiv und auch differenziet ihren Willen zum Ausdruck gebracht habe und anfänglich eine Behandlungsverweigerung möglich gewesen wäre und zuletzt auch eine solche zustandegekommen sei."

Das Erstgericht wies diesen Antrag im wesentlichen mit der Begründung zurück, daß die antragsgegenständlichen Vorfälle im Hinblick auf die am 4. 11. 1991 erfolgte Aufhebung der Unterbringung der Patientin in der Anstalt bereits der Vergangenheit angehörten, sodaß die begehrte Entscheidung nur mehr eine deklarative und sanktionslose ex-post-Beurteilung sein könne. Eine solche sei jedoch vom Gesetzgeber nicht vorgesehen; ein Verfahren und eine Entscheidung über die Zulässigkeit von Beschränkungen und Heilbehandlungen habe nur dann zu erfolgen, wenn die betreffende Maßnahme noch andauere bzw. aufrecht sei.

Das Gericht zweiter Instanz gab dem von Hermine M*****, vertreten durch Mag. Günther Fißlthaler als Patientenanwalt, gegen diesen Beschluß erhobenen Rekurs nicht Folge, wobei es aussprach, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Auf Grund einer gerichtlich für zulässig erklärten Unterbringung seien allgemein Beschränkungen der Bewegungsfreiheit eines Kranken gestattet. Die §§ 3 ff UbG regelten hiefür die materiellen und formellen Voraussetzungen. Die §§ 33-39 UbG beträfen dagegen die Frage, ob, wie, in welchem Ausmaß bzw. auf welche Dauer ein - auf Verlangen oder zwangsweise - untergebrachter Kranker weiteren Beschränkungen unterworfen werden dürfe; es seien dies gleichsam die Bestimmungen über die Durchführung der Unterbringung (JAB 1202 BlgNR 17. GP, S 10, Sp 2). Der Kranke dürfe nur nach den Grundsätzen und anerkannten Methoden der medizinischen Wissenschaft ärztlich behandelt werden; die Behandlung sei nur insoweit zulässig, als sie zu ihrem Zweck nicht außer Verhältnis stehe; der Grund und die Bedeutung der Behandlung seien dem Kranken, soweit dies seinem Wohl nicht abträglich sei, sowie, wenn er minderjährig oder für ihn ein Sachwalter bestellt sei, dessen Wirkungskreis Willenserklärungen zur Behandlung des Kranken umfaßt, auch dem gesetzlichen Vertreter und Erziehungsberechtigten zu erläutern; die Erläuterung sei auch dem Patientenanwalt auf dessen Verlangen zu geben

