TE OGH 1992/6/30 10ObS80/92

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Veröffentlicht am 30.06.1992
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Mag.Georg Reichl (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Helmut Stöckl (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei August M*****, Pensionist, ***** vertreten durch Dr.Martin Hahn, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallsversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr.Vera Kremslehner, Dr.Josef Milchram und Dr.Anton Ehm, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. Jänner 1992, GZ 34 Rs 182/91-26, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Krems a.d. Donau als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 18.Juli 1991, GZ 8 Cgs 125/90-22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit S 3.623,04 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 603,84 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 16.5.1990 lehnte die beklagte Allgemeine Unfallversicherungsanstalt den Anspruch des Klägers auf Entschädigung aus Anlaß eines Unfalls vom 3.9.1989 mit der Begründung ab, bei dem Ereignis handle es sich nicht um einen Arbeitsunfall.

Das Erstgericht gab dem auf Gewährung einer Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß gerichteten Klagebegehren in der Form statt, daß es die beklagte Partei schuldig erkannte, dem Kläger für die Folgen des Arbeitsunfalles vom 3.9.1989 eine vorläufige Versehrtenrente im Ausmaß von 20 v.H. der Vollrente zu gewähren. Ein Leistungsbeginn ist in dem Urteil ebensowenig enthalten wie der Auftrag zur Erbringung einer vorläufigen Zahlung.

Das Erstgericht gelangte zu dem Ergebnis, daß für den Unfall nach § 176 Abs 1 Z 7 ASVG Versicherungsschutz bestehe. Da zuletzt nur der Grund des Anspruches bestritten gewesen sei, habe es der Aufnahme oder Erörterung weiterer Beweise nicht bedurft.

Wie dem Protokoll über die öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Erstgericht vom 18.7.1991 (ON 21) zu entnehmen ist, haben beide Prozeßparteien außer Streit gestellt, daß die aus dem Anstaltsakt ersichtliche Einschätzung, wonach für den Kläger eine Minderung der Erwerbsfähigkeit im Ausmaß von 20 v.H. "bis zur Dauerrentenfestsetzung" anzunehmen sei, die richtige Einschätzung für den Grad der Versehrtheit des Klägers bilde; beide Teile traten für den Fall, daß der Grund des Anspruchs bejaht werde, von den Anträgen auf Bestellung eines ärztlichen Sachverständigen zurück.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Es billigte die Auffassung des Erstgerichtes, daß ein geschützter Arbeitsunfall vorliege, und hielt der Mängelrüge, daß das Erstgericht - entgegen dem Klagebegehren - nur eine vorläufige Versehrtenrente zuerkannt habe, sein Urteil nicht innerhalb der Zweijahresfrist des § 209 Abs 1 ASVG zugestellt worden sei und daß es einer Beweisaufnahme über die Minderung der Erwerbsfähigkeit zum Dauerrententermin bedurft hätte, folgendes entgegen:

