TE OGH 1992/6/17 2Ob10/92

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.06.1992
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Melber, Dr. Kropfitsch, Dr. Zehetner und Dr. Schinko als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei REPUBLIK ÖSTERREICH (Wasserstraßendirektion), vertreten durch die Finanzprokuratur, Singerstraße 17-19, 1011 Wien, wider die beklagte Partei BR*****, wegen S 272.360,-- sA infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Handelsgerichtes Wien als Rekursgerichtes vom 31. Jänner 1992, GZ 1 R 27/92-5, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien vom 10. Jänner 1992, GZ 1 C 2231/91d-2, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Kosten des Rekurses und Revisionsrekurses sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die klagende Partei begehrt von der beklagten Partei die Bezahlung von S 272.360,-- sA. Ihr Bagger "K*****" sowie die diesem als Vorspann dienende "Unterstellplätte" seien mit dem Motorschiff "St*****" und dessen zwei Kähnen zusammengestoßen. An der "Plätte" sei dadurch ein Schaden von S 272.360,-- entstanden, dessen Ersatz samt Nebengebühren mit der vorliegenden Klage begehrt werde.

Das Erstgericht wies die Klage wegen sachlicher Unzuständigkeit zurück. Es liege eine Binnenschiffahrtssache vor, für die nach § 1 des Gesetzes über das Verfahren in Binnenschiffahrtssachen ohne Rücksicht auf den Streitwert das Bezirksgericht Innere Stadt Wien zuständig sei.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der klagenden Partei nicht Folge und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig. Die inländische Gerichtsbarkeit sei gegeben, weil die Kollision auf der Donau im Bereich von Wien erfolgte. Auf Schadenersatzansprüche aus Zusammenstößen von Schiffen sei das nach wie vor in Geltung stehende Gesetz über das Verfahren in Binnenschiffahrtssachen dRGBl 1937 I 97 anzuwenden. Nach Art 3 Abs 1 Z 27 der 4. DfVO sei das "Amtsgericht Wien" zum Schiffahrtsgericht für die Donau von Passau bis zur Reichsgrenze bestimmt. An die Stelle der Amtsgerichte seien gemäß § 72 Abs 1 BehördenüberleitungsG 1945 wieder die Bezirksgerichte getreten. Der Auffassung Sinzingers und Faschings, wonach dann, wenn es sich bei Binnenschiffahrtsstreitigkeiten im engeren Sinn um handelsrechtliche Streitigkeiten handle, das Bezirksgericht für Handelssachen Wien als Nachfolgegericht des Amtsgerichtes Wien anzusehen sei, könne nicht gefolgt werden. Die Zuständigkeit des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien sei im § 52 Abs 1 JN erschöpfend geregelt. Diesem Gericht komme keine Jurisdiktion unabhängig vom Wert des Streitgegenstandes zu, wie dies § 2 des Gesetzes über das Verfahren in Binnenschiffahrtssachen vorsehe. Die Zuordnung einer Eigenzuständigkeit an das Bezirksgericht für Handelssachen Wien unabhängig vom Wert des Streitgegenstandes könne mit § 52 JN somit nicht in Einklang gebracht werden.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen diesen Beschluß des Rekursgerichtes ist zulässig und berechtigt:

Wie der Oberste Gerichtshof bereits in 2 Ob 14/92 ausführte, finden sich Regelungen über die Zuständigkeit für privatrechtliche Streitigkeiten aus dem Recht der Schiffahrt außer im Binnenschiffahrtsverfahrensgesetz und der 4. zu diesem Gesetz ergangenen Verordnung noch im § 51 Abs 2 Z 11 JN. Vor der Zivilverfahrens-Novelle 1983 war auch im § 52 Abs 1 JN darüber eine Regelung enthalten. Nach § 51 Abs 2 Z 11 JN gehören vor die Handelsgerichte ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes Streitigkeiten, die sich auf die Seeschiffe und Seefahrt beziehen, sowie aus allen sonstigen Rechtsverhältnissen, die nach dem Privatseerecht oder dem Recht der Binnenschiffahrt zu beurteilen sind, sofern nicht die Bestimmungen des § 49 Abs 2 Z 7 zur Anwendung kommen oder hiefür andere gesetzliche Vorschriften bestehen. Gemäß § 52 Abs 1 JN aF gehörte die Entscheidung der Streitigkeiten, welche aus der Schiffsmiete, dem Dienstverhältnis der Schiffsmannschaft und dem Seefrachtgeschäft entstehen, und die Aufnahme von Seeverklarung zum Wirkungskreis des Bezirksgerichtes für Handelssachen. Daraus ergibt sich, daß Schiffrechtssachen als zur Kausalgerichtsbarkeit des Handelsgerichtes bzw des Bezirksgerichtes für Handelssachen zählend betrachtet worden sind (vgl Sinzinger JBl 1975, 172 f insb 175). Daran änderte auch die Aufhebung der Eigenzuständigkeit des Bezirksgerichtes für Handelssachen betreffend Schiffahrtssachen durch die Zivilverfahrens-Novelle 1983 nichts. Aus dem JAB 1337 BlgNR 15. GP 5 (in der Regierungsvorlage war diesbezüglich keine Änderung vorgesehen) ergibt sich, daß Grund für die Änderung Abgrenzungsfragen zu den Bestimmungen des Seeschiffahrtsrechtes waren.