(§ 35 UbG - "ärztliche Behandlung"). Könne der Kranke den Grund oder die Bedeutung einer Behandlung einsehen und seinen Willen nach dieser Einsicht bestimmen, so dürfe er nicht gegen seinen Willen behandelt werden; besondere Heilbehandlungen einschließlich operativer Eingriffe dürften nur mit seiner schriftlichen Zustimmung durchgeführt werden (§ 36 Abs 1 UbG). Könne der Kranke den Grund oder die Bedeutung einer Behandlung nicht einsehen oder seinen Willen nicht nach dieser Einsicht bestimmen, so dürfe er, wenn er minderjährig oder ihm ein Sachwalter bestellt sei, dessen Wirkungskreis Willenserklärungen zur Behandlung des Kranken umfaßt, nicht gegen den Willen seines gesetzlichen Vertreters oder Erziehungsberechtigten behandelt werden; besondere Heilbehandlungen einschließlich operativer Eingriffe dürften nur mit schriftlicher Zustimmung des gesetzlichen Vertreters oder Erziehungsberechtigten durchgeführt werden; habe der Kranke keinen gesetzlichen Vertreter oder Erziehungsberechtigten, so habe auf Verlangen des Kranken oder seines Vertreters das Gericht über die Zulässigkeit der Behandlung unverzüglich zu entscheiden; besondere Heilbehandlungen einschließlich operativer Eingriffe bedürften der Genehmigung des Gerichts (§ 36 Abs 2 UbG). Die Zustimmung und die gerichtliche Genehmigung seien dann nicht erforderlich, wenn die Behandlung so dringend notwendig sei, daß der mit der Einholung der Zustimmung oder der Genehmigung verbundene Aufschub das Leben des Kranken gefährden würde oder mit der Gefahr einer schweren Schädigung der Gesundheit des Kranken verbunden wäre; über die Notwendigkeit und Dringlichkeit einer Behandlung entscheide der Abteilungsleiter; dieser habe den gesetzlichen Vertreter oder Erziehungsberechtigten oder, wenn der Kranke keinen solchen habe, den Patientenanwalt nachträglich von der Behandlung zu verständigen (§ 37 UbG). Von der Entscheidung über die Zulässigkeit .... einer ärztlichen Behandlung sowie über die Genehmigung einer besonderen Heilbehandlung einschließlich operativer Eingriffe habe sich das Gericht in einer Tagsatzung an Ort und Stelle einen persönlichen Eindruck vom Kranken und dessen Lage zu verschaffen; bei der Entscheidung des Gerichtes seien die §§ 26 Abs 1 und 3 sowie die §§ 28 und 29 UbG sinngemäß anzuwenden; einem in der Tagsatzung angemeldeten Rekurs gegen den Beschluß, mit dem eine besondere Heilbehandlung einschließlich operativer Eingriffe genehmigt wird, komme aufschiebende Wirkung zu, sofern das Gericht nichts anderes bestimme

(§ 38 UbG - "Verfahren bei Beschränkungen und Behandlungen").

Im Mittelpunkt dieser Entscheidung stehe die Frage, ob ein Überprüfungsverfahren gemäß § 38 UbG iVm § 36 Abs 2 UbG das Fortbestehen der Behandlung im Zeitpunkt der Antragstellung oder der Gerichtsentscheidung zur Voraussetzung habe, ob also die Zulässigkeitsprüfung nur ex ante oder auch ex post zu erfolgen habe. Nach § 21 Abs 4 der Regierungsvorlage (464 BlgNR 17. GP, S.5) handle es sich bei der Entscheidung des Gerichtes über die Zulässigkeit von "weiteren Beschränkungen" nach § 21 RV um eine "zukunftsorientierte Entscheidung, die nicht darüber zu befinden habe, ob die - vielleicht nur kurzfristige - Auferlegung weiterer Beschränkungen durch die vorangehenden Absätze des § 21 RV gedeckt gewesen sei"; es sei (nach dem vorgeschlagenen Text der Regierungsvorlage) eindeutig nur um die Frage der Aufrechterhaltung der Beschränkungen gegangen (Erläuternde Bemerkungen in 464 BlgNR 17. GP, S. 28 Spalte 1). In diesem Zusammenhang sei darauf zu verweisen, daß die Regierungsvorlage eine gerichtliche Kontrolle der ärztlichen Behandlung, auf die sich § 24 des vorgeschlagenen Textes der Regierungsvorlage bezogen hatte, überhaupt nicht vorgesehen habe. Nach der Regierungsvorlage wäre die Entscheidung des Gerichtes daher - wie auch die Entscheidung über die Unterbringung selbst - streng zukunftsorientiert gewesen; dadurch sei zugleich festgestanden, daß ein Verfahren nicht mehr durchzuführen gewesen wäre, sobald die Beschränkung weggefallen wäre (Kopetzki, UbG, Rz 540). Die dieser Auslegung zugrunde liegende Formulierung der Regierungsvorlage ("Aufrechterhaltung") sei im UbG nun nicht mehr enthalten; die diesbezüglichen Ausführungen in den Erläuternden Bemerkungen bezögen sich auf einen nicht Gesetz gewordenen Text, ohne daß dem Ausschlußbericht eine Aufklärung über den etwa beabsichtigten Bedeutungswandel entnommen werden könnte. Nach dem Wortlaut des UbG solle das Gericht nunmehr schlechthin über die "Zulässigkeit der Beschränkungen bzw. Behandlungen" entscheiden (Kopetzki aaO). Kopetzki vertrete daran anschließend die Ansicht, daß angesichts dieser deutlichen Formulierungsunterschiede im Vergleich zur Regierungsvorlage angenommen werden müsse, daß das Gericht künftig auch dann über die Zulässigkeit einer Beschränkung oder Behandlung zu entscheiden habe, wenn die Beschränkung (Behandlung) zwischenzeitig wieder aufgehoben worden sei. Andernfalls sei die auch im individuellen Interesse des Patienten liegende Effektivität des gerichtlichen Rechtsschutzes des UbG überhaupt in Frage gestellt, da einerseits sich Beschränkungen und Behandlungen überwiegend in zeitlich eng umgrenzte Maßnahmen erschöpften (Zwangsjacke, Beruhigungsinjektion) und anderseits durch kurzzeitiges Aussetzen der Maßnahme eine gerichtliche Prüfung verhindert werden könnte. Dieser Ansicht vermöge sich der erkennende Rekurssenat (im Gegensatz zur hg. Entscheidung 22 R 613/91 eines anderen Rekurssenates) nicht anzuschließen.

Zum einen sei aus dem Schweigen des Justizausschußberichtes zu dieser Wahl einer anderen Formulierung keineswegs zwingend zu schließen, daß damit eine Gesinnungsänderung des Gesetzgebers gegenüber der Absicht der Regierungsvorlage zum Ausdruck habe kommen sollen, zumal im Zusammenhang mit anderen Fragen, etwa der Wahl eines anderen Gesetzestitels oder einer Textänderung in § 1, der Justizausschußbericht eigens auf derartige Änderungen gegenüber der Regierungsvorlage hinweise. Zum anderen sei grundsätzlich davon auszugehen, daß es keineswegs der Wille des Gesetzgebers gewesen sei, ein Verfahren vor dem Unterbringungsgericht über rein akademische Fragen abführen zu lassen, denn die bloße Feststellung der Unzulässigkeit der bereits aufgehobenen Maßnahme bliebe mangels Ausspruches über deren Aufhebung und mangels in die Zuständigkeit des Unterbringungsgerichtes fallender Folgen (etwa strafrechtlicher oder schadenersatzrechtlicher Natur) ohne jegliche Konsequenzen. Die Entscheidung des Unterbringungsgerichtes hätte also bloß feststellenden Charakter und würde zudem für weitere rechtliche Schritte des sich in seinen Rechten verletzt erachtenden Patienten mangels gesetzlich vorgesehener Bindungswirkung ohne Bedeutung sein. Im übrigen ließen sich für eine derartige Auslegung - im Gegensatz zur Auffassung Kopetzkis - durchaus auch im Jusitzausschußbericht Anhaltspunkte finden; denn dieser spräche nicht nur davon, daß "die §§ 33 bis 39 die Frage betreffen, ob, wie, in welchem Ausmaß bzw. auf welche Dauer ein untergebrachter Kranker weiteren Beschränkungen unterworfen werden darf" (JAB S. 10 Sp 2), er erwähnte vielmehr auch im Zusammhang mit § 38 UbG, daß "eine für unzulässig

erklärte .... Behandlung des Kranken sofort aufgehoben werden soll" (aaO S. 12 Sp 2). Dieser Wille des Gesetzgebers zeige sich darüber hinaus auch im Zusammenhang mit der gerichtlichen Entscheidung über die Zulässigkeit der Unterbringung selbst. Nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (aaO S. 25, Sp 2) sei nur die Zulässigkeit des weiteren Verbleibs des Kranken im geschlossenen Bereich zu überprüfen, nicht also etwa die Frage, ob der Aufnahmevorgang ordnungsgemäß gewesen sei oder der Kranke nicht schon früher hätte entlassen werden können. Wenn auch im Text des UbG der Begriff "Verbleib" des § 10 der Regierungsvorlage im korrespondierenden § 18 durch das Wort "Unterbringung" ersetzt worden sei, so sei doch auch hier aus dem diesbezüglichen Schweigen des Justizausschußberichtes darauf zu schließen, daß der Gesetzgeber keine andere Absicht als die Regierungsvorlage verfolgt habe, zumal - wie auch Kopetzki, aaO, Rz 443, meine - mangels klarer Anhaltspunkte in den Materialien dem Gesetzgeber kaum unterstellt werden könne, daß er die überlieferte Konzeption des Anhalterechtes in einem so grundlegenden Punkt habe verändern wollen ( - denn nach § 22 EntmO sei über die Zulässigkeit der "weiteren Anhaltung" zu entscheiden gewesen -). Auch sei im Zusammenhang mit dem Verfahren vor dem Unterbringungsgericht mehrfach vom "Vorliegen" der Unterbringungsvoraussetzungen im Zeitpunkt der Entscheidung des Unterbringungsgerichtes die Rede (§§ 20 Abs 1, 22 Abs. 1 UbG). Weiters weise Kopetzki aaO noch darauf hin, daß in den parlamentarischen Verhandlungen die Gerichtsentscheidung ausdrücklich nur auf die "weitere Unterbringung" bezogen worden sei. Trotzdem meine Kopetzki im weiteren (Rr 446) entgegen der herrschenden Praxis (und dem Erlaß des BMfJ vom 12. 12. 1990, nach dessen Punkt 3.3. die Ub-Sache im Register abzustreichen sei, sobald das Gericht von der Aufhebung der Unterbringung durch den Abteilungsleiter verständigt worden sei) mit nicht überzeugenden Argumenten, daß auch nach Aufhebung der Unterbringung das Gericht eine Sachentscheidung über die Zulässigkeit der Unterbringung zu treffen habe; gleichwohl erkenne Kopetzki, daß eine derartige Entscheidung "von eher theoretischem Reiz" wäre, er übersehe aber, daß gerade dies nicht der Zweck des gerichtlichen Unterbringungsverfahrens sei. Auch die oberstgerichtliche Rechtsprechung (zuletzt RZ 1991/85, 282 = 1 Ob 549/91 mit Hinweis auf die zur alten Rechtslage ergangenen Judikatur), wonach die Beschwer und damit die Zulässigkeit eines Rechtsmittels nicht wegfalle, wenn zum Zeitpunkt der Rechtsmittelentscheidung die Unterbringung eines Kranken im geschlossenen Bereich bereits beendet sei, vermöge die Ansicht des Rekurses nicht zu untermauern; denn dabei handle es sich um die Frage der Überprüfbarkeit einer bereits getroffenen gerichtlichen Sachentscheidung im Rechtsmittelweg - die im Hinblick darauf, daß mit Gerichtsbeschluß das Grundrecht des Menschen auf persönliche Freiheit (Art. 5 Abs 1 lit e MRK bzw Art 2 Abs 2 Z 5 des BVG vom 29. 11. 1988, BGBl Nr. 684, über den Schutz der persönlichen Freiheit) berührt werde, bejaht werde - nicht aber darum, ob eine derartige erstinstanzliche Entscheidung nach Aufhebung der Maßnahme überhaupt noch zu treffen sei. Im vorliegenden Fall komme überdies noch hinzu, daß die Unterbringung zum Zeitpunkt der Antragstellung (und damit auch zum Zeitpunkt der Entscheidung des Erstgerichtes) bereits aufgehoben gewesen sei, was zur Folge hätte, daß die Abhaltung jener Tagsatzung gemäß § 38 Abs 1 UbG, in der sich das Gericht einen persönlichen Eindruck vom Kranken und dessen Lage zu verschaffen habe, an Ort und Stelle sinnlos wäre, daher wohl im Gerichtsgebäude stattzufinden hätte und dazu die ehemalige Patientin eigens zu laden wäre. Dies würde aber eindeutig dem Zweck des UbG widersprechen, das den Schutz psychisch Kranker in Krankenanstalten dienen solle (JAB S. 3 Sp 1).

Den Ausspruch über die Zulässigkeit des ordentlichen Revisionsrekurses begründete das Gericht zweiter Instanz mit dem Fehlen einer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (§ 14 Abs 1 AußStrG iVm § 12 Abs 2 UbG).

Gegen diese Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich der Revisionsrekurs der durch Mag. Günther Fißlthaler als Patientenanwalt vertretenen Hermine M***** mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und die Unterbringungssache zur Sachentscheidung im Sinne des Antrages vom 4. 11. 1991 "zurückzuverweisen".

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil zu der hier zu entscheidenden Frage, ob ein Patient nach Aufhebung seiner Unterbringung in einer Abteilung für Psychiatrie ein rechtliches Interesse an einem Verfahren hat, in dem über die Rechtmäßigkeit von Behandlungen entschieden wird, die an ihm während einer für (vorläufig) zulässig erklärten Unterbringung in einer psychiatrischen Abteilung durchgeführt wurden, eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehlt; der Revisionsrekurs ist auch berechtigt.

Allgemeine Zielsetzung des UbG ist die Gewährleistung eines verstärkten, mit rechtsstaatlichen Grundsätzen im Einklang stehenden Schutzes der Persönlichkeitsrechte jener psychisch Kranken, die im Rahmen stationärer psychiatrischer Einrichtungen Beschränkungen ihrer Persönlichkeitsrechte unterworfen werden (vgl. Kopetzki, UbG, Rz 10 unter Hinweis auf die RV., 464 BlgNR 17. GP, 14 f; JAB 1202 BlgNR 17. GP 2f, Allgemeines Punkt 3. und 4.). Da im Rahmen der Psychiatrie den Ärzten staatliche Zwangsbefugnisse übertragen werden, die in verfassungsrechtlich gewährleistete Grundrechte der Patienten eingreifen (Art. 4 und 6 StGG, Art. 8 StGG iVm BVG über den Schutz der persönl. Freiheit 1988, Art. 10 StGG, Art. 3 (Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung), 5 (Recht auf Freiheit und Sicherheit), 6 (Anspruch auf ein gerichtliches Verfahren), 8 (Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens, der Wohnung und des Briefverkehrs) und 10 (Freiheit der Meinungsäußerung) EMRK) (vgl. RV., 19 A.VII.), kommt bei der Auslegung von Bestimmungen des UbG verfassungsrechtlichen Überlegungen besondere Bedeutung zu. Bei der hier zu entscheidenden Frage der Zulässigkeit von Zwangsbehandlungen ist wegen der möglicherweise damit verbundenen Gefahr einer die Menschenwürde beeinträchtigenden gröblichen Mißachtung des Betroffenen als Person (vgl VfSlg. 8145) insbesondere Art. 3 EMRK zu beachten (Rosenmayr in Ermacora-Nowak-Tretter, Die Europäische Menschenrechtskonvention, Handbuch, 157), eine Bestimmung, bei der es sich um ein ohne Gesetzesvorbehalt gewährleistetes Grundrecht handelt, die also ein absolutes Verbot enthält (MGA B-VG3 Art. 3 EMRK E 1.); RV. 19, A.VII; Eberhard in Ermacora-Nowak-Tretter, Die Europäische Menschenrechtskonvention, Handbuch, 547, Kommentar zur Entscheidung VfGH B 207/79). Im Falle der Verletzung des in Art. 3 EMRK festgelegten Rechtes auf Achtung der Menschenwürde gewährt Art. 13 EMRK dem Verletzten das Recht, vor einer nationalen Instanz wirksame Abhilfe gegen die Verletzung zu suchen. Dabei handelt es sich um einen Rechtsweganspruch der zu den materiellen, in Art. 2 bis 12 EMRK festgelegten Rechten hinzutritt (Eberhard, aaO, 524), und jedermann zusteht, der behauptet, in einem solchen Recht verletzt worden zu sein (vgl. Eberhard, aaO, 526). Aus Art. 13 EMRK erwächst aber nicht nur dem einzelnen ein entsprechendes Individualrecht, diese Bestimmung schafft vielmehr auch eine Verpflichtung des Staates zur Gewährung eines wirksamen Rechtsschutzes (vgl. Eberhard, aaO, 540, Kommentar zu VfSlg. 5089/65). Soll aber im Falle der Behauptung einer Verletzung von Konventionsrechten dem Verletzten ein wirksamer Rechtsweganspruch eingeräumt werden, so sind die vom Staat gewährten Rechtsschutzeinrichtungen im Lichte des Art. 13 EMRK auszulegen. Daraus folgt, daß bei behaupteten Verstößen gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und der Achtung der Menschenwürde im Sinne des Art. 3 EMRK der davon Beeinträchtigte auch noch nach Beendigung der gegen ihn gesetzten Maßnahmen - im vorliegenden Fall auch noch nach Aufhebung der freiheitsbeschränkenden Unterbringung in der psychiatrischen Abteilung - ein rechtlichtes Interesse an der Feststellung hat, ob die an ihm vorgenommene Behandlung zu Recht erfolgte (vgl. die in RZ 1991/85 veröffentlichte Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 24. 4. 1991, 1 Ob 549/91, in der das rechtliche Interesse an der Feststellung, ob die Unterbringung eines Kranken im geschlossenen Bereich eines Nervenkrankenhauses im Hinblick auf Art. 5 Abs. 4 MRK und Art. 6 Abs. 1 des BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit 1988 zu Recht erfolgte, bejaht wurde). Da es hier um die Gewährung eines Rechtsweganspruches an sich geht, stellt - entgegen der Ansicht des Rekursgerichtes - die Frage der Überprüfbarkeit einer bereits getroffenen gerichtlichen Sachentscheidung im Rechtsmittelweg kein Kriterium für die Bejahung oder Verneinung des Feststellungsinteresses dar.

Da der einem Kranken im Rahmen stationärer psychiatrischer Einrichtungen zur Verfügung gestellte Rechtsschutz - in Übereinstimmung mit den Zielsetzungen des UbG - jedenfalls auch den Anforderungen des Art. 13 EMRK zu genügen hat, vermag sich der Oberste Gerichtshof den vom Rekursgericht zur Begründung seiner Rechtsansicht gebrauchten Argumenten nicht anzuschließen. Aus den erwähnten verfassungsrechtlichen Überlegungen ist vielmehr der Ansicht Kopetzkis (aaO, Rz 540) zu folgen, wonach die Überprüfung der Zulässigkeit von Zwangsmaßnahmen, insbesondere von ohne oder gegen den Willen des Kranken erfolgten ärztlichen Behandlungen auch noch nach Beendigung der erfolgten Beschränkung oder Behandlung der gerichtlichen Kontrolle unterliegt.

Damit erweist sich aber der Revisionsrekurs als berechtigt.

Da die Vorinstanzen ausgehend von der nicht zu billigenden Rechtsansicht es unterlassen haben, eine inhaltliche Prüfung der Behauptungen der Antragstellerin vorzunehmen, mußte die Rechtssache nach Aufhebung der Beschlüsse der Vorinstanzen an das Erstgericht zurückverwiesen werden.

Anmerkung

E29183

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:0020OB00512.92.0617.000

Dokumentnummer

JJT_19920617_OGH0002_0020OB00512_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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