Das Gesetz kenne nur einen einzigen Begriff der Versehrtenrente, räume jedoch unter den im § 209 Abs 1 ASVG determinierten Voraussetzungen die Möglichkeit ein, die Versehrtenrente während der ersten zwei Jahre nach dem Eintritt des Versicherungsfalles als vorläufige Rente zu gewähren. Spätestens mit Ablauf des zweijährigen Zeitraumes sei die Versehrtenrente als Dauerrente festzustellen. Der beklagten Partei sei zuzugeben, daß dann, wenn während des Verfahrens vor dem Erstgericht die Zweijahresfrist nach dem Unfall verstreiche, das Erstgericht auch über die Dauerrente abzusprechen habe. Ein derartiger Sachverhalt liege aber hier nicht vor. Die Verhandlung sei am 18.7.1991 geschlossen worden. Weil der Entscheidung die Sach- und Rechtslage zugrunde zu legen sei, wie sie sich im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz darstelle, sei das Erstgericht noch nicht verpflichtet gewesen, über den Anspruch des Klägers auf Dauerrente zu entscheiden. Die Auffassung der beklagten Partei, sie könne wegen Ablaufes der Zweijahresfrist die Dauerrente bescheidmäßig nicht mehr feststellen, sei verfehlt. Die im § 209 Abs 1 ASVG festgelegte Zweijahresfrist diene der Wahrung von Interessen des Versicherten. Die Gewährung einer Versehrtenrente als vorläufige Rente sei eine für den Versicherten gegenüber der Gewährung einer Dauerrente ungünstigere Entscheidung. Erst durch die Gewährung einer Dauerrente werde die Rechtslage endgültig festgelegt. Durch die gesetzliche Zweijahresfrist solle der den Versicherten belastende Schwebezustand zeitlich limitiert werden. Unterbleibe daher aus welchen Gründen immer innerhalb der Zweijahresfrist die Feststellung der Dauerrente, so sei dadurch der Versicherte, nicht jedoch der Versichertungsträger beschwert. Das Gesetz unterstelle offenbar, daß innerhalb von zwei Jahren die Entwicklung der Folgen des Arbeitsunfalles oder der Berufskrankheit im Regelfall abgeschlossen sei. Diese Konsolidierung der Unfallfolgen sei aber nach Ablauf der Zweijahresfrist noch eher zu erwarten. Daher liege nach dem Normzweck des § 209 Abs 1 ASVG kein Grund vor, der es dem Versicherungsträger untersagen würde, eine bisher unterbliebene Dauerrentenfeststellung nach Ablauf der Zweijahresfrist nachzuholen. Unverständlich sei das Argument der beklagten Partei, das Erstgericht habe bereits über eine Dauerrente entschieden; es habe die dem Kläger zuerkannte Leistung im Urteilsspruch ausdrücklich als vorläufig Versehrtenrente bezeichnet.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der beklagten Partei ist nicht berechtigt.

In der Revision wird nicht mehr bestritten, daß es sich bei dem Unfall des Klägers um einen unter Versicherungsschutz stehenden Arbeitsunfall handelt. Die beklagte Partei wendet sich nur noch gegen den Zuspruch einer vorläufigen Rente und verweist neuerlich darauf, daß es ihr verwehrt sei, nach Ablauf der Frist des § 209 Abs 1 ASVG die Dauerrente mit Bescheid festzustellen. Sie müsse unter Umständen Leistungen über einen weitaus längeren Zeitraum erbringen, als solche gebührten.

Wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, ist die Gewährung einer Versehrtenrente als vorläufige Rente eine für den Versicherten gegenüber der Gewährung einer Dauerrente ungünstigere Entscheidung. Durch die Gewährung einer Dauerrente wird die Rechtslage nämlich endgültig festgelegt; eine Änderung der so festgestellten Leistung ist gemäß § 183 Abs 1 ASVG nur dann möglich, wenn eine wesentliche Änderung der Verhältnisse, die für die Feststellung der Rente maßgebend waren, eingetreten ist, während eine vorläufige Rente auch bei unveränderten Verhältnissen innerhalb der Zweijahresfrist jederzeit als Dauerrente herabgesetzt oder entzogen werden kann. Wie der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen hat, stellt die vorläufige Rente den Ausnahmsfall dar und sie ist ausdrücklich als solche zu bezeichnen: Erfolgt die Gewährung einer Versehrtenrente ohne weitere Einschränkung, so ist sie als Dauerrente zu qualifizieren. Folgerichtig ist auch gegen den Bescheid, mit dem eine vorläufige Rente zuerkannt wurde, die Klageerhebung mit dem Begehren auf Gewährung einer Dauerrente zulässig (SSV-NF 1/5 ua). Das Gesetz enthält bezüglich der Feststellung der Dauerrente nur die Bestimmung, daß diese spätestens mit Ablauf des zweijährigen Zeitraumes nach dem Eintritt des Versicherungsfalles geschehen muß. Der Zweck liegt darin, daß bis zum Eintritt einer gewissen Konsolidierung der Unfallfolgen die Versehrtenrente sich der Höhe nach möglichst elastisch den sich ergebenden Veränderungen des Gesundheitszustandes anpassen können soll, daß sodann aber dem Versicherten eine gewisse Sicherheit hinsichtlich der Höhe seines Rentenbezuges gewährt werden soll. Der gesetzliche Auftrag geht daher, wie aus der Diktion des § 209 Abs 1 ASVG klar hervorgeht, dahin, die Dauerrente tunlichst bald festzustellen. Die Zweijahresfrist soll also nicht als Regel, sondern als Grenzfall angesehen werden (vgl SSV-NF 3/24 mwN). Hat der Versicherungträger die zwingende gesetzliche Vorschrift des § 209 Abs 1 ASVG nicht eingehalten, so tritt die vorläufige Rente in die Funktion der Dauerrente mit der Rechtsfolge des § 183 Abs 2 ASVG hinsichtlich der Neufeststellung ASVG MGA 49. ErgLfg 997 Anm. 4 zu § 183, 45. ErgLfg 1038 Anm. 3 b zu § 209; Tomandl in Tomandl SV-System

5. ErgLfg 346; SZ 60/194; jünst 10 Ob S 360/91).

Das Erstgericht hat über das der Klage zu entnehmende Begehren auf Gewährung einer Versehrtenrente als Dauerrente dem Kläger nur eine vorläufige Versehrtenrente zugesprochen und damit das Klagebegehren nicht zur Gänze erledigt. Dadurch war die beklagte Partei auch beschwert: eine bescheidmäßige Entziehung der vorläufigen Rente, sozusagen eine Feststellung der Dauerrente mit Null (vgl MGA ASVG 45. ErgLfg 1037 Anm 2a) wäre nämlich später wirksam geworden als die vom erstgericht hierüber zu treffende Entscheidung. Mit Rücksicht auf die sukzessive Kompetenz der Gerichte hatte die beklagte Partei selbst bei Anerkennung des Vorliegens eines Arbeitsunfalls, also bei Preisgabe ihres Rechtsstandpunktes, daß gar kein unter Versicherungsschutz stehender Arbeitsunfall vorliege, keine Möglichkeit, während des anhängigen gerichtlichen Verfahrens einen Bescheid über die Feststellung der Dauerrente zu erlassen. An ihrer Beschwer zur Bekämpfung des erstgerichlichen Urteils bestand daher schon deshalb kein Zweifel.

Die nicht gänzliche Erledigung des Klagebegehrens bildete jedoch nur einen Mangel des Verfahrens erster Instanz im Sinne des § 496 Abs 1 Z 1 ZPO, der in der Berufung auch erkennabr gerügt, vom Berufungsgericht aber als nicht gegeben angesehen wurde. Ein solcher Mangel kann nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes mit Revision nicht mehr geltend gemacht werden (SSV-NF 1/32, 3/115, 5/116 uva). Das Begehren auf Gewährung einer Dauerrente ist damit aus dem Verfahren ausgeschieden (vgl SSV-NF 5/93 mwN).

Die vom Berufungsgericht näher erörterte (und bejahte) Frage, ob die beklagte Partei auch bei Zuerkennung der vorläufigen Rente durch ein gerichtliches Urteil nach Ablauf der Frist des § 209 Abs 1 ASVG die Dauerrentenfeststellung nachholen könne, braucht hier nicht beantwortet zu werden. Eine solche Feststellung der Dauerrente nach Zuerkennung einer vorläufigen Rente ist nicht Gegenstand diese Verfahrens.

Für die Zuerkennung einer vorläufigen Versehrtenrente reichte aber die eingangs wiedergegebene Außerstreitstellung über den Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit aus, sodaß ein Feststellungsmangel nicht vorliegt. Zu einer Befristung der vorläufigen Rente bestand kein Anlaß.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

Anmerkung

E30129

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:010OBS00080.92.0630.000

Dokumentnummer

JJT_19920630_OGH0002_010OBS00080_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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