"Andere gesetzliche Vorschriften" im Sinne des § 51 Abs 2 Z 11 JN sind das Binnenschiffahrtsverfahrensgesetz und die dazu ergangene

4. Verordnung, die noch geltendes österreichisches Recht sind (vgl Sinzinger aaO). Das genannte Gesetz hat bestimmte bürgerliche Rechtssachen, die sich aus der Benützung von Binnengewässern durch Schiffahrt und Flößerei ergeben, ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes ausschließlich den Amtsgerichten zugewiesen. In Art 3 Abs 1 Z 27 der zu diesem Gesetz ergangenen 4. Verordnung wurde das Amtsgericht Wien zum Schiffahrtsgericht für die Donau von Passau ausschließlich bis zur Reichsgrenze bestellt.

Die Frage, welches Gericht als Nachfolgegericht des Amtsgerichtes Wien in Binnenschiffahrtssachen anzusehen ist, wird - wie schon das Rekursgericht darlegte - in der Lehre nicht einhellig beantwortet. Sinzinger aaO und Fasching in ZPR2 Rz 249/1 vertreten die Ansicht, das Bezirksgericht für Handelssachen sei Schiffahrtsgericht für die Donau, wobei Sinzinger seine Meinung eingehend begründet. Das Rekursgericht weist darauf hin, daß sich Fasching der Meinung Sinzingers ohne eigene Argumente anschloß. Für die Ansicht, das Bezirksgericht Innere Stadt Wien sei Schiffahrtsgericht, führt allerdings keiner der Autoren Argumente an. Fasching im Kommentar (I 164) und Wiesbauer-Zetter (Transporthaftung 766) führen lediglich aus, durch die

4. Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über das Verfahren in Binnenschiffahrtssachen sei das Bezirksgericht Innere Stadt Wien zum Schiffahrtsgericht für die Donau bestellt worden. Dies ist aber insofern unrichtig, als nicht das - damals nicht existierende - Bezirksgericht Innere Stadt Wien, sondern das Amtsgericht Wien zum Schiffahrtsgericht bestellt wurde. Eine Begründung dafür, weshalb das Bezirksgericht Innere Stadt Wien auch nach Wiederherstellung des Bezirksgerichtes für Handelssachen Nachfolgegericht des Amtsgerichtes Wien in Binnenschiffahrtssachen sein sollte, wird nicht gegeben. Auch in der 13. Auflage der MGA der JN und ZPO wird in Anm 5 zu § 2 JN nur auf die genannte Verordnung hingewiesen (in der 14. Auflage wird die hier zu entscheidende Frage nicht mehr erwähnt). In der 1. Auflage seines Lehrbuches, Rz 244, gibt Fasching keinerlei Begründung an, ebensowenig Feil in JN Rz 507.

Nachfolgegericht des Amtsgerichtes Wien ist nicht nur das Bezirksgericht Innere Stadt Wien, sondern seit seiner Wiedererrichtung im Jahr 1955 auch das Bezirksgericht für Handelssachen Wien, denn dessen Geschäftskreis gehörte früher zur Zuständigkeit des Amtsgerichtes Wien. Berücksichtigt man, daß die Binnenschiffahrtssachen nach dem Gesetz als zur Kausalgerichtsbarkeit des Handelsgerichtes bzw des Bezirksgerichtes für Handelssachen zählend zu betrachten sind, dann folgt daraus, daß Nachfolgegericht insoweit das Bezirksgericht für Handelssachen ist, und zwar für alle im Binnenschiffahrtsverfahrensgesetz angeführten Streitigkeiten, also auch für solche, in denen Schadenersatzansprüche aus Schiffszusammenstößen geltend gemacht werden. Ob derartige deliktische Ansprüche einen typischen kausalrechtlichen Charakter haben oder nicht, ist ohne Bedeutung. Auch der Umstand, daß § 52 JN nur eine Wertzuständigkeit, aber keine Eigenzuständigkeit des Bezirksgerichtes für Handelssachen normiert, spricht nicht gegen eine Zuständigkeit des Bezirksgerichtes für Handelssachen in Binnenschiffahrtssachen. Früher sah auch § 52 Abs 1 JN eine Eigenzuständigkeit des Bezirksgerichtes für Handelssachen vor (Streitigkeiten, welche aus der Schiffsmiete, dem Dienstverhältnis der Schiffsmannschaft und dem Seefrachtgeschäft entstehen und die Aufnahme von Seeverklarung, sofern nicht in besonderen Vorschriften etwas anderes bestimmt ist). Aus der Beseitigung dieser Eigenzuständigkeit durch die Zivilverfahrens-Novelle 1983 folgt nicht, daß auch andere Normen keine Eigenzuständigkeit dieses Gerichtes vorsehen.

Das von der Klägerin angerufene Bezirksgericht für Handelssachen Wien ist daher Schiffahrtsgericht für die Donau. Aus diesem Grund erfolgte die Zurückweisung der Klage zu Unrecht, weshalb die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben werden mußten und dem Erstgericht die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen war.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E29190

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:0020OB00010.92.0617.000

Dokumentnummer

JJT_19920617_OGH0002_0020OB00010_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten